Im
Taxi
Von Olivier
Roos
Letzten Samstag bin ich wieder einmal mit
dem Taxi in die Stadt gefahren, nach Dongzhimen, in den Osten
Beijings. Dort war ich mit Freunden zum Essen verabredet, in
einem der Lokale an der „Guijie“, der stadtbekannten „Fressmeile“,
die leider – wie so viele andere gemütliche Orte in dieser Stadt
– zum großen Teil auch schon dem Abrisszahn zum Opfer
gefallen ist. Will man im Moloch Beijing in vernünftiger Zeit
irgendwohin gelangen, dann gibt es nach wie vor keine Alternative
zum Taxi.
Im Gegensatz zum Bus oder zur U-Bahn bietet
einem das Taxi zwar nicht die Möglichkeit, sich die Zeit
damit zu vertreiben, andere Fahrgäste zu mustern. Doch
für die je nach Staulage kürzere oder längere Dauer der
Fahrt bildet man eine Schicksalsgemeinschaft mit dem Fahrer
(Frauen sind in diesem Berufsstand doch deutlich in der Minderheit).
Und das verbindet. Mit den meisten Taxifahrern lässt sich
prächtig plaudern, nicht nur über das Wetter oder den Verkehr.
Diese Gespräche geben mir immer wieder Einblicke in die
Welt ganz verschiedener Menschen, mit denen ich sonst nie in
Kontakt kommen würde.
So war es auch letzten Samstag. Der Fahrer
war eher jung, um die 30. Am Anfang unserer Unterhaltung
stand, wie so häufig, meine Größe. Zugegeben,
meine 1,96 m sind für China doch ungewöhnlich, und so kommt
es kaum vor, dass ich nicht mit einer Mischung aus Staunen und
Respekt darauf angesprochen werde. Bald folgten die üblichen
Fragen nach meiner Tätigkeit hier in Beijing und nach meiner
Herkunft. Ich sei Schweizer, antwortete ich. Da stutzte der
Mann am Steuer: Ich sähe aber nicht so aus. Ob er denn
schon viele Ausländer im Auto gehabt habe, wollte ich wissen.
Ja, und schon zwei mal seien es Schweizer gewesen, doch die
hätten anders ausgesehen. Auf meine Erklärung hin,
mein asiatischer Einschlag sei auf meine indonesische Mutter
zurückzuführen, legte sich seine Verwunderung.
Schweizer seien ganz in Ordnung, fügte er
bei. Das könne er von Amerikanern jedoch nicht sagen. Denen
traue er nicht. Einmal habe ihn einer übers Ohr hauen wollen.
Anstatt der 18 Yuan Fahrpreis in Renminbi zu bezahlen, klaubte
der Amerikaner eine ausländische Münze hervor und behauptete,
sie sei gerade so viel wert. Mein Fahrer musste aussteigen,
um das Geld einzufordern – „mafan“ sei das gewesen, umständlich,
ärgerlich. Damals haben es die Amis mit ihm verdorben.
Mit Russen kenne man auch nicht gut Geschäfte
machen, fuhr er fort, ohne jedoch näher darauf einzugehen.
Am sympathischsten seien ihm die Engländer. Eines Abends
stieg eine ältere Dame in sein Taxi und wollte zurück zu
ihrem Hotel. Dort angekommen, hielt sie ihm einen 50-Yuan-Schein
entgegen, 23 zeigte der Taxameter an. Doch ausnahmsweise war
ihm an jenem Tag das Kleingeld ausgegangen, und er konnte ihr
nicht herausgeben – worauf die Frau großzügig meinte,
er solle den Rest doch behalten. Seither schätzt er die
Engländer besonders hoch.
Wir plauderten die ganze Fahrt hindurch. Ich
dachte darüber nach, wie unterschiedlich die Lebenswege sind,
die sich in einem Taxi kreuzen. So wie ich durch all die Fahrten
immer wieder Neues über das Leben in Beijing erfahre, so bildet
das Taxi für den Fahrer ein Fenster, durch das er in die Lebenswirklichkeiten
lauter verschiedener Leute blicken kann und das seine Sicht
auf die Welt prägen muss. Taxifahrerinnen und –fahrer wissen
bestimmt eine ganze Menge darüber, was es heisst, in Beijing
zu leben.