Inhalt von April 2001
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Das Ehegesetz – ein Barometer der sozialen Wandlungen

Bereits kurz nach Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 wurde ein Ehegesetz erlassen. Es hatte das Ziel, die Frauen aus dem feudalistischen Ehesystem zu befreien. 1980, kurz nach Ende der Kulturrevolution, wurde dann das zweite Ehegesetz der Volksrepublik verabschiedet. Es sollte nach dem 10 Jahre andauernden Chaos der Kulturrevolution erneut die Gesetzesordnung herstellen. Im Jahr 2000, zwanzig Jahre nach Einführung der Reform- und Öffnungspolitik, wurde schließlich mit einer Revision des Ehegesetzes begonnen. Man könnte das Ehegesetz also zu recht als eine Art Barometer der sozialen Veränderungen in China bezeichnen.

Das erste Ehegesetz für die Befreiung der Frauen

Was die Vorstellungen von Ehe und Familie vor 1949 in China angeht, so sind sie relativ wahrheitsgetreu in dem Film „Die rote Laterne“ von Zhang Yimou dargestellt. Wer wen heiratete, entschieden die Eltern und oft genug auch einfach das Geld. Wenn ein Mann Geld hatte, konnte er ein paar Frauen haben. Die Frauen hingegen hatten jeweils nur einem Mann treu zu bleiben. Männer durften sich scheiden lassen, Frauen nicht. Frauen hatten die drei Gehorsamspflichten zu erfüllen (gegenüber dem Vater vor der Ehe, gegenüber dem Mann in der Ehe und gegenüber dem Sohn nach dem Tod des Mannes) und die vier Tugenden zu beachten (Sittsamkeit, geziemende Sprache, richtiges Betragen und Fleiß). Ihre Füße wurden eingebunden. Und Witwen durften nicht wieder heiraten. Mit einem Wort: Die Frauen standen gesellschaftlich auf der untersten Stufe.

Nach Gründung der Volksrepublik betrachtete die Regierung es als eine ihrer vordringlichsten Aufgaben, ein Ehegesetz zu erlassen, das dem neudemokratischen Ehesystem entsprach.

So trat am 1. Mai 1950 das erste Ehegesetz in Kraft, das acht Artikel und 27 Paragraphen umfasste. Hauptprinzipien waren: Die Abschaffung des feudalistischen Ehesystems, demgemäß die Ehe von den Eltern entschieden oder erzwungen wurde, Männer ehrenwert und Frauen minderwertig waren und die Interessen der Kinder außer acht gelassen wurden; Einführung eines aufgeklärten Ehesystems, in dem Freiheit der Eheschließung, Monogamie und Gleichberechtigung von Mann und Frau verankert waren sowie die Frauen und die Interessen der Kinder geschützt wurden;  außerdem das Verbot der Bigamie, der Verheiratung von Kindbräuten, der Einmischung in die Ehefreiheit von Witwen und der Forderung von Geld und Vermögen bei Eheschließungen. Die Einführung von Monogamie und Freiheit der Eheschließung (im Gegensatz zu einer von den Eltern arrangierten Ehe) war von großer historischen Bedeutung. Mao Zedong selbst hob hervor, daß das Ehegesetz neben der Verfassung eines der grundlegenden Gesetze des Staates sei.

Das neue Ehegesetz fand bei den meisten Chinesen großen Anklang, stieß aber auch auf hartnäckigen Widerstand. Manche Leute waren der Meinung, das Ehegesetz sei ein Frauengesetz, nun würden die Männer unterdrückt. Andere bezeichneten es als „Scheidungsgesetz“. Im Mai 1950 stellte Deng Yingchao, die damalige Vizevorsitzende des Allchinesischen Frauenverbandes, in ihrem Bericht über das Ehegesetz fest: „54% aller Gerichtsfälle auf dem Land in Sachen Ehe bzw. 84% in der Stadt beschäftigen sich mit der Scheidung von Ehen bzw. der Lösung von Verlobungen. Die zugrundeliegenden Faktoren sind in erster Linie die durch Eltern arrangierte oder erzwungene Ehen, Kauf oder Misshandlung der Ehefrau, Eheschließung mit Minderjährigen, Bigamie, Ehebruch und böswilliges Verlassen. Die Kläger sind auf dem Land zu 58% Frauen, während es in der Stadt 92% sind. Die geschiedenen Paare sind in der Mehrheit nicht älter als 35.“

In diesem Zusammenhang muss erwähnt werden, dass viele Frauen es nie bis zum Gericht schafften: Sie wurden vorher getötet oder begingen Selbstmord. 1951 waren das über 10000 Frauen in Zentral- und Südchina.

Das zweite Ehegesetz

Das zweite Ehegesetz trat am 1. Januar 1981 in Kraft. Die Kulturrevolution war seit fünf Jahren zu Ende, die Reform- und Öffnungspolitik stand an ihrem Anfang. Damals kamen die meisten Chinesen zu der Erkenntnis, dass die echte und solide Grundlage eines starken Staates seine wirtschaftliche Entwicklung sei. Die in den 50er Jahren von der Regierung befürwortete Maxime „Mehr Menschen, mehr Kraft“ hatte in den 30 Jahren danach die uneingeschränkte Vermehrung der Bevölkerung zur Folge, eine Entwicklung von negativer Tragweite. Geburtenkontrolle war dringend geboten. Die Einführung der Reform- und Öffnungspolitik führte zu einer Bewußtseinsveränderung im Denken der Chinesen. Sie begannen, die Ehescheidung nicht länger als eine persönliche Schande oder eine Verletzung der sozialen Gebote zu betrachten. Sie begannen auch, dem Gefühl mehr Bedeutung beizumessen. Das Wort von Friedrich Engels „Eine Ehe ohne Liebe ist eine unmoralische Ehe“ machte den Scheidungsantrag noch richtiger. Diese sozialen Veränderungen erforderten ein neues, ihnen entsprechendes Ehegesetz. Folgende Punkte wurden darin revidiert oder ergänzt: Zur Förderung späterer Heirat und damit späterer Geburt wurde die Ehemündigkeit für Männer um zwei Jahre auf 22 und für Frauen auf 20 erhöht. Zwecks Geburtenkontrolle wurde die Bestimmung „Beide Ehepartner haben die Pflicht, die Familienplanung des Staates einzuhalten“ aufgenommen. Die Erfahrung mit der 30-jährigen juristischen Praxis führte zu folgender Ergänzung:  „Die Scheidung soll gebilligt werden, falls die eheliche Zuneigung zerbrochen und auch nach Vermittlung nicht wieder zu erlangen ist.“ Weitere Ergänzungen dienten dem Schutz der Rechte und Interessen von Alten und dem Schutz der Interessen der Frauen. Zum Beispiel: „Bei der Scheidung wird das gemeinsame Vermögen der Ehepartner nach Vereinbarung beider Seiten geteilt. Wird keine Vereinbarung erzielt, urteilt das Volksgericht zugunsten der Frauen und Kinder.“

An folgenden Beispielen kann man sehen, wie tief die Veränderungen nach Veröffentlichung des neuen Gesetzes waren und welche Rolle es in der Gesellschaft spielte.

Im November 1981 gründete sich die Gruppe „Qin Xianglian“ in Beijing. Sie bestand aus 25 böswillig verlassenen Frauen. Qin Xianglian war eine Frau in der Song-Dynastie (960-1279). Um ihrem Mann das Studium und den Aufstieg durch die Staatsexamen zu ermöglichen, bestritt sie mit mühsamer Arbeit zunächst seinen Unterhalt, ernährte dann die ganze Familie und kümmerte sich schließlich auch noch um ihre Schwiegereltern bis zu deren Tod. Nachdem ihr Mann die kaiserlichen Examina als Bester bestanden hatte, verließ er sie und heiratete eine Tochter des Kaisers. Die oben erwähnten 25 Frauen schrieben gemeinsam einen Brief an Hu Yaobang, den damaligen Generalsekretär der KP Chinas, in dem sie ihn aufforderten, dafür zu sorgen, dass diejenigen, die Familien zerstörten, gerichtlich belangt werden und den Frauen Schadensersatz zahlen sollten.

Im März 1983 veröffentlichte das Ministerium für Zivilangelegenheiten „Die Bestimmungen über die Registrierung von Eheschließungen zwischen Auslandschinesen oder Landsleuten aus Hongkong und Macao mit Bürgern der Volksrepublik China“. Im August 1983 kamen „Die Bestimmungen über die Registrierung von Eheschließungen zwischen chinesischen Staatsbürgern und Ausländern“ hinzu.

1982 benutzten Justizbehörden und Frauenverbände das neue Ehegesetz als Waffe und kämpften gegen die Misshandlung und Tötung von Frauen und Kindern, kritisierten Denken und Verhalten, die gegen die sozialistische Moral verstießen, wie Diskriminierung von Frauen, Untreue und Einmischung in die Ehe durch eine dritte Person. Leute, die Frauen und Kinder entführten und verkauften, wurden gesetzlich bestraft. Tang Shuzhen aus der Provinz Heilongjiang, die keinen Jungen, aber sechs Mädchen auf die Welt gebracht hatte, wurde von ihrem Mann beschimpft und geschlagen. Sie wagte aber nicht, darüber offen zu sprechen. Nach Veröffentlichung des neuen Ehegesetzes traute sie sich jedoch zum Frauenverband und bat, man solle sie von der Misshandlung durch ihren Mann befreien. In der Provinz Hunan kamen 229 Leute, die zuvor nicht für den Unterhalt ihrer Eltern aufkommen wollten, nach Durchsetzung des neuen Ehegesetzes ihren Pflichten nach.

Das dritte Ehegesetz

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung der letzten 20 Jahre haben sich nicht nur die Bedingungen, sondern auch die Vorstellungen der Menschen gewaltig verändert. Westliches Denken hat einen eindeutigen Einfluß auf das Leben der Chinesen ausgeübt. Die Folgen sind teilweise progressiv, haben aber auch Rückschritte gebracht, d.h. Probleme, gerade im Bereich von Ehe und Familie, die es so zuvor noch nicht gegeben hat. Deshalb wurde eine erneute Revision des Ehegesetzes notwendig.

Unter Fachleuten und in der Öffentlichkeit wurde intensivst über das neue, das dritte Ehegesetz diskutiert. Die Schwerpunkte der Debatte waren, ob „Bao Ernai“ (Konkubinat) eine strafbare Handlung konstituiere, wie man Gewalt in der Familie gesetzlich behandeln solle und ob eine notarielle Beglaubigung von vorehelichem Vermögen im Ehegesetz verankert werden solle. Von manchen Experten wurde auch vorgeschlagen, die Homosexualität durch Einbeziehung in das Ehegesetz zu entkriminalisieren – ein weiteres Beweis dafür, wie groß die Veränderungen in der chinesischen Gesellschaft sind:

Erstens: Während früher die einzige Form des Zusammenlebens – für Männer wie für Frauen – die Ehe war, wobei unverheiratet oder aber verheiratet und kinderlos zu sein als soziales Stigma galt, gibt es jetzt eine ganze Reihe verschiedener Lebensformen. Die Ehe ist zwar nach wie vor die Hauptform, aber auch andere Arten werden praktiziert, so das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Partner und das Leben als alleinerziehende Mutter bzw. alleinerziehender Vater sowie das Leben als Single und natürlich „Bao Ernai“.

Zweitens: Während früher aus vorwiegend wirtschaftlichen Gründen oder Fortsetzung der Familie geheiratet wurde, sind die Motive heute Liebe, Sexualität und ein Bedürfnis nach Geborgenheit. Wer sich scheiden lassen will, weil er mit dem Eheleben nicht zufrieden ist, kann die Scheidung beantragen. Ehepartner, die keine Zuneigung mehr zueinander haben, sich aber wegen ihres Kindes oder ihrer Kinder nicht scheiden lassen wollen, suchen oft außereheliche Liebe, manche auch die käufliche Liebe, was einen Nährboden für Prostitution bietet.

Drittens: Die ethische Grundlage für die Entscheidung zur Eheschließung verlagert sich allmählich von der Familie auf die einzelne Person. Die These „Die Familie ist die soziale Zelle, die familiäre Stabilität ist Garant für die soziale Stabilität“ wird nicht mehr allgemein akzeptiert. Man legt heute mehr Wert auf das persönliche Glück und ist der Ansicht, dass die Ehe eine persönliche Angelegenheit ist und nichts mit sozialer Stabilität zu tun hat. Deshalb ist man auch nicht länger bereit, in einer Ehe ohne Liebe zu leben. Die meisten Chinesen meinen, dass eine Scheidung allein die Betroffenen angehe. Manche jungen Leute bekennen sich sogar zu einem Zusammenleben ohne Eheschließung und wollen sich nicht durch eine Ehe binden.

 Viertens: Hinsichtlich der ehelichen Moral spricht man nicht mehr von der Treue und Gehorsamspflicht der Frauen gegenüber den Männern, sondern von der Selbständigkeit der Frau. Die Frauen sind nicht länger Anhängsel und gar Werkzeug der Männer. Sie postulieren ihr Recht auf Liebe und sexuelle Erfüllung. Immer mehr Frauen finden es keineswegs tugendhaft, in einer Ehe ohne Liebe zu verbleiben, und bringen sogar Toleranz und Mitgefühl für außereheliche Liebe auf. Trotzdem, auch wenn die traditionelle Vorstellung von Ehetreue kritisiert wird, so hat sie doch noch einen großen Einfluß auf die Gesellschaft.

Fünftens: Man versucht, der Ehe ein Fundament zu geben, das über die Heiratsurkunde oder die Existenz eines Kindes hinausgeht, und an ihrer Beständigkeit zu arbeiten. Man weiß, dass die Liebe kein Schoßhund ist, den man festbinden kann. Ältere Frauen jedoch, die aus wirtschaftlichen Gründen kaum selbständig sind und die ihre Männer nicht verlieren und ihr Kind geschützt sehen wollen, hoffen darauf, dass das neue Ehegesetz die Scheidungsmöglichkeiten einschränkt.

Das dritte Ehegesetz soll, so die Meinung in breiten Kreisen der Bevölkerung, Ehe und Familie stabilisieren und die Rechte und Interessen von Frauen und Kindern besser schützen. Es soll  wirksam gegen „Bao Ernai“ vorgehen und die außereheliche Liebe einschränken sowie eine Senkung der Scheidungsrate bewirken. Gewalt in der Familie soll durch Bestrafung der Täter reduziert werden. Hinsichtlich des Familienvermögens sollen klare Bestimmungen ausgearbeitet werden.

Doch wie das erreicht werden soll, darüber gibt es große Meinungsunterschiede. Die eine Seite meint, man müsse mit harten Mitteln gegen jeden vorgehen, der die Ehestabilität verletze. Gewalt in der Ehe solle als Verletzung der Persönlichkeitsrechte des anderen geahndet werden. Der Täter müsse bestraft werden und einen Schadensersatz zahlen. So könne man „Bao Ernai“ und außereheliche Liebe erfolgreich einschränken und gleichzeitig die Scheidungsrate senken sowie Frauen und Kinder schützen. Die andere Seite hingegen ist der Meinung, dass der Einsatz von harten Mitteln keine Lösung der Probleme bringe, sondern sie im Gegenteil sogar eskaliere, weil dadurch der friedliche Weg verbaut werde, Frauen und Kinder also keineswegs wirksam geschützt würden. Nur Änderungen langfristiger Natur zum Beispiel in der Erziehung könnten dies bewerkstelligen, wobei gegen ein vernünftiges und indirektes Mittel wie Geldstrafen nichts einzuwenden sei.

Von Chen Xinxin

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