Deutschlerner
in China
Von
Olivier Roos
Die Zahl der Chinesinnen
und Chinesen, die in ihrem Land Deutsch lernen, ist in den
letzten Jahren rasant gestiegen. In erster Linie sind es Studierende,
die sich auf ein Auslandsstudium vorbereiten. Allein von 1997
bis 2000 stieg die Anzahl der chinesischen Studenten in Deutschland
um 87 Prozent. Seither stellen sie den höchsten Anteil
unter den Auslandsstudenten. Im Wintersemester 2001/02 waren
offiziell 13 500 Chinesen an deutschen Unis eingeschrieben,
hinzu kommen etwa siebentausend chinesische Sprachschüler. Und die Entwicklung
setzt sich ungebrochen fort.
Was ist es denn, das junge Chinesinnen und
Chinesen zu Zehntausenden veranlasst, sich mit dem Formenreichtum
deutscher Wörter herumzuschlagen? Zum Studieren ist Deutschland
zunächst einmal wegen der fehlenden Studiengebühren attraktiv,
wie mancher Sprachschüler unumwunden zugibt. Doch für die
wenigsten ist es die erste Wahl. Traumland sind noch immer
die USA, gefolgt von anderen englischsprachigen Staaten wie
Australien, Kanada und Großbritannien. Eine Umfrage
des Chinesisch-Deutschen Hochschulkollegs (CDHK) unter Mittelschülern
in Shanghai ergab, dass zwei Drittel derzeit ein Studium im
Ausland anstreben, doch nur jeder dritte Schüler an Deutschland
als Studienort interessiert ist. Deutschland rangierte auf
dem fünften Platz, vor Frankreich und Japan. Die Wahl des
Studienlands korrelierte mit der in der Schule erlernten Fremdsprache,
wobei die englische Sprache eindeutig dominierte. Deshalb
wurde auch nach der Bereitschaft der Schüler gefragt, eine
zweite Fremdsprache zu lernen. 96 Prozent der Schüler halten
eine zweite Fremdsprache für wünschenswert, wobei 34 Prozent
gerne Französisch und 29 Prozent Japanisch lernen würden.
Nur 22 Prozent sprachen sich hingegen für Deutsch als zweite
Fremdsprache aus.
Nur wenige entschließen sich für ein
Studium in Deutschland, weil sie ein besonderes Interesse
für das Land hegen. Für die meisten chinesischen Studenten
bleibt das Studium im Ausland ein Intermezzo, das ihnen bei
der Rückkehr bessere berufliche Aussichten bietet. „Ich möchte
im Ausland lernen und Erfahrung sammeln, und dann wieder nach
China zurückkehren“, meint Zhang Wei, der im Beijinger Fremdspracheninstitut
einen Intensivkurs belegt. „Ich glaube, das Leben in China
ist angenehmer als in Deutschland.“
Fleiß, Effizienz, Organisiertheit
– dies sind die häufigsten, durchaus positiv gemeinten
Antworten, die chinesische Studenten auf die Frage geben,
welche Begriffe sie mit den Deutschen verbinden. Respekt empfinden
sie vor ihrem künftigen Gastland, aber kaum Sympathie. Doch
vor Ort kann sich dies schon mal ändern. Seit über einem
Jahr ist der 21-jährige Zhao Yi in Deutschland. Er studiert
Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt und ist positiv überrascht
von den Deutschen. Während seines Sprachkurses in Beijing
hatte er sich dieses Volk noch ganz anders vorgestellt, nämlich
ernsthaft, distanziert und mit wenig Humor: „Ich hatte ein
bisschen Angst, bevor ich nach Deutschland kam. Aber ich habe
viele nette, lustige Leute getroffen.“
Die Attraktivität eines Gratisstudiums
an einer deutschen Universität – nach Angaben des Deutschen
Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gingen bei deutschen
Universitäten im vergangenen Jahr allein 70 000 Bewerbungen
aus China ein – hat in jüngster Zeit jedoch auch eine ganze
Reihe von Studenten nach Deutschland geführt, die nicht über
die nötigen Fähigkeiten für ein Hochschulstudium
verfügten. Einzelne Hochschulen in Deutschland erwogen im
vergangenen Jahr deshalb sogar, einen generellen Aufnahmestopp
für Chinesen zu verhängen. Viele chinesische Studenten
vertrauen sich einer Vermittlungsagentur an, um einen Studienplatz
in Deutschland zu bekommen. Vermittlungsagenturen verdienen
sich eine goldene Nase am Wunsch mancher Eltern, ihr Kind
an eine ausländische Universität zu schicken. Diese
sind bereit, viel Geld in die Ausbildung ihres Nachwuchses
zu stecken. Kein Wunder, dass auch manche dubiose Firma im
Geschäft mitmischt.
Wegen der ständig steigenden Zahlen
chinesischer Studieninteressierter, v. a. aber weil der Anteil
gefälschter bzw. gekaufter Hochschuldokumente stark gestiegen
ist, richtete die deutsche Botschaft im Sommer 2001 die „Akademische
Prüfungsstelle“ (APS) ein, welche in einem ca. 20 minütigen
Interview feststellen soll, ob der Kenntnishintergrund des
Bewerbers den vorgelegten Dokumenten entspricht. Daneben wird
das Niveau der Sprachkenntnisse festgestellt. Damit, hofft
man in den Bildungsministerien der beiden Länder, wird
die Glaubwürdigkeit der chinesischen Auslandsstudenten wieder
hergestellt werden.