Kohle,
Buddhas und Touristen – Ein Reisebericht aus Nordshanxi
„Wenn einer eine Reise macht, so kann er was erzählen“.
So auch wir vier ausländischen Experten von
„China heute“ und der „Beijing Rundschau“ aus Kanada, Großbritannien,
Kuba und der Bundesrepublik, die auf Einladung der Stadtregierung
von Datong vier Tage lang den nördlichen Teil der Provinz Shanxi
bereisten.
Datong, mal
mit „Große Harmonie“, mal mit „Große Gemeinschaft“ –bersetzt,
ist das Zentrum einer von Bergbau und Landwirtschaft geprägten
Region, knapp sieben Zugstunden von Beijing entfernt.
Datong war zweimal Hauptstadt: Im 4. Jahrhundert,
als der zentralasiatische Stamm der Tuoba Nordchina eroberte und
die Nördliche Wie-Dynastie gr–ndete sowie 960 in der Liao-Dynastie.
In der Jin-, Yuan- und Ming-Dynastie (1115-1644)
war Datong ein bedeutender Militärst–tzpunkt wegen seiner strategischen
Lage zwischen zwei Abschnitten der Großen Mauer. Wirtschaftliche
Bedeutung erlangte die Stadt erst im 20. Jahrhundert als Eisenbahnknotenpunkt
und als man begann, in großem Umfang Kohlevorkommen im S–dwesten
der Stadt abzubauen.
Historische Zeugnisse, Kohle und Industrie, aber
auch der rasante Aufbruch ins 21. Jahrhundert standen somit im Zentrum
unserer Reise, von der im folgenden in f–nf historischen und sechs
Firmen-Beschreibungen die Rede sein soll.
Die
Hauptattraktion Datongs liegt 16 km westlich der Stadt an den Steilwänden
der Wuzhou-Berge. Die Yungang-Grotten mit ihren 21 buddhistischen
Höhlentempeln, die sich –ber einen Kilometer erstrecken
und die wichtigsten religiösen Kunstwerke neben den Grotten
von Dunhuang und Longmen sind, enthalten neben ausgezeichneten Wandmalereien
mehr als 50 000 Skulpturen, Statuetten und Reliefs. Die größte
Figur misst 17 m (in Grotte 5), die kleinste 2 cm. Die meisten Höhlen
entstanden zwischen 460 und 494, der indische und sogar griechische
Einfluss (Wächterfiguren am Eingang zu Grotte 10) ist un–bersehbar.
Das meistfotografierte Objekt ist die etwa 14 m hohe Skultur des
in Meditation versunkenen Buddha in Grotte 20, vor dem nat–rlich
auch wir uns zu einem Erinnerungsgruppenbild versammelten.
Diese meisterhafte Grottenkunst wäre vermutlich
nie entstanden, wenn ein Kaiser nicht krank geworden wäre und
ein schlechtes Gewissen bekommen hätte. Und das kam so: Die
Tuoba, ein buddhistisches Turkvolk aus Zentralasien, das immer wieder
in China einfiel, gr–ndeten 386 in Nordshanxi einen Staat und machten
Datong zu ihrer Hauptstadt. Bald darauf eroberten sie ganz China
und gr–ndeten die Wei-Dynastie. Der Buddhismus wurde Staatsreligion,
nur vor–bergehend unterbrochen von Kaiser Taiwu, der 446 den Buddhismus
abschaffen und viele Tempel niederbrennen ließ. Als Taiwu
kurz darauf krank wurde, betrachtete er das als Strafe f–r seine
antibuddhistische Haltung und ließ den ihn beratenden Minister
hinrichten. Sein Nachfolger rehabilitierte den Buddhismus als offizielle
Religion und beauftragte den Mönch Tanyao mit der Ausmeißelung
der ersten Höhlen.
Mitten im neuen Datong, zwischen Fabrikschornsteinen
und Reklametafeln, entdeckten wir die geschwungenen grauen Dächer
des Huayan-Klosters. Die meisten der schön renovierten
Gebäude sind Rekonstruktionen aus der Ming-Dynastie (1368-1644);
von den urspr–nglichen Bauten aus der Liao-Zeit (916-1125) steht
nur noch die Baojiajiao-Halle, in deren Zentrum drei –berlebensgroße
Buddhastatuen stehen, umgeben von mehreren Tonfiguren, die von dickem
Staub bedeckt sind, unter dem manchmal noch die urspr–ngliche Bemalung
hervorschaut – bis auf wenige Ausnahmen alle Originale aus der Liao-
und Jin-Zeit. Eindrucksvoll, obwohl nicht sichtbar, ist die sich
–ber zwei Stockwerke erstreckende Bibliothek buddhistischer Sutras,
die hier seit fast 1000 Jahren in hölzernen Einbauschränken
gelagert und nur einmal im Jahr herausgenommen werden.
Ebenfalls
im Zentrum Datongs befindet sich die Neun-Drachen-Wand aus
der fr–hen Ming-Dynastie (1392), eine von lediglich drei Bauten
dieser Art in China; die beiden anderen stehen in Beijing. Auf der
45 m langen und 8 m hohen, hauptsächlich mit blauen, gr–nen
und gelben Glasurziegeln gekachelten Mauer steigen neuen Drachen
aus dem Meer der Sonne und der Unsterblichkeit entgegen.
Übrigens: Der mythologische Drache ist aus
neun Tieren zusammengesetzt. Sein Kopf sieht aus wie der eines Kamels,
sein Geweih wie das eines Hirsches. Er hat Augen wie ein Kaninchen,
Ohren wie eine Kuh, den Hals einer Schlange, den Bauch eines Frosches,
die Schuppen eines Karpfens, die Klauen eines Habichts und die Handflächen
eines Tigers. Anders als in der mittelalterlichen Symbolik Europas
ist der Drache in China ein gutes und heiliges Tier.
Wenn man sich dem Hängenden Kloster
nähert, mag man es fast gar nicht glauben: Da kleben etwa 40
kleine, mit Galerien untereinander verbundene Hallen und Pavillons
wie Schwalbennester an einer schroffen Felswand des Hengshan, einem
der f–nf heiligen Berge in der chinesischen Mythologie. Und das
seit 1400 Jahren, unter Ausnutzung nat–rlicher Vorspr–nge und einigen
zusätzlichen Balkenkonstruktionen. Zu den Klosterschätzen
gehören annähernd 80 Statuen aus Bronze, Eisen, Stein
oder Ton.
Die Holzpagode in der Stadtmitte von Yingxian
(60 km s–dlich von Datong) mit 67 m Höhe und 30 m Bodendurchmesser
wurde 1056 unter in der Liao-Zeit errichtet. Das imposante achteckige
Gebäude hat neun Stockwerke, von denen allerdings nur f–nf
von außen sichtbar sind. Man gibt uns eine kurze Einf–hrung
in die ausgekl–gelte Mathematik, die es ermöglichte, dass diese
Pagode zwei Erdbeben und diverse Kriege unbeschadet –berstanden
hat. Architekten und Statiker d–rften ihre helle Freude daran haben,
die Geheimnisse dieser ältesten und höchsten buddhistischen
Holzpagode Chinas zu ergr–nden.
Die
Yungang-Grotten, das Huayan-Kloster, die Neun-Drachen-Wand,
das Hängende Kloster und die Holzpagode sind
nur einige Highlights des an historischen Zeugnissen reichen Nordshanxi.
Der Tourismus bringt Einnahmen – von bildungs- und erlebnishungrigen
Touristen aus dem Westen, aber auch zunehmend vom boomenden inländischen
Tourismus. Anerkennenswert ist die Tatsache, dass man auch ein ansprechendes
Umfeld aufbaut. Im Vergleich zu einem Besuch dieser Stätten
vor zehn Jahren, hat man z.B. vor den Yungang-Grotten eine
direkt davor verlaufende Nationalstraße verlegt, um die Statuen
vor dem Kohlenstaub der Lastwagen zu sch–tzen, die damals noch
zu Tausenden täglich vorbeikrochen; man ist dabei, vor der
Huayan-Klosteranlage eine Kulturstraße anzulegen und
die große Holzpagode in Yingxian hat mit Rasen und
Blumen eine schönere Einbettung erhalten.
Die beiden bedeutendsten Unternehmen, die wir
besuchen durften, waren die Pingshuo An Jia Ling-Mine (Kohlenförderung
im Tagebau) und die Shanxi Datong Gear Group (Getriebebau).
Beide Unternehmen verf–gen –ber moderne Anlagen bzw. Maschinen und
ein effektives Managementsystem, das sie in die Lage versetzt, auf
dem inländischen Markt –ber Nordshanxi hinaus eine f–hrende
Rolle zu spielen. Das Bem–hen um Anschluss an fortgeschrittene internationale
Standards ist un–bersehbar.
Die Pingshuo-Mine wird im kommenden Jahr
die Erf–llung von ISO-Qualitätsnormen anstreben, die Rekultivierung
des riesigen Abbaugebietes ist vorgesehen und in Ansätzen sichtbar.
Die Shanxi Datong Gear Group, größter Steuerzahler
in Shanxi und Produzent vor allem f–r den inländischen Markt
mit Marktanteilen von teilweise 40-50%, beliefert unter anderem
die FAW (First Automotive Works), die wiederum mit VW-China ein
Joint-Venture betreibt.
Marktorientierung und Qualitätsbewusstsein
stehen im Vordergrund des unternehmerischen Handelns und man ist
in der gl–cklichen Lage, mehr Aufträge als Lieferkapazität
zu haben. Der bevorstehende Eintritt Chinas in die WTO ist f–r Generalmanager
Wu Zhenghe kein Grund, sich vor der ausländischen Konkurrenz
zu scheuen. Er ist voller Zuversicht, den Abstand zu den fortgeschrittenen
Ländern schließen zu können, da er die Stärken
(Produktionskosten) und Schwächen (Qualität) seines Unternehmens
genau kennt. Man nimmt große Anstrengungen auf sich, um in
unmittelbarer Zukunft den internationalen Standard zu erreichen.
Andere Unternehmen stellen sich der in- und ausländischen
Konkurrenz, indem sie Kapital und technisches Know-How in Zusammenarbeit
mit dem Ausland einf–hren.
Die Shanxi Shuofang Flax Textile Co. Ltd
ist ein sino-französisches Joint-Venture seit 1996. Das hier
hergestellte Leinen wird in der EU zu Kleidung verarbeitet und dann
in die USA exportiert. Aber auch hier zeigt der Terroranschlag vom
11. September seine Auswirkungen. Auftraggeber stornieren Bestellungen
und ein Gewinn wird 2001 nur schwer zu realisieren sein.
Die Shanxi Gucheng Dairy Products Group Ltd.
ist ein sino-holländisches Gemeinschaftsunternehmen, in
dem vor allem Milchprodukte hergestellt werden. Im ländlich
geprägten Nordshanxi liefern 45 000 K–he Milch f–r eine Jahresproduktion
von 150 000 Tonnen. Das Unternehmen hat einen Marktanteil von 70%
in der Provinz Shanxi und 3,2% landesweit. Die Produktpalette reicht
von Milchpulver –ber H-Milch bis zur neuesten Innovation „Milch
f–r Sch–ler“ – ein mit Traubenzucker angereichertes Milchprodukt,
von dem man sich viel verspricht.
Übrigens: Die modernen Verpackungsmaschinen
und Abf–llstationen kommen aus der Bundesrepublik.
Die Laowan Biomass Energy Technology Corporation
entsteht gerade in Zusammenarbeit mit einem schwedischen T–ftler.
Hier werden in Zukunft Öfen und Herde hergestellt, die mit
Biomasse befeuert werden. Die Biomasse Maisabfälle, Abfallprodukt
der umliegenden Maisfelder, soll eine ähnlich hohe Energieausbeute
wie Kohle haben, aber sehr viel umweltverträglicher sein. Die
Nachfrage ist groß.
Die Jiaming Ceramics Co. Ltd. wurde 1992
gegr–ndet und ist ein Privatunternehmen, das sich vor allem mit
der Herstellung von Haushaltskeramik gehobener Qualität beschäftigt
und das Recht zum Export besitzt (z.B. an die Wal-Mart-Kette in
den USA). Das Unternehmen ist stolz auf seinen guten Ruf, verdient
prächtig und lässt auch seine Angestellten und Arbeiter
am Erfolg teilnehmen. Auf dem Parkplatz standen fast mehr Mopeds
als Fahrräder. Allerdings scheint der Leistungsdruck in diesem
Privatunternehmen auch höher zu sein.
Wie viele größere Städte in China
besitzt auch Datong eine wirtschaftlich-technische Erschließungszone.
Das bedeutendste Unternehmen ist das pharmazeutische Unternehmen
Aurobindo-Tongling, ein sino-indisches Joint-Venture, das
sich vornehmlich mit der Produktion von Penicillin beschäftigt.
Die Verantwortlichen der Erschließungszone unternehmen gerade
intensive Anstrengungen, die Infrastruktur zu verbessern.
Zum Abschluss meines Berichtes möchte ich
noch auf zwei beeindruckende, aber höchst unterschiedliche
Unternehmerpersönlichkeiten aufmerksam machen. Da ist zum einen
der gut 60jährige Qiao Jiuchong, der mit sieben K–hen angefangen
hat und heute Patriarch der stark expandierenden und innovativen
Shanxi Gucheng Dairy Products Group ist und sich verschmitzt
daf–r entschuldigt, dass sein bäuerlicher Dialekt erst in Hochchinesisch
–bersetzt werden muss. Ganz anders Xu Zhiqian, leitender Manager
der privaten Jiaming Ceramics, der in feinem Zwirn
gekleidet, mit dynamisch-geschmeidigen Gesten und leisen Worten
uns aufmerksam und mit verhaltenem Stolz durch sein Imperium f–hrt.
Nordshanxi ist nicht mit Beijing oder Shanghai
zu vergleichen. Aber man lebt auch nicht hinter dem Mond. Alle Vertreter
der Stadtregierungen und leitenden Manager der besuchten Städte
und Unternehmen waren schon in den USA und Europa, die meisten auch
in der Bundesrepublik, und wissen, dass und wie die Reform- und
Öffnungspolitik – gerade auch nach dem bevorstehenden Eintritt
in die WTO – weiter vertieft werden muss. Man ist auf einem guten
Weg. Viel Erfolg.
Von
Wolfgang Schaub
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