Mai 2002
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Sonderberichte

Im Taxi

Von Olivier Roos

Letzten Samstag bin ich wieder einmal mit dem Taxi in die Stadt gefahren, nach Dongzhimen, in den Osten Beijings. Dort war ich mit Freunden zum Essen verabredet, in einem der Lokale an der „Guijie“, der stadtbekannten „Fressmeile“, die leider – wie so viele andere gemütliche Orte in dieser Stadt – zum großen Teil auch schon dem Abrisszahn zum Opfer gefallen ist. Will man im Moloch Beijing in vernünftiger Zeit irgendwohin gelangen, dann gibt es nach wie vor keine Alternative zum Taxi.

Im Gegensatz zum Bus oder zur U-Bahn bietet einem das Taxi zwar nicht die Möglichkeit, sich die Zeit damit zu vertreiben, andere Fahrgäste zu mustern. Doch für die je nach Staulage kürzere oder längere Dauer der Fahrt bildet man eine Schicksalsgemeinschaft mit dem Fahrer (Frauen sind in diesem Berufsstand doch deutlich in der Minderheit). Und das verbindet. Mit den meisten Taxifahrern lässt sich prächtig plaudern, nicht nur über das Wetter oder den Verkehr. Diese Gespräche geben mir immer wieder Einblicke in die Welt ganz verschiedener Menschen, mit denen ich sonst nie in Kontakt kommen würde.

So war es auch letzten Samstag. Der Fahrer war eher jung, um die 30. Am Anfang unserer  Unterhaltung stand, wie so häufig, meine Größe. Zugegeben, meine 1,96 m sind für China doch ungewöhnlich, und so kommt es kaum vor, dass ich nicht mit einer Mischung aus Staunen und Respekt darauf angesprochen werde. Bald folgten die üblichen Fragen nach meiner Tätigkeit hier in Beijing und nach meiner Herkunft. Ich sei Schweizer, antwortete ich. Da stutzte der Mann am Steuer: Ich sähe aber nicht so aus. Ob er denn schon viele Ausländer im Auto gehabt habe, wollte ich wissen. Ja, und schon zwei mal seien es Schweizer gewesen, doch die hätten anders ausgesehen. Auf meine Erklärung hin, mein asiatischer Einschlag sei auf meine indonesische Mutter zurückzuführen, legte sich seine Verwunderung.

Schweizer seien ganz in Ordnung, fügte er bei. Das könne er von Amerikanern jedoch nicht sagen. Denen traue er nicht. Einmal habe ihn einer übers Ohr hauen wollen. Anstatt der 18 Yuan Fahrpreis in Renminbi zu bezahlen, klaubte der Amerikaner eine ausländische Münze hervor und behauptete, sie sei gerade so viel wert. Mein Fahrer musste aussteigen, um das Geld einzufordern – „mafan“ sei das gewesen, umständlich, ärgerlich. Damals haben es die Amis mit ihm verdorben.

Mit Russen kenne man auch nicht gut Geschäfte machen, fuhr er fort, ohne jedoch näher darauf einzugehen. Am sympathischsten seien ihm die Engländer. Eines Abends stieg eine ältere Dame in sein Taxi und wollte zurück zu ihrem Hotel. Dort angekommen, hielt sie ihm einen 50-Yuan-Schein entgegen, 23 zeigte der Taxameter an. Doch ausnahmsweise war ihm an jenem Tag das Kleingeld ausgegangen, und er konnte ihr nicht herausgeben – worauf  die Frau großzügig meinte, er solle den Rest doch behalten. Seither schätzt er die Engländer besonders hoch.

Wir plauderten die ganze Fahrt hindurch. Ich dachte darüber nach, wie unterschiedlich die Lebenswege sind, die sich in einem Taxi kreuzen. So wie ich durch all die Fahrten immer wieder Neues über das Leben in Beijing erfahre, so bildet das Taxi für den Fahrer ein Fenster, durch das er in die Lebenswirklichkeiten lauter verschiedener Leute blicken kann und das seine Sicht auf die Welt prägen muss. Taxifahrerinnen und –fahrer wissen bestimmt eine ganze Menge darüber, was es heisst, in Beijing zu leben.

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