Monozentrum
oder Polyzentren in Beijing
Warum muss man beim Aufbau der Stadt Beijing
den Tian’anmen-Platz als das Zentrum nehmen?
Beijing
ist eine der sieben alten Metropolen Chinas. Über 800 Jahre
lang war Beijing Hauptstadt mehrerer Dynastien. Der Begriff
„Altstadt Beijings“ bezieht sich auf jene Teile der Stadt, die
aus der Ming- (1368-1644) und der Qing-Dynastie (1644-1911)
noch erhalten sind. Der Kaiserpalast hat eine Geschichte von
600 Jahren und ist mit einer Fläche von 700 000 qm (darunter
150 000 qm Baufläche) die größte, gut erhaltene
Kaiserstadt in der Welt. Diese im Zentrum, und zwar auf der
Süd-Nord-Achse Beijings befindliche Kaiserstadt, in der wertvolle
Kulturgegenstände und –denkmäler aufbewahrt sind,
wurde 1997 von der UNESCO in die Namenliste des Kulturerbes
der Welt gesetzt.
Seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts
bemüht sich die Stadt Beijing darum, das Verkehrsproblem zu
lösen. Jahr für Jahr werden alte Straßen verbreitert,
neue Straßen sowie Kreuzungen mit Unter- und Überführungen
angelegt. Außerdem sind die zweite, dritte, vierte, fünfte
und sechste Ringstraße entstanden. Trotzdem ist das Verkehrsproblem
nicht von Grund auf gelöst.
Jetzt erinnert man sich an Liang Sicheng,
einen bekannten Architekten in China. Er war für den Entwurf
des Staatswappens der Volksrepublik China und des Denkmals der
Volkshelden auf dem Tian’anmen-Platz zuständig. Jahrzehnte
lang beschäftigte er sich mit der Pädagogik und Konstruktion
auf dem Gebiet der Architektur sowie dem Studium der antiken
Bauten und leistete große Beiträge zur Entwicklung
der Architektur Chinas.
Anfang
der 50er Jahre drehte sich die Diskussion bei der Ausarbeitung
des Entwicklungsprogramms der Hauptstadt vor allem darum, wo
das Zentrum der administrativen Verwaltungen in Beijing liegen
sollte.
Damals gab es zwei unterschiedliche Meinungen.
Experten aus der Sowjetunion, die auf Einladung der Stadtregierung
zur Unterstützung Beijings bei der Stadtplanung kamen, und manche
chinesische Experten wie Hua Nangui, Zhu Zhaoxue und Zhao Dongri
traten dafür ein, dass das Zentrum der administrativen Verwaltungen
in der Altstadt liegen sollte. Liang Sicheng, Chen Zhanxiang
und andere Architekten waren der Auffassung, dass sich dieses
Zentrum von Yuetan (Mondtempel) bis zu Gongzhufen (Grab der
Prinzessin) erstrecken, also im westlichen Außenbezirk
liegen sollte.
Ein riesiges Verwaltungszentrum sei schwer,
so Liang und Chen, in die Altstadt zu integrieren, wo ein komplettes
gewachsenes Viertel bestehe. Es sollte nicht zerstört werden,
weil es Regeln und Anordnungen über die Gestaltung der Hauptstadt
in der alten Zeit Chinas repräsentierte. Außerdem
war die Bodenfläche in der Altstadt beschränkt.
Liangs Konzept gemäß sollte Beijing
drei Zentren haben: eine Altstadt, ein neues Verwaltungszentrum
in der westlichen Vorstadt und ein neues zentrales Gewerbegebiet
in der südwestlichen Vorstadt. Dadurch könnte die bei einem
Monozentrum entstehende Konzentration von Menschen und Verkehr
vermieden oder zumindest reduziert werden.
Dieses Grundproblem existiert immer noch.
In Wirklichkeit wurde Beijing nach dem Gedanken über das Verwaltungszentrum
in der Altstadt aufgebaut. Das Durcheinander beim Städtebau
Beijings und die Verkehrshindernisse in der Stadt seien, so
meinen manche Leute, darauf zurückzuführen, dass das Konzept
von Liang und Chen nicht angenommen wurde. Das ist zweifellos
ein Grund dafür. Eine historische Betrachtungsweise macht aber
die Kompliziertheit der Materie deutlich.
Kurz nach der Gründung der Volksrepublik hatte
der Staat große finanzielle Schwierigkeiten. Damals war
es unmöglich, ein neues Verwaltungszentrum zu bauen, ohne
das alte zu nutzen. Für die Volksregierung war es ebenfalls
unmöglich, die Hauptstadt zunächst aufzubauen, wenn
die Bevölkerung noch ein schwieriges Leben führte. Der
damalige Ministerpräsident Zhou Enlai bekräftigte
mehrmals, während seiner Amtsperiode kein Bürogebäude
für den Staatsrat zu bauen. Nicht zuletzt machte der Gedanke
der Chinesen über den Mittelpunkt der Kaiserstadt es auch schwer,
den Vorschlag Liang Sichengs über die drei Zentren anzunehmen.
Am
11. Oktober 2001 gaben Wu Liangyong, früher Assistent von Liang
Sicheng, jetzt Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften
und der Chinesischen Akademie der Ingenieurwissenschaften und
Professor an der Qinghua-Universität, und Liu Xiaoshi,
Berater der Stadtregierung, ehemaliger Amtsleiter für Stadtplanung
und Chefarchitekt, den Journalisten von „China heute“ ein Interview.
Wu Liangyong: „Schutz und Entwicklung stehen
oft im Widerspruch. Der Vorschlag Liang Sichengs, ein neues
Verwaltungszentrum zu bauen, zielte es darauf ab, das Problem
über den Widerspruch zwischen dem Schutz und der Entwicklung
zu lösen. Ein neues Zentrum kann modernisiert werden. Er
hat es leider nicht theoretisch untermauert.“
Schon 1984 kommentierte er: „Es gab mehrere
Gründe dafür, das Konzept der Herren Liang und Chen nicht anzunehmen.
Kurz nach der Gründung der Volksrepublik war der Staat noch
zu schwach, um eine neue Stadt aufzubauen. Die Altstadt Beijings,
die von mehreren Dynastien aufgebaut wurde, ist großartig.
Und das Tian’anmen (Tor des Himmlischen Friedens), von dem aus
die Gründung der Volksrepublik verkündet wurde, hat ein neues
Kapital in der Geschichte Chinas aufgeschlagen. Außerdem
ist das Konzept von Liang und Chen auch nicht ideal. Das neue
Verwaltungszentrum liegt abgelegen und im Konzept fehlt es an
einer attraktiven gigantischen Stadtteilung. Das könnte
auch ein Grund für die Ablehnung dieses Konzepts sein.“
Liu Xiaoshi sagte: „Es war ein Fehler, den
Vorschlag von Herrn Liang nicht zu akzeptieren. Die Durchführung
seines Konzepts, also der Aufbau einer neuen Stadt, hätte
schrittweise je nach den finanziellen Kräften des Staates
erfolgen können. Eine flexible Planung wäre durchführbar
gewesen.“ „Damals lernte man alles von der Sowjetunion“, fügte
Liu hinzu. „Man musste die Meinung der sowjetischen Experten
anhören.“
Das Konzept von Herrn Liang wurde, so meinte
Dong Guangqi, damals aus Mangel an finanziellen Mitteln, aber
auch an Erkenntnissen nicht akzeptiert. Es sei eine bittere
Erfahrung, dass die Fragen über den Schutz und die Umgestaltung
der Altstadt, die Liang in seinem Konzept aufgestellt hatte,
nicht berücksichtigt wurden.
Aus heutiger Sicht ist es klar, dass die Ursache
des Verkehrsstaus in der Stadt in der Konzentration von Büros
in einem Stadtgebiet begründet liegt - das Resultat eines Monozentrums.