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Begeisterung über Kafka und reservierte Rezeption von Brecht

 

Es bleibt immer noch eine Frage, wie die Werte, die durch die deutschsprachige Literatur vermittelt werden, von chinesischen Lesern aufgenommen werden.

 

Für chinesische Leser ist heute F. Kafka der bekannteste deutschsprachige Schriftsteller. Dieser große Meister der Moderne wird immer wieder neu entdeckt und findet immer neue Anerkennung. Die Kafka-Rezeption ist ein Ereignis in der Begegnung von Chinesen mit ausländischer Gegenwartsliteratur. In den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts gab es einen „Kafka-Boom“ in China. Die verschlüsselte Symbolik, die schwierigen Metaphern und die schwer nachvollziehbare psychische Beschreibung versetzen Leser in China immer wieder in Verwirrung, und gerade deswegen geben sie sich umso größere Mühe, Kafkas Werke zu verstehen. Der unglaubliche Käfer in „Die Verwandlung“, die rätselhafte Figur „Landvermesser K.“ im „Schloss“ bringen die Leser immer wieder zum Nachdenken darüber, welche Menschen die Romanfiguren symbolisieren und in welchen Zuständen sie sich befinden. Die Entschlüsselung macht das Lesen aus; die Suche nach Aktualität tritt in den Hintergrund.

 

Die chinesischen Leser haben keinen scharfen Sinn für einen Ausblick in die Zukunft und für vorhersehbare Dinge. Bevor sie die literarische Modernität gründlich verstanden, fiel ihnen Kafka außerordentlich schwer. Dennoch haben die literarischen Eliten immer wieder versucht, das Rätsel Kafka zu lösen, dabei haben viele von ihnen aber – wohl aus Unwissen – weder Nietzsches Gedanken als ideellen Ursprung Kafkas in Betracht gezogen noch die Ansichten der Frankfurter Schule ihrer Interpretation zugrunde gelegt. Nietzsche hat beispielsweise die durch Kapital und industrielle Gesellschaft verursachten Missstände verbrecherischer Art und den tragischen Zustand, in dem sich der moderne Mensch befindet, gekennzeichnet. Um Kafka zu verstehen, sollte man die Hintergründe der deutschen Ideengeschichte nicht ignorieren. Kafka ist ein „autonomer“ Schriftsteller und arbeitet in seinen Werken stets unerklärlich an grundloser Angst. Mit Kafka wollte ich sagen, dass die chinesischen Leser erst in künftigen Jahren Kafka oder moderne deutsche Denker gründlich verstehen können. Es ist allerdings begrüßenswert, dass die chinesischen Intellektuellen angeregt durch die tiefgehende Reflexion über Modernität und die Zustände, mit denen der moderne Mensch konfrontiert ist, neue Überlegungen anstellen.

 

R. M. Rilke ist in China bekannt. Insbesondere in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erfreuten sich Übersetzungen seiner Gedichte großer Beliebtheit. Obwohl viele moderne chinesische Schriftsteller eine besondere Vorliebe zu Rilke haben, finden sie in ihrem eigenen realen Leben nur schwer Anhaltspunkte, durch die sie sich Rilke weiter annähern. Rilke lebte allerdings im entwickelten Kapitalismus und verfügte über einen scharfen Einblick in die krankhaften Zustände der modernen Gesellschaft und das tragische Schicksal der Menschen. In einem Land, dessen Modernisierung ununterbrochen beschleunigt wird, ist der Sinngehalt von Rilkes Gedichten für viele nur schwer nachvollziehbar. Was viele chinesische Lyriker fasziniert, sind Einsamkeit und Zweifel, die Rilke in seinen Gedichten zur Anschauung gebracht hat, sowie die künstlerische Virtuosität des Dichters. 

 

Die ideologische Übereinstimmung hat wenig dazu beigetragen, dass die Werke von B. Brecht eine Wirkung in China entfalten konnten. Brecht war derjenige deutsche Dramatiker, dem gelungen ist, den marxistischen historischen Materialismus und die Dialektik in Dramen methodisch anzuwenden. Vor dem Zweiten Weltkrieg war er bereits berühmt und nach dem Zweiten Weltkrieg war er in der DDR eine Autorität im Bereich Kultur und Kunst. Seine dramaturgischen Konzepte hatten weltweiten Einfluss und sein episches Theater wurde als System etabliert. Dieses und das Stanilawskische System sowie das System der chinesischen Opern galten im 20. Jahrhundert als die drei wichtigsten theatralischen Systeme der Welt. Im Vergleich zum Stanilawskischen System war Brechts episches Theater in China nicht besonders erfolgreich. In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts hat der Regisseur Huang Zuolin Theaterstücke und die Dramaturgie von Brecht, der eine besondere Vorliebe zu China hatte, in Shanghai eingeführt, in den 80er Jahren wurden auch Brechts Theaterstücke aufgeführt, wodurch die chinesischen Zuschauer Brecht näher kennen lernen konnten. Obwohl der künstlerische Wert des epischen Theaters offensichtlich ist und viele seiner Prinzipien den Konzepten der chinesischen Oper nahe stehen, brauchen die chinesischen Zuschauer noch Zeit, Brechts Werke zu akzeptieren.

 

Aus: Reading Weekly, Ausgabe vom 28. August 2007

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