April 2003
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Das Tagebuch von Paul Scharffenberg – nach dem Tagebuch von John Rabe ein neuer Beweis für die japanischen Gräueltaten in Nanjing

Von Dai Yuanzhi

Nach dem bereits weit herum bekannt gewordenen Tagebuch von John Rabe ist kürzlich weiteres historisches Material aufgetaucht, das die Gräueltaten der japanischen Aggressionstruppen in den Jahren 1937/38 ans Licht bringt. Ich habe es zusammen mit Material über Dr. Karl Günther aus Deutschland und Bernhard Alp Sindberg aus Dänemark, beide Zeugen des Massakers in Nanjing, von Anita Günther erhalten. Anita Günther ist die Nichte von Dr. Karl Günther und beschäftigt sich heute mit der Erforschung der Geschichte der Deutschen im Fernen Osten.

1991 fand man in der Potsdamer Zweigstelle des Deutschen Archivs einen Bericht des ehemaligen deutschen Diplomaten Dr. Georg Rosen, der den Artikel „Lage in Nanking am 13. Januar 1938“ aus dem Tagebuch von Paul Scharffenberg enthielt, damals der Kanzler der deutschen Botschaft in Nanjing. Die chinesische Übersetzung dieses Artikels liegt schon vor. Aber das vollständige Tagebuch war in China nicht zugänglich gewesen, bevor ich es bekam. Darin fand ich den oben erwähnten Artikel.

Nach historischen Aufzeichnungen setzte das mindestens sechs Wochen andauernde Massaker ein, sobald die japanischen Aggressionstruppen am 13. Dezember 1937 Nanjing erobert hatten. Damals hielt sich Paul Scharffenberg in Nanjing auf und wurde so Zeuge der Gräueltaten der Japaner. Am 28. Januar 1938 schrieb er in sein Tagebuch: „Mädchen dürfen sich aus der Zone nicht herauswagen: Am 25. 1. abends ist ein 14jähriges Mädchen dicht am Hause Stennes ausgegangen, um Gemüse zu holen, dabei Japanern in die Finger gefallen u., als sie ihnen entwischte, durch Kopfschuss getötet worden. Am 26. 1. ist der alte Missionar Mc. Coullun, der hier ein Hospital leitet, durch einen leichten Bayonett-Stich am Halse verwundet worden, weil er zwei Japaner aufforderte, das von hinten betretene Hospital zu verlassen.“

Am 10. Februar 1938 schrieb Paul Scharffenberg weiter: „Und die Rote Swastika-Gesellschaft hat die Erlaubnis erhalten, die noch zahlreich herumliegenden Leichen zu begraben. Teich in der Nähe von Dr. Schröder’s Haus über 120 Leichen herausgefischt, deren Hände noch mit Draht zusammen gebunden waren. H. Rabe hat die Sache selbst gesehen. ... Da Gefangene nicht gemacht werden, ergeben sich zwangsläufig Grausamkeiten; Plünderungen usw. sind so selbstverständlich wie im 30jährigen Kriege, und dass es den Frauen besonders schlecht ergeht, ... Den Chinesen hier geht es sicher schlecht, aber noch schlechter geht es sicherlich den Menschen, die z. Z. von Haus und Hof vertrieben, mit Kind und Kegel im Lande umherirren.“

Bei aller Sachlichkeit in seinen Aufzeichnungen beschrieb Paul Scharffenberg die Gräueltaten der japanischen Soldaten nicht ohne Ironie: „Auch im Plündern leisten die Japaner noch dolles. So wollten sie aus einer Bank einen Flügel in eins der Stab-Quartiere schaffen, haben es aber die Treppe herunter rutschen lassen, jetzt liegt es da mit gerissenen Saiten. Und in der Bank, in der das Office von H. Amann ist, haben sie die Betonwand über dem Tresor durchgebrochen, eine Leistung! Alles geplündert“ (am 28. Januar 1938). „Die Japaner haben meinem Hause nachträglich noch einen Besuch abgestattet und zum Zeitvertreib ein paar Meter der breiten Steinmauer an der Südfront des Gartens und den hohen Bambuszaun umgeworfen. Selbst der japanische Polizei-Meister staunte über diese Atlethe [sic!] Leistung!“ (am 10. Februar 1938).

Das Tagebuch von Paul Scharffenberg beschreibt nicht nur die Lage in der Innenstadt Nanjings, sondern auch die der ländlichen Umgebung. Am 28. Januar 1938 schrieb Paul Scharffenberg: „Die Japaner haben alles Vieh mutwillig getötet z. B. alle Wasserbüffel. Wenn nur ein Bauer durchgekommen ist, so kann er die Reisfelder nicht bestellen, also Hungersnot ist die Folge. Die Schweine sind geköpft worden u. bleiben liegen. Ponies u. Esel sind alle requiriert. Es ist ein komisches Bild, die Japaner hier auf Eseln reiten zu sehen, auch in Rickshaws spannen sie sie ein.“

Die Führer der japanischen Aggressionstruppen beschrieb Paul Scharffenberg so: „Am 5. 2. waren wieder alle Beamten eingeladen und zwar zu einem Thee als Gäste des Garnison-Kommandanten, Generalmajors Amaya. Der Sinn war, dass der General, sonst ein ganz gemütlicher rundlicher Herr, den Fremden mächtig eins auswischte. Er stellte die These auf, dass es ohne die Fremden viel besser in Nanking gegangen wäre. Die Chinesen hätten sich hinter die Rockschösse der Fremden verkrochen und im Vertrauen auf deren Intervention den Japanern zu trotzen gewagt. ... Seine Ansprache gipfelte in den Satz: Please don’t interfere in my dealings with the Chinese! ... er wollte aber keine Kopie der Ansprache herausrücken.“ (Tagebucheintrag vom 10. Februar 1938) Über die Versammlung in der japanischen Botschaft am 8. 2. : „Wiederum reichten Geishas Thee und zeigten beim Servieren von Cigaretten besonders beim Anzünden reizende Stellungen, die von den zahlreichen Presse-Photographen festgehalten wurden, um später durch Film und Zeitungen der erstaunten Welt das herzliche Einvernehmen zwischen Japanern und Fremden in Nanking vor Augen zu führen. Da war die Kehrseite der Medaille. Der Pferdefuss!“ (Tagebucheintrag vom 10. Februar 1938)

Über John Rabe, den Leiter des Internationalen Komitees der Sicherheits-Zone Nanjings, schrieb Paul Scharffenberg: „Das Sicherheits-Komitee ist den Japanern seit je ein Dorn im Auge... H. Rabe als Vorsitzender, dessen Verdienste ja ganz ausserordentlich grosse sind, ... hätte am 4. 2., dem Termin zur Räumung der Sicherheits-Zone, sein Amt niederlegen und aus Nanking verschwinden können, da war der Höhepunkt seiner hervorragenden Tätigkeit erreicht und er hätte einen äusserst glanzvollen Abgang gehabt. Hier, Rabe, endet Deines Ruhms Geschichte! Rabe sieht das selbst ein, bemüht sich auch um die Ausreise-Erlaubnis der Japaner nach Shanghai, ist aber immer noch tätig, sich bei den in der letzten Zeit leider wieder häufig gewordenen blutigen Ausschreitungen von japanischen Plünderern einzusetzen.“

Im Tagebuch von Paul Scharffenberg ist außerdem nachzulesen, dass man die Leichen der chinesischen Opfer begrub, amerikanische Ärzte zu den Lagern zugelassen, um die Insassen zu impfen, die japanischen Truppen einen Teil der chinesischen Bevölkerung deportierten und die japanischen Händler durch den Krieg hohe Profite erzielten. Er erwähnt ferner die Veränderungen bei der Anzahl der Insassen in den Flüchtlingslagern, die Versorgungslage, die Verkehrssituation und die öffentliche Ordnung in Nanjing zu jener Zeit. Darüber hinaus beklagt sich Paul Scharffenberg in seinem Tagebuch über die Nachrichtensperre unter dem militärischen Terror der Japaner sowie darüber, dass „[wir] nach wie vor ... keinen Schritt machen [können] ohne Gendarm, wie politische Verbrecher!“

Den historischen Aufzeichnungen zufolge wurde die deutsche Botschaft vor der Eroberung Nanjings durch die japanischen Aggressionstruppen nach Wuhan, Provinz Hubei, verlegt. Nur der Kanzler Paul Scharffenberg und die Sekretäre Dr. Georg Rosen und A. Hürter blieben in Nanjing. Sie verliessen die Stadt am 18. Dezember 1937, um nach Shanghai zu fahren. Um den 10. Januar 1938 kehrten sie wieder nach Nanjing zurück. Soviel ich weiß, schickte Paul Scharffenberg seine Familie nach Deutschland, bevor die Japaner in Nanjing eindrangen. Am 19. Juni 1938 starb er in Nanjing an einer Lebensmittelvergiftung, die er sich bei einem offiziellen japanischen Bankett geholt hatte.

Seit drei Jahren beschäftige ich mich mit der Erforschung der zwei Internierungslager in Xixia Shan, einem Vorort von Nanjing, in denen jeweils mehr als 20 000 Insassen festgehalten wurden, und deren Leiter in der Anfangsperiode der Besetzung Nanjings durch die japanischen Truppen. Meiner Meinung nach ist das Tagebuch von Paul Scharffenberg als Diplomaten Deutschlands, das wie Japan eine der Achsenmächte war, ein schlagender Beweis für die japanischen Gräueltaten in Nanjing. Natürlich hatte Paul Scharffenberg seinen eigenen Standpunkt und Blickwinkel, mit dem man nicht einverstanden sein muss. Beispielsweise schrieb er hinsichtlich der japanischen Untaten in sein Tagebuch: „...das geht uns Deutsche m. E. gar nichts an, ...“ In der Tat aber gab es damals durchaus manche Deutsche, wie John Rabe, Christian Kröger oder Eduard Sperling, die sich aktiv an der humanitären Hilfe für die chinesischen Flüchtlinge beteiligten.

Dr. Zhang Lianhong, Vizedirektor des Instituts für gesellschaftliche Entwicklung an der Pädagogischen Hochschule Nanjing und der Leiter des Forschungszentrums für das Nanjing-Massaker, meint, das Tagebuch von Paul Scharffenberg sei neben den Tagebüchern von John Rabe und Christian Kröger sowie dem Bericht von Georg Rosen ein weiterer überzeugender Beweis für die japanischen Untaten in Nanjing. Diese geschichtlichen Dokumente zeigen, dass die damalige Lage in Nanjing überhaupt nicht, wie die japanische Rechte immer behauptete, stabil, ruhig und friedlich war.

Der Autor ist Journalist bei der Zeitung „China Youth“ in der Provinz Jiangsu, deren Hauptstadt Nanjing ist.

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