Chinas
Scherenschnittkunst
In China ist es Sitte, anlässlich traditioneller
Feste, wie zum Beispiel des Frühlingsfestes, Räume mit
Scherenschnitten zu verzieren, um dadurch die feierliche Atmosphäre
zu unterstreichen.
Die Scherenschnittkunst hat in China eine
lange Geschichte. Aus Papier geschnittene Ornamente, die man
in Turpan im Autonomen Gebiet Xinjiang der Uiguren gefunden
hat, stammen aus der Zeit der Nördlichen Dynastie (386-581)
und sind die ältesten bisher in China gefundenen Scherenschnitte.
Zur Zeit der Tang-Dynastie (618-907) war es
populär, Wandschirme mit aus Blattgold geschnittenen Blumen
zu verzieren. Während der Song-Dynastie (960-1279) wurden
Scherenschnitte häufig zur Verzierung von Geschenkartikeln,
Fenstern, Porzellan oder bunten Laternen verwendet. In der Ming-Dynastie
(1368-1644) waren mit geschnittenen Ornamenten versehene Gazelaternen
und Fächer populär.
Die Scherenschnitte wurden zwischen zwei Schichten
Stoff oder Papier gelegt, um vor einer Lichtquelle schöne
Schattenrisse erzeugen zu können. Während der Qing-Dynastie
(1644-1911) schnitt man gern verschiedene Pflanzen oder kleinere
Tiere, wie Blumen, Gras, Fische und Insekten, sowie glückbringende
Schriftzeichen aus Papier und befestigte sie auf Stoffschuhe,
Kissen oder Beutel. Noch heute sind zahlreiche Muster aus der
Qing-Zeit im Volk verbreitet.
Die chinesischen Scherenschnitte sind zudem
von Region zu Region unterschiedlich. In Nordchina versieht
man Bauernhäuser mit Gitterfenstern, die häufig mit
weißem Papier beklebt werden. Zum Frühlingsfest wird jedes
Jahr das alte Fensterpapier durch neues ersetzt und mit farbenfrohen
Scherenschnitten dekoriert.
Als Fensterdekoration dienende Ornamente werden
in unterschiedlichsten Formaten geschnitten und stellen zahlreiche
verschiedene Motive dar: Pflanzen, Früchte, Haustiere, Tiger,
Katzen, Geckos, oder auch das Berufs- und Alltagsleben der Bauern.
Beliebt sind ferner auf Theaterstücken basierende Motive.
In den ländlichen Gebieten Nordchinas
werden auch häufig die Wände des Kangs, einer aus
Ziegeln gemauerten, heizbaren Schlafbank, mit Scherenschnitten
verziert. Für diese Dekorationen werden oft Scherenschnitte
größeren Formats verwendet, deren Motive sich häufig
auf traditionelle Opern oder Volkssagen beziehen. Die Wand am
wärmeren Ende des Kangs wird meistens mit Scherenschnitten
geschmückt, die glückverheißende Darstellungen enthalten.
Die Decken der alten Häuser in Nordchina
werden häufig mit großformatigen Scherenschnitten
mit geometrischen Motiven oder Darstellungen von Pflanzen in
roter, grüner oder schwarzer Farbe verziert. Scherenschnitte
aus rotem Papier werden bevorzugt zur Dekoration von Brautkammern
verwendet.
Die Halle der Irdischen Ruhe im Kaiserpalast
von Beijing war einst der Ort für die Hochzeitsfeier des Kaisers.
Die mit weißem Papier beklebten Decken dieser Halle sowie
die Wände und Portale auf beiden Seiten wurden nach mandschurischer
Sitte mit aus schwarzem Papier geschnittenen Drachen- und Phönix-Ornamenten
verziert. Diese Kunstwerke sind in der chinesischen Geschichte
einmalig.
Mit Papierfiguren verzierte Laternen gehören
zu den traditionellen Kunstwerken Chinas. Die Figuren können
von aufsteigender heißer Luft im Kreis bewegt werden,
die von einer sich innerhalb der Laterne befindenden Lichtquelle
erzeugt wird. Ihre Schatten werden auf das papierne, lichtdurchlässige
Gehäuse der Laterne geworfen, was eine einem Schattenspiel
vergleichbare Wirkung erzeugt.
Sowohl im Süden als auch im Norden befolgen
die Bauern die Tradition, zum Frühlingsfest mit roten Spruchbändern
und geschnittenen, farbigen Ornamenten die Türen und Türrahmen
ihrer Häuser zu dekorieren. Die zu diesem Zweck verwendeten
Ornamente enthalten glückbringende Schriftzeichen.
Mit solchen Scherenschnitten verziert man
gewöhnlich auch bei Hochzeitsfeiern verschiedene Gebrauchsgegenstände,
wie Teeservice, Waschbecken, Spiegel usw. Die Umrisse der hierfür
verwendeten Ornamente basieren auf runden, quadratischen oder
rhombischen Formen. Aus diesen geometrischen Grundmustern hat
man wieder neue Ornamente entwickelt, die beispielsweise Pfirsich-,
Granatapfel- oder Kalebassen-Motive darstellen.
Außerdem werden Scherenschnitte zur
Verzierung von Kleidungsstücken, Schuhen und Kissen verwendet,
wobei man oft ein geschnittenes Muster auf den Stoff legt und
dann mit farbigen Seiden- oder Baumwollfäden das Ornament
aufstickt.
Im Laufe der Geschichte der chinesischen Scherenschnittkunst
entstanden verschiedene Schulen, die unterschiedliche Stilarten
vertreten. Scherenschnitte aus dem Kreis Wei und dem Kreis Fengning
in der Provinz Hebei zeichnen sich zum Beispiel durch besondere
Feinheit und prächtige Farben aus. Bei ihrer Anfertigung
werden mehrere Blätter Reispapier auf eine spezielle Weise
übereinandergelegt und dann auf einmal koloriert und geschnitten.
So können in einem Arbeitsgang 40 bis 50 gleichförmige
und –farbige Scherenschnitte hergestellt werden.
Scherenschnitte aus Fengxiang und Yan’an in
der Provinz Shaanxi sind typisch für die Scherenschnitte aus
Chinas Nordwesten. Sie sind durch Natürlichkeit, Unbefangenheit
und Einfachheit charakterisiert, wobei auch groteske Übertreibungen
ersichtlich sind. Die Scherenschnitte aus Shaanxi umfassen Dekorationen
für Fenster, Wanddecken, Wandteile an den Schlafbänken
sowie für Schränke, Kissen und Schuhe.
Scherenschnitte aus Shandong sind schlicht
und einfach und gehören zur Stilrichtung Nordchinas. Aber
sie sind feiner und zierlicher als die aus Nordshaanxi. Bei
den Scherenschnitten aus Penglei zum Beispiel schenkt man dem
Kontrast zwischen Schwarz und Weiß, aber auch Dichte und
Prägnanz sowie Details große Aufmerksamkeit.
Scherenschnitte aus den Provinzen Jiangsu
und Zhejiang gehören zur Stilrichtung der Regionen am Unterlauf
des Yangtse. Sie haben eine feine und schöne Gestaltung
sowie milde und glatte Linien. Scherenschnitte aus Yangzhou
in der Provinz Jiangsu, die von der „Yangzhouer Schule für Malerei“
stark beeinflusst sind, sehen wie Bilder aus. Scherenschnitte
aus Nanjing, der Provinzhauptstadt von Jiangsu, die als Dekoration
für Hochzeitsfeiern und ähnliche Festtage aus farbigem
Papier ausgeschnitten werden, zeigen meist Muster innerhalb
von Mustern. Die gravierten Papierschnitte aus Leqing in der
Provinz Zhejiang haben haarfeine Linien – einmalig in China.
Meister Chen Chaofen zum Beispiel kann in ein nur ein Quadrat-Cun
großes Blatt Papier (ein Cun ist 3,3 cm) 52 dünne Linien
gravieren; dies wird als Kunst der „Miniaturgravur“ bezeichnet.
Zu erwähnen ist außerdem noch die
Schule von Foshan in der Provinz Guangdong. Scherenschnitte
aus Foshan unterscheiden sich durch ihre feinen Striche und
hellen Farben von den Werken aus dem Kreis Wei. Um die künstlerische
Ausdruckskraft und den ästhetischen Reiz ihrer Werke zu
verstärken, bedienen sich die Künstler aus Foshan verschiedener
Techniken der chinesischen Malerei und Holzschnittkunst bei
der Herstellung ihrer Scherenschnitte. Ihre Motive stammen meist
aus dem Leben der nationalen Minderheiten, aus Landschaftsansichten
oder Sehenswürdigkeiten.
Die modernen Scherenschnitte
sind vor allem in wirtschaftlich und kulturell entwickelten
Städten wie Beijing, Tianjin oder Shanghai, aber auch in
den Küstenregionen zu finden. Die Entwicklung des modernen Papierschnitts
ist den professionellen Kunsthandwerkern zu verdanken. Die modernen
Scherenschnitte haben eine unübersehbare Bedeutung für die Entwicklung
der Scherenschnittkunst im chinesischen Volk. Hierüber finden
bei Theoretikern heftige Debatten und intensive Studien statt.