Ein
lebendiges Denkmal
Zhou
Yao, der Begründer der Entomologie in China
Von
Shen Honglei
Chinas erstes Museum für Insektenkunde befindet
sich in der Provinz Shaanxi, im landwirtschaftlichen Modellgebiet
Yangling. In der Museumshalle steht das bronzene Standbild eines
Wissenschaftlers. An diesem Standbild geht jeden Tag ein alter
Gelehrter mit weißem Haar vorbei. Sieht er sich die Statue
an, liest er darunter seinen eigenen Namen: Zhou Yao. Dass einem
Wissenschaftler bereits zu Lebzeiten ein Denkmal errichtet wurde,
ist eine ganz besondere Ehrung und kommt in China nur selten
vor. Zhou Yao ist der Direktor des Museums für Insektenkunde
und der Begründer der Entomologie in China.
In einem Interview mit dem chinesischen Zentralfernsehen
CCTV legte er anekdotisch die Bedeutung der Insektenkunde dar:
„In alter Zeit wurden die Truppen des Römischen Imperiums
durch Flohplagen versprengt. Frankreich musste den Bau des Panamakanals
einstellen, weil es die Stechmücken nicht unter Kontrolle bringen
konnte . In Afrika hat die Tsetse-Fliege weite Gebiete unbewohnbar
gemacht. Und Wissenschaftler haben durch Libellen und den Japanischen
Schwimmkäfer Aufschlüsse erhalten und die Form von Flugzeugen
und U-Booten verbessert. Durch die Erforschung der Fortpflanzung
der Fruchtfliege haben sie wiederum das Geheimnis der Gene aufgedeckt
und die Genetik entwickelt.“ Mit diesen Worten wurden die Zuschauer
in die faszinierende Welt der Insekten eingeführt.
Überragende Verdienste in der Entomologie
Zhou Yao wurde 1912 in der Nähe der Küstenstadt
Ningbo, Provinz Zhejiang, geboren, genauer in der Gemeinde Gaoqiao
im Kreis Yin. Der Ort wird die „Heimat der Schmetterlinge“ genannt,
denn dort soll sich die tragisch-romantische Liebesgeschichte
von Liang Shanbo und Zhu Yingtai abgespielt haben, die in ganz
China als Volkserzählung überliefert ist. Sie starben aus
Gram über ihre verhinderte Liebe und verwandelten sich nach
ihrem Tod in Schmetterlinge. Zhou Yao hat eine ausgeprägte
Vorliebe für Schmetterlinge, die „Blumen“ der Insektenwelt.
In seinem Büro stehen ein Dutzend von ihm geschriebene Fachbücher
über Schmetterlinge, die verschiedene von ihm mit feiner Federführung
sorgfältig gezeichnete Abbildungen enthalten.
Doch es war nicht die schöne Seite der
Insektenwelt, die Zhou Yao dazu brachte, sich mit Entomologie
zu beschäftigen.
Ende
der 30er Jahre suchte eine schlimme Insektenplage die Provinz
Shaanxi heim. Weizengallmücken machten die Ernte in der Zentralebene
von Shaanxi zunichte. Die darauf folgende Hungersnot zwang die
Bauern, ihr Land zu verlassen und in andere Landesteile abzuwandern.
Die Nachricht der Massenflucht erschütterte das In- und Ausland
und wurde als „Flucht aus der Zentralebene von Shaanxi “ bekannt.
Anfang der 50er Jahre, kurz nach der Gründung des Neuen China,
wurde dieselbe Gegend abermals von Weizengallmücken heimgesucht.
Die Bauern, die gerade erst durch die Bodenreform Ackerland
bekommen hatten, gerieten in Panik und beteten den Himmel an,
damit der „Insektenkönig“ mit seiner Plage aufhöre.
Manche unaufgeklärte Bauern legten einfach Feuer in den
Feldern, um die Schädlinge zu vernichten. Dadurch jedoch
stieg der Verlust der Ernte von 80% bis auf 100%.
Im Hinblick auf diese Katastrophe fasste Zhou
Yao den Willen, einen Weg zur Bekämpfung der Weizengallmücken
zu finden. Gallmücken sind entomologisch mit den Stechmücken
verwandt. In jener Zeit fehlte es in China an eingehender Forschung
und genauen Kenntnissen über die Weizengallmücke, so daß
sie immer wieder Katastrophen hervorrief.
Zhou Yao untersuchte die Weizengallmücken,
die kaum drei mm lang sind, zunächst im Labor und stellte
fest, dass es nicht die erwachsenen Tiere sind, die den Weizen
schädigen, sondern ihre Larven. Diese dringen in die jungen
Weizenkörner ein und ernähren sich von ihrem Saft.
Um ein Mittel zu ihrer Bekämpfung zu finden, verlegte er
seine Arbeit vom Labor ins Feld und übernachtete sogar dort.
Durch Beobachtung und Experimente fand er ein geeignetes Schädlingsbekämpfungsmittel.
Nach seinem Vorschlag schickte die Zentralregierung 40 Flugzeuge
zum Versprühen von Insektiziden. Das war der erste Einsatz von
Flugzeugen zu landwirtschaftlichen Zwecken in China.
Zhou Yao gab sich jedoch mit chemischer Bekämpfung
nicht zufrieden. Durch weitere Untersuchungen fand er heraus,
dass zwei Arten von Schmarotzerbienen die natürlichen Feinde
der Weizengallmücke waren und als Nützlinge eingesetzt werden
konnten. Das war eine wichtige Erkenntnis. Der Vorteil der biologischen
Methode zur Schädlingsbekämpfung liegt auf der Hand.
Sie wurde in weiten Teilen des Einzugsgebiets des Gelben Flusses
angewendet. Der Plage der Weizengallmücken wurde schließlich
ein Ende gesetzt. Damit wurde ein glänzendes Kapitel in
der Geschichte der Schädlingsbekämpfung in China geschrieben.
Der biologische Pflanzenschutz bildete auch fortan einen Schwerpunkt
in Zhou Yaos Forschungsarbeit. Er entdeckte später eine
weitere Art von Schmarotzerbienen, die zur wirksamen Bekämpfung
des Weißen Bärenspinners eingesetzt werden kann.
Diese Biene wurde nach ihm benannt. 1978 wurde er auf dem ersten
Kongress der Wissenschaften für seine überragenden Verdienste
ausgezeichnet.
Patriotische Vergangenheit
Im Museum für Insektenkunde in Yangling hängt
ein Bild von Zhou Yao in Uniform. Es wurde aufgenommen während
des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression (1937
– 1945). Er stammt aus einer Gelehrtenfamilie, und bereits in
seiner Kindheit las er viele Bücher über Heldenfiguren in der
chinesischen Geschichte. In seiner Jugend beeinflusste der Geist
von Demokratie und Wissenschaft der Vierten-Mai-Bewegung seine
Weltanschauung. Immer behielt er den folgenden alten chinesischen
Spruch in seinem Kopf: „Für den Aufschwung oder Niedergang eines
Staates trägt auch ein einfacher Bürger die Verantwortung“.
1936 ging er mit dem Wunsch, durch die Wissenschaft
einen Beitrag zur Rettung seines Landes zu leisten, nach Italien
an die Universität Neapel, wo er bei Filippo Silvestri,
einem damals weltweit führenden Entomologen, doktorierte. Seine
Dissertation wurde in der Zeitschrift des Instituts veröffentlicht
und fand breite Anerkennung. Dem promovierten Wissenschaftler
schien eine glänzende Zukunft bevorzustehen.
Am 7. Juli 1937 kam es jedoch zum Zwischenfall
auf der Marco-Polo-Brücke bei Beijing. Wenig später wurde
die damalige Hauptstadt Nanjing von den Japanern besetzt. Zhou
Yao war stark getroffen. In Europaerlebte er, wie die italienischen
Faschisten mit der Ausweitung der japanischen Invasion in China
immer angriffslustiger wurden. Er fragte sich, was es nütze,
kleine Schädlinge zu bekämpfen, wenn es nicht gelang,
die großen unschädlich zu machen.
Eines Abends widerfuhr ihm ein besonderes
Erlebnis. Er war bei einem italienischen Freund zu Besuch, als
ein junger Faschist hereinkam und zu ihm sagte: „Ihr Japaner
seid wirklich großartig! Ihr habt im Handumdrehen den
Großteil Chinas erobert.“ Wütend packte er den Mann vor
der Brust und sagte ihm ins Gesicht: „Wart’s ab, mal sehen,
ob letzten Endes wirklich die Japaner die Chinesen besiegen
und nicht umgekehrt.“ Er entschloss sich, möglichst schnell
in die Heimat zurückzukehren. Als er seinem Professor sein Vorhaben
eröffnete, reagierte dieser zunächst mit Unverständnis
und legte ihm nahe, als Assistent bei ihm zu bleiben und seine
vielversprechende Karriere weiter zu verfolgen. Aber Zhou Yao
blieb eisern und ließ sich nicht davon abbringen, seinem
leidenden Vaterland mit Tat und Kraft beizustehen. Schließlich
gab Professor Silvestri seine Zustimmung und erließ ihm
sogar die mündliche Prüfung. Er gab dem jungen chinesischen
Wissenschaftler den Rat auf den Weg, sich nach dem Krieg weiter
mit Entomologie zu beschäftigen. Zhou Yao bedankte sich
bei seinem Lehrer und kehrte nach China zurück.
Am Tag seiner Ankunft in China drückte er
in seinem Tagebuch den Willen aus „dem Heimatland für seine
Unabhängigkeit und Prosperität mein Leben zu opfern.“
Er trat in die Armee ein und kämpfte als Soldat an der
Front. Bald erfuhr der Kommandeur, dass in seiner Truppe ein
promovierter Wissenschaftler als Soldat diente. Er sprach mit
Zhou Yao und riet ihm, sein Fachwissen im Hinterland für den
Aufbau des Landes einzusetzen. So verließ er die Front.
1951 schied er aus dem Militärdienst aus. Mit seinem Fachwissen
leistete er einen Beitrag zur Entlarvung US-amerikanischer Kriegsverbrechen
im Korea-Krieg (1950–1953). Die amerikanischen Imperialisten
setzten Bakterien als Waffen ein. Bomben mit biologischen Kampfstoffen
wurden nicht nur in Korea, sondern auch im Nordosten Chinas
abgeworfen. Es wurden Insekten entdeckt, die Bakterien verbreiten,
und man veröffentlichte Fotos davon in den Zeitungen. Die
Imperialisten leugneten den Einsatz biologischer Waffen hartnäckig
und behaupteten, dass es sich um in Korea heimische Insekten
handle. Professor Zhou und andere Entomologen stellten eingehende
Untersuchungen bezüglich der Formen, Merkmale und Lebensgewohnheiten
der Insekten an und kamen zum Schluss, dass sie aus Nordamerika
eingeführt worden sein mussten. Damit wurde die grausame Tat
der Imperialisten bewiesen.
60-jährige Lehrtätigkeit an der
Staatlichen Landwirtschaftlichen Hochschule Nordwestchinas
Im Jahr 1934 wurde in Xi’an mit der Staatlichen
Landwirtschaftlichen Hochschule Nordwestchinas die erste Bildungsstätte
für Landwirtschaftsexperten in diesem Landesteil gegründet.
Im Jahr 1939, mit 27 Jahren, nahm Zhou Yao seine Lehrtätigkeit
an dieser Hochschule auf. Über 60 Jahre verbrachte er in
dieser Institution und erlebte ihre Entwicklung und die zahlreichen
Schicksalswendungen mit, welche ihr die neueste Geschichte Chinas
bescherte. Als sich die Kuomintang kurz vor der Befreiung 1949
aus Xi’an zurückzog, zwang sie die Lehrerschaft, die Schule
zu verlassen. Da trat Zhou Yao hervor und appellierte an seine
Kollegen, an der Hochschule zu bleiben. Viele können sich
heute noch an seine Worte erinnern: „Seit zehn Jahren arbeiten
wir an dieser Hochschule. Unsere Bücher, Geräte, Protokolle
und Forschungsergebnisse sind hier. Gleichgültig, wie sich die
politische Lage verändert, die Schule wird weitergeführt.
Wir müssen den Fortbestand dieser Hochschule sichern.“ Die Lehrer
und Studenten schlossen sich seiner Meinung an, und die Fachhochschule
überlebte.
In der Kulturrevolution
(1966–1976) durchlitt Zhou Yao schwere Zeiten. Er wurde als
„reaktionäre Fachautorität“ abgestempelt, musste seine
Wohnung verlassen und in ein kleines Zimmer umziehen und als
Bauer landwirtschaftliche Arbeit verrichten. Selbst in der späteren
Periode der Kulturrevolution, als der Lehrbetrieb wieder halbwegs
aufgenommen und ihm das Unterrichten erlaubt wurde, musste er
erleben, dass ihm die Studenten vor der Unterrichtsstunde im
Chor entgegenriefen: „Nieder mit der reaktionären Fachautorität!“
Dennoch lehrte er seine Studenten unnachgiebig und setzte seine
Forschung sorgfältig fort. Beim Abschluss bedankten sie
sich bei ihm: „Bei Ihnen haben wir in diesen Jahren nicht nur
Fachkenntnisse erworben, sondern auch gelernt, ein richtiger
Mensch zu sein. Dies alles wird unser ganzes Leben beeinflussen.“
In den letzten 40 Jahren bereiste Zhou Yao
das ganze Land und sammelte in mühevoller Arbeit über 40 000
Insekten. Etliche neu entdeckte Arten wurden nach ihm benannt.
Er gründete ein Museum für Insektenkunde und baute es zum Identifikations-
und Klassifizierungszentrum für die chinesische Land- und Forstwirtschaft
aus. Er schrieb in seinem Leben über 200 wissenschaftliche Bücher
und Aufsätze und schenkte der Bibliothek des Insektenkunde-Museums
2500 Bücher, von denen viele bereits vergriffen sind. Selbst
im hohen Alter führte er seine wissenschaftliche Forschungsarbeit
fort. Er ist heute ein international anerkannter Gelehrter und
wurde zweimal mit dem italienischen Silvestri-Preis ausgezeichnet.
Als Vizeministerpräsident Li Lanqing im August 1996 das
Museum für Insektenkunde in Yangling besuchte, sprach er seine
hohe Anerkennung für Zhao Yaos großes Verdienst und seinen
aufopfernden Geist für die Wissenschaft aus.