Entwicklung
des modernen Bildungswesens Tibets (1)
Im Mäz 1959 inszenierte eine reaktionäre Clique aus der Oberschicht der tibetischen
Gesellschaft rücksichtslos eine bewaffnete Rebellion. Die
Bevölkerung aller Nationalitäten Tibets warf unter Leitung
der KP Chinas die konterrevolutionäre Rebellion schnell nieder.
Die anschließend durchgeführte demokratische Reform stützte
das System der feudalen Leibeigenschaft restlos. Die alten
Schulen unter der Regie der ehemaligen Gaxag-Regierung wurden
selbstverständlich geschlossen.
Millionen
von Leibeigenen und Sklaven Tibets wurden politisch und wirtschaftlich
völlig frei. Mit der Befreiung der Produktivkräfte und der
Änderung der Produktionsweise entstand bei den Menschen nun
auch der heiße Wunsch nach Bildung und Ausbildung. Es wurden
verschiedene Nachhilfekurse in Allgemeinbildung und technischer
Ausbildung veranstaltet. Außerdem renovierte man schnell die
Grund- und Mittelschulen, die während der Rebellion zerstört
worden waren, und gründete mit bedeutenden menschlichen, materiellen
und finanziellen Kräften neue staatliche Grund- und Mittelschulen
sowie pädagogische Fachschulen.
Dennoch
konnte der Wunsch der Massen, lesen und schreiben zu lernen,
noch nicht umfassend befriedigt werden. So gründeten die Einwohner
des Dongcheng-Bezirks der Stadt Lhasa im April 1959 aus eigener
Kraft die erste von den Einwohnern selbst betriebene Grundschule
Tibets. Weitere solcher Grundschulgründungen kamen nicht nur
in Lhasa, sondern auch in anderen Bezirken wie z. B. in Shannan
vor. Angesichts dieser Tendenz und der Tatsache, dass der
Staat anfangs wegen Geldmangels nicht in der Lage war, eine
große Anzahl staatlicher Schulen einzurichten, erarbeiteten
das Arbeitskomitee und das vorbereitende Komitee für das Autonome
Gebiet Tibet im November 1959 die neue Schulpolitik. Die lautete: Einwohnern betriebene Schulen vorrangig fördern, zur Ergänzung staatliche Schulen
einrichten, die von den Einwohnern betriebenen Schulen sollen
vom Staat finanziell unterstützt werden. Damit wurden Bevölkerung
sowie Unternehmen und Institutionen ermuntert und gefördert,
eine Schule aus eigener Kraft zu betreiben. Da sich das Bildungswesen
Tibets in diesen beiden Schultypen entwickelte, konnten bald
31,3% der schulpflichtigen Kinder Tibets eine Schule besuchen.
Das war in der Zeit vor den 50er Jahren unvorstellbar. 1962
wurde die Tibetische Hochschule für Nationale Minderheiten
gegründet. Damit erhielt Tibet seine erste Hochschule.
Aufschwung der
elementaren Schulbildung
Infolge der neuen Schulpolitik entwickelten sich die von Einwohnern
betriebenen Grundschulen wie Bambussprossen nach einem Frühlingsregen;
sie sprossen sehr schnell empor und nahmen eine wichtige Stellung
im Bildungswesen Tibets ein. Allein im Jahr 1959 wurden 450
von Einwohnern betriebene Grundschulen gegründet. Nach der
Statistik aus dem Jahr 1965 gab es in Tibet 1742 von Einwohnern
betriebene Grundschulen mit 56 763 Schülern.
Gleichzeitig wurde die Entwicklung der staatlichen Grundschulen
gefördert. Die meisten Kreise Tibets haben eine oder zwei
staatliche Grundschulen bzw. vollständige Grundschulen. Die
meisten von diesen waren Internatsschulen und der Staat gewährte
ein Stipendium. Solche Grundschulen galten in verschiedenen
Regionen als Musterschulen.
Im Dezember 1963 fand die 1. Bildungsarbeitssitzung Tibets
statt. Da gab es in Tibet vier Mittelschulen, 48 staatliche
Grundschulen und mehr als 1300 von Einwohnern betriebene Grundschulen
mit insgesamt 40 000 Schülern, was 45% der schulpflichtigen
Kinder Tibets ausmachte. So diskutierte man auf der 1. Bildungsarbeitssitzung
über die Gründung und Reorganisation der von Einwohnern betriebenen
Grundschulen sowie über die Entwicklung und Verbesserung der
Lehrtätigkeit an staatlichen Grund- und Mittelschulen. Dabei
wurde festgelegt, in Zukunft vor allem die Qualität der vorhandenen
Schulen zu erhöhen, staatliche Schulen schwerpunktmäßig zu
entwickeln, sie zu zentralen Schulen in verschiedenen Regionen
zu machen und ihnen eine führende und Vorbildrolle zuzuordnen.
Die Schulen waren nach den Bedürfnissen der Bauern und Hirten
einzurichten, der Aufbau der Lehrkörper war weiter zu verstärken
und die Lehrkräfte der nationalen Minderheiten mit Nachdruck
auszubilden.
Nach den statistischen Angaben von Ende 1965 gab es in Tibet
80 staatliche Grundschulen mit 10 018 Schülern. 30,3% der
schulpflichtigen Kinder Tibets besuchten die Schule. Unter
den 2485 Lehrern waren 1954 in den von Einwohnern betriebenen
Schulen und 531 in den staatlichen Schulen tätig.
Ein besonderes und flexibles Programm zur Verwaltung der von
Einwohnern betriebenen Schulen zeitigte Erfolge. Nachdem die
von Einwohnern betriebenen Grundschulen in verschiedenen Regionen
Tibets gegründet worden waren, bildeten Kader an der Basis,
Eltern der Schüler und Vertreter der Lehrer Verwaltungskomitees,
die u. a. für Schulleitung und Ausgabenverwaltung zuständig
sein sollten. Die laufenden Ausgaben und Gehälter für die
Lehrer wurden vor allem durch die Einwohner gesammelt oder
durch praktische Arbeit von Lehrern und Schülern beschafft.
Man versorgte sich an Ort und Stelle mit Material und erwarb
damit notwendige Artikel für die Lehre und das Lernen wie
Papier, Schreibzeug und Tinte. Die Lehrer und Schüler sammelten
auf den Bergen Kuh- und Schafmist oder gruben Heilkräuter
aus. Der Mist gab Brennstoff für den Alltag, mit dem Erlös
vom Verkauf der Kräuter wurden die laufenden Ausgaben der
Schule bestritten. Der einzuhaltende Standard der Lehrerentlohnung,
der von der zuständigen Behörde für das Bildungswesen festgelegt
wurde, lag nur wenig höher als das durchschnittliche Jahreseinkommen
einer lokalen, gut qualifizierten Arbeitskraft.
Die
Ausbildungsdauer in den von Einwohnern betriebenen Grundschulen
betrug anfangs fünf Jahre und wurde 1964 auf vier Jahre verkürzt.
Um den Wunsch der Jugendlichen in den Agrar- und Weidegebieten
zu erfüllen, lesen und schreiben lernen zu können, lag anfangs
das Einschulungsalter zwischen dem sechsten und dem zwanzigsten
Lebensjahr. Mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Land- und
Viehwirtschaft wurde später die obere Grenze für das Einschulungsalter
aufs 16. Lebensjahr begrenzt. Die Unterrichtszeit wurde flexibel
nach dem Prinzip in der Mußezeit mehr und in der Hauptsaison
weniger lernen geplant. Das Lehrprogramm enthielt u. a. tibetische
Sprache und Schrift, Arithmetik (einschließlich Rechnen mit
dem Abakus) und Politik. Schulen ohne ausreichende materielle
Bedingungen konnten oft nur einen oder zwei Kurse abhalten.
Gemäß dem Prinzip über Produktion und dem Leben dienen, bestimmte
man als Ziel der Schulpolitik: die Schüler sollen tibetische
Zeitungen lesen und verstehen, einfache Briefe und Formschreiben
verfassen und für Bauern und Hirten Buch führen und bilanzieren
können.
Tibet ist ein riesiges, dünn bevölkertes Gebiet. Die Dörfer
liegen weit verstreut. Um den Kindern der Bauern und Hirten
einen Schulbesuch in der Nähe zu ermöglichen, wurden die Grundschulen
allgemein auf Gemeindeebene oder gemeinsam durch einige nahe
beieinander gelegene Gruppen für gegenseitige Hilfe eingerichtet.
Es gab Ganztags- und Halbtagsschulen. Es gab Schulen, in denen
jeden zweiten Tag unterrichtet wurde. Es gab daneben auch
Lese- und Schreibkurse sowie Abendschulen. Darüber hinaus
gab es in den Weidegebieten Schulen auf Pferderücken und die
Lehrer reisten von einem Herdensammelpunkt zum anderen, um
Unterricht zu erteilen.
Die Lehrkräfte der von Einwohnern betriebenen Schulen stammten
am Anfang aus den eigenen Reihen. Man machte die Klügsten
zu Lehrern, die später schrittweise ausgebildet wurden und
deren Niveau so erhöht werden sollte. Als Lehrer waren zum
Beispiel lamaistische Mönche und Nonnen sowie die Personen
tätig, die das Tibetische im gewissen Maße lesen und schreiben
konnten. Später nahm die Lehrerausbildung Tibets in Umrissen
neue Gestalt an, indem kurzfristige Fortbildung im Turnus
mit langfristiger Ausbildung wechselte. Berufsbegleitende
Qualifizierung und eine Weiterbildung, für die man vorübergehend
seinen Posten verlassen musste, wurden miteinander verbunden.
Die zuständige Behörde für das Bildungswesen auf der Ebene
des Autonomen Gebiets war dafür verantwortlich, Tibetisch-
und Mathematiklehrer für die Oberstufe der staatlichen Grundschulen
sowie der staatlichen Mittelschulen auszubilden, während die
zuständige Behörde für das Bildungswesen auf der Bezirks-
und Stadtebene damit beauftragt war, Tibetisch- und Mathematiklehrer
der staatlichen und der von den Einwohnern selbst betriebenen
Grundschulen von der 4. Klasse an abwärts fortzubilden. So
wurde das Problem des Lehrpersonals der von Einwohnern betriebenen
Schulen anfänglich gelöst.