Juli 2003
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Die medizinische Versorgung der Bauern sicherstellen

Chinas Pilotversuche mit einem System der kooperativen medizinischen Versorgung in ländlichen Gebieten

Von Wang Hao

Im Januar 2003 übergab Ren Guangyou, ein 67-jähriger Bauer aus der Gemeinde Jiugong im Beijinger Bezirk Daxing, seine Krankenhausrechnungen dem örtlichen Abrechnungszentrum für medizinische Versorgung. Er erhielt eine teilweise Rückvergütung in der Höhe von 30 000 Yuan. Dies war das erste Mal, dass er die greifbaren Vorteile der Mitgliedschaft im System der kooperativen medizinischen Versorgung erfuhr, das derzeit im ländlichen China entsteht.

Ren trat dem System der kooperativen medizinischen Versorgung im Juli 2002 bei. Ein Jahresbeitrag von 30 Yuan erlaubt ihm den Anspruch auf 40 000 Yuan Vergütung für Behandlungskosten, die ihm durch schwerwiegende Erkrankungen entstehen. Im Dezember 2002 wurde Ren mit einem Herzinfarkt ins Krankenhaus eingeliefert. Er musste dem Krankenhaus 80 000 Yuan zahlen – keine geringe Summe für eine achtköpfige Familie, die mit einem Monatseinkommen von 2000 Yuan leben muss. Die Entschädigung, die ihm durch seine Mitgliedschaft im System der kooperativen medizinischen Versorgung zukam, war deswegen eine große Entlastung. „Dies ist ein Weg für die Leute, sich gegenseitig zu helfen, indem sie ihr Geld zusammenlegen und denjenigen in Schwierigkeiten Unterstützung zukommen lassen. Ein solches System hätte schon viel früher eingerichtet werden sollen“, sagt Ren.

Die Pilotversuche mit einem System der kooperativen medizinischen Versorgung in ländlichen Gebieten werden gemeinsam von den Bauern und der Regierung finanziert. Es entschädigt Bauern für die Behandlungskosten schwerwiegender Krankheiten. Seit 2003 schießt die Zentralregierung für jeden Systemteilnehmer in den zentralen und westlichen Landesteilen 10 Yuan an Unterstützungsgeldern zu. Mindestens ebensoviel tragen die lokalen Finanzbehörden bei. Laut Zhu Qingsheng, dem Vize-Gesundheitsminister, zielt das System darauf ab, den Bauern den Zugang zu medizinischer Versorgung finanziell zu ermöglichen. Es soll 2010 landesweit eingeführt werden.

Medizinische Versorgung liegt derzeit für den Großteil der chinesischen Bauern außer Reichweite. Ein Haushalt, der es gerade geschafft hat, finanziell den Gürtel etwas zu lockern, wird schlagartig in die Armut zurückgeworfen, wenn eines der Familienmitglieder schwer erkrankt. Nachdem er eines Tages zusammenbrach, wurde bei einem siebenjährigen Jungen in einem Dorf in der Provinz Hebei ein angeborener Herzfehler festgestellt. Um ihr einziges Kind zu retten, borgten seine Eltern von so vielen Leuten wie möglich Geld, doch sie brachten nicht genug für die notwendige Operation zusammen. Tragödien wie diese ereignen sich häufig in ländlichen Familien im ganzen Land. Nach Angaben von Chen Xiwen, dem Vizedirektor des Forschungszentrums für Entwicklung unter dem Staatsrat, betragen die bäuerlichen Einkommen gerade einmal ein Drittel der städtischen. Doch die Bauern müssen 90% der ärztlichen Behandlungskosten tragen, während der Anteil für die Städter bei 60% liegt. Viele können es sich nicht leisten, einen Arzt aufzusuchen, wenn sie erkranken. „Medizinische Arbeit und Gesundheitsversorgung sind Schlüsselbereiche in Chinas Bestreben, eine Gesellschaft mit allseitigem Wohlstand aufzubauen. Der dringendste Bedarf in dieser Hinsicht besteht auf dem Land, und dementsprechend ist dort der größte Aufwand zu leisten“, bemerkt Vizeminister Zhu Qingsheng dazu.

Daxing ist einer der ersten ländlichen Beijinger Bezirke, die ein System der kooperativen medizinischen Versorgung eingerichtet haben. Gemäß Sun Fuxiang, einem Beamten des Amts für Öffentliche Gesundheit in Daxing, hat der Bezirk seit 2001 148 medizinische Einrichtungen errichtet, die den Bauern den Zugang zu medizinischer Versorgung erleichtert. Jede Sanitätsstation beschäftigt 3–5 medizinische Fachkräfte und betreut 3–5 benachbarte Dörfer. Herr Ma, ein älterer Bewohner der Gemeinde Jiugong, ist mit der für ihn zuständigen Sanitätsstation zufrieden: „Sie ist viel besser ausgerüstet als die alte Klinik in meinem Dorf.“ Darüber hinaus bietet der Bezirk Angestellten der bestehenden Dorfkliniken Weiterbildungskurse an, damit sie ihre beruflichen Fähigkeiten verbessern und in die neuen Sanitätsstationen eingegliedert werden können.

Um für das System der kooperativen medizinischen Versorgung zu werben, reiste Sun Fuxiang mit seinen Kollegen durch die Dörfer und verteilte Broschüren an die Bauern. Im Juli 2002 wurde das System in drei Gemeinden des Bezirks Daxing versuchsweise eingeführt. Rund 60 000 der 80 000 Bewohner ließen sich registrieren. In den darauf folgenden sechs Monaten kam das System für den Krankenhausaufenthalt von über 600 Bauern auf und erstattete Bewohnern der drei Gemeinden 1,31 Mio. Yuan an Arztkosten zurück. „Am Anfang begegneten einige Bauern dem System mit Misstrauen, sie konnten nicht glauben, dass die Regierung die Rückzahlungen auch wirklich leisten würde. Diese Zweifel lösten sich auf, als sie mit eigenen Augen sahen, dass ihre Nachbarn entschädigt wurden“, erinnert sich Sun Fuxiang.

Dank dem System der kooperativen medizinischen Versorgung tragen mehr Bauern in Daxing Sorge zu ihrer Gesundheit und suchen einen Arzt auf, wenn sie krank werden. Xiao Yanqin, die Ehefrau eines örtlichen Bauerns, meint, das System gebe ihr ein Gefühl der Sicherheit, auch wenn es nur einen Teil ihrer Arztkosten übernehme. Um unter den Bauern ein Bewusstsein für die Krankheitsvorbeugung zu schaffen, lädt die Gemeinde Jiugong regelmäßig Experten für Vorträge zu Gesundheit und Hygiene ein und plant, jährliche ärztliche Untersuchungen für seine Bewohner einzuführen.

Maßnahmen für die kooperative medizinische Versorgung wurden in China erstmals in den 50er Jahren ergriffen. Bald nach der Gründung der Volksrepublik errichtete die chinesische Regierung eine große Anzahl medizinischer Stationen in den Kreisen, Gemeinden und Dörfern des ganzen Landes und schickte Kontingente von Ärzten und Pflegern aufs Land, um das Gesundheits- und Hygieneniveau zu heben. In jener Zeit war die Wirtschaft von der Kollektivierung geprägt. Produktionsbrigaden – die Basiseinheit der Bauern in ländlichen Gebieten – kamen für den Großteil der Gelder für die medizinischen Stationen auf, während der Einzelne nur einen geringen Anteil der Behandlungskosten zu tragen hatte. Diese Bemühungen hatten Erfolg darin, die medizinische Versorgung zu den Bewohnern ländlicher Gebiete zu tragen, doch sie waren weit davon entfernt, den Bedarf zu decken, denn damals mangelte es dem ganzen Land an medizinischem Personal und der entsprechenden Ausrüstung.

Nachdem China die Reform- und Öffnungspolitik startete, wurde Landwirtschaftsland ländlichen Haushalten vertraglich zugewiesen und damit der kollektivierten Wirtschaft ein Ende gesetzt. Das Versiegen der finanziellen Zuschüsse führte auch die Auflösung des alten Systems der Gesundheitsvorsorge herbei, und die Bauern waren gezwungen, für ihre gesamten Arztkosten selber aufzukommen. Mit dem Wachstum der nationalen Wirtschaft stiegen die medizinischen Kosten in den letzten Jahren viel schneller als die bäuerlichen Einkommen. So ist die Last für ländliche Familien heute größer denn je. „Aufgrund der steigenden Wirtschaftskraft ist China nun in der Lage, für seine Landbevölkerung ein neues System der kooperativen medizinischen Versorgung einzurichten. Wenn jeder der 800 Mio. Bauern im Land jährlich mit 10 Yuan aus der Kasse der Zentralregierung subventioniert wird, entstehen Kosten von acht Mrd. Yuan pro Jahr. Das ist keine untragbare Belastung“, ist Vizeminister Zhu Qingsheng überzeugt.

Wegen der ungleichen Wirtschaftsentwicklung im Land folgt das System unterschiedlichen Richtlinien in unterschiedlichen Gegenden. In der Stadt Jiangyin in der Küstenprovinz Jiangsu z. B. wird das System unter Aufsicht des Gesundheitsdepartements von Versicherungsfirmen betrieben. Ein Bauer kann bei einem jährlichen Beitrag von 10 Yuan mit einer Entschädigung von bis zu 20 000 Yuan für Krankenhauskosten rechnen. Ende 2002 hatten sich 96% der ländlichen Bevölkerung auf dem Stadtgebiet für eine Teilnahme am System registriert, und über 30 000 hatten eine Rückerstattung erhalten. In den abgelegenen, ärmlichen zentralen und westlichen Landesteilen jedoch wird das System zur Gänze vom Staat finanziert. Doch Zhu ist zuversichtlich, was die Aussichten des Systems angeht: „Das System der kooperativen medizinischen Versorgung wird in allen ländlichen Gebieten Chinas eingeführt werden, weil es dem unmittelbaren Interesse der Bauern dient.“

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