Die
Entlarvung des Meng Hsiä
In seinen späten literarischen Texten und
Briefen hat Hermann Hesse gelegentlich einen gewissen Meng Hsiä
zitiert, ohne jedoch jemals mitzuteilen, wann dieser kluge Mann
eigentlich gelebt habe. Hesse konnte das auch getrost seinen Interpreten
und Biographen überlassen. Die einen begnügten sich damit, Meng
Hsiä als historische Gestalt zu akzeptieren, doch „fündig“
wurde schließlich der Hesse-Spezialist Peter Heinz Herzog.
Meng Hsiä, so las man es dann Anfang der 70-er Jahre und noch
lange danach, habe zur Zeit der Tang-Dynastie gelebt und Hesse stark
beeinflusst…
Hesse, der 1962 starb, hätte sicher seinen
Spaß daran gehabt, denn ein Dichter namens Meng Hsiä
ist in China unbekannt, es hat ihn nie gegeben.
Aufgeklärt hat dieses Verwirrspiel, das Hermann
Hesse inszeniert hatte, um lästige Angriffe wegen seiner China-Freundlichkeit
abzuwehren, der chinesische Germanist Adrian Hsia. Der Autor des
Buches „Hermann Hesse und China“, der lange Jahre an der McGill-University
in Montreal/Kanada lehrte, bezeichnet die vermeintlichen Erkenntnisse
bezüglich des Meng Hsiä als haltlose Mutmaßungen und
Spekulationen. „Meng Hsiä ist niemand anderer als Hesse selbst
in chinesischem Gewand.“ Indem er der von ihm erfundenen Figur sehr
chinesisch klingende Weisheiten in den Mund legte, die er je nach
Bedarf formulierte, konnte er seinen Kritikern elegant eins auswischen.
In der Tat war Hesse von vielen Seiten „Schwärmerei
eines politisch naiven Romantikers“ vorgeworfen worden, als er „chinesisches
Denken“ nicht mehr länger als „entlegene Kuriosität“ gelten
lassen wollte, sondern als eine Denkart pries, die man im Westen
vernachlässigt habe und die in wesentlichen Fragen hilfreich
sei.
Adrian Hsia weist in Hesses Werk eine bis dahin
beispiellose Integration asiatischen Denkens in die abendländisch-rationalistische
Begriffswelt nach und kommentiert die Verschmelzung von europäischer,
indischer und ostasiatischer Kultur im Weltbild dieses Autors.
„Es bedurfte eines gebürtigen Chinesen, der in
der deutschen Sprache zu Hause ist, um das Verhältnis Hesses
zu Ostasien differenzierter darzustellen als bisher“, schrieb die
Züricher Zeitung „Die Tat“.
Hesses Verdienst war es, die Internationalität
des Geistes betont und sich für einen Austausch der Kulturen eingesetzt
zu haben. Adrian Hsia hat dieses Anliegen des Dichters am Beispiel
von Hesses Einmischung in die damals höchst komplizierten Beziehungen
Deutschlands zu China deutlich gemacht. Und Meng Hsiä? Er hat
die ihm von Hesse zugewiesene Rolle mit Bravour gespielt...
Adrian Hsia: „Hermann Hesse und China“, Suhrkamp-Taschenbuch-Verlag,
360 Seiten, ISBN 3-518-37173-8.
Von Atze Schmidt
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