Guangdong
-
ein immer offenstehendes Tor

- die Provinz
mit der weitgehendsten Öffnung in der chinesischen Geschichte
und die Wiege der
Revolution in neuester Zeit
- das erste
Versuchsfeld für die Reform seit der Öffnung in den 80er Jahren
- ein Tor
zur Welt und ein Vorbild für die Erneuerung

Für die meisten Chinesen ist Guangdong eine mehr
oder weniger besondere, vielleicht sogar geheimnisvolle Provinz.
Das liegt wohl daran, dass es an Hongkong und Macau grenzt. Seit
der Gründung der Staatsmacht durch die KP Chinas 1949 wurden Macau
und, insbesondere Hongkong zu Regionen, die geographisch zwar ganz
in der Nähe des Festlands lagen, aber im politischen System
und in der Ideologie ganz verschieden waren. Guangdong wurde dadurch
zu einem Fenster, durch das sich die Chinesen und Ausländer
jeweils ihre "Heterodoxie" anschauen konnten.
Öffnung: "Vom Vorposten gegen den Imperialismus
in den 50er und 60er Jahren" zum offenstehenden Tor in den
80er Jahren
In den Jahren vor der Rückkehr Hongkongs zum Vaterland
1997 änderte sich die Funktion von Guangdong des öfteren.
In den 50er und 60er Jahren stand das neu gegründete kommunistische
China unter Bedrohung durch feindliche Kräfte. Der von der
KP Chinas nach Taiwan vertriebene Chiang Kaishek versuchte mit Unterstützung
der Amerikaner, die Macht über das Festland zurückzuerobern. Hongkong
wurde ein Korridor, durch den amerikanische Spione oder Spione von
Chiang Kaishek ins Festland schlüpften. In den in den 50er und 60er
Jahren gedrehten Filmen mit dem Thema Spionage wurde eine kleine
Gemeinde in der Nähe von Hongkong als Ort für bestimmte Filmszenen
ausgewählt. Aus der Sicht der Einwohner im Landesinneren war
Guangdong doch ein bisschen geheimnisvoll, insbesondere im Hinblick
auf das im Film gezeigte luxuriöse Leben in Hongkong und die
doch etwas auffallende Kleidung der Einwohner von Guangdong.
Am Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurde
mit der Durchführung der Öffnungs- und Reformpolitik begonnen.
Das viele Jahre lang verschlossene Tor Chinas wurde geöffnet.
In jenen Jahren war Hongkong der größte Lieferant für
Schmuggelwaren wie ausländische Uhren, Zigaretten und Tonbandrecorder,
die die Einwohner im Festland nie gehabt haben, und Guangdong der
Zielort. Damals konnte ein Mann mit einem unansehnlichen Aussehen
und sehr bescheidenem Können allein mit einer Digitaluhr die
Zuneigung eines hübchen Mädchens in einer Stadt im Norden gewinnen.
Damals wurde Guangdong von einem geöffneten Fenster bereits
zu einem geöffneten Tor. Die Hongkonger Lebensweisen und kulturellen
Wertschätzungen strömten ins Festland hinein. Am Anfang
der Reform und Öffnung waren der wirtschaftliche Zustand und
der Lebensstandard noch ziemlich niedrig. Eingeführt wurden damals
nur gewöhnliche Waren nach dem Geschmack von durchschnittlichen
Menschen. Ein buntes Hemd, eine Schlaghose und lange Haare eines
Mannes konnten damals Chinesen, die lange in einem verschlossenen
Land gelebt hatten, in Verwunderung setzen. Guangdong war damals
ein Ort für Engroshandel mit den Waren "made in Hongkong".
Viele Landstreicher aus Beijing und aus anderen noch nördlicheren
Städten wie z.B. Harbin reisten nach Guangdong, um dort Großhandel
mit Bekleidung zu treiben, die die Hongkonger Mode nachahmten. In
Beijing wurden damals viele Kleidungsmärkte errichtet. Die
Mode aus Guangdong spielte die führende Rolle auf den Kleidungsmärkten
im Landesinneren. Zur gleichen Zeit entstanden die ersten Neureichen
in China - die Händler, die Guangdonger Kleidung verkauften.
In den 80er Jahren bedeutete Guangdong, weil es
in der Nähe von Hongkong liegt, bei der Öffnung die führende
Rolle spielte und in der wirtschaftliche Entwicklung den anderen
Provinzen voraus war, für viele Menschen einfach Reichtum. Der Guangdonger
Dialekt, der einst von Nordchinesen sehr geringeschätzt wurde
und in der Aussprache und Intonation von der Standardsprache
völlig abweicht, wurde Mode im Landesinneren. Um ihr zu folgen,
versuchten viele Menschen beim Sprechen Elemente aus dem Guangdonger
Dialekt in die Standardsprache einzumischen. Die Anrede "Genosse",
die Jahrzehnte lang gegolten hat, wich der Anredeform "Fräunlein"
und "Herr". Guangdong war einfach eine Kopie von Hongkong
und löst viel Bewunderung aus.
In der Geschichte der Öffnung ist eine besondere
Wirtschaftsform und eine besondere Sozialgruppe von Auslandschinesen
entstanden.
Hinter der Erscheinung der "Kopie von Hongkong"
sind gewaltige, früher nie gekannte Veränderungen aufgetreten,
eine davon war die Gründung von Wirtschaftssonderzonen. 1979 initiierte
Deng Xiaoping, der später Generalarchitekt der Reform und Öffnung
genannt wird, die Gründung von Wirtschaftssonderzonen im sozialistischen
China. In dieser Zone wird eine besondere Politik praktiziert und
ein Versuchsfeld für die Öffnung und Reform des ganzen Landes
eröffnet.1980 wurden vier Wirtschaftssonderzonen offiziell
gegründet, drei davon befinden sich in Guangdong, es sind Shenzhen
mit einer Fläche von 327,5 qkm, Zhuhai mit einer Fläche
von 6,81 qkm, Shantou mit einer Fläche von 1,6 qkm. (In der
Provinz Fujian liegt die Wirtschaftssonderzone Xiamen. 1988 wurde
noch die Provinz Hainan zur Wirtschaftssonderzone bestimmt.) Die
Wirtschaftssonderzonen haben folgende Besonderheiten: Sie sind hauptsächlich
auf ausländische Gedlmittel gegründet, die wirtschaftlichen
Körperschaften sind hauptsächlich Joint-Venture-Betriebe,
Kooperationsbetriebe, ausländische Betriebe und die Produkte
werden hauptsächlich exportiert. Dort gelten hauptsächlich
die Prinzipien der Marktwirtschaft. Die Besonderheiten der Wirtschaftssonderzonen
bestehen vor allem also in der Praktizierung der besonderen Wirtschaftspolitik
und des besonderen Wirtschaftssystems.
Dass die chinesische Regierung drei der ersten
vier Wirtschaftssonderzonen in Guangdong gegründet hat, liegt vor
allem an seiner besonderen geographischen Lage und wirtschaftlichen
Stellung. Die Provinz Guangdong liegt im südlichsten Teil des Landes,
sie grenzt im Norden an Fünf Bergketten und im Süden an das Meer.
Hier befinden sich Chinas Häfen mit den kürzesten Verbindungen
nach Südostasien, Ozeanien, Afrika sowie in den Nahen und Mittleren
Osten. In der Geschichte war Guangdong bereits für seine Weltoffenheit
bekannt. Vor der Tang-Dynastie (618-907) waren Xuwen und Hepu (heute
in Guangxi) Verkehrsknotenpunkte für die Seefahrt. In der Tang-Dynastie
hatte Guangdong die damals weltberühmten Häfen; Guangzhou war
Ausgangspunkt der „Seidenstraße auf dem Meer“, der damals
längsten Schifffahrtslinie der Welt. In der Song-Dynastie (960-1279)
überquerten die von Guangzhou auslaufenden Handelsschiffe den Indischen
Ozean und erreichten arabische Länder und Ostafrika. In der
Ming-Dynastie (1368-1644) wurden zwei Schifffarhtslinien eröffnet,
die von Guangzhou aus bis nach Lateinamerika und Lissabon führten.
In der früheren Phase der Qing-Dynastie (1644-1911) wurden die Schifffahrtslinien
von Guangzhou nach Nordamerika und Ozianien eröffnet.
Außerdem sei noch auf einen besonderen Aspekt
Guangdongs hingewiesen. Ebenso wie die Manufakturen in Westeuropa
erfuhren die Manufakturen in Guangdong im 17. Jahrhundert eine große
Entwicklung. Die Grundlage dafür war die Entwicklung der Landwirtschaft.
Beispielsweise trieb der Anbau von Zuckerrohr die Entwicklung der
Zuckerraffinerie voran, und die Zucht von Seidenraupen förderte
die Seidenspinnerei. In der ausgehenden Ming-Dynastie gab es in
Guangdong bereits Manufakturen, in denen Arbeiter angestellt wurden.
Die Produktionsmenge von Roheisen betrug im Jahr 1522 13 500 Tonnen.
Neben der Beeinträchtigung der Entwicklung der Industrie und
des Handels durch die lange feudale Herrschaft wurde die Entwicklung
der Industrialisierung in China entschieden durch die imperialistische
Aggression behindert. 1858 ernannte die Regierung der Qing-Dynastie
den Engländer Robert Hart zum Generalinspektor des chinesischen
Seezolls. Das ausländische Kapital nutzte diese Gelegeneheit
aus, exportierte – begünstigt durch den niedrigen Zolltarif – seine
Waren und eroberte den chinesischen Markt. Von den 60er bis 90er
Jahren des 19. Jahrhunderts hat sich der ausländische Export
nach China verdreifacht. Der chinesische Markt war voll ausländischer
Waren. Selbst heute pflegten manche ältere Leute Streichhölzer
"ausländische Streichhölzer" und Baumwollstoff
"ausländischen Baumwollstoff" zu nennen. Wegen der
dominierenden Position ausländischer Waren war es schwierig
für die chinesische Nationalindustrie, sich zu entwickeln.
Trotzdem hat sich die Stellung Guangdongs als
das Tor des Handels mit dem Ausland und des kulturellen Austausches
zwischen China und dem Ausland nicht geändert, was vor allem
auf seine geographische Lage zurückzuführen ist. Die konservativen
und rückständigen Gedanken einer landwirtschaftlich geprägten
Provinz sind durch den Einfluss des westlichen Kapitalismus abgeschwächt
worden. Westliche industrielle Zivilisation und wissenschaftliche
Kenntnisse wurden hineingelassen und übernommen. Mit großen
Schwierigkeiten entwickelte sich die Industrie in Guangdong.
Guangdong ist ein Tor eines großen Landes.
In langer Begegnung mit dem Ausland ist eine große Anzahl
von Auslandschinesen entstanden. Historischen Quellen zufolge sind
bereits in der ausgehenden Tang-Dynastie (618-907) und in der Song-Dynastie
(960-1279) Chinesen ins Ausland übersiedelt. Nach dem Opiumkrieg
brachten viele Kolonialisten Chinesen nach Amerika, Australien und
Südostasien und verkauften sie dort als Arbeitskräfte. 1862
wurde das „Gesetz der Pazifischen Eisenbahn“ vom Kongress der USA
genehmigt, wodurch großer Bedarf nach Arbeitskräften
entstand. Damals wurden über 10 000 Chinesen angeworben, die meisten
davon stammten aus Taishan in Guangdong. Ihr Dialekt war lange Zeit
gängiger Dialekt unter den Auslandschinesen in den USA. Obwohl
damals die Auslandschinesen in verschiedenen Ländern in den
untersten Sozialschichten lebten, kein hohes Einkommen erhielten
und keine Möglichkeiten zur Ausbildung hatten, gelangte ein
Teil von ihnen durch fleißige Arbeit langsam zum Reichtum.
Sie wurden reiche Händler und Geschäftsleute. Manche kehrten
unter dem Einfluß der westlichen industriellen Revolution
in ihre Heimat zurück und gründeten Betriebe. Sie wurden die ersten
Gründer und treibende Kräfte für die Entwicklung der Industrie
in neuerer Zeit in Guangdong.
Als die Auslandschinesen Kapital in ihre Heimat
brachten und dort Betriebe gründeten, haben sie damit nicht nur
einen finanzielen Beitrag zur Entwicklung der Industrie geleistet,
sie brachten auch die ausländische Technologie mit, was ebenfalls
für die Lösung technischer Fragen bei der industriellen Entwicklung
wichtig war. Darin unterscheidet sich die Industrialisierung in
Guangdong von der Industrialisierung in anderen Orten. Diese Besonderheit
lebte wieder auf, als China in den 80er Jahren wieder geöffnet
wurde. Auslandschinesen haben erneut einen großen Beistrag
zum wirtschaftlichen Aufschwung in China geleistet. Heute leben
in der ganzen Welt 22 Millionen Auslandschinesen mit Guangdonger
Abstammung, in Guangdong leben 20 Millionen Chinesen, die einstige
Auslandschinesen waren und in die Heimat zurückgekehrt sind oder
Familienangehörige von Auslandschinesen sind.
Obwohl man sagt, dass die Personen,
die große Entscheidungen treffen, es bedauert haben, dass
Shanghai nicht so früh wie Guangdong geöffnet wurde, stellt
die Wahl von Guangdong sowohl in historischer als auch in geographischer
Hinsicht eine Zwangsläufigkeit dar. "Der Mensch handelt
und der Himmel lenkt." Die Gründung und der Aufbau der drei
Wirtschaftssonderzonen sind Ergebnisse der Anstrengung einer großen
Anzahl von weitblickenden Menschen und des Kampfes gegen unzeitgemäße
Wirtschaftsmodelle. Die Entwicklung der Wirtschaftssonderzonen entspricht
den Gesetzen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung.
Der Erfolg ist dadurch gesichert.
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