Februar 2003
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Sonderberichte

Deutschlerner in China

Von Olivier Roos

Die Zahl der Chinesinnen und Chinesen, die in ihrem Land Deutsch lernen, ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. In erster Linie sind es Studierende, die sich auf ein Auslandsstudium vorbereiten. Allein von 1997 bis 2000 stieg die Anzahl der chinesischen Studenten in Deutschland um 87 Prozent. Seither stellen sie den höchsten Anteil unter den Auslandsstudenten. Im Wintersemester 2001/02 waren offiziell 13 500 Chinesen an deutschen Unis eingeschrieben, hinzu kommen etwa siebentausend chinesische Sprachschüler. Und die Entwicklung setzt sich ungebrochen fort.

Was ist es denn, das junge Chinesinnen und Chinesen zu Zehntausenden veranlasst, sich mit dem Formenreichtum deutscher Wörter herumzuschlagen? Zum Studieren ist Deutschland zunächst einmal wegen der fehlenden Studiengebühren attraktiv, wie mancher Sprachschüler unumwunden zugibt. Doch für die wenigsten ist es die erste Wahl. Traumland sind noch immer die USA, gefolgt von anderen englischsprachigen Staaten wie Australien, Kanada und Großbritannien. Eine Umfrage des Chinesisch-Deutschen Hochschulkollegs (CDHK) unter Mittelschülern in Shanghai ergab, dass zwei Drittel derzeit ein Studium im Ausland anstreben, doch nur jeder dritte Schüler an Deutschland als Studienort interessiert ist. Deutschland rangierte auf dem fünften Platz, vor Frankreich und Japan. Die Wahl des Studienlands korrelierte mit der in der Schule erlernten Fremdsprache, wobei die englische Sprache eindeutig dominierte. Deshalb wurde auch nach der Bereitschaft der Schüler gefragt, eine zweite Fremdsprache zu lernen. 96 Prozent der Schüler halten eine zweite Fremdsprache für wünschenswert, wobei 34 Prozent gerne Französisch und 29 Prozent Japanisch lernen würden. Nur 22 Prozent sprachen sich hingegen für Deutsch als zweite Fremdsprache aus.

Nur wenige entschließen sich für ein Studium in Deutschland, weil sie ein besonderes Interesse für das Land hegen. Für die meisten chinesischen Studenten bleibt das Studium im Ausland ein Intermezzo, das ihnen bei der Rückkehr bessere berufliche Aussichten bietet. „Ich möchte im Ausland lernen und Erfahrung sammeln, und dann wieder nach China zurückkehren“, meint Zhang Wei, der im Beijinger Fremdspracheninstitut einen Intensivkurs belegt. „Ich glaube, das Leben in China ist angenehmer als in Deutschland.“

Fleiß, Effizienz, Organisiertheit – dies sind die häufigsten, durchaus positiv gemeinten Antworten, die chinesische Studenten auf die Frage geben, welche Begriffe sie mit den Deutschen verbinden. Respekt empfinden sie vor ihrem künftigen Gastland, aber kaum Sympathie. Doch vor Ort kann sich dies schon mal ändern. Seit über einem Jahr ist der 21-jährige Zhao Yi in Deutschland. Er studiert Betriebswirtschaftslehre in Frankfurt und ist positiv überrascht von den Deutschen. Während seines Sprachkurses in Beijing hatte er sich dieses Volk noch ganz anders vorgestellt, nämlich ernsthaft, distanziert und mit wenig Humor: „Ich hatte ein bisschen Angst, bevor ich nach Deutschland kam. Aber ich habe viele nette, lustige Leute getroffen.“

Die Attraktivität eines Gratisstudiums an einer deutschen Universität – nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) gingen bei deutschen Universitäten im vergangenen Jahr allein 70 000 Bewerbungen aus China ein – hat in jüngster Zeit jedoch auch eine ganze Reihe von Studenten nach Deutschland geführt, die nicht über die nötigen Fähigkeiten für ein Hochschulstudium verfügten. Einzelne Hochschulen in Deutschland erwogen im vergangenen Jahr deshalb sogar, einen generellen Aufnahmestopp für Chinesen zu verhängen. Viele chinesische Studenten vertrauen sich einer Vermittlungsagentur an, um einen Studienplatz in Deutschland zu bekommen. Vermittlungsagenturen verdienen sich eine goldene Nase am Wunsch mancher Eltern, ihr Kind an eine ausländische Universität zu schicken. Diese sind bereit, viel Geld in die Ausbildung ihres Nachwuchses zu stecken. Kein Wunder, dass auch manche dubiose Firma im Geschäft mitmischt.

Wegen der ständig steigenden Zahlen chinesischer Studieninteressierter, v. a. aber weil der Anteil gefälschter bzw. gekaufter Hochschuldokumente stark gestiegen ist, richtete die deutsche Botschaft im Sommer 2001 die „Akademische Prüfungsstelle“ (APS) ein, welche in einem ca. 20 minütigen Interview feststellen soll, ob der Kenntnishintergrund des Bewerbers den vorgelegten Dokumenten entspricht. Daneben wird das Niveau der Sprachkenntnisse festgestellt. Damit, hofft man in den Bildungsministerien der beiden Länder, wird die Glaubwürdigkeit der chinesischen Auslandsstudenten wieder hergestellt werden.

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