Chinas
Volkskongreß-System im Wandel der letzten 50 Jahre
Anders als das Zweiparlamente-System (Unterhaus
und Senat) der USA und Europas Parlamentarismus führt China
das Volkskongreß-System durch. Jedes Jahr versammeln sich
die gewählten Volksvertreter aus allen Landesteilen in Beijing,
um den Bericht der Zentralregierung über deren Tätigkeit
im vergangenen Jahr anzuhören. Außerdem wird der Entwicklungsplan
für die nächsten Jahre dem Nationalen Volkskongreß
zur Überprüfung und Beschlussfassung zugeleitet. Und weil
im Volkskongreß über wichtige Themen aus allen Bereichen
Chinas diskutiert wird, lenkt er stets die Aufmerksamkeit der Welt
auf sich.
Die Ideologie weicht dem wirtschaftlichen Aufbau
Anfang der 50er Jahre legte die Kommunistische
Partei Chinas, die gerade an die Macht gekommen war, größten
Wert auf den ideologischen Kampf. Sie hielt daran fest, doch 1978
kam es zu aufsehenerregenden Ereignissen, die eine Wende in der
Politik Chinas einläuteten. In jenem Jahr verteilten 18 Bauernfamilien
im Kreis Fengyang, Provinz Anhui, den eigentlich zum Kollektiv gehörenden
Boden unter sich auf, das Risiko eingehend, im Gefängnis zu
landen. Das war das Vorspiel zur Einführung des Systems der
vertragsgebundenen Verantwortlichkeit auf der Basis der Haushalte.
Ebenfalls im Jahr 1978 fand die denkwürdige 3. Plenartagung
des vom 11. Parteitag gewählten Zentralkomitees der KP Chinas
statt. Auf dieser Tagung gab Deng Xiaoping die Parole aus, dass
es anzustreben sei, zunächst einem Teil der Bevölkerung
zum Wohlstand zu verhelfen. Das war die neue richtungweisende Idee,
doch wohin sich China entwickeln würde, ob es seinen ideologischen
Kampf dem wirtschaftlichen Aufbau unterordnen solle, war damit noch
nicht entschieden.
1979 erklärte der Volkskongress offiziell,
dass die Zeit, in der der Klassenkampf dominierte, Vergangenheit
sei. In der Volkswirtschaft solle fortan die Richtlinie Readjustierung,
Umgestaltung, Konsolidierung und Anhebung des Niveaus gelten.
Gleichfalls 1979 wurde ein Gesetz für Joint-Ventures veröffentlicht,
und eine weitere wichtige Neuerung war, dass die Investitionen in
die Infrastruktur nicht mehr allein von der Regierung kamen, sondern
dass dafür Bankkredite zur Verfügung standen, was die
Volkswirtschaft Chinas sehr förderte.
1980 wurden im Tätigkeitsbericht der Regierung
neben den Leistungen erstmals auch Unzulänglichkeiten, Fehler
und Finanzdefizite erwähnt. Das System Kader auf Lebenszeit
wurde abgeschafft. Man versuchte auch, mit dem Personenkult Schluß
zu machen. So hängte man über die Rednerbühne nicht
mehr das Mao-Porträt, sondern das Staatswappen. Und beim Volkskongreß
besuchten die Regierungsführer nicht mehr als Vorgesetzte
die Abgeordneten, sondern beteiligten sich als normale Volksvertreter
an den Gruppendiskussionen.
1981 empfahl der Volkskongreß, bei der Entwicklung
der Volkswirtschaft die wirtschaftliche Effizienz und die Interessen
der Bevölkerung mehr zu berücksichtigen. So kam es im
Zuge der Reform- und Öffnungspolitik zur Einführung einer
Privatwirtschaft. Viele Leute wurden bald reich, man nannte sie
Personen mit 10 000 Yuan. Manche von ihnen waren die
ersten privaten Unternehmer seit der Gründung der Volksrepublik
China.
1982 wurde das Zwei-Stufen-Konzept, das zwei Jahre
zuvor von Deng Xiaoping entwickelt worden war, ein offizieller Beschluß
des Volkskongresses. In der ersten Stufe sollte sich der Gesamtwert
der Industrie und Landwirtschaft bis Ende der 80er Jahre im Vergleich
zu 1980 verdoppeln, in der zweiten Stufe sollte bis Ende des Jahrhunderts
der Gesamtwert der Industrie und Landwirtschaft von 710 Milliarden
Yuan im Jahr 1980 auf rund 2800 Milliarden Yuan steigen, sich also
vervierfachen. Bei diesem Volkskongreß wurde der Entwicklungsplan
für die folgenden fünf Jahren überprüft und
diskutiert. Darüber hinaus änderte man die Verfassung
dahingehend, dass der Wirtschaftsaufbau als Mittelpunkt sowie das
Festhalten an den Vier Grundprinzipen und an der Reform- und Öffnungspolitik
als Leitlinie des Landes bestimmt wurde, um einen sozialistischen
Weg chinesischer Prägung zu gehen.
1988 genehmigte der Volkskongreß, die Provinz
Hainan zu gründen und die Insel Hainan zu einer Wirtschaftssonderzone
zu bestimmen. So strömten unzählige Leute aus allen Landesteilen
auf diese Insel, um dort Karriere zu machen.
1993, 14 Jahre nach Einführung der Reform-
und Öffnungspolitik, wurde festgelegt, diese Politik vertieft
durchzuführen und ein Marktsystem zu etablieren. Der Nationale
Volkskongreß empfahl, von wirtschaftlich entwickelten Ländern
zu lernen, um die Marktwirtschaft einzuführen.
Dabei aber müsse man die wirkliche Situation
Chinas berücksichtigen. Der Volkskongreß genehmigte,
die Reform der Struktur des Staatsrats einzuleiten und eine
Vorbereitungsorganisation für die Gründung
der Sonderverwaltungszone Hongkong einzusetzen. Ferner wurde das
Grundgesetz für die Sonderverwaltungszone Macao sowie ein Antrag
zur Revision der Verfassung angenommen.
1999 war die Finanzkrise im Südosten Asiens
endlich überwunden. Durch diese Krise hat China die Risikos
bei seiner wirtschaftlichen Entwicklung kennengelernt. So wurde
die Steigerung der inländischen Nachfrage die wichtigste Maßnahme,
um den wirtschaftlichen Zuwachs zu fördern. Die Landwirtschaft
soll die Wirtschaft stabilisieren und absichern. Gleichzeitig wurde
eine Reform im Bereich der Finanzen durchgeführt, um das Finanzrisiko
zu vermindern. Die Wirtschaftsstruktur wurde reguliert, die wirtschaftliche
Ordnung wurde gefestigt. Der Nationale Volkskongreß nahm in
die Verfassung auf, dass die Einzel- und Privatwirtschaft ein wichtiger
Bestandteil der sozialistischen Marktwirtschaft sei und die Regierung
die Einzel- und Privatwirtschaft anleite, kontrolliere und verwalte
sowie ihre Rechte und Interessen schütze.
Stärkung der Demokratie und des Rechtssystems
Nachdem die Kulturrevolution zu Ende war, dominierte
der Bürokratismus in allen Behörden der Regierung. In
der Bevölkerung machte sich Unzufriedenheit bereit, und so
wurde schließlich die Stärkung der Demokratie und des
Rechtssystems in den Vordergrund gestellt. Der Entwurf zur Vervollständigung
des Volkskongreß-Systems, der 22 Jahre lang beiseitegelegt
geworden war, wurde endlich angenommen.
Im Juli 1979 wurde vom 5. Nationalen Volkskongreß
festgesetzt, dass die Volkskongresse über der Kreisebene Ständige
Ausschüsse haben sollen und dass die Volkskongresse auf der
Ebene einer Provinz und ihre Ständigen Ausschüsse Gesetze
und Verordnungen erlassen dürfen.
Dies war für die Entwicklung der sozialistischen
Demokratie und Stärkung des sozialistischen Rechtssystem von
großer Bedeutung. Außerdem wurde damals eine Kommission
zur Prüfung von Anträgen, die es bereits vor der Kulturrevolution
gegeben hatte, wieder eingesetzt. Tausende von Anträgen sind
daraufhin eingereicht worden.
1982 kam es im Zuge einer Verfassungsänderung
zur Einsetzung weiterer Kommissionen, zuständig für Nationalitätenfragen,
Gesetze, Finanzen, Wirtschaft, Bildung, Wissenschaft, Kultur und
Hygiene, auswärtige Angelegenheiten und Angelegenheiten der
Auslandschinesen.
Fünf Jahre später, im Frühling
1987, erlebte China einen Nationalen Volkskongreß, der wegen
seiner Offenheit allgemeinen Beifall fand. Die Vertreter äußerten
frei ihre Ansichten zu grundsätzlichen Fragen der Regierung.
Viele sensible Punkte wie Preise, Bildung, Stil der Partei- und
Regierungsarbeit, öffentliche Moral und Behandlung der Intellektuellen
wurden lebhaft diskutiert. Dieser Nationale Volkskongreß trug
wesentlich zu einer Änderung des
Arbeitsstils in den Bereichen Presse und Propaganda
bei. So wurden z.B. manche Gruppendiskussionen bei den Tagungen
der Volkskongresse für ausländische Journalisten freigegeben.
Und man konnte am nächsten Tag die Berichte über diese
Diskussionen in den Zeitungen lesen.
Mit der wirtschaftlichen und demokratischen Entwicklung
werden sich die Chinesen ihrer Rechte und der Gesetze immer bewusster.
Missbraucht ein Dorfvorsteher seine Stellung und Macht, berufen
ihn die Dorfbewohner ab und wählen einen neuen.
Zwischen 1979 und 2000 hat der Nationale Volkskongreß
das Strafrecht der Volksrepublik und das Wahlrecht
des Volkskongresses der Volksrepublik China auf allen Ebenen
konstituiert sowie weitere 370 Gesetze ausgearbeitet und abgeändert,
darunter die
Zivilprozessordnung und das Bildungsrecht. Dank
der Bemühungen der Volkskongresse auf den verschiedenen Ebenen
verfügt China heute ein relativ vollständiges Rechtssystem.
Im zehnten Fünfjahresplan Chinas, den der
Nationale Volkskongreß gerade eben verabschiedet hat, sind
die Erschließung des Westens des Landes und der private Sektor
der Volkswirtschaft Schwerpunktthemen. Im Bereich Recht will man
bis 2010 über ein komplettes sozialistisches Rechtssystem chinesischer
Prägung verfügen. Bis dahin müssen noch mehr als
100 Gesetze ausgearbeitet bzw. abändert werden, darunter so
heikle Komplexe wie das Verlags-, das Ehe- und das Urhebergesetz.
Eine Menge Arbeit für die zuständigen Ausschüsse
in den kommenden Jahren.
Am 5. März findet die 4. Tagung des 9. Nationalen
Volkskongresses in Beijing statt. Die folgenden wichtigen Punkte
werden auf die Tagesordnung dieser Tagung gesetzt: Den von dem Ministerpräsidenten
Zhu Rongji gehaltenen Bericht über den 10. Fünfjahresplan
für die Volkswirtschaft und Gesellschaftsentwicklung anzuhören
und dann zu überprüfen; den 10. Fünfjahresplan zu
diskutieren und zu genehmigen; den Verbesserungsvorschlag
zum Gesetz für Joint-Ventures der VR China zu überprüfen
und zu diskutieren, usw.
Von Zhang Xueying
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