Februar 2002
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Stimmen der Leser

Wirtschaft

 

Frech, charmant, poetisch:

Der Überraschungserfolg eines chinesischen Autors

"Wenn dieses Buch kein Bestseller wird, ist meine Sendung zu nichts mehr gut", sagte Bernard Pivot in seiner viel beachteten Sendung "Bouillon de Culture" im französischen Fernsehen. Der Mann, dessen Urteile über Bücher nicht selten umstritten sind, hat recht behalten. "Balzac und die kleine chinesische Schneiderin" wurde ein Bestseller.

Das Roman-Debüt des chinesischen Autors Dai Sijie, der in Paris lebt und das Buch auf Französisch schrieb, hat das Thema Kulturrevolution mal völlig neu gemischt. Mit leichter Hand hat er den dramatischen Ereignissen im China der 60er und 70er Jahre eine bezaubernde Liebesgeschichte abgewonnen, "witzig, frech, zärtlich, von einem geheimnisvollen Charme", wie das französische Blatt "Madame Figaro" schreibt.

Sogleich nach Erscheinen des schmalen Bandes im Lande Balzacs und Flauberts und Baudelaires war die Begeisterung überwältigend. Das "Figaro Magzine" ließ sich gar zu dem kühnen Urteil hinreissen: "Wenn Sie dieses Jahr nur einen Roman lesen wollen, lesen Sie diesen: Er wiegt hundert andere auf." Er sei "die frechste und charmanteste Lektion zum Thema Freiheit und die schönste Liebeserklärung des Jahres: an die Literatur, an das Leben, an die Ironie, an eine Frau".

Auch in Deutschland gab es Lob von vielen Seiten. "Dai Sijie schreibt poetisch, witzig, mit genauem Blick für die Absurditäten", las man z.B. im "Stern".

Darf man bei soviel positiver Kritik überhaupt noch über Kleinigkeiten mäkeln? Es sind in der Tat nur ein paar störende Winzigkeiten, und sie betreffen nur die deutsche Übersetzung: "Nasenchaise" statt "Brille" zu schreiben ist nicht die Art von Humor, die den Roman ansonsten auszeichnet. Dasselbe dürfte für die arg gewollte Wortkonstruktion "Monster-Potaufeu" gelten, die hier für einen simplen, allerdings sehr großen Kochkessel steht. Und zweimal stolpert man darüber, daß der Übersetzer das im Deutschen immer noch weibliche Wort "Konkubine" für einen Mann gebraucht, nämlich für einen Eunuchen, mit dem ein Kaiser ein homosexuelles Verhältnis gehabt haben soll.

Diese und ein paar weitere Schönheitsfehler lassen sich für die folgenden Auflagen, die das Buch bestimmt erleben wird, ja leicht beheben.

Da Sijie: "Balzac und die kleine chinesische Schneiderin", Piper Verlag, 200 Seiten, DM 34.-

                                                         Atze Schmidt

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