Acht
Kriminalstorys aus dem Alten China
Der
Mord an dem Seidenhändler Liu (Teil 2)
Er schritt zügig aus, das Laub raschelte unter
seinen Füßen, ein böiger Wind kam auf, er freute sich
auf seine Hütte. „Schon ganz schön kalt“, sagte er zu sich
selbst, „aber warte nur, gleich gibt es ein warmes Süppchen, und
dann wickeln wir uns in die Decke und schmauchen ein Abendpfeifchen.“
Zhang San hatte die Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen.
Plötzlich wirbelte ein scharfer Windstoß
Blätter und Sand auf, und als Zhang mit einer Hand seine Augen
schützen wollte, kullerte der Topf auf den Boden. Der weiche Sand
auf dem Weg und das Laub fingen den Stoß jedoch auf, der Topf
blieb heil. Doch was war das? War da nicht eine Stimme? Angestrengt
lauschte Zhang in den vom Rascheln der Blätter erfüllten Abend,
und wieder hörte er eine schwache Stimme. Er glaubte die Worte
„Oh meine Hüfte“ verstanden zu haben. Angstschweiß trat auf
seine Stirn. Nie hatte er sich darum gekümmert, wie man sich bei
einer Begegnung mit Geistern verhält. „Nichts wie weg!“, sagte
er laut, und dann lief er so schnell seine alten Beine es schafften.
Noch einmal meinte er die Stimme zu hören, aber nun war schon
seine Hütte sichtbar, und keuchend stürzte er auf sie zu. Er verriegelte
die Tür, erschöpft fiel er auf sein Lager.
„Alter Onkel, hab keine Angst vor mir.“ Zhang
San war beinahe eingeschlafen, als er deutlich diese Worte vernahm.
Sofort war er wieder hellwach. Nein, es war keine Täuschung,
es war dieselbe Stimme, oder sollte er plötzlich verrückt geworden
sein?
„Wer bist du? Wo bist Du? Was willst du von mir?“,
fragte er, sich auf seinem Lager aufrichtend.
„Keine Angst“, war die Stimme wieder zu hören,
„ich bleibe im Topf.“
Zhang San inspizierte den mitgebrachten Topf.
Er war leer und sah aus wie tausend andere Töpfe. „Das soll
einer verstehen“, fing er wieder eines seiner Selbstgespräche
an, „sagt, ich bleibe im Topf, und der Topf ist leer. Wenn ich nicht
verrückt geworden bin, bleibt also nur die Möglichkeit, dass
ein Geist mit mir redet.“ Merkwürdig, dachte er, die Angst ist verflogen.
Jetzt will ich aber doch wissen, was für ein Geist das ist und was
er von mir willü
Als ob der Unsichtbare hatte Gedanken lesen können,
kam auch schon die Antwort: „Weißt du, ich bin noch nicht
lange ein Geist. Bis vor kurzem war ich der Seidenhändler Liu
Shichang aus dem Kreis Babao in der Provinz Jiangsu. Vor einigen
Wochen bin ich in eure Gegend gekommen. Die Geschäfte gingen
gut, und so wollte ich schnell wieder nach Hause, um neue Ware zu
holen. Am letzten Tag meines Lebens suchte ich mal wieder ein Quartier,
und man wies mich zu Zhao Da, weil der in seinem Haus viel Platz
hat. Ich fand den Hausherrn und seine Frau eigentlich nett. Meine
Menschenkenntnis, auf die ich mir immer soviel eingebildet habe,
hat mich hier aber gründlich verlassen. Vielleicht war ich auch
nur zu müde. Jedenfalls habe ich die Nacht in diesem Haus nicht
überlebt.“
Atemlos lauschte Zhang San der Stimme, die über
die Maßen traurig klang. „Was ist passiert?“, fragte er, „Zhao
Da hat dich doch wohl nicht umgebracht?“
„Doch“, sagte die Stimme, „zusammen mit seiner
Frau. Sie haben mich erwürdigt, als ich fest schlief. Dann haben
sie meine Leiche mit einer Häckselmaschine zerkleinert und
mit Tonerde vermischt. Noch in derselben Nacht haben sie daraus
Töpfe gebrannt. So ist der Liu Shichang, der ich gewesen bin,
spurlos verschwunden. Niemand weiß, dass ich gestorben bin.
Meine Mutter, meine Frau und mein dreijähriger Sohn warten
immer noch auf meine Rückkehr. Wie soll meine Seele da Ruhe finden?“
Zhang Sa lief es kalt über den Rücken. „Das ist
ja fürchterlich“, sagte er, „absolut entsetzlich. Dieser Zhao Da!
Spielt den freundlichen Gastgeber und erwürgt seinen Gast im Schlaf.
Wir müssen uns unternehmen, aber was? Keine Leiche, kein Mord, so
heißt es.“
Die Stimme unterbrach ihn. Sie kam aus der Ecke,
wo der Topf stand. „Ich habe viel von einem Kreisrichter Bao Gong
gehört. Er ist in eurer Gegend hier berühmt für seine Gerechtigkeit
und Strenge. Du kannst ihn in Dingyuan antreffen. Hilf mir bitte,
dass der Mord an mir gerächt wird. Anders finde ich niemals
Ruhe.“
Nach diesen Worten hörte Zhang San nur noch
ein herzerweichendes Schluchzen. Er beschloss, gleich am nächsten
Tag in die Kreisstadt zu gehen und den Richteer aufzusuchen. Und
den sprechenden Topf würde er als Beweis natürlich mitnehmen.
Noch vor Tagesanbruch macht er sich auf den Weg.
In Dingyuan war, als er ankam, sogar das Stadttor noch geschlossen,
und sowie das Tor geöffnet wurde, eilte er zum Gerichts- und
Amtssitz, dem Yamen, und wurde auch bald zum Kreisrichter vorgelassen.
Er stellte den Topf auf den Boden, kniete vor Bao Gong nieder, und
auf die Frage, was er vorzubringen habe, sagte er:
„Herr Kreisrichter, Zhao Da in Dongtawan ist ein
Mörder, das hat mir dieser Topf hier gesagt, denn die Seele
des Ermordeten steckt darin. Deshalb habe ich den Topf als Beweis
gleich mitgebracht.“
Bao Gong musterte den seltsamen Besucher, der
ihm einigermaßen wirr im Kopf zu sein schien. „Ihr behauptet
also, dieser Topf könne sprechen“, sagte er schließlich.
„Dann wollen wir doch mal hören, was er uns zu sagen hat.“
Der Topf jedoch blieb stumm, auch mehrfaches Anrufen brachte ihn
nicht zum Sprechen. „Dann geht mal besser wieder brav nach Hause“,
bemerkte Bao Gong, „und ruht euch aus.“ Zhang San nahm den Topf,
machte vor Richter Bao eine tiefe Verbeugung und verließ bedrückt
den Yamen.
Draußen vor dem Tor setzte er sich nieder.
Was sollte er nun machen? Warum hatte sich die Stimme nicht gemeldet?
Er richtete die Frage an den Topf: „Weshalb bist du eben im Gerichtssaal
stumm geblieben wie ein Fisch? Nun glaubt der Richter bestimmt,
der alte Zhang San habe sein ganzes Gehirn schon aufgebraucht und
nur noch Unsinn im Kopf. Also sag was!“
„Es tut mir leid“, war die Stimme jetzt wieder
zu vernehmen, „aber ich war nicht im Gerichtssaal. Du hat nur den
Topf mitgenommen, meine Seele musste draußen bleiben.“
„Aber warum?“, fragte Zhang.
„Weil am Tor des Yamen der Türgott Wache hält,
und der lässt keine körperlosen Seelen durch.“
Zhang überlegte hin und her. Nie hätte er
es für möglich gehalten, dass der Türgott, dessen Bildnisse
an vielen Toren und Hauseingängen hingen, eine solche Macht
hat. Er wusste keinen Ausweg. Doch vielleicht käme den Richter
eine gute Idee. Er würde ihm jedenfalls den Sachverhalt vortragen,
und dann sähe man weiterü
(Fortsetzung)
Von Hu Ben
Herausgegeben vom Verlag
für fremdsprachige Literatur Beijing
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