Das
Tagebuch von Paul Scharffenberg – nach dem Tagebuch von John
Rabe ein neuer Beweis für die japanischen Gräueltaten
in Nanjing
Von
Dai Yuanzhi


Nach dem bereits
weit herum bekannt gewordenen Tagebuch von John Rabe ist kürzlich
weiteres historisches Material aufgetaucht, das die Gräueltaten
der japanischen Aggressionstruppen in den Jahren 1937/38 ans
Licht bringt. Ich habe es zusammen mit Material über Dr. Karl
Günther aus Deutschland und Bernhard Alp Sindberg aus Dänemark,
beide Zeugen des Massakers in Nanjing, von Anita Günther erhalten.
Anita Günther ist die Nichte von Dr. Karl Günther und beschäftigt
sich heute mit der Erforschung der Geschichte der Deutschen
im Fernen Osten.
1991 fand man in
der Potsdamer Zweigstelle des Deutschen Archivs einen Bericht
des ehemaligen deutschen Diplomaten Dr. Georg Rosen, der den
Artikel „Lage in Nanking am 13. Januar 1938“ aus dem Tagebuch
von Paul Scharffenberg enthielt, damals der Kanzler der deutschen
Botschaft in Nanjing. Die chinesische Übersetzung dieses
Artikels liegt schon vor. Aber das vollständige Tagebuch
war in China nicht zugänglich gewesen, bevor ich es bekam.
Darin fand ich den oben erwähnten Artikel.
Nach historischen
Aufzeichnungen setzte das mindestens sechs Wochen andauernde
Massaker ein, sobald die japanischen Aggressionstruppen am
13. Dezember 1937 Nanjing erobert hatten. Damals hielt sich
Paul Scharffenberg in Nanjing auf und wurde so Zeuge der Gräueltaten
der Japaner. Am 28. Januar 1938 schrieb er in sein Tagebuch:
„Mädchen dürfen sich aus der Zone nicht herauswagen:
Am 25. 1. abends ist ein 14jähriges Mädchen dicht
am Hause Stennes ausgegangen, um Gemüse zu holen, dabei Japanern
in die Finger gefallen u., als sie ihnen entwischte, durch
Kopfschuss getötet worden. Am 26. 1. ist der alte Missionar
Mc. Coullun, der hier ein Hospital leitet, durch einen leichten
Bayonett-Stich am Halse verwundet worden, weil er zwei Japaner
aufforderte, das von hinten betretene Hospital zu verlassen.“
Am 10. Februar
1938 schrieb Paul Scharffenberg weiter: „Und die Rote Swastika-Gesellschaft
hat die Erlaubnis erhalten, die noch zahlreich herumliegenden
Leichen zu begraben. Teich in der Nähe von Dr. Schröder’s
Haus über 120 Leichen herausgefischt, deren Hände noch
mit Draht zusammen gebunden waren. H. Rabe hat die Sache selbst
gesehen. ... Da Gefangene nicht gemacht werden, ergeben sich
zwangsläufig Grausamkeiten; Plünderungen usw. sind so
selbstverständlich wie im 30jährigen Kriege, und
dass es den Frauen besonders schlecht ergeht, ... Den Chinesen
hier geht es sicher schlecht, aber noch schlechter geht es
sicherlich den Menschen, die z. Z. von Haus und Hof vertrieben,
mit Kind und Kegel im Lande umherirren.“
Bei aller Sachlichkeit
in seinen Aufzeichnungen beschrieb Paul Scharffenberg die
Gräueltaten der japanischen Soldaten nicht ohne Ironie:
„Auch im Plündern leisten die Japaner noch dolles. So wollten
sie aus einer Bank einen Flügel in eins der Stab-Quartiere
schaffen, haben es aber die Treppe herunter rutschen lassen,
jetzt liegt es da mit gerissenen Saiten. Und in der Bank,
in der das Office von H. Amann ist, haben sie die Betonwand
über dem Tresor durchgebrochen, eine Leistung! Alles geplündert“
(am 28. Januar 1938). „Die Japaner haben meinem Hause nachträglich
noch einen Besuch abgestattet und zum Zeitvertreib ein paar
Meter der breiten Steinmauer an der Südfront des Gartens und
den hohen Bambuszaun umgeworfen. Selbst der japanische Polizei-Meister
staunte über diese Atlethe [sic!] Leistung!“ (am 10. Februar
1938).
Das Tagebuch von
Paul Scharffenberg beschreibt nicht nur die Lage in der Innenstadt
Nanjings, sondern auch die der ländlichen Umgebung. Am
28. Januar 1938 schrieb Paul Scharffenberg: „Die Japaner haben
alles Vieh mutwillig getötet z. B. alle Wasserbüffel.
Wenn nur ein Bauer durchgekommen ist, so kann er die Reisfelder
nicht bestellen, also Hungersnot ist die Folge. Die Schweine
sind geköpft worden u. bleiben liegen. Ponies
u. Esel sind alle requiriert. Es ist ein komisches Bild, die
Japaner hier auf Eseln reiten zu sehen, auch in Rickshaws
spannen sie sie ein.“
Die Führer der
japanischen Aggressionstruppen beschrieb Paul Scharffenberg
so: „Am 5. 2. waren wieder alle Beamten eingeladen und zwar
zu einem Thee als Gäste des Garnison-Kommandanten,
Generalmajors Amaya. Der Sinn war, dass der General, sonst
ein ganz gemütlicher rundlicher Herr, den Fremden mächtig
eins auswischte. Er stellte die These auf, dass es ohne die
Fremden viel besser in Nanking gegangen wäre. Die Chinesen
hätten sich hinter die Rockschösse der Fremden verkrochen
und im Vertrauen auf deren Intervention den Japanern zu trotzen
gewagt. ... Seine Ansprache gipfelte in den Satz: Please don’t
interfere in my dealings with the Chinese! ... er wollte aber
keine Kopie der Ansprache herausrücken.“ (Tagebucheintrag
vom 10. Februar 1938) Über die Versammlung in der japanischen
Botschaft am 8. 2. : „Wiederum reichten Geishas Thee und zeigten
beim Servieren von Cigaretten besonders beim Anzünden reizende
Stellungen, die von den zahlreichen Presse-Photographen festgehalten
wurden, um später durch Film und Zeitungen der erstaunten
Welt das herzliche Einvernehmen zwischen Japanern und Fremden
in Nanking vor Augen zu führen. Da war die Kehrseite der Medaille.
Der Pferdefuss!“ (Tagebucheintrag vom 10. Februar 1938)
Über John
Rabe, den Leiter des Internationalen Komitees der Sicherheits-Zone
Nanjings, schrieb Paul Scharffenberg: „Das Sicherheits-Komitee
ist den Japanern seit je ein Dorn im Auge... H. Rabe als Vorsitzender,
dessen Verdienste ja ganz ausserordentlich grosse sind, ...
hätte am 4. 2., dem Termin zur Räumung der Sicherheits-Zone,
sein Amt niederlegen und aus Nanking verschwinden können,
da war der Höhepunkt seiner hervorragenden Tätigkeit
erreicht und er hätte einen äusserst glanzvollen
Abgang gehabt. Hier, Rabe, endet Deines Ruhms Geschichte!
Rabe sieht das selbst ein, bemüht sich auch um die Ausreise-Erlaubnis
der Japaner nach Shanghai, ist aber immer noch tätig,
sich bei den in der letzten Zeit leider wieder häufig
gewordenen blutigen Ausschreitungen von japanischen Plünderern
einzusetzen.“
Im Tagebuch von
Paul Scharffenberg ist außerdem nachzulesen, dass man
die Leichen der chinesischen Opfer begrub, amerikanische Ärzte
zu den Lagern zugelassen, um die Insassen zu impfen, die japanischen
Truppen einen Teil der chinesischen Bevölkerung deportierten
und die japanischen Händler durch den Krieg hohe Profite
erzielten. Er erwähnt ferner die Veränderungen bei
der Anzahl der Insassen in den Flüchtlingslagern, die Versorgungslage,
die Verkehrssituation und die öffentliche Ordnung in
Nanjing zu jener Zeit. Darüber hinaus beklagt sich Paul Scharffenberg
in seinem Tagebuch über die Nachrichtensperre unter dem militärischen
Terror der Japaner sowie darüber, dass „[wir] nach wie vor
... keinen Schritt machen [können] ohne Gendarm, wie
politische Verbrecher!“
Den historischen
Aufzeichnungen zufolge wurde die deutsche Botschaft vor der
Eroberung Nanjings durch die japanischen Aggressionstruppen
nach Wuhan, Provinz Hubei, verlegt. Nur der Kanzler Paul Scharffenberg
und die Sekretäre Dr. Georg Rosen und A. Hürter blieben
in Nanjing. Sie verliessen die Stadt am 18. Dezember 1937,
um nach Shanghai zu fahren. Um den 10. Januar 1938 kehrten
sie wieder nach Nanjing zurück. Soviel ich weiß, schickte
Paul Scharffenberg seine Familie nach Deutschland, bevor die
Japaner in Nanjing eindrangen. Am 19. Juni 1938 starb er in
Nanjing an einer Lebensmittelvergiftung, die er sich bei einem
offiziellen japanischen Bankett geholt hatte.
Seit drei Jahren
beschäftige ich mich mit der Erforschung der zwei Internierungslager
in Xixia Shan, einem Vorort von Nanjing, in denen jeweils
mehr als 20 000 Insassen festgehalten wurden, und deren Leiter
in der Anfangsperiode der Besetzung Nanjings durch die japanischen
Truppen. Meiner Meinung nach ist das Tagebuch von Paul Scharffenberg
als Diplomaten Deutschlands, das wie Japan eine der Achsenmächte
war, ein schlagender Beweis für die japanischen Gräueltaten
in Nanjing. Natürlich hatte Paul Scharffenberg seinen eigenen
Standpunkt und Blickwinkel, mit dem man nicht einverstanden
sein muss. Beispielsweise schrieb er hinsichtlich der japanischen
Untaten in sein Tagebuch: „...das geht uns Deutsche m. E.
gar nichts an, ...“ In der Tat aber gab es damals durchaus
manche Deutsche, wie John Rabe, Christian Kröger oder
Eduard Sperling, die sich aktiv an der humanitären Hilfe
für die chinesischen Flüchtlinge beteiligten.
Dr.
Zhang Lianhong, Vizedirektor des Instituts für gesellschaftliche
Entwicklung an der Pädagogischen Hochschule Nanjing und
der Leiter des Forschungszentrums für das Nanjing-Massaker,
meint, das Tagebuch von Paul Scharffenberg sei neben den Tagebüchern
von John Rabe und Christian Kröger sowie dem Bericht
von Georg Rosen ein weiterer überzeugender Beweis für die
japanischen Untaten in Nanjing. Diese geschichtlichen Dokumente
zeigen, dass die damalige Lage in Nanjing überhaupt nicht,
wie die japanische Rechte immer behauptete, stabil, ruhig
und friedlich war.
Der
Autor ist Journalist bei der Zeitung „China Youth“ in der
Provinz Jiangsu, deren Hauptstadt Nanjing ist.