Die
Pagoden Chinas
Von
Luo Zhewen



Reisende in China treffen Pagoden allerorten
an - in den Städten, auf Berggipfeln, an Flussufern, in
oder neben Tempeln. Die frühesten wurden im 1. Jahrhundert errichtet,
als der Buddhismus aus Indien eingeführt wurde. Zuvor hatte
man in China hohe Gebäude nur für die feudalen Herrscher
gebaut, um es ihnen zu ermöglichen, „Unsterbliche”, von
denen man glaubte, sie würden in den Wolken leben, zu treffen.
Ursprünglich war die Pagode das
zentrale Gebäude des Tempels, vor dem die Mönche beteten.
Später wurde sie vor, hinter oder neben den Tempeln gestellt
und schließlich ohne Beziehung zu Tempeln errichtet.
Im Jahre 67, im zehnten Regierungsjahr Yongping
der Östlichen Han-Dynastie, kamen zwei indische Mönche,
Kasyapa Matanga und Dhawara Keha, mit Sutren und Buddhafiguren
in die damalige chinesische Reichshauptstadt Luoyang, um die
Lehre des Buddhismus zu predigen. Der Kaiser ließ ihnen
ein Kloster erbauen und gab ihm – da die beiden Mönche
auf weißen Pferden gekommen waren – den Namen Baimasi,
„Weißes Pferd-Kloster“. Sein zentrales Gebäude war
eine viereckige Pagode – es war das erste buddhistische Bauwerk
in China.
Viele
Pagoden, die später gebaut wurden, stehen im Zusammenhang
mit dem Buddhismus. In der ehemaligen Hauptstadt mehrerer chinesischer
Dynastien Xi’an, Provinz Shanxi, gibt es z. B. zwei Pagoden,
die für Xuan Zang, einen bedeutenden Mönch der Tang-Dynastie,
errichtet wurden. Xuan Zang reiste vor 1300 Jahren nach Indien
und brachte 600 Sutren zurück, die er im Ci’en-Kloster ins Chinesische
übersetzte. Auf Anordnung des Kaiserhofes wurde zur Aufbewahrung
der heiligen Schriften die Dayan-Pagode im Kloster errichtet.
Nach dem Tod des Mönches wurde zum Andenken an ihn in Xingjiao-Kloster,
wo er bestattet wurde, die Xuanzang-Pagode erbaut.
Mit der Zeit benutzte man Pagoden auch zu
anderen Zwecken. In Nordchina errichtete man sie als militärische
Wachtürme. In Südchina dienten Pagoden an Flussufern oder an
der Küste der Schifffahrt als Navigationshilfe. Die Seefahrer
in Guangzhou pflegten vor Ausfahrten sich von der Guang-Pagode
aus einen Überblick über die Wetterlage zu machen. Die
Liuhe-Pagode an der Mündung des Qiangtang-Flusses ins Ostchinesische
Meer wurde vor tausend Jahren errichtet, um – so heißt
es – die Götter um Schutz vor Flutkatastrophen zu bitten.
In der Praxis diente sie auch der Schifffahrt. Es gibt viele
Pagoden, die ausschließlich die Landschaft verschönern.
Manchen wurde ein neuer Sinn verliehen. Die alte Pagode auf
dem Fenghuang-Berg in Yan’an wurde zu einem Symbol der Revolution,
weil Yan’an in den Jahen der revolutionären Kriege Sitz
des Zentralkomitees der KPCh war.
Baustile
Chinesische Pagoden sind durch einen eigenen
Baustil charakterisiert, der aus der Kombination der runden
buddhistischen Stupas Indiens mit der traditionellen chinesischen
Pavillon- und Turmbauweise hervorging. Chinesische Pagoden sind
viereckig, polyeckig oder kreisförmig, mit vielen Stöcken,
die von vorspringenden Dächern oder Dachtraufen voneinander
abgehoben sind. Sie können einzeln oder gruppenweise stehen.
Als Baumaterial dienen Holz, Ziegeln, Steine oder glassierte
Ziegeln. Es gibt auch Pagoden, die aus Eisen, Kupfer, Silber
und sogar Gold gegossen sind.
Chinesische Pagoden können in folgende
Baustile eingeteilt werden:
Turm-Stil: Das ist die Hauptform der frühen chinesischen Pagoden.
Die älteste erhaltene und höchste Holzpagode dieser
Art steht im Kreis Yingxian, Provinz Shanxi. Sie wurde 1056
errichtet und ist ein 67 m hohes, achteckiges Gebäude mit
neun Stöcken (wobei vier Stockwerke von außen nicht
sichtbar sind).
Miyanshita-Stil: Bei dieser Pagodenform sind zahlreiche Dachtraufen
auf einem hohen Turmbau dicht aneinander geordnet. Meist sind
diese Pagoden aus Ziegeln und Steinen erbaut. Statt Fenster
und Türen gibt es in jedem Stock nur Löcher, die Licht
einlassen. Ein Beispiel dafür ist die Pagode im Songyue-Kloster
im Songshan-Gebirge, Provinz Henan, errichtet vor 1500 Jahren
während der Nördlichen Wei-Dynastie. Die 40 m hohe,
zwölfeckige Pagode ist mit 15 Dachtraufen versehen.
Pavillon-Stil: Diese einstöckigen, pavillonähnlichen Pagoden
sind meist Gräber von Äbten oder bedeutenden Mönchen.
Die älteste erhaltene ist die Simen (vier Türen)-Pagode
im Shentong-Kloster im Kreis Licheng, Provinz Shandong. Die
im Jahre 611 errichtete Pagode ist viereckig und mit einem einträufigen
Dach und je einem Tor an jeder Seite versehen.
Lamaistischer
Stil: Diese Pagoden ähneln den indischen Dagobas. Auf
einer großen Plattform sitzt ein kuppelförmiges an
der Spitze mit einem Kronrad versehenes Bauwerk. Typische Beispiele
sind die Weiße Pagode im Beihai-Park und die Weiße
Dagobas im Miaoying-Tempel, die 1271 von einem nepalesischen
Baumeister entworfen wurde (beide in Beijing).
Andere Pagodenstile sind weniger häufig
anzutreffen. Genannt seien die Blumen-Pagode (mit Blumenverzierungen
am oberen Teil), die Bogengang-Pagode (Straßenverkehr
führt durch den Bogen) und die Diamantenthron-Pagode (zwei kleine
Pagoden sitzen auf einem „Thron“ mit kunstvoll geschnitzten
Verzierungen). Die einzigartige Bambussprossen-Pagode im Kreis
Jinhong, Provinz Yunnan, besteht aus einer Zentralpagode in
Form einer Lotosblume und acht kleineren, sie umgebenden Pagoden.
Aus der Ferne sieht die Gebäudegruppe wie ein Bambus-Dickicht
aus. Größere Pagodengruppen werden „Pagodenwald“
genannt. Der im Shaolin-Kloster, Provinz Henan, der aus 220
Pagoden verschiedener Größe besteht, ist der größte
Pagodenwald in China.
Hauptmerkmale
Am Aufbau einer typischen chinesischen Pagode
lassen sich folgende Hauptteile unterscheiden:
Die
unterirdische Halle zur Aufbewahrung von Reliquien. Manche dienen auch
zur Verwahrung von Gold, Silber, Büchern, Gemälden und
Inschriften.
Die
Pagodenbasis. Sie kann eine einfache Plattform oder mit fein gearbeiteten
Verzierungen versehen sein.
Der
Pagodenkörper. Er kann ausgefüllt oder hohl sein. Im letzteren Fall
führt im Inneren eine Wendeltreppe nach oben. Die Außenwand
ist häufig mit Ornamenten, Buddhafiguren etc. versehen.
Bei den meisten Pagoden ist die Zahl der Stöcke ungerade,
und zwar von 3 bis 17. Ganz oben hat die Pagode eine Krone,
die mit Juwelen, Perlen und Vasen verziert ist.
Seit der Gründung des neuen China 1949 werden
alte Pagoden als Kulturdenkmäler von der Regierung geschützt
und erhalten. Die in der Yuan-Dynastie errichtete Shengxiang-Pagode
in Wuchang, Provinz Hubei, wurde, da sie beim Bau der Wuhaner
Yangtse-Brücke im Wege stand, vorsichtig abgetragen und originalgetreu
auf dem Sheshan-Berg wieder errichtet. Infolge von Erosion und
Erdbeben entstanden Risse an der bakannten Qianxun-Pagode am
Erhai-See in Dali, Provinz Yunnan. 1977 schickte die Regierung
Experten hin, um sie instandzusetzen. Die Renovierungsabreiten
dauerten drei Jahre. Es wurden mehr als 600 Gegenstände
aus der Tang- und Song-Dynastie gefunden, darunter buddhistische
Schriftrollen, Perlen und Musikinstrumente, die für das Studium
der Geschichte der Provinz Yunnan von großer Bedeutung
sind.
Auch nach der Befreiung 1949 wurden Pagoden
und pagodenähnliche Türme errichtet. Erstere sind religiösen
Zwecken gewidmet (z. B. die Foya-Pagode in den Westbergen bei
Beijing, wo ein Zahn Schakjamunis aufbewahrt ist), letztere
dem Andenken an gefallene Revolutionäre.
Dazu gehört z. B. das aus zwei fünfeckigen,
miteinander verbundenen Pagoden bestehende „Denkmal zur Erinnerung
an den Generalstreik vom 7. Februar“, in Zhengzhou, Hauptstadt
der Provinz Henan. Es ist 62 m hoch und 14-stöckig. Im
Inneren sind Dokumente und Erinnerungsgegenstände vom Generalstreik,
den die Eisenbahnarbeiter am 7. Februar 1923 gegen die Imperialisten
und feudalen Militärmachthaber veranstalteten, ausgestellt.
Das 1. August-Denkmal, 45 m hoch, wurde 1978 in Nanchang, Hauptstadt
der Provinz Jiangxi, gebaut. Die Inschrift an der mit Granitsteinen
verkleideten Vorderseite schildert kurz den bewaffneten Aufstand
des 1. August 1927, der zur Gründung der Chinesischen Roten
Armee (heute: Chinesische Volksbefreiungsarmee) führte. Die
drei anderen Seiten sind mit großen Reliefs über dieses
Ereignis geschmückt.
Aus China im Aufbau, Nr. 7, 1981