
                    Die 
                      getanzte „Geschichte von der Seidenstraße“
                    Von 
                      Wang Xi und Liu Qingxia
                    
                    Das große Tanzdrama „Die Geschichte 
                      von der Seidenstraße“, gespielt in Beijing von dem 
                      Gesang- und Tanzensemble der Provinz Gansu, hat beim chinesischen 
                      und ausländischen Publikum großen Anklang gefunden. 
                      Es wurde als „eine wunderschöne Blume im Literatur- 
                      und Kunstgarten“ Chinas bezeichnet.
                    Es handelt von der Freundschaft, die zwischen 
                      den Völkern in der Zeit der Tang-Dynastie (618-907) 
                      herrschte. Sie entwickelte sich in Dunhuang, einer blühenden 
                      Stadt an der Seidenstraße, dem großen internationalen 
                      Handelsweg, und reichte von der damaligen Residenz Chang‘an, 
                      heute Xi‘an, über Zentralasien und Westasien bis nach Europa.
                    Die Handlung des Tanzdramas
                    Der Vorhang öffnet sich, zwei Feen 
                      schweben, von farbigen Seidenbändern umgeben, in dunstigen 
                      Wolken. Dabei wird der Titel der Tanz-Pantomime in großen 
                      chinesischen Schriftzeichen den Zuschauern vor Augen geführt.
                    Plötzlich fällt Licht auf die 
                      Bühne, Göttinnen, jede von drei Tänzerinnen verkörpert, 
                      schwingen sechs Arme - es ist der Tanz von sechshändigen 
                      Guanyins mit dem zauberischen-Glöckchen und eine Kamel-Karawane 
                      zieht in der Morgendämmerung vorbei. Mit diesem einfachen 
                      und geschickten Auftakt wird das Publikum an den Ort der 
                      Handlung, und zwar zuerst nach Dunhuang, versetzt.
                    Hier begegnen wir Enus, einem persischen 
                      Großhändler, der durch einen Sandsturm in der 
                      Wüste in Lebensgefahr geraten ist. Der Maler Zhang, ein 
                      Meister der Mogao-Grottengemälde bei Dunhuang, und 
                      seine Tochter retten Enus. Als dieser außer Gefahr 
                      ist, nimmt er dankerfüllt Abschied von ihnen. Vater und 
                      Tochter werden dann von einer Bande bedrängt, die Yingniang, 
                      die geliebte Tochter des Malers, entführt. Nach mehreren 
                      Jahren findet der Vater sie auf dem Markt, von Dunhuang 
                      wieder, inzwischen wurde sie zur Sklaven-Tänzerin in 
                      einer Theatertruppe. Der Maler ist zu arm, um sie zurückzukaufen, 
                      Doch Enus, jetzt Leiter einer persischen Karawane, gibt 
                      seine ganzen Erspanisse her, um Yingniang loszukaufen. Aber 
                      der lokale Handelsbeamte hat ein Auge auf das schöne 
                      Mädchen geworfen. Der Vater vertraute deshalb dem Freund 
                      Enus seine Tochter an, der sie mit nach Persien nimmt. In 
                      Persien tauscht sie mit den Peserfrauen Kunstfertigkeiten 
                      und handwerkliche Techniken aus, wobei sich eine tiefe Freundschaft 
                      mit den Persern anbahnt. Später wird Enus in einer 
                      wichtigen Mission zu der Tang-Dynastie nach China geschickt, 
                      und Yingniang kehrt mit ihm in ihr Vaterland zurück. Der 
                      begehrliche Beamte will sich jedoch an Enus rächen 
                      und ordnet seinen Leuten an, die von Enus angeführte persische 
                      Karawane zu überfallen. Der Maler rettet Enus wiederum, 
                      indem er den Grenztruppen Warnsignale gibt, aber er selbst 
                      wird von einem Peil so schwer getroffen, dass er für seinen 
                      Freund sein Leben lassen muss. Auf einem Handelstreffen 
                      von 27 Ländern in Dunhuang deckt Yingniang durch eine 
                      Tanzpantomime mit Maske die Verbrechen des lüsternen Beamten 
                      auf. In einer fröhnlichen Atmosphäre der Freundschaft 
                      zwischen den Völkern endet die große Tanzpantomime 
                      und es fällt der Vorhang.
                    Das Epos der Freundschaft
                    Die dargestellten Ereignisse sind fiktiv, 
                      doch der historische Hintergrund entspricht der Realität. 
                      In der frühen Periode der Tang-Dynastie erlangten Handel 
                      und internationaler Kulturaustausch ihre Blütezeit. In Changan, 
                      Residenz der Tang-Dynastie, lebten viele Ehrengäste, 
                      Gesandte, Kaufleute und Gelehrte aus Persien, Rom, Japan 
                      und den Ländern in Zentralasien. Allein Prinzen und 
                      Aristokraten aus den Königshöfen der verschiedenen 
                      Länder entstammten etwa zehntausend angesehenen Familien.
                    Das Tanzdrama spiegelt die historische 
                      Wahrheit der Blütezeit der Tang-Dynastie wider, besonders 
                      den lebhaften Handelsverkehr zwischen China und dem Ausland. 
                      Auf der Seidenstraße zog eine Kamel-Karawane nach 
                      der anderen vorbei; wo auch die verschiedensten Theaterstücke 
                      und anderen Kunstarten dargeboten wurden. In dem Tanzdrama 
                      wird dieser traditionelle Handelsverkehr zwischen China 
                      und Persien dargestellt - chinesische Seiden werden gegen 
                      persische Juwelen getauscht. Auf den Handelstreffen werden 
                      auch viele in- und ausländische Tänze vorgeführt, 
                      darunter der in der Tang-Zeit sehr bekannte „Regenbogentanz 
                      im leichten Gewand“, d.h. in flatternden Seidengewändern 
                      in den Farben des Regenbogens oder duftigem regenbogenfarbigen 
                      Federkleid. Das Drama bereitet den Zuschauern einen echten 
                      Kunstgenuß, es erinnert sie auch an die traditionelle 
                      Freundschaft zwischen China und der übrigen Welt.
                    Die Dunhuang-Wandgemälde werden 
                      wieder lebendig
                    Die Kunst der Dunhuang-Wandgemälde 
                      liefert reichen Stoff für die Gestaltung der Tänze 
                      in dem Drama „Die Geschichte von der Seidenstraße“. 
                      Choreographen und Tänzer studierten dafür die originellen 
                      Posen der Tänzer in den alten Dunhuang-Grotten, kombinierten 
                      sie mit dem Tanzstil der traditionellen chinesischen Tanzkunst 
                      und entwarfen jetzt kreativ die Tänze dieses Dramas, 
                      die nicht nur dem nationalen Stil entsprechen, sondern auch 
                      einzig in ihrer Art sind. Nehmen wir zum Beispiel ein Solo 
                      von Yingniang in der zweiten Szene, „Pipa im Tanz rücklings 
                      spielen“ (Pipa ist ein altes chinesisches Saiteninstrument), 
                      dieser Tanz wurde eindeutig von den dargestellten Tänzen 
                      „Musiker spielen Pipa rücklings“ in den Dunhuang-Wandgemälde 
                      inspiriert. 
                    Das Solo „Pipa im Tanz rücklings spielen“ 
                      zeichnet sich durch faszinierende Bewegungen und starke 
                      Ausdruckskraft aus. Es wird wie ein Leitmotiv eines Musikstücks 
                      in der ersten, zweiten und vierten Szene wiederholt, der 
                      Tanz spiegelt hier vollkommen den Charakter Yingniangs wider. 
                      Durch Yingniangs meisterhaftes Solo wird die Gestalt dieses 
                      schönen, tüchtigen und mutigen Mädchens transparent.
                    Die dichterische und malerische Szene 
                      „Fliegende Fenn schweben in dunstigen Wolken“ in dem Prolog 
                      des hiesigen Tanzdramas wurde den Posen der fliegenden Apsaras 
                      in den Dunhuang-Wandgemälden entnommen und rekonstituiert. 
                      Zurückführen auf die Dunhuang-Wandgemälde sind auch 
                      noch folgende Tänze: unbefangene Kinder tanzen jeweils 
                      in einer blühenden Lotosblume; ein Mädchen tanzt auf 
                      einer runden Scheibe; Göttinnentanz auf den Stufen 
                      des Himmelspalastes; ferner der Baizhu-Tanz mit den weißen 
                      Bändern, bei dem die Tänzerinnen wie leichter 
                      Wind und ihre Bewegungen wie fließendes Wasser erscheinen. 
                      Auch Gruppentänze von Göttern und Göttinnen, 
                      die der Maler Zhang im Traum vom Himmelspalast aus den alten 
                      Tanzpantomimen der Dunhuang-Wandgemälde vor sich sieht, 
                      finden in den großen Tanzszenen der „Geschichte von 
                      der Seidenstraße“ ihre Wiederverkörperung.
                    Auch beim Entwurf der Kostüme, die farbenreich 
                      und prächtig sind, wurden die Dunhuang-Wandgemälde 
                      zum Vorbild genommen. Man versuchte dabei jedoch von dem 
                      alten Stil kreativ loszukommen und einen neuen zu schaffen.
                    Die auf den Dunhuang-Wandgemälden 
                      dargestellten Tänze auf die Bühne zu bringen, war seit 
                      langem ein Herzenswunsch der chinesischen Tänzer. Früher 
                      schuf man aber nur einige selbstständige Tanzszenen. 
                      Bei dem Tanzdrama „Die Geschichte von der Seidenstraße“ 
                      ist es jetzt zum ersten Mal erfolgreich gelungen, die Dunhuang-Wandgemälde 
                      als wesentliche Inspiration für ein Tanzdrama mit sechs 
                      Szenen zu benutzen. Bei diesem Drama „fliegen“ die Feen, 
                      wie sie auf den Dunhuang-Wandgemälden dargestellt werden, 
                      während sie früher oft nur als Kulisse dienten oder 
                      ganz einfach auf der Bühne tanzten.
                    Die Mühe hat sich gelohnt
                    Um dieses Tanzdrama zu schaffen und gut 
                      aufzuführen, schlugen Bühnenautoren, Regisseure , Choreographen 
                      udn Tänzer überlieferte Literatur und andere historische 
                      Materialien nach, studierten insbeondere die literalischen 
                      Werke aus der Tang-Dynastie, holten auch Rat bei den Gelehrten 
                      und Experten. Außerdem betrachteten sie die Wandgemälde 
                      in den Dunhuang-Grotten, zeichneten die Posen der Musiker 
                      und Tänzer in den Dunhuang-Wandgemälden nach. 
                      Darüber hinaus versuchten sie sich vorzustellen, wie man 
                      diese Vorbilder eigentlich nachtanzen müsse. Sie studierten 
                      auch gleichzeitig die Tanz-Gedichte der berühmten Dichter 
                      der Tang-Zeit. Heute ist z.B. der alte „Regenbogentanz im 
                      leichten Gewand“ in Vergessenheit geraten, dessen Musik, 
                      wie man sagt, von dem Kaiser Tang Xuanzong (685-762) nach 
                      der brahmanischen Vorlage geschaffen wurde. Zum Glück hat 
                      uns Bai Juyi (772-846), der große Dichter der Tang-Zeit, 
                      ein Gedicht von diesem Tanz überliefert, nämlich das 
                      Gedicht „Gesang vom regenbogenfarbenleichten Gewand“. Die 
                      Choreographen ließen sich von diesem Gedicht inspirieren 
                      und eintwarfen schließlich die einzelnen Folgen dieses 
                      alten Tanzes.
                    Die Prima-Ballerina He Yanyun, welche 
                      die Yingniang im Tanzdrama verkörpert, ist erst 23 
                      Jahre alt. Sie empfindet große Sympathie für die Dunhuang-Kunst 
                      und überlegt sich deshalb auch jede Tanzbewegung, übt sie 
                      immer wieder ein, um die schöne Yingniang der Tang-Zeit 
                      noch treffender und anziehender zu gestalten und die Gefühle 
                      ihres Herzens im Tanz besser ausdrücken zu können.
                    Im Tanzdrama „Die Geschichte von der Seidenstraße“ 
                      hat man eine ganz neue Tanzsprache geschaffen, die einerseits 
                      die Tradition der nationalen Tänze und den großen 
                      Tanzstil des Ostens übernimmt und sich andererseits von 
                      den üblichen alten Tänzen unterscheidet. Das dramatische 
                      Tanzspiel wurde mit Recht als das „lebendige Dunhuang-Gemälde“ 
                      bezeichnet. Viele chinesische aber auch ausländische 
                      Zuschauer sowie die Künstler selbst hoffen noch eine Leistungssteigerung 
                      für dieses Tanzdrama zu erzielen, um es zu dem chinesischen 
                      „Schwanensee“ werden zu lassen.
                    (Aus „China im Aufbau“, 
                      Nr. 3, 1980)