Seit 1997 habe ich Chinesisch auf dem Computer geschrieben, und zwar mit der (schnelleren aber komplizierteren) „5-Striche-Eingabe“ (Wubi zixing shurufa). Zugleich habe ich bemerkt, dass in Nordchina nur relativ wenige Chinesen mit diesem Eingabesystem arbeiten und daher langsamer sind. Bis heute (2008) habe ich wohl mehr als 20 Bücher auf diese Art getippt, Übersetzungen oder eigene Studien. Durch diese Übersetzungsarbeit habe ich einen neuen Zugang zum modernen Chinesisch bekommen und bemerkt, dass die moderne chinesische Sprache ständig im Wandel ist. Als ich 1991 zum ersten Mal in einer Pekinger Buchhandlung war, sah ich, dass nur ganz wenige Bücher ABC enthielten. Obwohl manche Bücher westliche Autoren oder westliche Philosophie behandelten, so waren diese Bücher doch gänzlich in chinesischen Schriftzeichen geschrieben, so etwa das bekannte Werk von Liu Xiaofeng, Erlösung und Xiaoyao, von 1988. Die Bücher aber, die ich selber nach dem Jahr 2000 in Peking und auf Chinesisch veröffentlichen konnte, enthalten aber 5%, 10% oder sogar 20% ABC-Ausdrücke, und die Verlage haben diese Art zu schreiben auch akzeptiert. Ich bin natürlich nicht der einzige, der jetzt mehr ABC verwendet.
Ich meine, man sollte in China mehr ABC benutzen, um ausländische Personennamen, Ortsnamen oder Buchtitel zu bezeichnen. Oft ist die chinesische Schreibweise sehr unbefriedigend. Zum Beispiel das Wort „Afrika“ heißt auf Chinesisch „Feizhou“ (wörtlich „Nicht-Kontinent“). Eigentlich kommt das Wort von a-frigus („nicht kalt“”) oder von apricus („hell“, „mit guter Sonneneinstrahlung“, vgl. Aprikose), aber warum benutzt man in China ausgerechnet das Schriftzeichen „Nicht“ (Fei)? Im Jahr 2006 sprach ich mit einem afrikanischen Studenten an der Volksuniversität, und er meinte sofort: „Diesen Ausdruck ,Fei-Zhou‘ sollte man in der Zukunft auf jeden Fall ändern.“ Daher versuche ich in meinen Büchern den Ausdruch „Fei-Zhou“ zu vermeiden und schreibe immer „A-fu-li-jia“ oder das ABC-Original. Die Bücher, die ich übersetzt habe, haben oft mit der klassischen Antike zu tun, und da erscheinen alte Namen, wie z. B. die alte Hauptstadt von Syrien, Antiochia, für die es auf Chinesisch drei verschiedene Übersetzungen gibt: „An-ti-yue-ji-ya“, „An-ti-a“ und „An-tiao-ke“. Schade, dass keine dieser drei Übersetzungen die Bedeutung des Namens wiedergibt: „Antiochia“ ist die „Standfeste“. Dieser Ortsname kommt aus dem Griechischen. „Griechisch“ heißt auf Chinesisch „Xi-la“, und fast niemand weiß, dass dieser Ausdruck von „Hellas“ kommt und besser mit „He-la-si“ übersetzt wäre, so wie Rom (chinesisch „Luo-ma“) besser mit „Ruo-ma“ wiedergegeben wäre. Viele westliche Ortsnamen und Personennamen haben einen tieferen Sinn, aber in der chinesischen Übersetzung ist dieser tiefere Sinn unwiederbringlich verloren. Wer würde in China vermuten, dass Napoleon („Na-po-lun“, woertlich „nimm ein altes Rad“) von Napoleon (chinesisch „Na-bu-le-si“) kommt? Aber Neapel (=Nea-polis) kommt wiederum vom Griechischen und bedeutet „neue Stadt“, vergleiche „polis“ und Politik, Polizei, polemisch, etc. Weil diese Wortwurzeln im Chinesischen verlorengehen, habe ich manchmal gedacht, die chinesischen Schriftzeichen sind tatsächlich ein wenig „kulturzerstörend“.
In diesen vergangenen 10 Jahren habe ich beständig übersetzt und auch beständig die chinesische Sprache weitergelernt, aber ich sehe diese Sprache längst nicht mehr als eine „ewig unveränderliche“, „mystische“ oder „geheimnisbergende“ Sprache an. Chinesisch ist ständig im Wandel, und dieser Wandel ist auch ein Klärungsprozess. Der große Sprachwissenschaftler Wu Yuzhang hat im Jahr 1958 einen Bericht zur Einführung der ABC-Umschrift für die Schriftzeichen geschrieben, und in diesem Bericht steht folgender Satz: „Die Sprachen und Schriftsysteme aller Völker der Erde werden sich allmählich angleichen und werden eines Tages vereinheitlicht sein.“ Ich denke fast jeden Tag über diesen Satz nach. Das klassische Chinesisch war eine sehr vage, unklare Sprache (ohne klare Unterscheidung von Einzahl und Mehrzahl, ohne klare Unterscheidung der Zeiten, von Aktiv und Passiv etc.), aber das moderne Chinesisch (Hanyu) kann eine sehr klare und „internationalisierte“ Sprache sein, wo man Apostrophe, Bindestriche, Doppelpunkte, Klammern und viele andere Zeichen verwendet, um die Klarheit und Präzision der Sprache zu erhöhen. Dadurch ist es auch erst möglich geworden, dass alle möglichen ausländischen Bücher z. T. sehr genau übersetzt werden können. In meinen Augen ist das ein Wunder.