Der
Jiuhuashan
-
heiliger
Berg des Buddhismus
In der
Provinz Anhui, etwa 20 Kilometer von der Kreisstadt Qingyang
entfernt, liegt eine landschaftliche Perle – der Jiuhuashan,
einer der heiligen Berge des Buddhismus in China. Zum gleichen
Bergzug wie der Huangshan gehörend, misst er rund 100
Kilometer im Umfang. Glasklare Flüsschen gurgeln durch seine
malerische Landschaft. Von seinen zahllosen Gipfeln, nach
alter Zählung 99 an der Zahl, tragen die bekanntesten
und höchsten Namen wie „Himmelsterrasse“, „Himmelssäule“,
„Zehn Könige“, „Luohan“ oder „Lotosblüte“.
Der
große Dichter Li Bai (701-762) kam insgesamt dreimal
zum „Jiuzishan“, wie der Berg damals hieß. Bei seinem
ersten Besuch, der in den Zeitraum 744-749 fiel, schlug er
in einem Vers vor, den Namen auf „Jiuhuashan“ zu ändern
– eine Bezeichnung, die sich schließlich einbürgerte
und bis heute in Gebrauch geblieben ist.
Li Bai
liebte es, im Berg zu wandern, seine Tempel und Aussichtspunkte
aufzusuchen. Im Teich der „Halle der Erhabenen Meditation“
habe er einst, so heißt es, seine Schreibpinsel gewaschen.
Und in eine strohgedeckte Hütte nahe dem Huacheng-Kloster
soll er sich zurückgezogen haben, um zu lesen und Gedichte
zu rezitieren. Nachfolgende Generationen errichteten an der
Stelle ein „Li-Bai-Studio“, das – in späteren Zeiten
zerstört – schon demnächst wiedererstehen wird,
um den Wanderer zu einer Rast einzuladen.
Jiuhuajie
und Huacheng-Kloster
Zum Zentrum
des Berges, Jiuhuajie, musste man früher über eine acht Kilometer
lange Steintreppe aufsteigen. Seit 1978 die Straße fertiggestellt
wurde, ist der Zugang viel bequemer geworden. Das Auto folgt
den rund 80 Serpentinen in die Höhe, vorbei an grünen
Hängen und Terrassenfeldern. Da und dort in die Landschaft
gesprenkelt, liegen Bauernhütten. Ehe wir uns versehen, haben
wir Jiuhuajie erreicht.
Jiuhuajie
ist malerisch in die Berglandschaft eingebettet. Bäche,
Felder, Bergpfade, kleine Bauerngehöfte, Klöster
und Tempel verleihen der Gegend ein typisch südchinesisches
Gepräge. Der älteste und bedeutendste buddhistische
Sakralbau ist das Huacheng-Kloster, eine besondere Weihestätte
des Bodhisattwa Ksitigarbha.
Schon
in der Östlichen Jin-Periode (317-420) hatte der Mönch
Bei Du seine Strohhütte hier errichtet. Mitte des 8. Jahrhunderts
(Tang-Dynastie) erbauten ein frommer Buddhist namens Zhuge
Jie und seine Freunde für Meister Qiao Jue das Huacheng-Kloster,
das später dem Bodhisattwa Ksitigarbha geweiht wurde.
In der Ming-Zeit wurde es generalrenoviert, und Kaiser Wan
Li schenkte der Klosterbibliothek ein Exemplar der „Diamantensutra“.
Im Jahre
1857 brannten die drei vorderen Hallen ab. Die heute vorhandenen
Bauten stammen aus der qingzeitlichen Regierungsperiode Guang
Xu (1857-1908), als das Kloster wiederaufgebaut wurde. Das
einzige aus der Ming-Dynastie erhaltene Gebäude ist die
Bibliothek, in der wertvolle buddhistische Schriften und kaiserliche
Dekrete aufbewahrt werden. Vor dem Kloster befindet sich der
mit Lotosblumen bepflanzte „Mondsichelteich“, in dem sich
Fische und Schildkröten tummeln.
Das Huacheng-Kloster
erstrahlt nach einer kürzlich vorgenommenen Renovierung in
neuem Glanz. Besucher sind willkommen. Sie werden feststellen,
dass auch sonst in Jiuhuajie großes Augenmerk auf die
Pflege und Verschönerung der Landschaft gelegt wird.
Der
Hundertjahrpalast und die Mönchsmumie
Die
ägyptischen Mumien sind seit langem weltberühmt. Nicht
allgemein bekannt ist, dass es auch am Jiuhuashan eine Mumie
gibt – den Leib von Mönch Wu Xia. Aufbewahrt wird er
im Baisuigong („Hundertjahrpalast“) auf dem Dongyan-Gipfel.
Beim
Aufstieg zum Baisuigong kommt man am Qiyuan-Kloster vorbei.
„Qiyuan“ ist die chinesische Bezeichnung für eine der heiligen
Stätten des Buddhismus in Indien, wo der Überlieferung
nach Schakjamuni einst zwanzig Jahre lang gepredigt hatte.
Das
Qiyuan-Kloster wurde in der Regierungsperiode Jia Jing (1522-1566)
der Ming-Dynastie gegründet und in der Qing-Dynastie um- und
ausgebaut. Es ist ein mächtiger, weitläufiger Gebäudekomplex
im Palasthallenstil. In der Nähe gurgelt ein Flüsschen,
nach hinten zu erhebt sich der Berg. Die prächtigen Hallen
sind mit glasierten Ziegeln gedeckt und innen mit Malereien
und Schnitzereien reich verziert. Eines der berühmtesten buddhistischen
Heiligtümer des Jiuhuashan, ist dieser Tempelkomplex zugleich
das heute am vollständigsten und besten erhaltene Chan-
(Zen-) Kloster. In der geräumigen Daxiong-Halle ziehen
vor allem die ebenmäßig aufragenden Buddhastatuen
den Blick des Eintretenden auf sich. An der Rückseite der
Halle befindet sich die „Meerinsel“, auf der Guanyin, die
Personifikation der Barmherzigkeit, thront. Das sieben Meter
hohe Schnitzwerk stellt in detailreichen Szenen Ereignisse
aus der buddhistischen Legendenüberlieferung dar.
Unser
nächstes Ziel: der „Hundertjahrpalast“. Der Weg führt
über eine etwa zwei Kilometer lange Steintreppe steil nach
oben. Auf eine Bergspitze gebaut, ragt das Tempelgehöft
– seit Jahrhunderten Wind und Wetter trotzend – eindrucksvoll
empor. Über dem Eingangstor hängt eine Tafel, deren
Inschrift von Li Yuanhong, einem Präsidenten der republikanischen
Periode, stammt.
Mönch
Yin Hui führt uns zur „Halle der fleischlichen Hütte“, wo
der mumifizierte Körper von Wu Xia aufbewahrt wird. Wie
in tiefe Meditation versunken, sitzt er mit unterschlagenen
Beinen auf einem Lotosthron. Der Körper ist im Lauf der
vielen Jahre geschrumpft. Er ist eine rote Mönchsrobe
gekleidet, auf dem Kopf sitzt eine Haube. Um die Mumie wurde
eine Vitrine gebaut, davor ist ein Vorhang angebracht.
Von Mönch
Yin Hui erfahren wir Näheres über Meister Wu Xia. Er
war der Gründer des Klosters Baisuigong. Aus einem kleinen
Ort nahe Beijing stammend, wanderte Wu Xia landauf und landab,
um berühmte Berge zu besuchen. In der Regierungsperiode Wan
Li (1573-1619) gelangte er zum Jiuhuashan und ließ sich
hier nieder. Sich Tag für Tag anstrengenden Meditationen und
Exerzitien unterwerfend, verbrachte er auf dem Dongyan-Gipfel
102 Jahre. Selbst als er starb, saß er kerzengerade
in der Lotosposition und rezitierte Sutren. Er erreichte ein
Alter von schätzungsweise 126 Jahren. Kurz vor seinem
Tod, wies er seine Schüler an, nach Ablauf von drei Jahren
seinen Sarg zu öffnen. Die Mönche taten wie geheißen
und fanden zu ihrem Erstaunen heraus, dass der Leichnam frisch
und unversehrt war. Er wurde mit Gold überzogen und zur Verehrung
aufgestellt. Der Name „Hundertjahrpalast“, erklärt uns
Yin Hui, beziehe sich auf den hundertjährigen Aufenthalt
Meister Wu Xias an diesem Ort.
Zuletzt
zeigt uns Yin Hui die Kaisersiegeln und ein wertvolles Exemplar
der Avatamsaka-Sutra. Mehr als 80 Bände umfassend, stamme
die hier aufbewahrte Abschrift, so erläutert uns der
Mönch, von Meister Wu Xia selbst. Der habe aus dem Blut
seines Fingers und Goldstaub eine Schreibflüssigkeit gemischt
und 38 Jahre mit dem Niederschreiben zugebracht. Die Handschrift,
schon mehrere Jahrhunderte alt, ist hervorragend erhalten.
Besonders bewundern wir die flüssig und klar gesetzten, wunderschön
kalligraphierten Schriftzeichen.
Tiantaifeng
– die „Himmelsterrasse“
Der Tiantaifeng
erhebt sich 1300 Meter über den Meeresspiegel und ist der
zweithöchste Gipfel des Jiuhuashan. Schon in alten Gedichten
wird seine Schönheit besungen. So beschließen auch
wir, den beschwerlichen und langen Aufstieg auf uns zu nehmen.
Am folgenden
Tag stehen wir zeitig auf, frühstücken herzhaft, versehen
uns mit Wanderstab und Wasserflasche und ziehen los. Der siebeneinhalb
Kilometer lange Weg ist durchgehend mit Steinplatten gepflastert.
(Es soll deren – zählt man die Steinplatten aller Wege
und Pfade des Jiuhuashan zusammen – 240 000 geben!) Wohl
verpflegt und die herrlich frische Bergluft tief einatmend,
schreiten wir wacker aus. Wir überqueren eine Erhebung und
gelangen zum Zhongminyuan. Es gibt hier über 20 buddhistische
Nonnenklöster. Da und dort sehen wir Nonnen an glasklaren
Bächen kauern und Wäsche waschen. Hier steht auch
die berühmte „Phönix-Kiefer“. Der mächtige Baum
ist bereits 1400 Jahre alt. Sein Name rührt von der weit ausladenden
Krone her, die im Wind wie ein tanzender Phönix schaukelt.
Ab Zhongminyuan
wird der Weg immer beschwerlicher, an manchen Stellen ist
er bis zu 70 Grad steil. Unsere Wanderstöcke und Wasserflaschen
kommen nun voll zur Geltung. Wie heißt es doch in einem
alten Vers:
Oben
Wolken den Berg
Durchschneidend,
Unten
der Berg Wolken
Speiend.
Nur das
Hallen von
Tempelglocken.
Berg
und Wolken nicht zu
unterscheiden.
Der Pfad
führt vorbei an hochaufragenden, seltsamen Bergwänden
und bizarr gezacktem Gefels – kaum dass wir uns stattsehen
können. Wir erreichen Baijingtai, die „Terrasse zur Verehrung
der Sutren“. An den Steinwänden sind mächtige Schriftzeichen
eingekerbt – kalligraphisches Graffito vergangener Zeiten.
Ein paar Dutzend Schritte weiter, und wir stehen auf der „Himmelsterrasse“.
Vor uns liegt ein prächtiges Bauwerk, das Wanfosi, Zehntausend-Buddha-Kloster.
Über dem Eingangstor prangt die Inschrift „Mitthimmelswelt“.
Auf einem riesigen Stein daneben wurden im 52. Jahr der Regierungsperiode
Kang Xi (1713; Qing-Dynastie) die Schriftzeichen eingekerbt:
„Nicht der Menschen Bereich“. Der Tempel, eine fünfstöckige
Holzkonstruktion, beherbergt neben den 10 000 Buddhafiguren,
die ihm den Namen gaben, zwei Glocken und eine Trommel. An
der Westseite befindet sich ein kleiner sechseckiger Pavillon,
genannt Pengriting, in dem eine vergoldete Bronzestatue von
Ksitigarbha aufgestellt ist. Daneben steht ein großes
Dreifußgefäß, das zum Abbrennen von Weihrauchstäbchen
dient.
Von der
Himmelsterrasse aus hat man einen großartigen Überblick.
Zu unseren Füßen breitet sich der Jiuhuashan aus, nur
der Shiwangfeng, der „Zehnköniggipfel“ (1342 m), reckt
sich in der Ferne noch höher als unser Standpunkt auf.
Vom Süden grüßt uns das Huangshan-Massiv, weit weg im
Norden können wir das silbrige Band des Changjiang (Yangtse)
ausmachen. Es hat gerade geregnet, sodass die Natur besonders
frisch ist, das Grün der Bäume noch saftiger glänzt.
Erst jetzt verstehen wir jene alten Gedichte, die die Schönheit
des Jiuhuashan besingen, in ihrer vollen Tiefe.
Heiliger
Ort des Buddhismus
Der Jiuhuashan
zählt neben dem Emeishan, dem Wutaishan und dem Putuoshan
zu den vier heiligen Bergen des Buddhismus in China. Das verdankt
er vor allem Jin Dizang, dessen Geschichte mir der stellvertretende
Leiter der Jiuhuashaner Gesellschaft der Buddhisten Ren De
darlegte.
Jin Dizang
(Dizang ist die chinesische Bezeichnung für Ksitigarbha) ist
die Ehrenbezeichnung, die einem Mönch des 8. Jahrhunderts
postum übertragen wurde. Dem koreanischen Königshaus
Jin entstammend, war er schon in jungen Jahren in ein Kloster
eingetreten, wo er den Mönchsnamen Qiao Jue erhielt.
Über das Meer kam er nach China. Er gelangte zum Jiuhuashan
und ließ sich auf dem Dongyan („Ostfels“) nieder. In
der Sammlung „Sämtliche Tang-Gedichte“ sind auch Verse
von ihm enthalten. Qiao Jue sollte den Jiuhuashan nicht mehr
verlassen. Er verbrachte seine Tage in Meditation und Versenkung.
Als Nahrung diente ihm mit etwas Reis vermischte Erde. Er
lebte hier 75 Jahre. In der Lotosstellung sitzend, verstarb
er 794 im hohen alter von 99 Jahren. Als man drei Jahre später
den Sarg öffnete, war der Leichnam frisch wie der Körper
eines Lebenden. Seine Gelenke erzeugten ein Geräusch,
das dem von geschüttelten Schlüsseln glich – buddhistischen
Schriften zufolge ein sicheres Kennzeichen dafür, dass es
sich um die Inkarnation eines Bodhisattwa handelt. Es fiel
die frappante Ähnlichkeit Qiao Jues mit dem Bodhisattwa
Dizang, i.e. Ksitigarbha, auf und fortan wurde er als Jin
Dizang bezeichnet. Über seinem Grab wurde die Dizang-Pagode
errichtet, und der Ruf des Jiuhuashan breitete sich über das
ganze Land aus.
Die Dizang-Pagode
befindet sich in der „Halle der Fleischlichen Hülle“ auf dem
Xishenguangling des Huacheng-Klosters. Die Halle ist ein pagodenförmiger
Tempelbau. Ursprünglich in der Tang-Dynastie im Jahre 797
errichtet, wurde sie 1866 (Qing-Dynastie) neu gebaut. Die
16 Meter hohe Konstruktion wird von Steinsäulen gestützt,
das geschwungene Dach ist mit prächtigen glasierten Ziegeln
gedeckt. Im Mittelpunkt der Halle steht der siebengliedrige
Rotholzbau der Dizang-Pagode. Sie ist mit Ksitigarbha-Figuren
und auf der Spitze mit einem goldgelben Baldachin geschmückt.
In seiner
Blütezeit als buddhistisches Heiligtum hatte der Jiuhuashan
300 Klöster und Tempel und 5000 Mönche. Heute bestehen
noch 78 derartige Bauwerke, in denen 120 Mönche und Nonnen
leben. Die vier berühmtesten Kultstätten sind Baisuigong,
Qiyuan-Kloster, Ganlu-Kloster und Dongyanchanlin („Ostfelskloster“).
Nach wie vor ist der Jiuhuashan ein Ziel buddhistischer Pilger,
besonders zahlreich kommen sie am Festtag Ksitigarbhas, dem
30. Tag des 7. Monats nach dem Mondkalender.
Aus „China im Aufbau“, Nr.
5, 1982