Dezember 2003
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Zwischen Wandel und Tradition: zum 850-jährigen Jubiläum der Hauptstadt Beijing

Von Lu Rucai

Mittlerweile sind es 850 Jahre her, seit Beijing 1153 zur Hauptstadt Chinas ausgerufen wurde.

Beijing ist eine traditionsreiche Stadt. In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts beschrieb sie der berühmte Essayist Lin Yutang, der auch im Westen ein hohes Renomee genießt, in einem Essay mit dem Titel Beijing, eine rührende Stadt als „rüstigen alten Menschen mit vornehmen Eigenschaften.“ Noch heute werden auf Baustellen in Beijing immer wieder Jahrhunderte oder gar Jahrtausende alte Tonwaren ans Tageslicht gebracht. In ihnen zeigt sich die glorreiche Vergangenheit und der tiefe geistige Gehalt dieser alten Stadt. Während der letzten 850 Jahre hat alles, was in dieser Stadt geleistet wurde – von der in der Jin-Dynastie (1115–1234) erbauten, heute noch funktionstüchtigen Lugou-Brücke (Marco-Polo-Brücke) über das mit blauen Blumen verzierte Porzellan der Yuan-Dynastie (1206–1368) bis zu den schlichten Wohnhöfen und prachtvollen Gärten und Palästen – sie zu einer Schatztruhe gemacht, die in der Kulturgeschichte der Welt einzigartig ist.

Beijing ist zwar das Regierungszentrum eines Landes, in dem die Volksgruppe der Han die überwiegende Mehrheit stellt. Zur Hauptstadt gemacht wurde es jedoch von einem Volk aus dem Norden, nämlich den Nüzhen. Auch während eines Großteils der darauf folgenden achteinhalb Jahrhunderte, in der Yuan- und der Qing-Dynastie, stammten die Herrscher aus im Norden des Landes lebenden Nomadengruppen. Dies verlieh der Stadt Toleranz und Offenheit. Sie nahm Kulturelemente verschiedener Nationalitäten auf, was sich sowohl in den Speisen, der Kleidung als auch in der Architektur und der Sprache niederschlug. Darüber hinaus kamen während dieser Zeit verschiedene Persönlichkeiten aus dem Westen, darunter Marco Polo, Matteo Ricci und Giuseppe Castiglione, nach Beijing, die abendländisches Wissen und westliche Technik vermittelten – von der Astronomie bis zur Malkunst. Später gelangten auf diesem Weg der Uhrenbau und die Fotografie nach China. Dass diese Neuheiten bald einen unentbehrlichen Bestandteil des Beijinger Kulturlebens bildeten, ist ein Beweis für die Aufnahmefähigkeit dieser alten Stadt.

Die Reform- und Öffnungspolitik der 80er und 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts trieb Beijings Offenheit in neue Höhen. Heute kommen zahlreiche ausländische Studenten zum Studium nach Beijing, und ausländische Unternehmen lassen sich in der Stadt nieder. Westliche Kultur- und Denkströmungen gelangen nach Beijing, was der Stadt ein multikulturelles Gepräge verleiht. „Beijing trägt bunte Farben, alte und neue. Es gibt die kaiserliche Farbe, die Farbe der alten Geschichte und die Farbe der mongolischen Steppe. … Die Stadt hat Tempel, alte Gärten, Pagoden. Um jeden Stein, jeden Baum und jede Brücke ranken sich historische Anekdoten.“ Die kulturelle Vielfalt, die Lin Yutang vor rund 70 Jahren mit diesen Worten beschrieb, wird heute immer wieder bestätigt.

Die gegenwärtige Stadtstruktur basiert auf dem unter dem Ming-Kaiser Yongle im 15. Jahrhundert ausgearbeiteten Bauplan. Die Stadt hat immer noch das Tor des Himmlischen Friedens zum Mittelpunkt, die Mittelachse blieb erhalten, und an den Ringstraßen stehen kreisförmige Stadtviertel. Die Straßen bilden auch heute noch ein Schachbrettmuster, so dass man sich nicht leicht verläuft. Während viele alte Wohnhöfe erhalten geblieben sind, entstehen in den östlichen Bezirken moderne Geschäftsviertel und das CBD (Central Business District). Im High-Tech-Park Zhongguancun im Nordwesten der Stadt zeigt die Stadt ein anderes Antlitz.

Unverändert bleibt Beijing im Kaiserpalast, im Sommerpalast, in den alten Gassen und Wohnhöfen, wo man die Spuren sieht, die Kaiser und einfache Stadtbewoner hinterlassen haben. In der Liulichang-Straße, wo Antiquitätengeschäfte stehen, kann man Jahrhunderte alte Kalligraphien, Bilderrollen und Gegenstände aus vergangenen Zeiten bestaunen und an den nächtlichen Garküchen traditionelle Imbisse kosten.   

Beijing diente von 1153 bis 1215 als „Mittlere Hauptstadt“ der Jin-Dynastie. Der vierte Jin-Kaiser gab 1151 seine „Obere Hauptstadt“ Huining (heute Acheng in der Provinz Heilongjiang) auf  und verlegte gegen den Widerstand seiner Minister die Hauptstadt nach Yanjing (ins heutige Beijing). An Beijing schätzte er die zentrale Lage, von der aus der Süden wie der Norden gut erreichbar waren. Für den Aufbau der Stadt wurden 1,2 Mio. Menschen eingesetzt, die Bauarbeiten dauerten zwei Jahre und wurden 1153 beendet. Die Mittlere Hauptstadt lag im südwestlichen Teil des heutigen Beijing. Sie war nicht einmal ein Drittel so groß wie Beijing heute. 

In der Jin-Dynastie wurde auch die Lugou-Brücke gebaut. Der italienische Reisende Marco Polo bezeichnete sie als „einzigartig auf der Welt“, weshalb sie im Westen besser unter dem Namen „Marco Polo-Brücke“ bekannt ist. Die Bauarbeiten an der Brücke wurden 1189 aufgenommen und zwei Jahre später abgeschlossen.  Sie ist  266,5 m lang und 9,3 m breit, und ihre Geländer sind mit 485 Löwen versehen, die verschiedene Gestalten haben und sehr lebendig wirken. Die Brücke war damals der einzige Zugang zur Mittleren Hauptstadt.

Unter dem Namen „Große Hauptstadt“ diente Beijing von 1272 bis 1368 als Regierungszentrum der Yuan-Dynastie, deren Herrscher aus dem mongolischen Grasland im Norden stammten. Bei ihrer Eroberung legten sie die Mittlere Hauptstadt der Jin-Dynastie in Schutt und Asche. Deswegen, aber auch weil es da an Wasser mangelte, beschlossen die Herrscher der Yuan-Dynastie, nordöstlich der Mittleren Hauptstadt eine eigene Hauptstadt, die „Große Hauptstadt“, zu bauen. In 18 Jahren (1267–1285) entstand eine Stadtanlage, die doppelt so groß war wie die Mittlere Hauptstadt. Der Palast bildete eine eigene Stadt in der Stadt und war Sperrgebiet für das einfache Volk, das zerstreut außerhalb der Kaiserstadt in einzelnen Wohnhöfen wohnte. Die Verbindungswege zwischen den Wohnhöfen bildeten die frühesten Gassen. In ihrer Blütezeit bevölkerten 400 000 bis 500 000 Einwohner die Große Hauptstadt der Yuan-Dynastie, und der belebte Handel machte sie zum Zentrum Chinas und zu einer Weltmetropole.  

In der Yuan-Dynastie war China das mächtigste und reichste Reich der Welt. Zu jener Zeit reisten westliche Gesandte, Kaufleute, Reisende und Missionare in die Große Hauptstadt. Der bekannteste war der italienische Missionar Marco Polo (1254–1324). Die Beschreibung der Großen Hauptstadt in seinem Reisebericht Die Wunder der Welt löste unter den Europäern große Bewunderung über die chinesische Zivilisation aus.

Den Namen „Beijing“, die „Nördliche Hauptstadt“, erhielt die Stadt erst 1421, in der Ming-Dynastie (1368–1644). Die Ming-Herrscher bauten Beijing auf der Grundlage der Großen Hauptstadt auf, doch in wesentlich größerem Umfang. Die Bauarbeiten dauerten 15 Jahre. Der Grundriss der neuen Stadt entsprach dem chinesischen Schriftzeichen , wobei die wichtigsten Gebäude auf einer 8 km langen Achse standen, in deren Mitte die Verbotene Stadt lag. Zu beiden Seiten der Achse waren die Gebäude symmetrisch angeordnet. Damals hatte die Stadt 20 Stadttore: die Innenstadt neun, die Außenstadt sieben und die Kaiserstadt vier. Die Tore wurden unterschiedlich benutzt: Beispielsweise wurde das „Tor des Sieges“ (Deshengmen) für die zurückkehrende siegreiche Armee geöffnet. In den Kampf schritten die Truppen durch das „Tor der Friedlichen Normalität“ (Andingmen). Das Beijing der Ming-Zeit legte die Grundlage für die heutige Stadt und bestimmte ihre Struktur.

China ist ein altes Agrarland, und in alter Zeit hing eine Ernte völlig von den Naturbedingungen ab. Damals galt der Himmel als alles beherrschende Gottheit. Um Frieden und Sicherheit für Land und Volk zu erbitten, ließen die Herrscher des chinesischen Mittelalters unzählige Tempel bauen, in denen Himmel und Erde geopfert wurde. Der Himmelstempel wurde in der Ming-Dynastie nach 14 Jahren Bauzeit im 18. Jahr der Regierungsdevise Yongle (1420) fertiggestellt. Er besetzt etwa 273 ha und ist damit mehr als doppelt so groß wie die Verbotene Stadt. In der Ming- und der Qing-Dynastie wurden hier jedes Jahr aufwändige Opfer- und Gebetszeremonien abgehalten.  

Ein weiterer Europäer, der neben Marco Polo die Beziehungen zwischen China und dem Westen prägte, war Matteo Ricci (1552–1610). Nach der Renaissance, als die westlichen Gesellschaften in der Entwicklung zum Kapitalismus begriffen waren, kam eine Reihe von Missionaren mit ihrer Glaubenslehre und neuer westlicher Technik und Wissenschaft nach China. In jener Zeit lehnte China den Handel mit dem Ausland ab, nahm jedoch Jesuiten wie Matteo Ricci auf, der aus Italien stammte und im 10. Jahr unter der Regierungsdevise Wanli der Ming-Dynastie (1582) in China ankam. Er überreichte wundersame Geschenke aus dem Westen, die am chinesischen Hof auf großes Interesse stießenHoJHHHH. Seine Ess- und Wohngewohnheiten und seine Umgangsformen wurden allmählich vollkommen sinisiert. Unter dem Vorwand der Vermittlung wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse betrieb er seine missionarische Tätigkeit und ließ die christliche Glaubenslehre in der geschlossenen Gesellschaft der Ming-Dynastie in aller Öffentlichkeit verbreiten.

Die Herrscher der Qing-Dynastie (1644–1911) übernahmen nahezu vollkommen die Hauptstadt der Ming-Dynastie einschließlich der Verbotenen Stadt, ohne große bauliche Änderungen vorzunehmen. Doch die Qing-Kaiser legten großen Wert auf den Bau von Residenzen in der Vorstadt für ihr eigenes Vergnügen und das ihrer Familien. So entstanden an drei Bergen und fünf Gärten (der Garten der Stille und des Lichts am Berg der Jadequelle, der Garten der Ruhe und der Angemessenheit am Duftenden Berg, der Sommerpalast am Berg der Langlebigkeit, der Garten des Langen Frühlings und der Alte Sommerpalast).

In der mittleren Periode der Qing-Dynastie entstand auch die Peking-Oper, die sich noch heute großer Beliebtheit erfreut. Was die Zuschauer bei der Peking-Oper am meisten beeindruckt, sind die hohe Stimmlage und die Gesichtsmasken der Schauspieler. Eine Besonderheit der Peking-Oper ist die schablonenhafte Darstellung. Die Art und Weise, Gefühle wie Freude und Zorn auszudrücken, bestimmte Handlungen, wie das Türöffnen und -schließen, Reiten oder das Sitzen in der Sänfte, sind schematisch festgelegt. Auch die Gesichtsfarben haben eine symbolische Bedeutung: Rot steht für Tapferkeit, Schwarz für gerade Charakterzüge und Weiß für Hinterlistigkeit.

Das Qipao, das chinesische Etuikleid: Dabei handelt es sich ursprünglich um ein Damenkleid der mandschurischen Nationalität mit enger Taille, geradem Schnitt, breiten Ärmeln und  bis zum Knöchel reichend. Später wurde unter dem Einfluss westlicher Frauenkleidung die Länge bis auf die Knie gekürzt, und durch die enge Taille wurde die Figur betont. Heute gibt es auch ärmellose Varianten, die den Charme einer Frau noch deutlicher zum Ausdruck bringen.

Giuseppe Castiglione (1688–1766): Als erster hat er die Kunst des westlichen Ölgemäldes am Hof von Kaiser Kangxi eingeführt. Da er sich der Autorität des chinesischen Kaisers fügte, wurde er zum Hofmaler bestellt. Seine Gemälde haben wegen der gelungenen Kombination von gehobener westlicher und traditioneller chinesischer Malkunst einen hohen künstlerischen Wert.

Die Hauptstadt des Neuen China (1949–heute): Als es darum ging, einen Ort für die Hauptstadt des Neuen China zu bestimmen, war Mao Zedong einer Meinung mit Wang Jiaxiang, der das Amt für Städteverwaltung im Parteibüro für den Nordosten innehatte. Bei ihrer Auswahl schlossen sie Kaifeng, Xi’an und Nanjing aus, die anderen historischen Hauptstädte. Schließlich entschieden sie sich für Beijing als Hauptstadt des Neuen China.  

Edgar Snow (1905–1972), ein Feldjournalist aus den USA, berichtete von der Front über den von der KP Chinas geführten revolutionären Krieg. Mit seinem Buch Red Star over China lieferte er eine objektive und korrekte Berichterstattung über die KP China. Nach der Gründung der VR China besuchte er das Land zweimal, leitete Chinas Einladung an Nixon weiter und leistete einen wichtigen Beitrag zur chinesisch-amerikanischen Freundschaft.

Eine Metropole der Offenheit: In Beijing gibt es heute 13 000 Unternehmen mit ausländischem Kapitalanteil, von den weltweit 500 Top-Unternehmen haben 150 Investitionsprojekte in Beijing lanciert. 35 000 Studenten aus aller Welt studieren an Beijinger Hochschulen und machen den Eindruck, als ob ein internationaler Chor hier sänge.

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