April 2003
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Beijing – eine Stadt verändert sich

Von Anja Schmidt-Amelung

Endlich ist es soweit. Nach viereinhalb Jahren kehre ich wieder in die Stadt zurück, die mein Leben verändert hat. Damals war ich 18 Jahre alt, voll von Träumen, Zielen und einer Offenheit für Neues, wie sie nur Kinder haben. Fasziniert von der völlig fremden, neuen Welt, die sich mir darbot, betrat ich erstmals das ferne Reich der Mitte. Ich war vom ersten Tag an beeindruckt von all den Menschen auf ihren Fahrrädern, den wunderschönen alten Palästen und Tempeln, der unglaublichen Geschichte und Kultur dieses Landes.

Die acht Tage erscheinen mir wie eine Art Traum, irgendwie unwirklich. Alles war so fremd, so anders als das, was ich bis dahin erlebt und gesehen hatte und, trotzdem schön. Damals war ich mehr als eine Fremde, ich war blind und taubstumm zugleich. Keiner verstand mich und ich konnte nicht einmal die Straßennamen lesen. Einige Straßen waren auch noch so unfertig, dass sie keine Namen, sondern nur Nummern trugen.

Mich faszinierten besonders die vielen Menschen in ihren blauen Maojacken, die ganz früh morgens im Freien tanzten und Taijiquan machten. Und dann diese Smogglocke, unter der weder Sonne, noch Sterne zu sehen waren und die gemischt mit dem Geruch der Menschen und Garküchen einen ganz eigenen Duft hervorbrachte. Ich war wie geblendet, von der Flut der Eindrücke, die über mich hereingebrochen war, und ich wusste, dass ich irgendwann wiederkommen würde.

Ich bin gerade aufgewacht, als der Flugkapitän uns auf die Chinesische Mauer zu unserer Rechten aufmerksam macht. Zwischen den Chinesen dränge ich mich an eines der Fenster und wirklich, unter uns windet sich die Chinesische Mauer wie eine Schlange durch die Berge. Selbst von so weit oben erscheint sie riesengroß und es lässt sich erahnen, welch ein immenser Aufwand zu ihrem Bau betrieben werden musste. Die letzten Minuten des Fluges vergehen von nun an im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug.

Nach einer kleinen Ewigkeit verlasse ich später die Halle der Passkontrolle und entferne mich von den lärmenden Menschenmassen, die sich vor den Kontrollschaltern drängen. Als ich aus dem Flughafengebäude trete, weht mir ein frischer, sonniger Hauch entgegen und der Stress der vergangenen Stunden fällt von mir ab.

Ich nehme ein Taxi in die Stadt. Begierig darauf, meine Sprachkenntnisse zu testen, beginne ich eine Unterhaltung mit dem Taxifahrer, doch sie beschränkt sich auf die Themen Wetter, Deutschland und Uni. Trotzdem bin ich stolz, dass ich mit meinen dürftigen Sprachkenntnissen eine kleine Unterhaltung führen kann. Nach einiger Zeit nähern wir uns der Stadt und die Bilder meines letzten Aufenthalts nehmen wieder deutlichere Konturen an. Ich erwarte ähnliche Zustände wie damals, werde jedoch bereits am Stadteingang eines Besseren belehrt: Ein wohlbekannter Schriftzug sticht mir ins Auge. In großen Lettern steht an einem mehrstöckigen Gebäude das Wort „IKEA“. Ein wenig irritiert verfolge ich die Umgebung während der Fahrt nun genauer und stelle fest, dass sich auch McDonald’s, KFC und Starbucks hier verbreitet haben. Das passt nun gar nicht in das Bild, welches ich von Beijing habe und, es zeigt mir deutlich, wie rasant sich die Öffnung Chinas in Richtung Westen in den letzten Jahren bereits vollzogen hat. Auch der vermutete Smog erwartet mich nicht, sondern strahlender Sonnenschein und angenehme Luft. Doch das sollte sich bereits am nächsten Morgen ändern. Der ureigene Geruch dieser Stadt hat sich schnell wiederhergestellt und die Gebäude verschwinden in einem wohlbekannten, dichten Nebel. Glücklicherweise beginnt aber nicht jeder Tag so diesig und ich erfreue mich an den sich häufenden Sonnentagen, die den Verdruss der weniger schönen Tage überdecken.

In den ersten Wochen finde ich mich erneut als staunendes Kind wieder, welches in einer fremden Welt weder Geruch oder Essen, noch Sprache oder Verhaltensweisen kennt. Beijing stürzt in Form von Erlebnissen auf mich ein, zieht mich in seinen Bann und hält mich für Tage gefangen. Wieder ist alles neu und fremd, doch ungleich größer und mächtiger. Die Faszination für das, was binnen kürzester Zeit geschaffen wurde, überdeckt das Staunen über alles Fremde und für micht oft noch Unerklärbare dieser Stadt. Ich fühle mich ein bisschen wie die Hauptfigur Kao Tai im Roman „Briefe in die chinesische Vergangenheit“ von Herbert Rosendorfer, nur umgekehrt.

Ich stehe einer neuen fremden Welt gegenüber. Überall werden in rasender Geschwindigkeit neue Hochhäuser gebaut und ganze Armenviertel in Staub und Asche gelegt. Eines der wenigen sichtbaren Überbleibsel vergangener Tage sind die dicken, armeegrünen Wintermäntel vieler Wachleute, doch der Großteil der Chinesen, die dieser Stadt ein Gesicht geben, folgt westlichen Modetrends. Ähnlich ist es den Millionen von Fahrrädern ergangen, die in dieser Anzahl aus dem Stadtbild verschwunden sind und den Blechlawinen weichen mussten, die sich täglich über die Highways schieben. Hatte man damals noch Angst, hier Fahrrad zu fahren, so ist es heute kaum möglich für einen Nichtchinesen, in Beijing Auto zu fahren. Weiterhin fällt auf, dass auch die vielen kleinen, traditionellen Stadtviertel oftmals neuen, im Vergleich protzigen, Hochhäusern weichen mussten, die heute das neue Stadtbild prägen. Es sind ganze Banken- und Botschaftsviertel entstanden, die kaum mehr dem traditionellen Beijing ähneln.

Das Gefühl, sich in der Hauptstadt Chinas zu befinden, ist heute nicht mehr zwingend. Wenn ich in der Bar auf dem Unicampus abends etwas trinken gehe, treffe ich so viele verschiedene Nationen wie kaum sonst auf der Welt. Die Bar könnte sich gleichfalls in Berlin, New York oder London befinden. Der Ort wird auf einmal nebensächlich und der erste Eindruck einer Weltgesellschaft setzt sich fest.

Auffällig erscheint mir auch, dass ich nicht bei jeder Gelegenheit das Objekt fotografischer Begierde bin, so wie damals. Meine blonden Haare waren für die meisten Chinesen aus der Provinz viel spannender als die Chinesische Mauer oder die Verbotene Stadt. Heute kann ich mich ganz frei überall bewegen, ohne ständig als Fotomodell zu posieren.

Eine Veränderung ist auch in der Informationsbranche erkennbar, wo der gehobene Informationsstand vieler Chinesen sowie die Freischaltung von manchen zuvor verbotenen Internetseiten positiv auffallen. Die Modernisierung macht sich jedoch auch in der Kommunikationsbranche bemerkbar. Es gibt in der Stadt kaum mehr Chinesen ohne Handy, welches von den Jugendlichen vorzugsweise um den Hals getragen wird. Das wäre vor einigen Jahren kaum denkbar gewesen. Gleichzeitig wächst jedoch die Kluft zwischen Arm und Reich immer deutlicher und macht sich im Stadtbild bemerkbar.

So fügen sich viele kleine Modernisierungen wie ein Puzzle zusammen und ergeben ein riesiges Bild, in dessen Vordergrund der Fortschritt steht. Das Alte verliert an Wert und nur Weniges wird, wenn es sich als Touristenattraktion eignet, erhalten. Alles andere muss dem Drang nach Weiterentwicklung weichen und auf seinen Ruinen werden die nächsten Hochhäuser gebaut.

Bei meinem ersten Besuch wirkte Beijing noch viel traditioneller und abgeschlossener von der Welt als heute. Eine weitreichende Öffnung mit tiefgreifenden Veränderungen, nicht nur auf materieller Basis, ist deutlich erkennbar, und als Boomtown kann Beijing Shanghai längst das Wasser reichen. Doch nicht alle modernisierungsbedingten Veränderungen sind positiv zu bewerten und die chinesische Regierung muss aufpassen, dass die im Zuge der Modernisierung wachsende Arbeitslosigkeit die Kluft zwischen Arm und Reich nicht unüberwindbar macht.

Abschließend stelle ich fest, dass sich eine unglaubliche Veränderung in dem mir bekannten Beijing vollzogen hat und weiter anhält. Wohin sie noch führen wird, ist kaum vorherzusagen, und doch geht eine starke Faszination von ihr aus. Mir erscheint die Stadt als eine sich ständig wandelnde Masse, die sich in rasender Geschwindigkeit in Richtung Modernisierung fortbewegt.

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