Scheitern
ist nicht erlaubt
Ich
bin ein Germanistikstudent vom Land und studiere jetzt an
der Peking-Universität. Ich bin der einzige Student in
der Klasse, der aus einem ländlichen Gebiet stammt, deswegen
ist es für mich, anders als für die anderen Studenten oder
Studentinnen, ein besonderes Gefühl, studieren zu können.
Wie
Sie vielleicht wissen, sind die Unterschiede zwischen Stadt
und Land in China sehr groß. Und die soziale Stellung
der Bauern ist niedriger. Ich bin der einzige Student in meiner
Heimat, einem kleinen Bergdorf. Es ist ein armes ländliches
Gebiet. Die Bauern haben viel zum Essen, aber sie haben nur
wenig Geld zum Ausgeben und nichts, um etwas zu genießen.
Ihr Traum ist es, dass ihre Kinder eine Universität besuchen
können und nicht mehr Bauern sein müssen. In meinem Kreis
habe nur ich mit hervorragenden Leistungen die Hochschulzulassungsprüfung bestanden und
konnte so eine der sogenannten „Elite-Universitäten“
besuchen. Ich möchte nie mehr zurückkehren,
weil das Leben auf dem Land so schlecht ist. Im Sommer 1999
kam ich allein in Beijing an, nicht wie die anderen Studenten,
die von ihren Eltern begleitet wurden. Wegen meiner Selbstständigkeit
wurde ich Klassensprecher und bin es bis heute geblieben.
Am Anfang sah ich sehr bäuerisch aus, ich wusste wenig
über Beijing, über die Lebensweise in der Stadt. Hier habe
ich zum ersten Mal einen Computer benutzt, habe zum ersten
mal das Internet erkundet – es gab so viel, das ich zum ersten
Mal erlebte. Bis heute habe ich viel Modernes von den Beijingern
gelernt. Jetzt bin ich schon ein Computer-Experte, ich sehe
auch nicht mehr bäuerisch aus. Wenn ich heute in den
Ferien heimkehre, bin ich schon nicht mehr an das Leben in
der Heimat gewöhnt. Es gibt dort keine Klimaanlagen,
keine Taxis, keine Computer. Die Leute sind nett, aber unaufgeklärt.
Neben den Vorteilen, die das Leben in der Stadt hat, gibt
es jedoch auch Nachteile, die mir nicht gefallen, z. B. die
Kälte zwischen den Leuten. Manche Studenten sind abweisend,
unfreundlich. Manche Beijinger sehen auf die Studenten und
Leute aus den ländlichen Gebieten herab.
Am
Anfang des Studiums merkte ich, dass es nicht so leicht und
schön würde wie in meiner Vorstellung. Es war sehr beschwerlich.
Ich bin auch nicht begabt für Fremdsprachen. Mein
Englisch war eigentlich sehr gut, aber als Germanistikstudent
musste ich die Sprache für ein Jahr aussetzen, und jetzt fällt
es mir schon schwer, Englisch zu sprechen. Mein Mund ist nicht
gehorsam und will immer Deutsch sprechen. Vielleicht fragen
Sie sich jetzt, wieso ich nicht Englisch studiert habe. Dann
muss ich Ihnen einmal erklären, wie wir chinesische Studenten
unser Studienfach wählen. Es ist wie ein Hasardspiel.
Welche Universität man besuchen und welches Fach man
studieren kann, hängt vor allem von der Punktezahl ab,
die man an der Hochschulaufnahmeprüfung erreicht. Je besser
die Uni und je gefragter das Studienfach, desto höher
ist die Notengrenze. Ich wusste vor der Wahl der Universität
und des Studienfachs nicht, welches die Anforderungen waren.
Ich wusste nur, dass ich eine gute Leistung erzielt hatte,
und so habe ich die Peking-Universität gewählt.
Aber wenn die Notengrenze dieser Universität – sie ist
eine von ganz wenigen Spitzen-Unis und ihre Notengrenze ist
immer am höchsten in China – höher gewesen wäre
als meine Punktezahl und ich die Aufnahmeprüfung nicht geschafft
hätte, dann hätte ich gar keine Universität
besuchen können, eine andere auch nicht.
Eigentlich
wollten meine Eltern – und ich auch –, dass ich eine gewöhnliche
Hochschule in meiner Heimatprovinz Shandong besuche und Fremdsprachen
studiere. Schon im Gymnasium war ich ein Schüler der Geisteswissenschaften.
Man muss sich für eine Richtung entscheiden: Geisteswissenschaften
oder Naturwissenschaften. Vor der Wahl muss man auch entscheiden,
in welchem Bereich man studieren will, ob chinesische Literatur
und Geschichte oder eine Fremdsprache. Ich habe mich für eine
Fremdsprache entschieden.
Schwierig
ist mein Studium in Beijing auch, weil ich mich um meine finanzielle
Lage kümmern muss. Das Leben in Beijing kostet viel mehr als
in meinem Heimatdorf. Ich versuchte mehrmals, neben dem Studium
eine Arbeit zu finden. Aber schließlich habe ich aufgegeben.
Der Grund war, dass meine Leistungen im Studium schlechter
wurden. Ich muss zuerst mein Studium verbessern. Unglücklicherweise
sind meine Leistungen nie so gut wie die meiner Mitstudentinnen.
Ich habe gehört, dass Studenten-Funktionäre nach
dem Studium leichter einen Beruf finden. Darum bemühte
ich mich, im Bereich der Studenten-Union etwas zu leisten.
Schließlich wurde ich belohnt. Im Sommer 2000 habe ich
von der Bank 9000 Yuan Kredit gekriegt für
mein Studium. Ich muss das Geld vor 2006 zurückgeben. Aber wenigstens
ist meine finanzielle Lage schon viel besser. Manchmal, wenn
meine Leistungen im Studium nicht meinen Wünschen entsprachen,
war ich sehr enttäuscht, aber ich wollte meine Eltern
nicht enttäuschen. Ich sagte ihnen, meine Leistungen
seien sehr gut, und ich könnte in Beijing eine Arbeit
finden und nach dem Studium in der Stadt bleiben. Vor vier
Jahren hatte ich noch den Wunsch, mit meinen Erkenntnissen
aus dem Studium meine Heimat zu verbessern, aber jetzt finde
ich diesen Traum komisch und naiv. In einem halben Jahr schließe
ich das Studium ab, und schon jetzt muss ich eine Arbeitsstelle
in Beijing suchen. Das ist auch nicht leicht. Aber ich muss
etwas leisten, nicht nur für den Wunsch meiner
Eltern, sondern auch für meine Zukunft. Ich
bin anders als die Studenten, die aus anderen Städten
kommen. Ich komme vom Land und muss in der Stadt eine Stelle
finden, um hier zu bleiben, sonst muss ich wieder nach Hause
gehen – so sind die Vorschriften. Studenten, die ihren dauerhaften
Wohnsitz nicht in der Stadt haben, müssen nach dem Studium
in ihren Heimatort zurückkehren. Ich will aber nicht Bauer
werden. Jetzt habe ich schon Kontakt mit Volkswagen in Changchun
hergestellt, und ich habe auch ein Angebot aus Qingdao (Tsingtao)
als Beamter in der Abteilung für Auslandskontakte. In Beijing
könnte ich sowieso nicht bleiben. Das Leben hier ist
zu teuer, und als Universitätsabsolvent würde ich vielleicht
gerade einmal 3000 Yuan monatlich verdienen. Ich müsste ein Leben lang
kämpfen, um mir hier eine Wohnung kaufen zu können,
denn mieten zahlt sich auf lange Sicht nicht aus. Jetzt will
ich nach Qingdao gehen, dann kann ich für
Sie über meine Arbeit schreiben.
Für uns, die aus anderen
Provinzen kommen, ist es nicht einfach, einen Beruf zu finden.
Aber ich glaube, ich habe auch einige Vorteile. Weil ich auf
dem Land aufgewachsen bin, weiß ich vieles, das die
Studenten in der Stadt nicht wissen. Und ich kenne inzwischen
die Sachen, die es in einer Großstadt gibt. Ich habe
eine erlebnisreiche Zeit gehabt und meinen Horizont erweitert.
Ich bin sehr freundlich und bescheiden und kann gut mit Kollegen
zusammenarbeiten, und ich habe den Eifer, etwas Neues zu lernen.
Außerdem habe ich „Teamgeist“, etwas, das sehr gefagt
ist in der Gesellschaft.