Parkplatzprobleme in den Großstädten
Han
Zhendong ist ein einfacher Angestellter aus Beijing. Vor drei
Jahren kaufte er sich ein Auto, was ihm das Leben in mancher
Hinsicht viel einfacher machte. Aber seine Freude währte
nicht lange. Bald musste er nämlich feststellen, dass
es sehr schwierig ist, für sein Auto einen Parkplatz zu finden!
Zur Zeit gibt es in Beijing mehr als 2 Mio. Motorfahrzeuge,
es stehen jedoch nur gut 600 000 Parkplätze zur Verfügung.
Han Zhendong ist damit einer von 1,4 Mio. Autobesitzern ohne
Abstellplatz. In den letzten Monaten verteilte ihm die Polizei
bereits neun Strafpunkte wegen unerlaubten Parkens. Noch drei
Punkte, und sein Führerschein wird eingezogen!
Han wohnt in einem Viertel, das in den 80er
Jahren des letzten Jahrhunderts gebaut wurde. Da damals erst
wenige Familien ein Auto besaßen, gab es noch keine
behördlichen Bestimmungen über Parkeinrichtungen in einer
Wohnsiedlung. „In den letzten zwei Jahren ist der öffentliche
Raum in unserem Wohnviertel nach und nach von Autos besetzt
worden“, erzählt Han. „Es gibt fast keinen Platz mehr
für Betätigungen im Freien. Das Parkplatzproblem hat
häufig zu Streit zwischen den Nachbarn geführt. Manchmal
kann ich morgens nicht zur Arbeit fahren, weil mir ein anderes
Auto den Weg versperrt. Dann muss ich im Hof laut nach dem
Besitzer rufen, damit er seinen Wagen wegstellt. Das vergeudet
nicht nur meine Zeit, sondern verdirbt mir auch die Laune.“
In der Tat gibt es in Beijing viele Wohnviertel wie dasjenige,
in dem Han Zhendong wohnt. „Ich habe gehört, dass manche
Einwohner aus Ärger einige Autos in ihren Wohnvierteln
zerschlagen haben, weil der Hof vollgestellt war“, fügt Han
ziemlich besorgt hinzu.
Natürlich
ist Han Zhendong nicht der einzige, der sich solche Sorgen
macht, und das Platzproblem beschränkt sich auch nicht
auf Beijing. In anderen Großstädten, wie Shanghai,
Guangzhou oder Chongqing, herrscht ebenfalls ein großer
Mangel an Parkplätzen. Früher kannten die Chinesen Parkplatzprobleme
nur aus Zeitungsberichten über Tokio, Hong Kong usw. Doch
heute können sie sie vor ihrer eigenen Tür erleben.
In Shanghai beträgt die Zahl der öffentlichen
Parkplätze zur Zeit nur 2% der Motorfahrzeuge, was deutlich
unter dem internationalen Standard liegt. In Hangzhou, der
Hauptstadt der Provinz Zhejiang, kommen auf einen Parkplatz
ungefähr drei Motorfahrzeuge. In Chongqing, einer der
vier regierungsunmittelbaren Städte Chinas, ist das Problem
noch gravierender. Hier liegt das Verhältnis bei 13:1.
Nach statistischen Angaben teilen sich in den chinesischen
Großstädten durchschnittlich fünf Motorfahrzeuge
einen Parkplatz.
Die Zeitung Southern Metropolis News
(Nanfang Dushi Bao) befragte städtische Autobesitzer
dazu, was sie am meisten verdrießt. 63% nannten die
Schwierigkeiten beim Parken und die hohen Parkgebühren als
größtes Ärgernis.
Hindernis für die Entwicklung der Automobilindustrie
Dank
der raschen wirtschaftlichen Entwicklung können sich
immer mehr Chinesen ein Privatauto leisten. Statistiken zufolge
gibt es heute in China mehr als 10 Mio. Privatwagen, und jährlich
werden es 20–30% mehr.
Nirgendwo auf der Welt stehen mehr Automobilfabriken
als in China. Das Land ist gerade dabei, eine Entwicklungsstrategie
für seine Automobilindustrie auszuarbeiten, die ihm in Zukunft
eine Stellung als wichtiger Autoproduzent sichern soll.
„Die Parkplatzprobleme beeinträchtigen
die Entwicklung der chinesischen Automobilindustrie“, warnen
manche Experten. Zwar rechnen sie weiterhin mit einer explosiven
Zunahme auf dem chinesischen Fahrzeugmarkt. Das Auto werde
ein neuer Wachstumsfaktor für den Konsum der städtischen
Bewohner sein, aber der Mangel an Parkplätzen wirke bereits
jetzt als Flaschenhals, der den Autoabsatz und die Entwicklung
der chinesischen Automobilindustrie einschränke.
Berichten
zufolge verzeichnete der Autohandel in der Stadt Guangzhou
in der ersten Hälfte dieses Jahres nur geringe Umsätze.
Inzwischen wurden erst rund 30 000 Fahrzeugkennzeichen gelöst.
In der Branche macht man hauptsächlich die wenigen Parkplätze
und die teuren Parkgebühren für die laue Nachfrage auf dem
Automarkt in Guangzhou verantwortlich.
Auch in Shanghai schrecken die Parkplatzprobleme
einfache Familien ab, ein Auto zu erwerben. Manche Großunternehmen
in Chinas größter Stadt ermuntern ihre Arbeiter
und Angestellte zum Kauf eines Wagens. Aber wo sollen sie
ihr Auto abstellen, wenn in ihrem Viertel keine Parkplätze
vorhanden sind?
Warum ist es so schwierig, einen Parkplatz
zu finden?
„Es gibt viele Faktoren, die zu den Parkplatzproblemen
geführt haben. Schuld tragen nicht zuletzt die zuständigen
Behörden, weil sie es an Weitblick mangeln ließen.
Die Entwicklung war vorauszusehen“, räumt Liu Xiaoming,
der Stellvertretende Leiter der Verkehrskommission der Stadt
Beijing, freimütig ein.
In den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts
rechneten die Behörden Beijings für das Jahr 2000 mit
700 000 bis 800 000 Motorfahrzeugen. In der Tat jedoch erreichte
diese Zahl 1,5 Mio., das Doppelte. Wegen der Fehlberechnungen
widmeten die zuständigen Stellen dem Parkplatzproblem
nicht die nötige Aufmerksamkeit. Deshalb hinkt die Planung
der Parkeinrichtungen üblicherweise der Realität hinterher.
Dass die Zahl der Parkeinrichtungen mit
dem Wachstum der Motorfahrzeuge nicht mithält, ist einer
der Gründe für die heutigen Parkplatzprobleme. Ein anderer
wichtiger Grund liegt in den teilweise hohen Parkgebühren.
Sie haben in gewissem Maße dazu geführt, dass die Auslastung
der wenigen vorhandenen Parkplätze nicht hoch ist.
Das Parkhaus der Beijinger Ausstellungshalle
z. B. ist zweistöckig und bietet mehr als 1000 Abstellplätze.
Aber es wird nur dürftig benutzt. Jeden Tag sind mindestens
zwei Drittel der Parkplätze frei. Dagegen sind die lediglich
158 Felder des Parkplatzes unter dem Tianyi-Engrosmarkt, der
nicht weit von der Beijinger Ausstellungshalle liegt, sehr
gefragt. Laut Wu Zengyou, dem Leiter der Gebäudeverwaltung
des Tianyi-Engrosmarkts, ist der Parkplatz an Werktagen von
10.00 bis 16.00 und am Wochenende ab 9 Uhr vormittags voll
besetzt.
„Die Gebühr auf dem Tianyi-Parkplatz beträgt
zwei Yuan pro Stunde, vor 21.00 höchstens zehn und für
den ganzen Tag höchstens 20 Yuan. Das Parkhaus der Beijinger
Ausstellungshalle hingegen erhebt wie die meisten Parkhäuser
fünf Yuan pro Stunde“, so Wu Zengyou.
Fast 20% der Befragten gaben in einer Umfrage
an, die Gebühr von fünf Yuan pro Stunde sei zu hoch. So ziehen
es manche vor, ihr Auto illegal an der Straße zu parken,
wenn sie keinen billigen Parkplatz finden können.
Die Polizei bringt diesen Leute in gewissem
Maße Verständnis entgegen und drückt manchmal auch
ein Auge zu, wenn jemand regelwidrig parkt. Ansonsten aber
sind die Bußen in der Höhe von 100 bis 200 Yuan
für durchschnittlich verdienende Autobesitzer durchaus schmerzhaft.
Den Parkhausbau für ausländische
Investitionen öffnen
Liu Xiaoming meint: „Erst wenn der Bau von
Parkhäusern gewinnbringend ist, kann Kapital aus der
Gesellschaft angezogen werden. Um das zu verwirklichen, sollte
man in erster Linie die Hebelwirkung des Marktpreises voll
ausnützen.“ Seiner Meinung nach muss man vor allem den Bau
von Parkplätzen durch Gewinnbeteiligung beschleunigen
und die Auslastung der vorhandenen Parkplätze erhöhen,
um Chinas Parkplatzproblem zu lösen.
Die Investoren müssten aus verschiedenen
Bereichen kommen, fordert Liu. Es gelte, mit Vorzugsmaßnahmen
Investoren aus allen Kreisen der Gesellschaft anzuwerben,
damit sie sich über verschiedene Kanäle und auf verschiedene
Arten am Aufbau einer öffentlichen Parkplatzinfrastruktur
beteiligen könnten. Man müsse das herkömmliche Investitionssystem,
das nur von öffentlichen Geldern getragen wurde, ändern.
In mehr als zehn Jahren Marktwirtschaft
haben sich die Chinesen daran gewöhnt, wirtschaftliche
Probleme nicht mehr durch Verwaltungsmaßnahmen, sondern
mit Marktmechanismen zu lösen.
In Beijing bereitet die städtische
Verkehrskommission eine Verordnung vor, die gemäß
den internationalen Gepflogenheiten die Gebühren für Straßenparkplätze
erhöhen wird, um die Autofahrer dazu zu bewegen, ihr
Fahrzeug dort nur vorübergehend stehen zu lassen und für längere
Zeit die regulären, überdachten Parkplätze zu benutzen.
Gleichzeitig ist vorgesehen, den Investoren und Betreibern
ein Mitspracherecht auf die Festsetzung der Preise zu gewähren.
„Wenn diese zwei Maßnahmen umgesetzt
werden, wird der Parkplatzbau in Beijing eine lukrative Angelegenheit
werden“, ist Liu überzeugt.
Liu rechnet Folgendes grob vor: 2008 werde
die Zahl der Motorfahrzeuge in Beijing, die einen Parkplatz
benötigen, mindestens 2 Mio. erreichen. Selbst bei einer
Mindestparkgebühr von drei Yuan pro Tag ergäben sich
Einnahmen von 6 Mio. Yuan täglich, das seien auf das
ganze Jahr gerechnet mehr als 20 Mrd. Yuan. Für das ganze
Land liege diese Summe noch viel höher.
Zuletzt fügt Liu an, dass alle Hindernisse
für den Zugang des gesellschaftlichen Kapitals zum Aufbau
der Parkplätze in Beijing beseitigt seien. Ausländische
Investoren würden ganz gleich wie die inländischen behandelt
werden.