April 2003
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Die getanzte „Geschichte von der Seidenstraße“

Von Wang Xi und Liu Qingxia

Das große Tanzdrama „Die Geschichte von der Seidenstraße“, gespielt in Beijing von dem Gesang- und Tanzensemble der Provinz Gansu, hat beim chinesischen und ausländischen Publikum großen Anklang gefunden. Es wurde als „eine wunderschöne Blume im Literatur- und Kunstgarten“ Chinas bezeichnet.

Es handelt von der Freundschaft, die zwischen den Völkern in der Zeit der Tang-Dynastie (618-907) herrschte. Sie entwickelte sich in Dunhuang, einer blühenden Stadt an der Seidenstraße, dem großen internationalen Handelsweg, und reichte von der damaligen Residenz Chang‘an, heute Xi‘an, über Zentralasien und Westasien bis nach Europa.

Die Handlung des Tanzdramas

Der Vorhang öffnet sich, zwei Feen schweben, von farbigen Seidenbändern umgeben, in dunstigen Wolken. Dabei wird der Titel der Tanz-Pantomime in großen chinesischen Schriftzeichen den Zuschauern vor Augen geführt.

Plötzlich fällt Licht auf die Bühne, Göttinnen, jede von drei Tänzerinnen verkörpert, schwingen sechs Arme - es ist der Tanz von sechshändigen Guanyins mit dem zauberischen-Glöckchen und eine Kamel-Karawane zieht in der Morgendämmerung vorbei. Mit diesem einfachen und geschickten Auftakt wird das Publikum an den Ort der Handlung, und zwar zuerst nach Dunhuang, versetzt.

Hier begegnen wir Enus, einem persischen Großhändler, der durch einen Sandsturm in der Wüste in Lebensgefahr geraten ist. Der Maler Zhang, ein Meister der Mogao-Grottengemälde bei Dunhuang, und seine Tochter retten Enus. Als dieser außer Gefahr ist, nimmt er dankerfüllt Abschied von ihnen. Vater und Tochter werden dann von einer Bande bedrängt, die Yingniang, die geliebte Tochter des Malers, entführt. Nach mehreren Jahren findet der Vater sie auf dem Markt, von Dunhuang wieder, inzwischen wurde sie zur Sklaven-Tänzerin in einer Theatertruppe. Der Maler ist zu arm, um sie zurückzukaufen, Doch Enus, jetzt Leiter einer persischen Karawane, gibt seine ganzen Erspanisse her, um Yingniang loszukaufen. Aber der lokale Handelsbeamte hat ein Auge auf das schöne Mädchen geworfen. Der Vater vertraute deshalb dem Freund Enus seine Tochter an, der sie mit nach Persien nimmt. In Persien tauscht sie mit den Peserfrauen Kunstfertigkeiten und handwerkliche Techniken aus, wobei sich eine tiefe Freundschaft mit den Persern anbahnt. Später wird Enus in einer wichtigen Mission zu der Tang-Dynastie nach China geschickt, und Yingniang kehrt mit ihm in ihr Vaterland zurück. Der begehrliche Beamte will sich jedoch an Enus rächen und ordnet seinen Leuten an, die von Enus angeführte persische Karawane zu überfallen. Der Maler rettet Enus wiederum, indem er den Grenztruppen Warnsignale gibt, aber er selbst wird von einem Peil so schwer getroffen, dass er für seinen Freund sein Leben lassen muss. Auf einem Handelstreffen von 27 Ländern in Dunhuang deckt Yingniang durch eine Tanzpantomime mit Maske die Verbrechen des lüsternen Beamten auf. In einer fröhnlichen Atmosphäre der Freundschaft zwischen den Völkern endet die große Tanzpantomime und es fällt der Vorhang.

Das Epos der Freundschaft

Die dargestellten Ereignisse sind fiktiv, doch der historische Hintergrund entspricht der Realität. In der frühen Periode der Tang-Dynastie erlangten Handel und internationaler Kulturaustausch ihre Blütezeit. In Changan, Residenz der Tang-Dynastie, lebten viele Ehrengäste, Gesandte, Kaufleute und Gelehrte aus Persien, Rom, Japan und den Ländern in Zentralasien. Allein Prinzen und Aristokraten aus den Königshöfen der verschiedenen Länder entstammten etwa zehntausend angesehenen Familien.

Das Tanzdrama spiegelt die historische Wahrheit der Blütezeit der Tang-Dynastie wider, besonders den lebhaften Handelsverkehr zwischen China und dem Ausland. Auf der Seidenstraße zog eine Kamel-Karawane nach der anderen vorbei; wo auch die verschiedensten Theaterstücke und anderen Kunstarten dargeboten wurden. In dem Tanzdrama wird dieser traditionelle Handelsverkehr zwischen China und Persien dargestellt - chinesische Seiden werden gegen persische Juwelen getauscht. Auf den Handelstreffen werden auch viele in- und ausländische Tänze vorgeführt, darunter der in der Tang-Zeit sehr bekannte „Regenbogentanz im leichten Gewand“, d.h. in flatternden Seidengewändern in den Farben des Regenbogens oder duftigem regenbogenfarbigen Federkleid. Das Drama bereitet den Zuschauern einen echten Kunstgenuß, es erinnert sie auch an die traditionelle Freundschaft zwischen China und der übrigen Welt.

Die Dunhuang-Wandgemälde werden wieder lebendig

Die Kunst der Dunhuang-Wandgemälde liefert reichen Stoff für die Gestaltung der Tänze in dem Drama „Die Geschichte von der Seidenstraße“. Choreographen und Tänzer studierten dafür die originellen Posen der Tänzer in den alten Dunhuang-Grotten, kombinierten sie mit dem Tanzstil der traditionellen chinesischen Tanzkunst und entwarfen jetzt kreativ die Tänze dieses Dramas, die nicht nur dem nationalen Stil entsprechen, sondern auch einzig in ihrer Art sind. Nehmen wir zum Beispiel ein Solo von Yingniang in der zweiten Szene, „Pipa im Tanz rücklings spielen“ (Pipa ist ein altes chinesisches Saiteninstrument), dieser Tanz wurde eindeutig von den dargestellten Tänzen „Musiker spielen Pipa rücklings“ in den Dunhuang-Wandgemälde inspiriert.

Das Solo „Pipa im Tanz rücklings spielen“ zeichnet sich durch faszinierende Bewegungen und starke Ausdruckskraft aus. Es wird wie ein Leitmotiv eines Musikstücks in der ersten, zweiten und vierten Szene wiederholt, der Tanz spiegelt hier vollkommen den Charakter Yingniangs wider. Durch Yingniangs meisterhaftes Solo wird die Gestalt dieses schönen, tüchtigen und mutigen Mädchens transparent.

Die dichterische und malerische Szene „Fliegende Fenn schweben in dunstigen Wolken“ in dem Prolog des hiesigen Tanzdramas wurde den Posen der fliegenden Apsaras in den Dunhuang-Wandgemälden entnommen und rekonstituiert. Zurückführen auf die Dunhuang-Wandgemälde sind auch noch folgende Tänze: unbefangene Kinder tanzen jeweils in einer blühenden Lotosblume; ein Mädchen tanzt auf einer runden Scheibe; Göttinnentanz auf den Stufen des Himmelspalastes; ferner der Baizhu-Tanz mit den weißen Bändern, bei dem die Tänzerinnen wie leichter Wind und ihre Bewegungen wie fließendes Wasser erscheinen. Auch Gruppentänze von Göttern und Göttinnen, die der Maler Zhang im Traum vom Himmelspalast aus den alten Tanzpantomimen der Dunhuang-Wandgemälde vor sich sieht, finden in den großen Tanzszenen der „Geschichte von der Seidenstraße“ ihre Wiederverkörperung.

Auch beim Entwurf der Kostüme, die farbenreich und prächtig sind, wurden die Dunhuang-Wandgemälde zum Vorbild genommen. Man versuchte dabei jedoch von dem alten Stil kreativ loszukommen und einen neuen zu schaffen.

Die auf den Dunhuang-Wandgemälden dargestellten Tänze auf die Bühne zu bringen, war seit langem ein Herzenswunsch der chinesischen Tänzer. Früher schuf man aber nur einige selbstständige Tanzszenen. Bei dem Tanzdrama „Die Geschichte von der Seidenstraße“ ist es jetzt zum ersten Mal erfolgreich gelungen, die Dunhuang-Wandgemälde als wesentliche Inspiration für ein Tanzdrama mit sechs Szenen zu benutzen. Bei diesem Drama „fliegen“ die Feen, wie sie auf den Dunhuang-Wandgemälden dargestellt werden, während sie früher oft nur als Kulisse dienten oder ganz einfach auf der Bühne tanzten.

Die Mühe hat sich gelohnt

Um dieses Tanzdrama zu schaffen und gut aufzuführen, schlugen Bühnenautoren, Regisseure , Choreographen udn Tänzer überlieferte Literatur und andere historische Materialien nach, studierten insbeondere die literalischen Werke aus der Tang-Dynastie, holten auch Rat bei den Gelehrten und Experten. Außerdem betrachteten sie die Wandgemälde in den Dunhuang-Grotten, zeichneten die Posen der Musiker und Tänzer in den Dunhuang-Wandgemälden nach. Darüber hinaus versuchten sie sich vorzustellen, wie man diese Vorbilder eigentlich nachtanzen müsse. Sie studierten auch gleichzeitig die Tanz-Gedichte der berühmten Dichter der Tang-Zeit. Heute ist z.B. der alte „Regenbogentanz im leichten Gewand“ in Vergessenheit geraten, dessen Musik, wie man sagt, von dem Kaiser Tang Xuanzong (685-762) nach der brahmanischen Vorlage geschaffen wurde. Zum Glück hat uns Bai Juyi (772-846), der große Dichter der Tang-Zeit, ein Gedicht von diesem Tanz überliefert, nämlich das Gedicht „Gesang vom regenbogenfarbenleichten Gewand“. Die Choreographen ließen sich von diesem Gedicht inspirieren und eintwarfen schließlich die einzelnen Folgen dieses alten Tanzes.

Die Prima-Ballerina He Yanyun, welche die Yingniang im Tanzdrama verkörpert, ist erst 23 Jahre alt. Sie empfindet große Sympathie für die Dunhuang-Kunst und überlegt sich deshalb auch jede Tanzbewegung, übt sie immer wieder ein, um die schöne Yingniang der Tang-Zeit noch treffender und anziehender zu gestalten und die Gefühle ihres Herzens im Tanz besser ausdrücken zu können.

Im Tanzdrama „Die Geschichte von der Seidenstraße“ hat man eine ganz neue Tanzsprache geschaffen, die einerseits die Tradition der nationalen Tänze und den großen Tanzstil des Ostens übernimmt und sich andererseits von den üblichen alten Tänzen unterscheidet. Das dramatische Tanzspiel wurde mit Recht als das „lebendige Dunhuang-Gemälde“ bezeichnet. Viele chinesische aber auch ausländische Zuschauer sowie die Künstler selbst hoffen noch eine Leistungssteigerung für dieses Tanzdrama zu erzielen, um es zu dem chinesischen „Schwanensee“ werden zu lassen.

(Aus „China im Aufbau“, Nr. 3, 1980)

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