Das
Ehegesetz – ein
Barometer der sozialen Wandlungen
Bereits kurz nach Gründung der Volksrepublik China
im Jahr 1949 wurde ein Ehegesetz erlassen. Es hatte das Ziel, die
Frauen aus dem feudalistischen Ehesystem zu befreien. 1980, kurz
nach Ende der Kulturrevolution, wurde dann das zweite Ehegesetz
der Volksrepublik verabschiedet. Es sollte nach dem 10 Jahre andauernden
Chaos der Kulturrevolution erneut die Gesetzesordnung herstellen.
Im Jahr 2000, zwanzig Jahre nach Einführung der Reform- und Öffnungspolitik,
wurde schließlich mit einer Revision des Ehegesetzes begonnen.
Man könnte das Ehegesetz also zu recht als eine Art Barometer
der sozialen Veränderungen in China bezeichnen.
Das erste Ehegesetz für
die Befreiung der Frauen
Was die Vorstellungen von Ehe und Familie vor
1949 in China angeht, so sind sie relativ wahrheitsgetreu in dem
Film „Die rote Laterne“ von Zhang Yimou dargestellt. Wer wen heiratete,
entschieden die Eltern und oft genug auch einfach das Geld. Wenn
ein Mann Geld hatte, konnte er ein paar Frauen haben. Die Frauen
hingegen hatten jeweils nur einem Mann treu zu bleiben. Männer
durften sich scheiden lassen, Frauen nicht. Frauen hatten die drei
Gehorsamspflichten zu erfüllen (gegenüber dem Vater vor der Ehe,
gegenüber dem Mann in der Ehe und gegenüber dem Sohn nach dem Tod
des Mannes) und die vier Tugenden zu beachten (Sittsamkeit, geziemende
Sprache, richtiges Betragen und Fleiß). Ihre Füße wurden
eingebunden. Und Witwen durften nicht wieder heiraten. Mit einem
Wort: Die Frauen standen gesellschaftlich auf der untersten Stufe.
Nach Gründung der Volksrepublik betrachtete die
Regierung es als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben, ein Ehegesetz
zu erlassen, das dem neudemokratischen Ehesystem entsprach.
So trat am 1. Mai 1950 das erste Ehegesetz in
Kraft, das acht Artikel und 27 Paragraphen umfasste. Hauptprinzipien
waren: Die Abschaffung des feudalistischen Ehesystems, demgemäß
die Ehe von den Eltern entschieden oder erzwungen wurde, Männer
ehrenwert und Frauen minderwertig waren und die Interessen der Kinder
außer acht gelassen wurden; Einführung eines aufgeklärten
Ehesystems, in dem Freiheit der Eheschließung, Monogamie und
Gleichberechtigung von Mann und Frau verankert waren sowie die Frauen
und die Interessen der Kinder geschützt wurden; außerdem
das Verbot der Bigamie, der Verheiratung von Kindbräuten, der
Einmischung in die Ehefreiheit von Witwen und der Forderung von
Geld und Vermögen bei Eheschließungen. Die Einführung
von Monogamie und Freiheit der Eheschließung (im Gegensatz
zu einer von den Eltern arrangierten Ehe) war von großer historischen
Bedeutung. Mao Zedong selbst hob hervor, daß das Ehegesetz
neben der Verfassung eines der grundlegenden Gesetze des Staates
sei.
Das neue Ehegesetz fand bei den meisten Chinesen
großen Anklang, stieß aber auch auf hartnäckigen
Widerstand. Manche Leute waren der Meinung, das Ehegesetz sei ein
Frauengesetz, nun würden die Männer unterdrückt. Andere bezeichneten
es als „Scheidungsgesetz“. Im Mai 1950 stellte Deng Yingchao, die
damalige Vizevorsitzende des Allchinesischen Frauenverbandes, in
ihrem Bericht über das Ehegesetz fest: „54% aller Gerichtsfälle
auf dem Land in Sachen Ehe bzw. 84% in der Stadt beschäftigen
sich mit der Scheidung von Ehen bzw. der Lösung von Verlobungen.
Die zugrundeliegenden Faktoren sind in erster Linie die durch Eltern
arrangierte oder erzwungene Ehen, Kauf oder Misshandlung der Ehefrau,
Eheschließung mit Minderjährigen, Bigamie, Ehebruch und
böswilliges Verlassen. Die Kläger sind auf dem Land zu
58% Frauen, während es in der Stadt 92% sind. Die geschiedenen
Paare sind in der Mehrheit nicht älter als 35.“
In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden,
dass viele Frauen es nie bis zum Gericht schafften: Sie wurden vorher
getötet oder begingen Selbstmord. 1951 waren das über 10000
Frauen in Zentral- und Südchina.
Das zweite Ehegesetz
Das zweite Ehegesetz trat am 1. Januar 1981 in
Kraft. Die Kulturrevolution war seit fünf Jahren zu Ende, die Reform-
und Öffnungspolitik stand an ihrem Anfang. Damals kamen die
meisten Chinesen zu der Erkenntnis, dass die echte und solide Grundlage
eines starken Staates seine wirtschaftliche Entwicklung sei. Die
in den 50er Jahren von der Regierung befürwortete Maxime „Mehr Menschen,
mehr Kraft“ hatte in den 30 Jahren danach die uneingeschränkte
Vermehrung der Bevölkerung zur Folge, eine Entwicklung von
negativer Tragweite. Geburtenkontrolle war dringend geboten. Die
Einführung der Reform- und Öffnungspolitik führte zu einer
Bewußtseinsveränderung im Denken der Chinesen. Sie begannen,
die Ehescheidung nicht länger als eine persönliche Schande
oder eine Verletzung der sozialen Gebote zu betrachten. Sie begannen
auch, dem Gefühl mehr Bedeutung beizumessen. Das Wort von Friedrich
Engels „Eine Ehe ohne Liebe ist eine unmoralische Ehe“ machte den
Scheidungsantrag noch richtiger. Diese sozialen Veränderungen
erforderten ein neues, ihnen entsprechendes Ehegesetz. Folgende
Punkte wurden darin revidiert oder ergänzt: Zur Förderung
späterer Heirat und damit späterer Geburt wurde die Ehemündigkeit
für Männer um zwei Jahre auf 22 und für Frauen auf 20 erhöht.
Zwecks Geburtenkontrolle wurde die Bestimmung „Beide Ehepartner
haben die Pflicht, die Familienplanung des Staates einzuhalten“
aufgenommen. Die Erfahrung mit der 30-jährigen juristischen
Praxis führte zu folgender Ergänzung: „Die Scheidung
soll gebilligt werden, falls die eheliche Zuneigung zerbrochen und
auch nach Vermittlung nicht wieder zu erlangen ist.“ Weitere Ergänzungen
dienten dem Schutz der Rechte und Interessen von Alten und dem Schutz
der Interessen der Frauen. Zum Beispiel: „Bei der Scheidung wird
das gemeinsame Vermögen der Ehepartner nach Vereinbarung beider
Seiten geteilt. Wird keine Vereinbarung erzielt, urteilt das Volksgericht
zugunsten der Frauen und Kinder.“
An folgenden Beispielen kann man sehen, wie tief
die Veränderungen nach Veröffentlichung des neuen Gesetzes
waren und welche Rolle es in der Gesellschaft spielte.
Im November 1981 gründete sich die Gruppe „Qin
Xianglian“ in Beijing. Sie bestand aus 25 böswillig verlassenen
Frauen. Qin Xianglian war eine Frau in der Song-Dynastie (960-1279).
Um ihrem Mann das Studium und den Aufstieg durch die Staatsexamen
zu ermöglichen, bestritt sie mit mühsamer Arbeit zunächst
seinen Unterhalt, ernährte dann die ganze Familie und kümmerte
sich schließlich auch noch um ihre Schwiegereltern bis zu
deren Tod. Nachdem ihr Mann die kaiserlichen Examina als Bester
bestanden hatte, verließ er sie und heiratete eine Tochter
des Kaisers. Die oben erwähnten 25 Frauen schrieben gemeinsam
einen Brief an Hu Yaobang, den damaligen Generalsekretär der
KP Chinas, in dem sie ihn aufforderten, dafür zu sorgen, dass diejenigen,
die Familien zerstörten, gerichtlich belangt werden und den
Frauen Schadensersatz zahlen sollten.
Im März 1983 veröffentlichte das Ministerium
für Zivilangelegenheiten „Die Bestimmungen über die Registrierung
von Eheschließungen zwischen Auslandschinesen oder Landsleuten
aus Hongkong und Macao mit Bürgern der Volksrepublik China“. Im
August 1983 kamen „Die Bestimmungen über die Registrierung von Eheschließungen
zwischen chinesischen Staatsbürgern und Ausländern“ hinzu.
1982 benutzten Justizbehörden und Frauenverbände
das neue Ehegesetz als Waffe und kämpften gegen die Misshandlung
und Tötung von Frauen und Kindern, kritisierten Denken und
Verhalten, die gegen die sozialistische Moral verstießen,
wie Diskriminierung von Frauen, Untreue und Einmischung in die Ehe
durch eine dritte Person. Leute, die Frauen und Kinder entführten
und verkauften, wurden gesetzlich bestraft. Tang Shuzhen aus der
Provinz Heilongjiang, die keinen Jungen, aber sechs Mädchen
auf die Welt gebracht hatte, wurde von ihrem Mann beschimpft und
geschlagen. Sie wagte aber nicht, darüber offen zu sprechen. Nach
Veröffentlichung des neuen Ehegesetzes traute sie sich jedoch
zum Frauenverband und bat, man solle sie von der Misshandlung durch
ihren Mann befreien. In der Provinz Hunan kamen 229 Leute, die zuvor
nicht für den Unterhalt ihrer Eltern aufkommen wollten, nach Durchsetzung
des neuen Ehegesetzes ihren Pflichten nach.
Das dritte Ehegesetz
Mit der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten
20 Jahre haben sich nicht nur die Bedingungen, sondern auch die
Vorstellungen der Menschen gewaltig verändert. Westliches Denken
hat einen eindeutigen Einfluß auf das Leben der Chinesen ausgeübt.
Die Folgen sind teilweise progressiv, haben aber auch Rückschritte
gebracht, d.h. Probleme, gerade im Bereich von Ehe und Familie,
die es so zuvor noch nicht gegeben hat. Deshalb wurde eine erneute
Revision des Ehegesetzes notwendig.
Unter Fachleuten und in der Öffentlichkeit
wurde intensivst über das neue, das dritte Ehegesetz diskutiert.
Die Schwerpunkte der Debatte waren, ob „Bao Ernai“ (Konkubinat)
eine strafbare Handlung konstituiere, wie man Gewalt in der Familie
gesetzlich behandeln solle und ob eine notarielle Beglaubigung von
vorehelichem Vermögen im Ehegesetz verankert werden solle.
Von manchen Experten wurde auch vorgeschlagen, die Homosexualität
durch Einbeziehung in das Ehegesetz zu entkriminalisieren – ein
weiteres Beweis dafür, wie groß die Veränderungen in
der chinesischen Gesellschaft sind:
Erstens: Während früher die einzige Form
des Zusammenlebens – für Männer wie für Frauen – die Ehe war,
wobei unverheiratet oder aber verheiratet und kinderlos zu sein
als soziales Stigma galt, gibt es jetzt eine ganze Reihe verschiedener
Lebensformen. Die Ehe ist zwar nach wie vor die Hauptform, aber
auch andere Arten werden praktiziert, so das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher
Partner und das Leben als alleinerziehende Mutter bzw. alleinerziehender
Vater sowie das Leben als Single und natürlich „Bao Ernai“.
Zweitens: Während früher aus vorwiegend wirtschaftlichen
Gründen oder Fortsetzung der Familie geheiratet wurde, sind die
Motive heute Liebe, Sexualität und ein Bedürfnis nach Geborgenheit.
Wer sich scheiden lassen will, weil er mit dem Eheleben nicht zufrieden
ist, kann die Scheidung beantragen. Ehepartner, die keine Zuneigung
mehr zueinander haben, sich aber wegen ihres Kindes oder ihrer Kinder
nicht scheiden lassen wollen, suchen oft außereheliche Liebe,
manche auch die käufliche Liebe, was einen Nährboden für
Prostitution bietet.
Drittens: Die ethische Grundlage für die Entscheidung
zur Eheschließung verlagert sich allmählich von der Familie
auf die einzelne Person. Die These „Die Familie ist die soziale
Zelle, die familiäre Stabilität ist Garant für die soziale
Stabilität“ wird nicht mehr allgemein akzeptiert. Man legt
heute mehr Wert auf das persönliche Glück und ist der Ansicht,
dass die Ehe eine persönliche Angelegenheit ist und nichts
mit sozialer Stabilität zu tun hat. Deshalb ist man auch nicht
länger bereit, in einer Ehe ohne Liebe zu leben. Die meisten
Chinesen meinen, dass eine Scheidung allein die Betroffenen angehe.
Manche jungen Leute bekennen sich sogar zu einem Zusammenleben ohne
Eheschließung und wollen sich nicht durch eine Ehe binden.
Viertens: Hinsichtlich der ehelichen Moral
spricht man nicht mehr von der Treue und Gehorsamspflicht der Frauen
gegenüber den Männern, sondern von der Selbständigkeit
der Frau. Die Frauen sind nicht länger Anhängsel und gar
Werkzeug der Männer. Sie postulieren ihr Recht auf Liebe und
sexuelle Erfüllung. Immer mehr Frauen finden es keineswegs tugendhaft,
in einer Ehe ohne Liebe zu verbleiben, und bringen sogar Toleranz
und Mitgefühl für außereheliche Liebe auf. Trotzdem, auch
wenn die traditionelle Vorstellung von Ehetreue kritisiert wird,
so hat sie doch noch einen großen Einfluß auf die Gesellschaft.
Fünftens: Man versucht, der Ehe ein Fundament
zu geben, das über die Heiratsurkunde oder die Existenz eines Kindes
hinausgeht, und an ihrer Beständigkeit zu arbeiten. Man weiß,
dass die Liebe kein Schoßhund ist, den man festbinden kann.
Ältere Frauen jedoch, die aus wirtschaftlichen Gründen kaum
selbständig sind und die ihre Männer nicht verlieren und
ihr Kind geschützt sehen wollen, hoffen darauf, dass das neue Ehegesetz
die Scheidungsmöglichkeiten einschränkt.
Das dritte Ehegesetz soll, so die Meinung in breiten
Kreisen der Bevölkerung, Ehe und Familie stabilisieren und
die Rechte und Interessen von Frauen und Kindern besser schützen.
Es soll wirksam gegen „Bao Ernai“ vorgehen und die außereheliche
Liebe einschränken sowie eine Senkung der Scheidungsrate bewirken.
Gewalt in der Familie soll durch Bestrafung der Täter reduziert
werden. Hinsichtlich des Familienvermögens sollen klare Bestimmungen
ausgearbeitet werden.
Doch wie das erreicht werden soll,
darüber gibt es große Meinungsunterschiede. Die eine Seite
meint, man müsse mit harten Mitteln gegen jeden vorgehen, der die
Ehestabilität verletze. Gewalt in der Ehe solle als Verletzung
der Persönlichkeitsrechte des anderen geahndet werden. Der
Täter müsse bestraft werden und einen Schadensersatz zahlen.
So könne man „Bao Ernai“ und außereheliche Liebe erfolgreich
einschränken und gleichzeitig die Scheidungsrate senken sowie
Frauen und Kinder schützen. Die andere Seite hingegen ist der Meinung,
dass der Einsatz von harten Mitteln keine Lösung der Probleme
bringe, sondern sie im Gegenteil sogar eskaliere, weil dadurch der
friedliche Weg verbaut werde, Frauen und Kinder also keineswegs
wirksam geschützt würden. Nur Änderungen langfristiger Natur
zum Beispiel in der Erziehung könnten dies bewerkstelligen,
wobei gegen ein vernünftiges und indirektes Mittel wie Geldstrafen
nichts einzuwenden sei.
Von Chen Xinxin
|