September 2003
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Chinas blühende Mobiltelefonindustrie

Von Li Wuzhou

Als das Mobiltelefon in den späten 80er Jahren zum ersten Mal auf dem chinesischen Markt auftauchte, kostete es zwischen 10 000 und 20 000 Yuan und war so groß wie ein Ziegelstein. Es galt als das ultimative Statussymbol – der Volksmund nannte es „da ge da“, was soviel wie „mächtiger großer Bruder“ bedeutet. Damals stand der Verkauf eines tragbaren Telefons unter Staatsaufsicht und die Stückzahlen waren sehr niedrig. Interessenten hatten eine Bestellung einzureichen und eine Vorauszahlung von 80% zu leisten. Wie sich die Dinge geändert haben! Mobiltelefone sind heute an jeder Ecke erhältlich, in verschiedenen Größen, Farben und mit zahlreichen Funktionen.

„Daumenkultur“

Als junger Student blieb Huang über Internet-Chat mit seinen ehemaligen Klassenkameraden in Kontakt. Seit er vor zwei Jahren eine Stelle in Beijing antrat, wechselte er auf SMS (Short Text Messages). Auf Klassentreffen schwenkt das Gespräch, wenn die Erinnerungen abgehandelt sind, sogleich dazu über, wer das neueste Handymodell besitzt und wie die neuesten SMS-Witze lauten. SMS sind mittlerweile der letzte Schrei der zeitgenössischen Kommunikation im modernen China und wurden auch schon das „fünfte Medium“ genannt. Die chinesischen Mobiltelefonbenutzer versenden jährlich 60 Mrd. Kurznachrichten – dies bedeutet, dass eine von sechs SMS auf der Welt in China unterwegs ist. Mit SMS machen nicht nur Witze die Runde, auch Wettervorhersagen, die Lotteriezahlen, Börseninformationen und Glückwünsche werden übermittelt. Die Chinesen, v. a. die jungen zwischen 15 und 25, lieben diese Art der Kommunikation über alles. Sie kostet wenig, ist schnell und lässt dennoch genug Zeit, um eine Nachricht mit Bedacht zu formulieren.

Diese „Daumenkultur“ hat sich quer durch alle Gesellschaftsschichten ausgebreitet. Chinas zwei führende Mobiltelekommunikationsunternehmen, China Mobile und China Unicom, übermittelten 2002 90 Mrd. SMS. Bei 0,1 Yuan pro Nachricht ergeben sich Einnahmen von 9 Mrd. Yuan. Damit hat eine neue Ära in der Telekommunikation begonnen.

SMS-Abonnemente und Informationsdienste zum Herunterladen bilden die neuesten Strategien, mit denen chinesische Internetportale – darunter die größten drei, Sina, Sohu und Netease – aus der Verlustzone herausfanden. Die SMS-Manie hat bereits eine neue Berufsgattung geschaffen: den professionellen SMS-Schreiber. Gefragt ist, wer witzige SMS formulieren kann, die bei den Handy-Kunden gut ankommen, denn mit jeder weitergeleiteten Nachricht klingeln die Kassen der Mobilfunkbetreiber.

Der Handykonsum zeigt die unterschiedlichen Vorlieben chinesischer und westlicher Kunden. Beim Kauf eines Handys achten die Westler auf das Preis-/Leistungsverhältnis und auf die Anzahl der Funktionen, die ein Gerät bietet. Chinesen dagegen legen einzig und allein Wert darauf, dass sie ein neueres und besser aussehendes Modell besitzen als die Leute in ihrem Umfeld. Sie gewichten die Vorteile eines Handys als Arbeitswerkzeug kaum, da sie es v. a. zum Versenden und Empfangen von SMS und als Spielzeug verwenden. Weniger als 30% der Mobiltelefone werden ausschließlich zum Telefonieren benutzt. Nur Großbauern, Tierzüchter und Händler in ländlichen Gebieten brauchen sie für nichts anderes als für Geschäftszwecke.

Der große SMS-Verkehr und der schnelle Wandel in der Handy-Mode lassen den Mobiltelefonkonsum rasch wachsen. In China gibt es schon mehr Handy-Benutzer als in den USA, womit es der größte Markt der Welt ist. Gesättigt ist er noch lange nicht. Besonders in den mittleren und kleinen Städten besteht weiteres Wachstumspotential.

Weltweite Marktführer wetteifern um chinesischen Markt

Im April 2003, als der Kampf gegen SARS am heftigsten tobte, stattete Mike Zafirovski, Unternehmenschef von Motorola, China einen Besuch ab. Nachdem der US-amerikanische Konzern in Shanghai bereits ein Beschaffungszentrum und ein Hauptquartier für die Region Asien-Pazifik errichtet hat, unterzeichnete er einen Vertrag über Investitionen von 90 Mio. US-Dollar für den Aufbau eines Forschungs- und Entwicklungszentrums in Beijing.

Motorola besitzt einen großen Anteil am chinesischen GSM-Markt und konnte sich auch im entstehenden CDMA-Markt (Code Division Multiple Access) eine gute Position sichern. Um seine Stellung zu behaupten, wird das Unternehmen weiter in China investieren. In den nächsten fünf Jahren sollen sich sein jährlicher Produktionswert, seine Gesamtinvestitionen und der Wert seiner Einkäufe in China auf jeweils 10 Mrd. US-Dollar belaufen. Die Motorola Research and Development Company sieht für denselben Zeitraum 500 Mio. US-Dollar an Ausgaben für Forschung, Entwicklung und neue Ausrüstung vor.

Der Absatz von Motorola (China) Electronics Co., Ltd., betrug 2002 5,7 Mrd. US-Dollar und machte ein Viertel der weltweiten Verkäufe der Motorola Group aus. Zafirovski bezeichnete China als den wichtigsten Markt und das bedeutendste Herstellungs- und F&E-Zentrum seiner Firma. „Als größtes Unternehmen mit ausländischem Kapitalanteil in China werden wir unsere Investitionszusagen erfüllen und China zu unserer Basis machen“, fügte er hinzu.

In der Folge erklärten fünf andere Mobiltelefonhersteller (Philips, Ericsson, Nokia, Siemens und Samsung), dass sie ihre gesamte Handapparatefertigung nach China verlegen wollten. Viele japanische und südkoreanische Handyhersteller produzieren ihre Mobiltelefone mittlerweile ebenfalls hier.

Nokia gab Ende des letzten Jahres bekannt, dass China nach den USA zu seinem zweitgrößten Markt aufgestiegen sei. Für 2002 verzeichnete Nokia Verkäufe in China im Wert von 3,4 Mrd. Euro, 0,2 Mrd. mehr als im Jahr 2000. Das finnische Unternehmen hat 2,3 Mrd. US-Dollar in acht Jointventures investiert und beschäftigt auf dem chinesischen Festland 5000 Personen. Es hat auch die größte Fertigungsanlage für Mobiltelefone in Beijing, Xingwang (International) Industrial Park genannt, gebaut.

Dies alles deutet darauf hin, dass China bald zum größten Hersteller von Mobiltelefonen aufsteigen wird. Schon jetzt wetteifern europäische, amerikanische, südkoreanische und japanische Unternehmen um den chinesischen Markt. Motorola lancierte die Farbbildschirmmodelle E360 und V730, mit denen es auf das obere Marktsegment abzielt. Nokia ging mit dem Modell 7650, das gleichzeitig als Digitalkamera verwendet werden kann, ebenfalls in die Offensive.

Inländische Hersteller schlagen zurück

Während ausländische Hersteller ihre Anlagen nach China verlegen, legt auch die inländische Produktion zu.

Vor 1998 wurde der chinesische Handapparatemarkt von ausländischen Marken beherrscht, und 1999 stammten nur 130 000 Geräte – 5% des Produktionssausstoßes des Landes – von einheimischen Unternehmen. Im Jahr 2001 stieg der Anteil chinesischer Produkte auf 12,3% und 2002 auf 30%. Heute gehören chinesische Marken, darunter Bird aus Ningbo, TCL und Eastcom aus Hangzhou, zu den Top Ten auf dem chinesischen Markt. Im ersten Quartal 2003 setzte TCL 1,04 Mio. Mobiltelefone ab und belegte damit hinter Nokia und Motorola den dritten Rang. Die einheimische Mobiltelefonindustrie fordert die Vorherrschaft der Unternehmen mit ausländischem Kapitalanteil heraus.

Nach Ansicht von Experten kommt es im Wettbewerb zwischen chinesischen und ausländischen Marken auf die tatsächliche Stärke, kulturelle Konzepte und Betriebsmodi an. Chinesische Marken können im GSM-Bereich bestehen, weil sie die technologische Kluft verringert und ein Verständnis für die Konsumentenpsychologie erworben haben. Sie haben auch ihre Marketingnetzwerke verbessert und bieten eine gute Kundenbetreuung nach dem Verkauf. Bird z. B. startete eine starke Werbekampagne und baute ein landesweites Verkaufs- und Service-Netzwerk auf, wodurch sich die Marke unter die ersten fünf in China schieben konnte.

Chinas Mobiltelefonindustrie mag rasche Fortschritte machen, doch sie ist nicht frei von Problemen. Einige einheimische Unternehmen trachten einzig danach, ihren Produktionsumfang auszuweiten, und schenken der Erneuerung ihrer Forschungs- und Entwicklungsabteilungen zu wenig Beachtung. Andere sind nicht im Besitz der Urheberrechte für zentrale technische Bestandteile, so dass ihr Entwicklungspotential beschränkt ist. Im Bereich der Kerntechnologien und der Innovationsfähigkeit ist der Abstand der chinesischen Hersteller zu ihren ausländischen Konkurrenten am größten.

Ein weiteres Problem stellt die unstete Qualität der chinesischen Produkte dar. Laut China International Finance Company werden 6% der chinesischen Mobiltelefone wegen Defekten zurückgesandt – doppelt so viele wie bei den ausländischen Marken.

Ist der Kuchen schon aufgeteilt?

Von den 125 Bietenden auf einer Auktion für Werbezeit im chinesischen Zentralfernsehen CCTV im November 2002 waren 15 Mobiltelefonhersteller. Bis Ende 2002 beliefen sich die Ausgaben der Handy-Industrie für Fernsehwerbung auf 700 Mio. Yuan. Der Wettbewerb im Handy-Markt ist voll entbrannt.

Zwar wird die weltweite Telekomindustrie derzeit von einer Flaute heimgesucht, doch China bleibt ein gefragter Investitionsstandort. Die jährliche Absatzmenge beträgt 100 Mio. Geräte. Bei einem Stückpreis von durchschnittlich 1000 Yuan ergibt dies ein Marktvolumen von 100 Mrd. Yuan.

Laut den neuesten Statistiken sind derzeit 20 Mio. Mobiltelefone auf Lager, was rund einem Drittel der Binnennachfrage gleichkommt. Jedes Jahr kommen über 200 neue Modelle auf den Markt.

Der gegenwärtige Preiskrieg im Handymarkt, der durch Überkapazitäten auf der Produktionsseite ausgelöst wurde, erinnert an die Anfänge der Farbfernsehindustrie. Die Hersteller sorgen sich über die immer kürzer werdende Beliebtheitsspanne eines Produkts, denn um die Nachfrage zu befriedigen, müssen die Produktzyklen stetig verkürzt werden, was niedrigere Gewinne und höhere Kosten bedeutet.

Regierungsstatistiken zufolge gibt es in China 37 Mobiltelefonhersteller, darunter 22 mit ausländischem Kapitalanteil. Bis Ende 2003 wird die Produktionskapazität 180 Mio. Stück übersteigen – fast die Hälfte aller Handys weltweit und das Dreifache der Inlandsnachfrage. Der Mobiltelefonausstoß übersteigt offensichtlich den Verbrauch.

Einige Stimmen jedoch verbreiten weiterhin Optimismus. Wenn man sich die Möglichkeiten vor Augen hält, die ein 100-Mrd.-Markt bietet, kennt die Zuversicht keine Grenzen. Was die Inlandsnachfrage angeht, ist der erwartete rasche Anstieg der städtischen und ländlichen Einkommen vielversprechend. Das Bewusstsein der Bauern für den Markt, die steigende Anzahl von Zwischenhändlern für Landwirtschaftsprodukte und die Bedürfnisse von Wanderarbeitern vom Land würden zusammen die Nachfrage nach Handys deutlich steigern, sind manche überzeugt.

Wang Bingke, stellvertretender Leiter der Abteilung für wirtschaftliche Unternehmungen unter dem Ministerium für Informationsindustrie (MII), verneint, dass die Mobiltelefonindustrie unter Überkapazitäten in der Produktion leidet. Ausstoß und Absatz seien grundsätzlich im Gleichgewicht.

Unterstützung dafür liefert eine Umfrage von AC Nielsen zur Zuversicht der Konsumenten. Sie zeigt, dass der Lebensstil in der Region Asien-Pazifik durch die neueste Wirtschaftsflaute beeinflusst wurde: Weniger Konsumenten essen auswärts oder geben größere Beträge für Unterhaltung und Luxusgüter aus. China jedoch war von der unstabilen Wirtschaftslage in der Nachbarschaft nicht betroffen. 2002 stellte China 120 Mio. Mobiltelefone her, wovon 55 Mio. für den Export bestimmt waren und 65 Mio. auf dem Inlandsmarkt abgesetzt wurden.

In der Studie von AC Nielsen gaben 36% der Befragten in China an, in den kommenden Monaten eine neue Digitalkamera erstehen zu wollen, 39% hatten vor, einen Tischcomputer oder ein Notebook zu kaufen, und 48% sagten, sie würden ihr Handy durch ein neues Modell mit mehr Funktionen ersetzen.

Mit Blick auf die Ungewissheit, die über der Handapparateindustrie schwebt, glauben viele, dass sich die rasche Ausbreitung des Xiaolingtong-Systems positiv auf die chinesischen Hersteller von Mobiltelefonen auswirken könnte. Xiaolingtong ist ein günstiger Funkdienst, der über das Festnetz funktioniert und die gleichen Gebühren wie für Festnetzgespräche verlangt. Seit 1997 wurden Xiaolingtong-Netze in größeren Städten eingerichtet. Doch erst seit diesem Jahr ist der Dienst auch in Beijing, Shanghai und Guangzhou erhältlich.

Ende März 2003 gab es landesweit 15 Mio. Xiaolingtong-Benutzer in rund 400 Städten. Xiaolingtong zielt auf das Marktsegment der Konsumenten mit mittleren und niedrigen Einkommen, die die Hälfte der chinesischen Bevölkerung ausmachen. Schätzungen gehen davon aus, dass Xiaolingtong in diesem Jahr die Nachfrage nach Handapparaten um 10 Mio. steigern wird.

Dies wird spürbare Auswirkungen auf den Mobiltelefonmarkt haben, denn die tiefen Xiaolingtong-Gebühren werden die anderen Mobiltelekomunternehmen zu Preisnachlässen zwingen, was wiederum den Konsumenten mit mittleren und tiefen Einkommen mehr Gelegenheit bieten wird, ein Handy zu erstehen.

Was wird die Zukunft des Mobiltelefonmarkts bringen? Mal sehen...

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