Zwei
Schindlers im Nanjinger Vorort Qixia
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41 Fotos über die Verbrechen der japanischen Besatzungstruppen beim
Nanjinger Massaker

Dr. Karl Günther
und seine Frau in der Jiangnan-Zementfabrik von Nanjing
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Herr B.A. Sindberg im Flüchtlingslager
der Jiangnan-Zementfabrik
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Flüchtlinge finden
in der Jiangnan-Zementfabrik Zuflucht
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Flüchtlinge im
Qixia-Tempel
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Chinesische wie auch deutsche Medien haben schon
viel darüber berichtet, dass Herr John H.D. Rabe von Ende 1937 bis
Anfang 1938 beim Nanjinger Massaker durch die japanischen Besatzungstruppen
viele Chinesen in der Stadt geschützt hat.
Mit Vertiefung der Erforschung dieser historischen
Periode fand man heraus, dass die japanischen Besatzungstruppen
ihre Verbrechen vor allem in der Stadt, aber auch in den Vororten
Nanjings begangen hatten.
Im Archiv der Jiangnan-Zementfabrik von Nanjing
steht es u.a. geschrieben, dass „im Winter 1937 Flüchtlinge aus
allen Richtungen zum Qixia-Berg kamen. Dr. Karl Günther ließ
ein Flüchtlingslager in der Jiangnan-Zementfabrik einrichten, in
dem 40 000 bis 50 000 Flüchtlinge aufgenommen wurden.“ „Dr. Günther
hat 40 000 bis 50 000 unserer Landsleute aus der Not gerettet.“
Am 13. Mai 2000, als Dai Yuanzhi, Journalist der
China Youth Daily, im Archiv das obengenannte gelesen, besonders
ein Foto von Dr. Günther gesehen hatte, bat er Jin Chuntong, Manager
in einem deutschen Betrieb in China, über seine deutschen Freunde
Dr. Günther zu suchen.
Endlich wurde Edith Günther, Ehefrau von Karl
Günther, gefunden. In ihrem Auftrag übergab Anita Günther, Nichte
von Karl Günther, 41 Fotos über das Flüchtlingslager in der
Jiangnan-Zementfabrik, die damals aufgenommen und jetzt bei ihr
aufbewahrt wurden. Am 29. August 2001 kam Herr Jin mit einer diese
wertvollen Fotos speichernden DVD-Scheibe von Deutschland zurück.
Da die Jiangnan-Zementfabrik von Nanjing Produktionseinrichtungen
aus Deutschland und Dänemark importierte, arbeiteten dort Karl
Günther im Auftrag einer deutschen Firma als amtierender Fabrikdirektor
und B.A. Sindberg im Auftrag einer dänischen Firma.
Am 13. Dezember 1937 eroberten die japanischen
Truppen Nanjing, die Hauptstadt der Republik China. Sie brannten
Häuser nieder, töteten wahllos Menschen, vergewaltigten
Frauen und raubten Rinder, Schweine, Hühner und Enten. Vor ihren
Gewalttaten flohen die Einwohner Nanjings. Zahlreiche Flüchtlinge
strömten nach Qixia, einem nordöstlichen Vorort Nanjings,
und zwar in die Jiangnan-Zementfabrik und in den Qixia-Tempel. So
bildeten sich dann zwei Flüchtlingslager in Qixia.
Günther und Sindberg beschlossen, im Flüchtlingslager
und auf dem Gelände der Zementfabrik deutsche und dänische
Staatsflaggen aufzurichten, um die Flüchtlinge und das Vermögen
der Fabrik zu schützen. Jedesmal, als japanische Soldaten in die
Fabrik kamen und nach Frauen verlangten, redete Günther ihnen ihr
Vorhaben aus. Japanische Soldaten zogen sich auch missgestimmt aus
der Zementfabrik zurück, wenn sie Herrn Sindberg sahen, der eine
dänische Staatsflagge in der Hand nahm und laut aufschrie.
Im Winter 1937 steckten japanische Soldaten Wohnhäuser
in der Gemeinde Sheshan, die durch einen Fluss von der Jiangnan-Zementfabrik
getrennt war, in Brand. Über zehn Häuser waren schon niedergebrannt
und zwei Dorfbewohner getötet, doch man wagte nicht, den Brand
zu löschen. Als das Herrn Günther mitgeteilt wurde, eilte er
mit einem Dolmetscher an den Unglücksort. Die japanischen Soldaten
mussten sich, als sie Dr. Günther mit einer deutschen Staatsflagge
in der Hand vor ihnen stehen sahen, zurückziehen. Zusammen mit den
Gemeindebewohnern löschte Herr Günther dann den Brand.
Vom 14. Dezember 1937 bis zum 27. Januar 1938
schrieb Herr Sindberg 26 von ihm dokumentierte Fälle über das
Blutbad und die Brandstiftung der japanischen Soldaten nieder und
überreichte diese Schrift Lewis S.C. Smythe, Sekretär des Internationalen
Komitees im Sicherheitsgebiet Nanjing, die jetzt noch in der Bibliothek
der theologischen Fakultät der Yale-Universität der USA
aufbewahrt wird.
In den 16 Tagen zwischen dem 4. und 19. Januar
1938 strömten japanische Soldaten elf Mal in den Qixia-Tempel,
mordeten und brandschatzten dort und vergewaltigten Frauen. Am 25.
Januar wurde ein vom Abt des Qixia-Tempels verfasster und von 20
bekannten Vertretern der Flüchtlinge unterzeichneter Brief an Günther
und Sindberg übergeben, in dem appelliert wurde: „Hilft uns, die
Wiederholung dieser grausamen Gewalttaten zu verhindern.“
Dieser Brief, dessen Überschrift „Im Namen
der Menschheit und ein Appell an alle, die damit zu tun haben“ war,
wurde von Dr. Günther ins Deutsche übersetzt und von Herrn Sindberg
an Herrn Rabe, Vorsitzender des Internationalen Komitees im Sicherheitsgebiet
Nanjing, weitergegeben. „Das belegt“, so Rabe, „dass Nanjing viel
ertragen muss, was japanische Truppen getan haben. Aus allen Richtungen
kommen Nachrichten über Sengen und Brennen, Mord und Vergewaltigung
durch die japanischen Soldaten zusammen. Diese Soldaten in Uniform
sind Straftäter Japans.“
Später erhielten Günther und Sindberg noch
zwei Denkschriften von Flüchtlingen, in denen neben den gemeinsamen
Gewalttaten der japanischen Truppen noch von einigen Gräueltaten
der japanischen Soldaten berichtet wurde: Die Scheide eines zehn
Jahre alten Mädchens wurde geschnitten. Eine Mutter und ihr
Sohn wurden zur Blutschande gezwungen. Der Sohn, der es ablehnte,
wurde getötet. Und die von Soldaten vergewaltigte Mutter beging
dann Selbstmord. Außerdem wurden über 2000 Zugochsen geschlachtet
und Wohnhäuser von 12 000 Familien niedergebrannt. Beigelegt
wurden zwei Namenslisten. Die eine bezieht sich auf 46 Ermordete
aus acht Dörfern, die andere auf 32 geraubte Frauen aus 13
Dörfern. Die beiden Denkschriften, die Günther ins Deutsche
übersetzte und Sindberg Herrn Rosen von der deutschen Botschaft
überreichte, wurden Anfang der 90er Jahre in der Zweigstelle Potsdam
des Deutschen Archivs gefunden.
Günther und Sindberg boten einerseits den Ausländern
in der Stadt Getreide und andere Lebensmittel an und baten sie andererseits,
den Flüchtlingen Medikamente zu liefern. Aus diesem Grund waren
zum Beispiel Christian Kroeger, Finanzchef des Internationalen Komitees
im Sicherheitsgebiet Nanjing, und John Gillespis Magee, Vorsitzender
des Nanjing-Komitees des Internationalen Roten Kreuzes, auch in
Qixia gewesen.
Am 13. Januar 1938 schrieb Kroeger in seinem Artikel
„In den Tagen, in denen Nanjing viel durchmachen muss“ u.a. auch
die Verbrechen der japanischen Truppen in Qixia nieder. „Am 28.
Dezember (1937) fuhr ich zum ersten Mal nach Qixia. Was ich unterwegs
gesehen habe, versetzt mich in Bestürzung... Ich hatte bisher geglaubt,
dass die japanischen Truppen ihre Vergeltung nur in Nanjing (Stadt)
ausüben, denn Nanjing ist die Hauptstadt und das Zentrum der antijapanischen
Bewegung. Erst jetzt erkenne ich, dass alles, was die japanischen
Truppen hier (Vorort) getan haben, ihren unheilvollen Taten in der
Stadt ebenbürtig ist...“
„Die japanischen Truppen verüben hier in noch
größerem Maßstab ihre Brandstiftung. Sie töten
ohne Unterschied Männer und Frauen, alt und jung, die auf den
Feldern arbeiten. Dazu stellen sie eine Parole auf: Fahndung nach
den bösartigen chinesischen Soldaten. Bei einer Stunde Fahrt
habe ich keinen einzigen Menschen gesehen. Die Dörfer sind
menschenleer. Häuser sind niedergebrannt und Menschen getötet...“
„Unter dem Tausend-Buddha-Berg ist ein Flüchtlingslager
im Qixia-Tempel geworden, in das über 10 000 Bauern geflohen sind.
Hier vor dem Tempel kennen die japanischen Soldaten keine Gnade.
Sie töten nach Belieben junge Männer und vergewaltigen
junge Frauen. Betrunkene Soldaten stechen solche Leute tot oder
verletzen jene, die sie unschön finden. Buddhastatuen im Tempel
werden entweder von ihnen geraubt oder zerstört. Sogar Mönche
werden von ihnen misshandelt...“
„In der Zementfabrik gibt es zwei Ausländer.
Der eine ist Dr. Günther aus Deutschland. Der andere ist ein Däne.
Deshalb halten sich hier die japanischen Truppen von Gewalttaten
zurück.“
Die Flüchtlinge in Qixia nannten damals Karl Günther
„alter Kun“ oder „Herr Kun aus Deutschland“ und B.A. Sindberg „Herr
Sin aus Dänemark“ und betrachteten die beiden als ihre „Schutzgötter“.
Auch heute noch sagen die damaligen Flüchtlinge in Qixia mit Dankbarkeit:
„Ohne den alten Kun aus Deutschland wären damals mehr Chinesen
ermordet worden.“
(Quellen: Zwei Artikel des Journalisten Dai Yuanzhi:
„Die Ehefrau von Karl Günther, Zeuge des Nanjinger Massakers, von
uns gefunden“ aus „China Youth Daily“ vom 15. September 2001
und „Kontinentübergreifende Suche nach zwei Schindlers in Qixia
von Nanjing“ aus „China Youth Daily“ vom 18. September 2001.)
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