Inhalt von Dezember 2001
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Kohle, Buddhas und Touristen – Ein Reisebericht aus Nordshanxi

„Wenn einer eine Reise macht, so kann er was erzählen“.

So auch wir vier ausländischen Experten von „China heute“ und der „Beijing Rundschau“ aus Kanada, Großbritannien, Kuba und der Bundesrepublik, die auf Einladung der Stadtregierung von Datong vier Tage lang den nördlichen Teil der Provinz Shanxi bereisten.

Datong, mal mit „Große Harmonie“, mal mit „Große Gemeinschaft“ –bersetzt, ist das Zentrum einer von Bergbau und Landwirtschaft geprägten Region, knapp sieben Zugstunden von Beijing entfernt.

Datong war zweimal Hauptstadt: Im 4. Jahrhundert, als der zentralasiatische Stamm der Tuoba Nordchina eroberte und die Nördliche Wie-Dynastie gr–ndete sowie 960 in der Liao-Dynastie.

In der Jin-, Yuan- und Ming-Dynastie (1115-1644) war Datong ein bedeutender Militärst–tzpunkt wegen seiner strategischen Lage zwischen zwei Abschnitten der Großen Mauer. Wirtschaftliche Bedeutung erlangte die Stadt erst im 20. Jahrhundert als Eisenbahnknotenpunkt und als man begann, in großem Umfang Kohlevorkommen im S–dwesten der Stadt abzubauen.

Historische Zeugnisse, Kohle und Industrie, aber auch der rasante Aufbruch ins 21. Jahrhundert standen somit im Zentrum unserer Reise, von der im folgenden in f–nf historischen und sechs Firmen-Beschreibungen die Rede sein soll.

Die Hauptattraktion Datongs liegt 16 km westlich der Stadt an den Steilwänden der Wuzhou-Berge. Die Yungang-Grotten mit ihren 21 buddhistischen Höhlentempeln, die sich –ber einen Kilometer erstrecken und die wichtigsten religiösen Kunstwerke neben den Grotten von Dunhuang und Longmen sind, enthalten neben ausgezeichneten Wandmalereien mehr als 50 000 Skulpturen, Statuetten und Reliefs. Die größte Figur misst 17 m (in Grotte 5), die kleinste 2 cm. Die meisten Höhlen entstanden zwischen 460 und 494, der indische und sogar griechische Einfluss (Wächterfiguren am Eingang zu Grotte 10) ist un–bersehbar. Das meistfotografierte Objekt ist die etwa 14 m hohe Skultur des in Meditation versunkenen Buddha in Grotte 20, vor dem nat–rlich auch wir uns zu einem Erinnerungsgruppenbild versammelten.

Diese meisterhafte Grottenkunst wäre vermutlich nie entstanden, wenn ein Kaiser nicht krank geworden wäre und ein schlechtes Gewissen bekommen hätte. Und das kam so: Die Tuoba, ein buddhistisches Turkvolk aus Zentralasien, das immer wieder in China einfiel, gr–ndeten 386 in Nordshanxi einen Staat und machten Datong zu ihrer Hauptstadt. Bald darauf eroberten sie ganz China und gr–ndeten die Wei-Dynastie. Der Buddhismus wurde Staatsreligion, nur vor–bergehend unterbrochen von Kaiser Taiwu, der 446 den Buddhismus abschaffen und viele Tempel niederbrennen ließ. Als Taiwu kurz darauf krank wurde, betrachtete er das als Strafe f–r seine antibuddhistische Haltung und ließ den ihn beratenden Minister hinrichten. Sein Nachfolger rehabilitierte den Buddhismus als offizielle Religion und beauftragte den Mönch Tanyao mit der Ausmeißelung der ersten Höhlen. 

Mitten im neuen Datong, zwischen Fabrikschornsteinen und Reklametafeln, entdeckten wir die geschwungenen grauen Dächer des Huayan-Klosters. Die meisten der schön renovierten Gebäude sind Rekonstruktionen aus der Ming-Dynastie (1368-1644); von den urspr–nglichen Bauten aus der Liao-Zeit (916-1125) steht nur noch die Baojiajiao-Halle, in deren Zentrum drei –berlebensgroße Buddhastatuen stehen, umgeben von mehreren Tonfiguren, die von dickem Staub bedeckt sind, unter dem manchmal noch die urspr–ngliche Bemalung hervorschaut – bis auf wenige Ausnahmen alle Originale aus der Liao- und Jin-Zeit. Eindrucksvoll, obwohl nicht sichtbar, ist die sich –ber zwei Stockwerke erstreckende Bibliothek buddhistischer Sutras, die hier seit fast 1000 Jahren in hölzernen Einbauschränken gelagert und nur einmal im Jahr herausgenommen werden.

Ebenfalls im Zentrum Datongs befindet sich die Neun-Drachen-Wand aus der fr–hen Ming-Dynastie (1392), eine von lediglich drei Bauten dieser Art in China; die beiden anderen stehen in Beijing. Auf der 45 m langen und 8 m hohen, hauptsächlich mit blauen, gr–nen und gelben Glasurziegeln gekachelten Mauer steigen neuen Drachen aus dem Meer der Sonne und der Unsterblichkeit entgegen.

Übrigens: Der mythologische Drache ist aus neun Tieren zusammengesetzt. Sein Kopf sieht aus wie der eines Kamels, sein Geweih wie das eines Hirsches. Er hat Augen wie ein Kaninchen, Ohren wie eine Kuh, den Hals einer Schlange, den Bauch eines Frosches, die Schuppen eines Karpfens, die Klauen eines Habichts und die Handflächen eines Tigers. Anders als in der mittelalterlichen Symbolik Europas ist der Drache in China ein gutes und heiliges Tier.

Wenn man sich dem Hängenden Kloster nähert, mag man es fast gar nicht glauben: Da kleben etwa 40 kleine, mit Galerien untereinander verbundene Hallen und Pavillons wie Schwalbennester an einer schroffen Felswand des Hengshan, einem der f–nf heiligen Berge in der chinesischen Mythologie. Und das seit 1400 Jahren, unter Ausnutzung nat–rlicher Vorspr–nge und einigen zusätzlichen Balkenkonstruktionen. Zu den Klosterschätzen gehören annähernd 80 Statuen aus Bronze, Eisen, Stein oder Ton.

Die Holzpagode in der Stadtmitte von Yingxian (60 km s–dlich von Datong) mit 67 m Höhe und 30 m Bodendurchmesser wurde 1056 unter in der Liao-Zeit errichtet. Das imposante achteckige Gebäude hat neun Stockwerke, von denen allerdings nur f–nf von außen sichtbar sind. Man gibt uns eine kurze Einf–hrung in die ausgekl–gelte Mathematik, die es ermöglichte, dass diese Pagode zwei Erdbeben und diverse Kriege unbeschadet –berstanden hat. Architekten und Statiker d–rften ihre helle Freude daran haben, die Geheimnisse dieser ältesten und höchsten buddhistischen Holzpagode Chinas zu ergr–nden.

Die Yungang-Grotten, das Huayan-Kloster, die Neun-Drachen-Wand, das Hängende Kloster und die Holzpagode sind nur einige Highlights des an historischen Zeugnissen reichen Nordshanxi. Der Tourismus bringt Einnahmen – von bildungs- und erlebnishungrigen Touristen aus dem Westen, aber auch zunehmend vom boomenden inländischen Tourismus. Anerkennenswert ist die Tatsache, dass man auch ein ansprechendes Umfeld aufbaut. Im Vergleich zu einem Besuch dieser Stätten vor zehn Jahren, hat man z.B. vor den Yungang-Grotten eine direkt davor verlaufende Nationalstraße verlegt, um die Statuen vor dem Kohlenstaub der Lastwagen zu sch–tzen, die damals noch zu Tausenden täglich vorbeikrochen; man ist dabei, vor der Huayan-Klosteranlage eine Kulturstraße anzulegen und die große Holzpagode in Yingxian hat mit Rasen und Blumen eine schönere Einbettung erhalten.

Die beiden bedeutendsten Unternehmen, die wir besuchen durften, waren die Pingshuo An Jia Ling-Mine (Kohlenförderung im Tagebau) und die Shanxi Datong Gear Group (Getriebebau). Beide Unternehmen verf–gen –ber moderne Anlagen bzw. Maschinen und ein effektives Managementsystem, das sie in die Lage versetzt, auf dem inländischen Markt –ber Nordshanxi hinaus eine f–hrende Rolle zu spielen. Das Bem–hen um Anschluss an fortgeschrittene internationale Standards ist un–bersehbar.

Die Pingshuo-Mine wird im kommenden Jahr die Erf–llung von ISO-Qualitätsnormen anstreben, die Rekultivierung des riesigen Abbaugebietes ist vorgesehen und in Ansätzen sichtbar. Die Shanxi Datong Gear Group, größter Steuerzahler in Shanxi und Produzent vor allem f–r den inländischen Markt mit Marktanteilen von teilweise 40-50%, beliefert unter anderem die FAW (First Automotive Works), die wiederum mit VW-China ein Joint-Venture betreibt.

Marktorientierung und Qualitätsbewusstsein stehen im Vordergrund des unternehmerischen Handelns und man ist in der gl–cklichen Lage, mehr Aufträge als Lieferkapazität zu haben. Der bevorstehende Eintritt Chinas in die WTO ist f–r Generalmanager Wu Zhenghe kein Grund, sich vor der ausländischen Konkurrenz zu scheuen. Er ist voller Zuversicht, den Abstand zu den fortgeschrittenen Ländern schließen zu können, da er die Stärken (Produktionskosten) und Schwächen (Qualität) seines Unternehmens genau kennt. Man nimmt große Anstrengungen auf sich, um in unmittelbarer Zukunft den internationalen Standard zu erreichen.

Andere Unternehmen stellen sich der in- und ausländischen Konkurrenz, indem sie Kapital und technisches Know-How in Zusammenarbeit mit dem Ausland einf–hren.

Die Shanxi Shuofang Flax Textile Co. Ltd ist ein sino-französisches Joint-Venture seit 1996. Das hier hergestellte Leinen wird in der EU zu Kleidung verarbeitet und dann in die USA exportiert. Aber auch hier zeigt der Terroranschlag vom 11. September seine Auswirkungen. Auftraggeber stornieren Bestellungen und ein Gewinn wird 2001 nur schwer zu realisieren sein.

Die Shanxi Gucheng Dairy Products Group Ltd. ist ein sino-holländisches Gemeinschaftsunternehmen, in dem vor allem Milchprodukte hergestellt werden. Im ländlich geprägten Nordshanxi liefern 45 000 K–he Milch f–r eine Jahresproduktion von 150 000 Tonnen. Das Unternehmen hat einen Marktanteil von 70% in der Provinz Shanxi und 3,2% landesweit. Die Produktpalette reicht von Milchpulver –ber H-Milch bis zur neuesten Innovation „Milch f–r Sch–ler“ – ein mit Traubenzucker angereichertes Milchprodukt, von dem man sich viel verspricht.

Übrigens: Die modernen Verpackungsmaschinen und Abf–llstationen kommen aus der Bundesrepublik.

Die Laowan Biomass Energy Technology Corporation entsteht gerade in Zusammenarbeit mit einem schwedischen T–ftler. Hier werden in Zukunft Öfen und Herde hergestellt, die mit Biomasse befeuert werden. Die Biomasse Maisabfälle, Abfallprodukt der umliegenden Maisfelder, soll eine ähnlich hohe Energieausbeute wie Kohle haben, aber sehr viel umweltverträglicher sein. Die Nachfrage ist groß.         

Die Jiaming Ceramics Co. Ltd. wurde 1992 gegr–ndet und ist ein Privatunternehmen, das sich vor allem mit der Herstellung von Haushaltskeramik gehobener Qualität beschäftigt und das Recht zum Export besitzt (z.B. an die Wal-Mart-Kette in den USA). Das Unternehmen ist stolz auf seinen guten Ruf, verdient prächtig und lässt auch seine Angestellten und Arbeiter am Erfolg teilnehmen. Auf dem Parkplatz standen fast mehr Mopeds als Fahrräder. Allerdings scheint der Leistungsdruck in diesem Privatunternehmen auch höher zu sein.

Wie viele größere Städte in China besitzt auch Datong eine wirtschaftlich-technische Erschließungszone. Das bedeutendste Unternehmen ist das pharmazeutische Unternehmen Aurobindo-Tongling, ein sino-indisches Joint-Venture, das sich vornehmlich mit der Produktion von Penicillin beschäftigt. Die Verantwortlichen der Erschließungszone unternehmen gerade intensive Anstrengungen, die Infrastruktur zu verbessern.

Zum Abschluss meines Berichtes möchte ich noch auf zwei beeindruckende, aber höchst unterschiedliche Unternehmerpersönlichkeiten aufmerksam machen. Da ist zum einen der gut 60jährige Qiao Jiuchong, der mit sieben K–hen angefangen hat und heute Patriarch der stark expandierenden und innovativen Shanxi Gucheng Dairy Products Group ist und sich verschmitzt daf–r entschuldigt, dass sein bäuerlicher Dialekt erst in Hochchinesisch –bersetzt werden muss. Ganz anders Xu Zhiqian, leitender Manager der privaten Jiaming Ceramics, der in feinem Zwirn gekleidet, mit dynamisch-geschmeidigen Gesten und leisen Worten uns aufmerksam und mit verhaltenem Stolz durch sein Imperium f–hrt.

Nordshanxi ist nicht mit Beijing oder Shanghai zu vergleichen. Aber man lebt auch nicht hinter dem Mond. Alle Vertreter der Stadtregierungen und leitenden Manager der besuchten Städte und Unternehmen waren schon in den USA und Europa, die meisten auch in der Bundesrepublik, und wissen, dass und wie die Reform- und Öffnungspolitik – gerade auch nach dem bevorstehenden Eintritt in die WTO – weiter vertieft werden muss. Man ist auf einem guten Weg. Viel Erfolg.

                                                                                                     Von Wolfgang Schaub

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