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Ein erster Eindruck von China

Von Inga Thomsen

Es sind in „China heute“ schon einige Artikel von Praktikanten erschienen, die einen ersten Eindruck von Beijing und China aus dem Blickwinkel eines Fremden beschrieben haben.

Es stellte sich mir die Frage, ob eine weitere Aufzählung all der Dinge, die man neu und anders findet, sinnvoll ist. Ich schreibe diesen Artikel mit der Überzeugung, dass unterschiedliche Blinkwinkel der Personen wichtig sind, um die Größe Beijings und seine Vielfältigkeit einzufangen. Denn so wie nicht jeder die gleiche Geschichte erzählt, wenn er aus dem Kino kommt, so kann man China aus vielen Blickwinkeln erklären und trotzdem nur einen Bruchteil dieses Landes und dieser Stadt einfangen.

Als ich vor ca. einem Jahr angefangen habe, meinen China-Aufenthalt zu planen, war mir zwar bewusst, dass China anders sein würde. Aber andererseits lebt man doch in einer globalisierten Welt, in der man mit aller Welt per Internet verbunden ist. Skypen, chatten, bloggen mit China? Kein Problem. Durch die Uni hat man mehr als nur Stereotype vermittelt bekommen und immerhin liest man in der Zeitung auch den Auslandsteil. Was soll einen da schon aus der Bahn werfen?

Tatsächlich hat mich zuerst alles umgeworfen. Beijing ist so überdimensional. So viele hohe Gebäude, ewig lange Straßen, viele Autos, Menschen, Mopeds, Fahrräder.

Die Gehwege sind an einigen Stellen ein Albtraum und wenn man nicht aufpasst, ist man schnell über eine hervorstehende Eisenstange, ein Kabel, lose Steine oder einen nicht befestigten Gullydeckel gestolpert. Am andersartigsten ist aber der Geruch. Garküchen am Straßenrand und die stetig wachsende Zahl an Autos tragen zu einem einzigartigen Gemisch bei. Es ist das untrügliche Zeichen dafür, dass man weit von Zuhause entfernt ist.

Der laute Verkehr, die offen herumliegenden Stromkabel, die Vielzahl an Zeichen, die man nicht versteht, die Kinder mit 开裆裤 (kai dang ku − unten offenen Hosen) aber ohne Windeln; alte Männer, die Vogelkäfige spazieren tragen, Uniformierte an jeder Ecke und an jedem Eingang. Dies sind nur einige der Dinge, die einem Europäer auf den ersten Blick so fremd erscheinen.

Doch der Mensch ist wandlungsfähig und schon nach allerkürzester Zeit fallen einem mehr und mehr die Gemeinsamkeiten auf. Die Computer haben chinesisches Windows und ich kann die Befehle nicht lesen? Kein Problem, immerhin sind die Befehle an der selben Stelle wie im deutschen Windows und so kann man sich problemlos zurecht finden.

Man muss auch die Aussprache der Zeichen 拉la und 推tui nicht kennen, um sie auseinanderhalten zu können und dementsprechend eine Tür entweder zu ziehen oder zu drücken. Jedes出口 chukou ist von einem Exit begleitet, und in der U-Bahn sind sämtliche Stationen nicht nur in chinesischen Zeichen, sondern auch in Pinyin aufgeführt. Das lässt die Orientierung zu einem minimalen Problem werden.

Die Beijinger selber sind freundlich und, außer in der U-Bahn, hilfsbereit. Denn wenn man sich an den U-Bahn-Haltestellen nicht mit aller Macht zum Ausgang drängelt, muss man leider eine Station weiterfahren. Aus dem Weg gehen ist 麻烦 mafan (umständlich) und manchmal ob des Gedränges schlicht nicht möglich. Doch außerhalb der U-Bahn wird man schon mal von besorgten Mitbürgern in den richtigen Bus gesetzt, bekommt im Taxi mit dem Wechselgeld Bonbons zugesteckt und immer ist die eine Frage parat: 哪国人Na guo ren? Woher kommst du?

Gerade mit den herannahenden Olympischen Spielen 2008 ist Beijing im stetigen Wandel. Gebaut werden nicht nur neue Häuser, eine der Baustellen sind die Chinesen selber.

So gibt es überall Aufforderungen, sich anzustellen, nicht auf die Straße zu spucken und sich freundlich zu benehmen. Der Unterschied zu früher soll bereits sehr groß sein. Doch wenn man die Massen an Hinweisen auf die Olympischen Spiele sieht, fällt es auch nicht schwer, sich den Einfluss dieses Ereignisses vorzustellen. Die Stadt ist voll mit Plakaten, die „Eine Welt, Ein Traum“ verkünden, viele Produkte tragen bereits das Sponsoring-siegel der Spiele und die fünf niedlichen Maskottchen sind nicht nur als Mitbringsel, sondern auch bei den Chinesen selber sehr beliebt.

Nicht nur wegen der nahenden Spiele und des Wandels, in dem Beijing sich befindet, lässt mir die Reisezeit perfekt gewählt erscheinen. Ein unüblich milder Winter und passend zum Frühlingsfest sogar richtig warmes Wetter mit Sonnenschein tun ihr übriges. Doch Beijing hat auch Nebel und Smog. Manchmal so viel, dass die Sicht nicht bis zum Ende der Straße reicht. Auch hier sind die Auswirkungen des Klimawandels wohl zu spüren, wenn von dem berüchtigten trockenen und kalten Beijinger Winter kaum mehr etwas zu spüren ist.

Beijing ist einfach vielfältig, nicht nur meteorologisch. Die Kaufhäuser mit ihren Armani und Gucci Ständen gehören zum neuen China genau so wie die beiden Frauen, die den Fahrstuhl in meinem Apartmenthaus bedienen und im Monat 500 kuai (Yuan), also ca. 50 Euro verdienen. Bei den vielen Aufgaben, die von den Arbeitern in Beijing verrichtet werden, drängt sich einem die Frage „Muss das sein?“ auf. Meine Antwort ist immer und unbedingt „Ja“. Fortschritt mag Wohlstand und Unkompliziertheit mit sich bringen. Aber Chinas viele Arbeiter leben von dem komplizierten System z. B. in der U-Bahn.

Man betritt die Station und auf halbem Weg zwischen dem Eingang und dem Bahnsteig ist der Ticketschalter. Dort kauft man sich ein sagenhaft günstiges Ticket (z. Zt. 3 Yuan), das man zwei Meter weiter wieder an eine Angestellte abgibt, die das Ticket daraufhin wegwirft. Umweltverträglich mag es nicht sein, aber man stelle sich die Auswirkungen von Ticketautomaten vor und die vielen Arbeitsplätze, die verloren gehen würden.

Doch die U-Bahn ist nur ein Fortbewegungsmittel. Hier muss man vielleicht Gedränge ertragen, aber auch der tägliche Weg mit Bus und Auto hat seine Mühsale. Viele Chinesen ärgern sich über den zähfließenden Verkehr, die Luftverschmutzung und den täglichen Stau, aber der Besucher beschäftigt sich zuerst mit einer Frage, die ihm dringender erscheint. Nämlich ob man den Beijinger Verkehr überhaupt überleben wird. Denn wo Deutschland mit rigiden Gesetzen und hohen Strafen den Verkehr kontrolliert, ist Beijing viel anarchistischer. Wenn es Spuren gibt, werden sie nicht eingehalten, abbiegende Autos achten auf kein rotes Licht und die Hupe wird zum Instrument, um Stress abzubauen. Aber die Autos sind niemals zu schnell. Auch nachts werden Taxis eine Geschwindigkeit einhalten, bei der es immer möglich ist, unerwartet zu bremsen.

Die Bedenken des Anfangs zerstreuen sich auch deswegen schnell und mit der Zeit sieht man sogar ein System in der Fahrweise. Ja, es ist laut und sieht sehr unorganisiert aus. Dennoch habe ich in meiner Zeit hier bis jetzt zwar sehr viele Beinah-Unfälle gesehen, aber noch keinen einzigen richtigen. Es mag gedrängelt und Vorfahrt genommen werden, aber alle haben die Augen offen und beobachten den Verkehr sehr genau.

Obwohl man sich also an so vieles bereits gewöhnt hat, bleibt doch die Erkenntnis, in nur zwei Monaten viel zu wenig mitnehmen und erleben zu können. Wenn dieser Artikel erscheint, werde ich schon bald wieder zurück nach Deutschland fahren und ich bin mir sicher, dass das aufregende Land China mit all seinen Besonderheiten mir sehr fehlen wird.

Inga Thomsen studiert Politikwissenschaft an der Universität Münster und macht vom Februar bis April 2007 ein Praktikum bei „China heute“.

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