Inhalt von Dezember 2001
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Acht Kriminalstorys aus dem Alten China

Der Mord an dem Seidenhändler Liu (Teil 2)

Er schritt zügig aus, das Laub raschelte unter seinen Füßen, ein böiger Wind kam auf, er freute sich auf seine Hütte. „Schon ganz schön kalt“, sagte er zu sich selbst, „aber warte nur, gleich gibt es ein warmes Süppchen, und dann wickeln wir uns in die Decke und schmauchen ein Abendpfeifchen.“ Zhang San hatte die Angewohnheit, Selbstgespräche zu führen.

Plötzlich wirbelte ein scharfer Windstoß Blätter und Sand auf, und als Zhang mit einer Hand seine Augen schützen wollte, kullerte der Topf auf den Boden. Der weiche Sand auf dem Weg und das Laub fingen den Stoß jedoch auf, der Topf blieb heil. Doch was war das? War da nicht eine Stimme? Angestrengt lauschte Zhang in den vom Rascheln der Blätter erfüllten Abend, und wieder hörte er eine schwache Stimme. Er glaubte die Worte „Oh meine Hüfte“ verstanden zu haben. Angstschweiß trat auf seine Stirn. Nie hatte er sich darum gekümmert, wie man sich bei einer Begegnung mit Geistern verhält. „Nichts wie weg!“, sagte er laut, und dann lief er so schnell seine alten Beine es schafften. Noch einmal meinte er die Stimme zu hören, aber nun war schon seine Hütte sichtbar, und keuchend stürzte er auf sie zu. Er verriegelte die Tür, erschöpft fiel er auf sein Lager.

„Alter Onkel, hab keine Angst vor mir.“ Zhang San war beinahe eingeschlafen, als er deutlich diese Worte vernahm. Sofort war er wieder hellwach. Nein, es war keine Täuschung, es war dieselbe Stimme, oder sollte er plötzlich verrückt geworden sein?

„Wer bist du? Wo bist Du? Was willst du von mir?“, fragte er, sich auf seinem Lager aufrichtend.

„Keine Angst“, war die Stimme wieder zu hören, „ich bleibe im Topf.“

Zhang San inspizierte den mitgebrachten Topf. Er war leer und sah aus wie tausend andere Töpfe. „Das soll einer verstehen“, fing er wieder eines seiner Selbstgespräche an, „sagt, ich bleibe im Topf, und der Topf ist leer. Wenn ich nicht verrückt geworden bin, bleibt also nur die Möglichkeit, dass ein Geist mit mir redet.“ Merkwürdig, dachte er, die Angst ist verflogen. Jetzt will ich aber doch wissen, was für ein Geist das ist und was er von mir willü

Als ob der Unsichtbare hatte Gedanken lesen können, kam auch schon die Antwort: „Weißt du, ich bin noch nicht lange ein Geist. Bis vor kurzem war ich der Seidenhändler Liu Shichang aus dem Kreis Babao in der Provinz Jiangsu. Vor einigen Wochen bin ich in eure Gegend gekommen. Die Geschäfte gingen gut, und so wollte ich schnell wieder nach Hause, um neue Ware zu holen. Am letzten Tag meines Lebens suchte ich mal wieder ein Quartier, und man wies mich zu Zhao Da, weil der in seinem Haus viel Platz hat. Ich fand den Hausherrn und seine Frau eigentlich nett. Meine Menschenkenntnis, auf die ich mir immer soviel eingebildet habe, hat mich hier aber gründlich verlassen. Vielleicht war ich auch nur zu müde. Jedenfalls habe ich die Nacht in diesem Haus nicht überlebt.“

Atemlos lauschte Zhang San der Stimme, die über die Maßen traurig klang. „Was ist passiert?“, fragte er, „Zhao Da hat dich doch wohl nicht umgebracht?“

„Doch“, sagte die Stimme, „zusammen mit seiner Frau. Sie haben mich erwürdigt, als ich fest schlief. Dann haben sie meine Leiche mit einer Häckselmaschine zerkleinert und mit Tonerde vermischt. Noch in derselben Nacht haben sie daraus Töpfe gebrannt. So ist der Liu Shichang, der ich gewesen bin, spurlos verschwunden. Niemand weiß, dass ich gestorben bin. Meine Mutter, meine Frau und mein dreijähriger Sohn warten immer noch auf meine Rückkehr. Wie soll meine Seele da Ruhe finden?“

Zhang Sa lief es kalt über den Rücken. „Das ist ja fürchterlich“, sagte er, „absolut entsetzlich. Dieser Zhao Da! Spielt den freundlichen Gastgeber und erwürgt seinen Gast im Schlaf. Wir müssen uns unternehmen, aber was? Keine Leiche, kein Mord, so heißt es.“

Die Stimme unterbrach ihn. Sie kam aus der Ecke, wo der Topf stand. „Ich habe viel von einem Kreisrichter Bao Gong gehört. Er ist in eurer Gegend hier berühmt für seine Gerechtigkeit und Strenge. Du kannst ihn in Dingyuan antreffen. Hilf mir bitte, dass der Mord an mir gerächt wird. Anders finde ich niemals Ruhe.“

Nach diesen Worten hörte Zhang San nur noch ein herzerweichendes Schluchzen. Er beschloss, gleich am nächsten Tag in die Kreisstadt zu gehen und den Richteer aufzusuchen. Und den sprechenden Topf würde er als Beweis natürlich mitnehmen.

Noch vor Tagesanbruch macht er sich auf den Weg. In Dingyuan war, als er ankam, sogar das Stadttor noch geschlossen, und sowie das Tor geöffnet wurde, eilte er zum Gerichts- und Amtssitz, dem Yamen, und wurde auch bald zum Kreisrichter vorgelassen. Er stellte den Topf auf den Boden, kniete vor Bao Gong nieder, und auf die Frage, was er vorzubringen habe, sagte er:

„Herr Kreisrichter, Zhao Da in Dongtawan ist ein Mörder, das hat mir dieser Topf hier gesagt, denn die Seele des Ermordeten steckt darin. Deshalb habe ich den Topf als Beweis gleich mitgebracht.“

Bao Gong musterte den seltsamen Besucher, der ihm einigermaßen wirr im Kopf zu sein schien. „Ihr behauptet also, dieser Topf könne sprechen“, sagte er schließlich. „Dann wollen wir doch mal hören, was er uns zu sagen hat.“ Der Topf jedoch blieb stumm, auch mehrfaches Anrufen brachte ihn nicht zum Sprechen. „Dann geht mal besser wieder brav nach Hause“, bemerkte Bao Gong, „und ruht euch aus.“ Zhang San nahm den Topf, machte vor Richter Bao eine tiefe Verbeugung und verließ bedrückt den Yamen.

Draußen vor dem Tor setzte er sich nieder. Was sollte er nun machen? Warum hatte sich die Stimme nicht gemeldet? Er richtete die Frage an den Topf: „Weshalb bist du eben im Gerichtssaal stumm geblieben wie ein Fisch? Nun glaubt der Richter bestimmt, der alte Zhang San habe sein ganzes Gehirn schon aufgebraucht und nur noch Unsinn im Kopf. Also sag was!“

„Es tut mir leid“, war die Stimme jetzt wieder zu vernehmen, „aber ich war nicht im Gerichtssaal. Du hat nur den Topf mitgenommen, meine Seele musste draußen bleiben.“

„Aber warum?“, fragte Zhang.

„Weil am Tor des Yamen der Türgott Wache hält, und der lässt keine körperlosen Seelen durch.“

Zhang überlegte hin und her. Nie hätte er es für möglich gehalten, dass der Türgott, dessen Bildnisse an vielen Toren und Hauseingängen hingen, eine solche Macht hat. Er wusste keinen Ausweg. Doch vielleicht käme den Richter eine gute Idee. Er würde ihm jedenfalls den Sachverhalt vortragen, und dann sähe man weiterü

(Fortsetzung)

Von Hu Ben

  Herausgegeben vom Verlag für fremdsprachige Literatur Beijing

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