April 2003
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Scheitern ist nicht erlaubt

Von Li Bing

Ich bin ein Germanistikstudent vom Land und studiere jetzt an der Peking-Universität. Ich bin der einzige Student in der Klasse, der aus einem ländlichen Gebiet stammt, deswegen ist es für mich, anders als für die anderen Studenten oder Studentinnen, ein besonderes Gefühl, studieren zu können.

Wie Sie vielleicht wissen, sind die Unterschiede zwischen Stadt und Land in China sehr groß. Und die soziale Stellung der Bauern ist niedriger. Ich bin der einzige Student in meiner Heimat, einem kleinen Bergdorf. Es ist ein armes ländliches Gebiet. Die Bauern haben viel zum Essen, aber sie haben nur wenig Geld zum Ausgeben und nichts, um etwas zu genießen. Ihr Traum ist es, dass ihre Kinder eine Universität besuchen können und nicht mehr Bauern sein müssen. In meinem Kreis habe nur ich mit hervorragenden Leistungen die Hochschulzulassungsprüfung bestanden und konnte so eine der sogenannten „Elite-Universitäten“ besuchen. Ich möchte nie mehr zurückkehren, weil das Leben auf dem Land so schlecht ist. Im Sommer 1999 kam ich allein in Beijing an, nicht wie die anderen Studenten, die von ihren Eltern begleitet wurden. Wegen meiner Selbstständigkeit wurde ich Klassensprecher und bin es bis heute geblieben. Am Anfang sah ich sehr bäuerisch aus, ich wusste wenig über Beijing, über die Lebensweise in der Stadt. Hier habe ich zum ersten Mal einen Computer benutzt, habe zum ersten mal das Internet erkundet – es gab so viel, das ich zum ersten Mal erlebte. Bis heute habe ich viel Modernes von den Beijingern gelernt. Jetzt bin ich schon ein Computer-Experte, ich sehe auch nicht mehr bäuerisch aus. Wenn ich heute in den Ferien heimkehre, bin ich schon nicht mehr an das Leben in der Heimat gewöhnt. Es gibt dort keine Klimaanlagen, keine Taxis, keine Computer. Die Leute sind nett, aber unaufgeklärt. Neben den Vorteilen, die das Leben in der Stadt hat, gibt es jedoch auch Nachteile, die mir nicht gefallen, z. B. die Kälte zwischen den Leuten. Manche Studenten sind abweisend, unfreundlich. Manche Beijinger sehen auf die Studenten und Leute aus den ländlichen Gebieten herab.

Am Anfang des Studiums merkte ich, dass es nicht so leicht und schön würde wie in meiner Vorstellung. Es war sehr beschwerlich. Ich bin auch nicht begabt für Fremdsprachen. Mein Englisch war eigentlich sehr gut, aber als Germanistikstudent musste ich die Sprache für ein Jahr aussetzen, und jetzt fällt es mir schon schwer, Englisch zu sprechen. Mein Mund ist nicht gehorsam und will immer Deutsch sprechen. Vielleicht fragen Sie sich jetzt, wieso ich nicht Englisch studiert habe. Dann muss ich Ihnen einmal erklären, wie wir chinesische Studenten unser Studienfach wählen. Es ist wie ein Hasardspiel. Welche Universität man besuchen und welches Fach man studieren kann, hängt vor allem von der Punktezahl ab, die man an der Hochschulaufnahmeprüfung erreicht. Je besser die Uni und je gefragter das Studienfach, desto höher ist die Notengrenze. Ich wusste vor der Wahl der Universität und des Studienfachs nicht, welches die Anforderungen waren. Ich wusste nur, dass ich eine gute Leistung erzielt hatte, und so habe ich die Peking-Universität gewählt. Aber wenn die Notengrenze dieser Universität – sie ist eine von ganz wenigen Spitzen-Unis und ihre Notengrenze ist immer am höchsten in China – höher gewesen wäre als meine Punktezahl und ich die Aufnahmeprüfung nicht geschafft hätte, dann hätte ich gar keine Universität besuchen können, eine andere auch nicht.

Eigentlich wollten meine Eltern – und ich auch –, dass ich eine gewöhnliche Hochschule in meiner Heimatprovinz Shandong besuche und Fremdsprachen studiere. Schon im Gymnasium war ich ein Schüler der Geisteswissenschaften. Man muss sich für eine Richtung entscheiden: Geisteswissenschaften oder Naturwissenschaften. Vor der Wahl muss man auch entscheiden, in welchem Bereich man studieren will, ob chinesische Literatur und Geschichte oder eine Fremdsprache. Ich habe mich für eine Fremdsprache entschieden.

Schwierig ist mein Studium in Beijing auch, weil ich mich um meine finanzielle Lage kümmern muss. Das Leben in Beijing kostet viel mehr als in meinem Heimatdorf. Ich versuchte mehrmals, neben dem Studium eine Arbeit zu finden. Aber schließlich habe ich aufgegeben. Der Grund war, dass meine Leistungen im Studium schlechter wurden. Ich muss zuerst mein Studium verbessern. Unglücklicherweise sind meine Leistungen nie so gut wie die meiner Mitstudentinnen. Ich habe gehört, dass Studenten-Funktionäre nach dem Studium leichter einen Beruf finden. Darum bemühte ich mich, im Bereich der Studenten-Union etwas zu leisten. Schließlich wurde ich belohnt. Im Sommer 2000 habe ich von der Bank 9000 Yuan Kredit gekriegt für mein Studium. Ich muss das Geld vor 2006 zurückgeben. Aber wenigstens ist meine finanzielle Lage schon viel besser. Manchmal, wenn meine Leistungen im Studium nicht meinen Wünschen entsprachen, war ich sehr enttäuscht, aber ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen. Ich sagte ihnen, meine Leistungen seien sehr gut, und ich könnte in Beijing eine Arbeit finden und nach dem Studium in der Stadt bleiben. Vor vier Jahren hatte ich noch den Wunsch, mit meinen Erkenntnissen aus dem Studium meine Heimat zu verbessern, aber jetzt finde ich diesen Traum komisch und naiv. In einem halben Jahr schließe ich das Studium ab, und schon jetzt muss ich eine Arbeitsstelle in Beijing suchen. Das ist auch nicht leicht. Aber ich muss etwas leisten, nicht nur für den Wunsch meiner Eltern, sondern auch für meine Zukunft. Ich bin anders als die Studenten, die aus anderen Städten kommen. Ich komme vom Land und muss in der Stadt eine Stelle finden, um hier zu bleiben, sonst muss ich wieder nach Hause gehen – so sind die Vorschriften. Studenten, die ihren dauerhaften Wohnsitz nicht in der Stadt haben, müssen nach dem Studium in ihren Heimatort zurückkehren. Ich will aber nicht Bauer werden. Jetzt habe ich schon Kontakt mit Volkswagen in Changchun hergestellt, und ich habe auch ein Angebot aus Qingdao (Tsingtao) als Beamter in der Abteilung für Auslandskontakte. In Beijing könnte ich sowieso nicht bleiben. Das Leben hier ist zu teuer, und als Universitätsabsolvent würde ich vielleicht gerade einmal 3000 Yuan monatlich verdienen. Ich müsste ein Leben lang kämpfen, um mir hier eine Wohnung kaufen zu können, denn mieten zahlt sich auf lange Sicht nicht aus. Jetzt will ich nach Qingdao gehen, dann kann ich für Sie über meine Arbeit schreiben.

Für uns, die aus anderen Provinzen kommen, ist es nicht einfach, einen Beruf zu finden. Aber ich glaube, ich habe auch einige Vorteile. Weil ich auf dem Land aufgewachsen bin, weiß ich vieles, das die Studenten in der Stadt nicht wissen. Und ich kenne inzwischen die Sachen, die es in einer Großstadt gibt. Ich habe eine erlebnisreiche Zeit gehabt und meinen Horizont erweitert. Ich bin sehr freundlich und bescheiden und kann gut mit Kollegen zusammenarbeiten, und ich habe den Eifer, etwas Neues zu lernen. Außerdem habe ich „Teamgeist“, etwas, das sehr gefagt ist in der Gesellschaft.

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