September 2002
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Sonderberichte

Presse Schau

Ein lebendiges Denkmal

Zhou Yao, der Begründer der Entomologie in China

Von Shen Honglei

Chinas erstes Museum für Insektenkunde befindet sich in der Provinz Shaanxi, im landwirtschaftlichen Modellgebiet Yangling. In der Museumshalle steht das bronzene Standbild eines Wissenschaftlers. An diesem Standbild geht jeden Tag ein alter Gelehrter mit weißem Haar vorbei. Sieht er sich die Statue an, liest er darunter seinen eigenen Namen: Zhou Yao. Dass einem Wissenschaftler bereits zu Lebzeiten ein Denkmal errichtet wurde, ist eine ganz besondere Ehrung und kommt in China nur selten vor. Zhou Yao ist der Direktor des Museums für Insektenkunde und der Begründer der Entomologie in China.

In einem Interview mit dem chinesischen Zentralfernsehen CCTV legte er anekdotisch die Bedeutung der Insektenkunde dar: „In alter Zeit wurden die Truppen des Römischen Imperiums durch Flohplagen versprengt. Frankreich musste den Bau des Panamakanals einstellen, weil es die Stechmücken nicht unter Kontrolle bringen konnte . In Afrika hat die Tsetse-Fliege weite Gebiete unbewohnbar gemacht. Und Wissenschaftler haben durch Libellen und den Japanischen Schwimmkäfer Aufschlüsse erhalten und die Form von Flugzeugen und U-Booten verbessert. Durch die Erforschung der Fortpflanzung der Fruchtfliege haben sie wiederum das Geheimnis der Gene aufgedeckt und die Genetik entwickelt.“ Mit diesen Worten wurden die Zuschauer in die faszinierende Welt der Insekten eingeführt.

Überragende Verdienste in der Entomologie

Zhou Yao wurde 1912 in der Nähe der Küstenstadt Ningbo, Provinz Zhejiang, geboren, genauer in der Gemeinde Gaoqiao im Kreis Yin. Der Ort wird die „Heimat der Schmetterlinge“ genannt, denn dort soll sich die tragisch-romantische Liebesgeschichte von Liang Shanbo und Zhu Yingtai abgespielt haben, die in ganz China als Volkserzählung überliefert ist. Sie starben aus Gram über ihre verhinderte Liebe und verwandelten sich nach ihrem Tod in Schmetterlinge. Zhou Yao hat eine ausgeprägte Vorliebe für Schmetterlinge, die „Blumen“ der Insektenwelt. In seinem Büro stehen ein Dutzend von ihm geschriebene Fachbücher über Schmetterlinge, die verschiedene von ihm mit feiner Federführung sorgfältig gezeichnete Abbildungen enthalten.

Doch es war nicht die schöne Seite der Insektenwelt, die Zhou Yao dazu brachte, sich mit Entomologie zu beschäftigen. 

Ende der 30er Jahre suchte eine schlimme Insektenplage die Provinz Shaanxi heim. Weizengallmücken machten die Ernte in der Zentralebene von Shaanxi zunichte. Die darauf folgende Hungersnot zwang die Bauern, ihr Land zu verlassen und in andere Landesteile abzuwandern. Die Nachricht der Massenflucht erschütterte das In- und Ausland und wurde als „Flucht aus der Zentralebene von Shaanxi “ bekannt. Anfang der 50er Jahre, kurz nach der Gründung des Neuen China, wurde dieselbe Gegend abermals von Weizengallmücken heimgesucht. Die Bauern, die gerade erst durch die Bodenreform Ackerland bekommen hatten, gerieten in Panik und beteten den Himmel an, damit der „Insektenkönig“ mit seiner Plage aufhöre. Manche unaufgeklärte Bauern legten einfach Feuer in den Feldern, um die Schädlinge zu vernichten. Dadurch jedoch stieg der Verlust der Ernte von 80% bis auf 100%.

Im Hinblick auf diese Katastrophe fasste Zhou Yao den Willen, einen Weg zur Bekämpfung der Weizengallmücken zu finden. Gallmücken sind entomologisch mit den Stechmücken verwandt. In jener Zeit fehlte es in China an eingehender Forschung und genauen Kenntnissen über die Weizengallmücke, so daß sie immer wieder Katastrophen hervorrief.

Zhou Yao untersuchte die Weizengallmücken, die kaum drei mm lang sind, zunächst im Labor und stellte fest, dass es nicht die erwachsenen Tiere sind, die den Weizen schädigen, sondern ihre Larven. Diese dringen in die jungen Weizenkörner ein und ernähren sich von ihrem Saft. Um ein Mittel zu ihrer Bekämpfung zu finden, verlegte er seine Arbeit vom Labor ins Feld und übernachtete sogar dort. Durch Beobachtung und Experimente fand er ein geeignetes Schädlingsbekämpfungsmittel. Nach seinem Vorschlag schickte die Zentralregierung 40 Flugzeuge zum Versprühen von Insektiziden. Das war der erste Einsatz von Flugzeugen zu landwirtschaftlichen Zwecken in China.

Zhou Yao gab sich jedoch mit chemischer Bekämpfung nicht zufrieden. Durch weitere Untersuchungen fand er heraus, dass zwei Arten von Schmarotzerbienen die natürlichen Feinde der Weizengallmücke waren und als Nützlinge eingesetzt werden konnten. Das war eine wichtige Erkenntnis. Der Vorteil der biologischen Methode zur Schädlingsbekämpfung liegt auf der Hand. Sie wurde in weiten Teilen des Einzugsgebiets des Gelben Flusses angewendet. Der Plage der Weizengallmücken wurde schließlich ein Ende gesetzt. Damit wurde ein glänzendes Kapitel in der Geschichte der Schädlingsbekämpfung in China geschrieben. Der biologische Pflanzenschutz bildete auch fortan einen Schwerpunkt in Zhou Yaos Forschungsarbeit. Er entdeckte später eine weitere Art von Schmarotzerbienen, die zur wirksamen Bekämpfung des Weißen Bärenspinners eingesetzt werden kann. Diese Biene wurde nach ihm benannt. 1978 wurde er auf dem ersten Kongress der Wissenschaften für seine überragenden Verdienste ausgezeichnet.

Patriotische Vergangenheit

Im Museum für Insektenkunde in Yangling hängt ein Bild von Zhou Yao in Uniform. Es wurde aufgenommen während des Widerstandskriegs gegen die japanische Aggression (1937 – 1945). Er stammt aus einer Gelehrtenfamilie, und bereits in seiner Kindheit las er viele Bücher über Heldenfiguren in der chinesischen Geschichte. In seiner Jugend beeinflusste der Geist von Demokratie und Wissenschaft der Vierten-Mai-Bewegung seine Weltanschauung. Immer behielt er den folgenden alten chinesischen Spruch in seinem Kopf: „Für den Aufschwung oder Niedergang eines Staates trägt auch ein einfacher Bürger die Verantwortung“.

1936 ging er mit dem Wunsch, durch die Wissenschaft einen Beitrag zur Rettung seines Landes zu leisten, nach Italien an die Universität Neapel, wo er bei Filippo Silvestri, einem damals weltweit führenden Entomologen, doktorierte. Seine Dissertation wurde in der Zeitschrift des Instituts veröffentlicht und fand breite Anerkennung. Dem promovierten Wissenschaftler schien eine glänzende Zukunft bevorzustehen.

Am 7. Juli 1937 kam es jedoch zum Zwischenfall auf der Marco-Polo-Brücke bei Beijing. Wenig später wurde die damalige Hauptstadt Nanjing von den Japanern besetzt. Zhou Yao war stark getroffen. In Europaerlebte er, wie die italienischen Faschisten mit der Ausweitung der japanischen Invasion in China immer angriffslustiger wurden. Er fragte sich, was es nütze, kleine Schädlinge zu bekämpfen, wenn es nicht gelang, die großen unschädlich zu machen.

Eines Abends widerfuhr ihm ein besonderes Erlebnis. Er war bei einem italienischen Freund zu Besuch, als ein junger Faschist hereinkam und zu ihm sagte: „Ihr Japaner seid wirklich großartig! Ihr habt im Handumdrehen den Großteil Chinas erobert.“ Wütend packte er den Mann vor der Brust und sagte ihm ins Gesicht: „Wart’s ab, mal sehen, ob letzten Endes wirklich die Japaner die Chinesen besiegen und nicht umgekehrt.“ Er entschloss sich, möglichst schnell in die Heimat zurückzukehren. Als er seinem Professor sein Vorhaben eröffnete, reagierte dieser zunächst mit Unverständnis und legte ihm nahe, als Assistent bei ihm zu bleiben und seine vielversprechende Karriere weiter zu verfolgen. Aber Zhou Yao blieb eisern und ließ sich nicht davon abbringen, seinem leidenden Vaterland mit Tat und Kraft beizustehen. Schließlich gab Professor Silvestri seine Zustimmung und erließ ihm sogar die mündliche Prüfung. Er gab dem jungen chinesischen Wissenschaftler den Rat auf den Weg, sich nach dem Krieg weiter mit Entomologie zu beschäftigen. Zhou Yao bedankte sich bei seinem Lehrer  und kehrte nach China zurück.

Am Tag seiner Ankunft in China drückte er in seinem Tagebuch den Willen aus „dem Heimatland für seine Unabhängigkeit und Prosperität mein Leben zu opfern.“ Er trat in die Armee ein und kämpfte als Soldat an der Front. Bald erfuhr der Kommandeur, dass in seiner Truppe ein promovierter Wissenschaftler als Soldat diente. Er sprach mit Zhou Yao und riet ihm, sein Fachwissen im Hinterland für den Aufbau des Landes einzusetzen. So verließ er die Front. 1951 schied er aus dem Militärdienst aus. Mit seinem Fachwissen leistete er einen Beitrag zur Entlarvung US-amerikanischer Kriegsverbrechen im Korea-Krieg (1950–1953). Die amerikanischen Imperialisten setzten Bakterien als Waffen ein. Bomben mit biologischen Kampfstoffen wurden nicht nur in Korea, sondern auch im Nordosten Chinas abgeworfen. Es wurden Insekten entdeckt, die Bakterien verbreiten, und man veröffentlichte Fotos davon in den Zeitungen. Die Imperialisten leugneten den Einsatz biologischer Waffen hartnäckig und behaupteten, dass es sich um in Korea heimische Insekten handle. Professor Zhou und andere Entomologen stellten eingehende Untersuchungen bezüglich der Formen, Merkmale und Lebensgewohnheiten der Insekten an und kamen zum Schluss, dass sie aus Nordamerika eingeführt worden sein mussten. Damit wurde die grausame Tat der Imperialisten bewiesen.

60-jährige Lehrtätigkeit an der Staatlichen Landwirtschaftlichen Hochschule Nordwestchinas

Im Jahr 1934 wurde in Xi’an mit der Staatlichen Landwirtschaftlichen Hochschule Nordwestchinas die erste Bildungsstätte für Landwirtschaftsexperten in diesem Landesteil gegründet. Im Jahr 1939, mit 27 Jahren, nahm Zhou Yao seine Lehrtätigkeit an dieser Hochschule auf. Über 60 Jahre verbrachte er in dieser Institution und erlebte ihre Entwicklung und die zahlreichen Schicksalswendungen mit, welche ihr die neueste Geschichte Chinas bescherte. Als sich die Kuomintang kurz vor der Befreiung 1949 aus Xi’an zurückzog, zwang sie die Lehrerschaft, die Schule zu verlassen. Da trat Zhou Yao hervor und appellierte an seine Kollegen, an der Hochschule zu bleiben. Viele können sich heute noch an seine Worte erinnern: „Seit zehn Jahren arbeiten wir an dieser Hochschule. Unsere Bücher, Geräte, Protokolle und Forschungsergebnisse sind hier. Gleichgültig, wie sich die politische Lage verändert, die Schule wird weitergeführt. Wir müssen den Fortbestand dieser Hochschule sichern.“ Die Lehrer und Studenten schlossen sich seiner Meinung an, und die Fachhochschule überlebte.

In der Kulturrevolution (1966–1976) durchlitt Zhou Yao schwere Zeiten. Er wurde als „reaktionäre Fachautorität“ abgestempelt, musste seine Wohnung verlassen und in ein kleines Zimmer umziehen und als Bauer landwirtschaftliche Arbeit verrichten. Selbst in der späteren Periode der Kulturrevolution, als der Lehrbetrieb wieder halbwegs aufgenommen und ihm das Unterrichten erlaubt wurde, musste er erleben, dass ihm die Studenten vor der Unterrichtsstunde im Chor entgegenriefen: „Nieder mit der reaktionären Fachautorität!“ Dennoch lehrte er seine Studenten unnachgiebig und setzte seine Forschung sorgfältig fort. Beim Abschluss bedankten sie sich bei ihm: „Bei Ihnen haben wir in diesen Jahren nicht nur Fachkenntnisse erworben, sondern auch gelernt, ein richtiger Mensch zu sein. Dies alles wird unser ganzes Leben beeinflussen.“

In den letzten 40 Jahren bereiste Zhou Yao das ganze Land und sammelte in mühevoller Arbeit über 40 000 Insekten. Etliche neu entdeckte Arten wurden nach ihm benannt. Er gründete ein Museum für Insektenkunde und baute es zum Identifikations- und Klassifizierungszentrum für die chinesische Land- und Forstwirtschaft aus. Er schrieb in seinem Leben über 200 wissenschaftliche Bücher und Aufsätze und schenkte der Bibliothek des Insektenkunde-Museums 2500 Bücher, von denen viele bereits vergriffen sind. Selbst im hohen Alter führte er seine wissenschaftliche Forschungsarbeit fort. Er ist heute ein international anerkannter Gelehrter und wurde zweimal mit dem italienischen Silvestri-Preis ausgezeichnet. Als Vizeministerpräsident Li Lanqing im August 1996 das Museum für Insektenkunde in Yangling besuchte, sprach er seine hohe Anerkennung für Zhao Yaos großes Verdienst und seinen aufopfernden Geist für die Wissenschaft aus.

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