Januar 2005
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Chinesische Ansichten zur Ehe im Wandel

Von Mitarbeiterin Lu Rucai

Fortschritt spiegelt sich in vielen Aspekten des Lebens wider und in China ist die Ehe wie überall der wichtigste Spiegel des gesellschaftlichen Fortschritts. Heutige  Konzepte von Liebe und Ehe stehen in völligem Gegensatz zu denen vor zehn, zwanzig und fünfzig Jahren.

Es folgen fünf persönliche Berichte über Liebe und Ehe von Generationen, die 60 Jahre überspannen.

In den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Chinas Wirtschaft sich erholte von einer langen Kriegsperiode, wurden Arbeiter, Bauern und Soldaten als die Herren des Landes und als ideale Ehepartner angesehen. Zu jener Zeit fungierten die Eltern als Heiratsvermittler; junge Leute hatten selten freie Wahl, was ihre Lebenspartner anging.

 

Lu Qinglin, 65, männlich, Bauer

Ich heirtete 1956 mit zwanzig. Heute scheint das sehr jung zu sein, aber damals fand man das schon spät. In den 50er Jahren wurden Heiratsvermittlerinnen nach Hause eingeladen, wenn ein junger Sohn oder eine Tochter 17 oder 18 geworden war. Ich bin der zweite Sohn in meiner Familie. Mein älterer Bruder trat bald nach der Befreiung 1949 der Volksbefreiungsarmee bei. Kurz danach kam die Heiratsvermittlerin zu uns nach Hause, um ihm eine passende Braut vorzuschlagen, die sie als groß und fleißig beschrieb. Meine Eltern akzeptierten sie mit Freude. Als mein Bruder auf Fronturlaub heimkam, heiratete er dieses Mädchen, das er nie zuvor gesehen hatte. Dann war ich an der Reihe. Meine Eltern hatten weniger strenge Anforderungen an ihre zweite Schwiegertochter, ihr Hauptwunsch war, dass sie eine gewillte Arbeiterin und fruchtbar sei. Ich andererseits wollte immer eine hübsche Frau. Eine Frau aus der Nachbarschaft erzählte mir von ihrer Nichte, und sagte mir, dass sie hübsch war, hart arbeitete und einen Mann aus einer wohlsituierten Familie wollte. Zu jener Zeit hatten viele Familien Probleme durchzukommen, und da mein Vater ein sogenannter Intellektueller gewesen war, verdiente er zu wenig, um unsere Familie gut versorgen zu können. Unsere kuppelnde Nachbarin aber schlug einen Trick vor, der uns helfen könnte, unsere wirtschaftlichen Probleme zu verheimlichen. Zu jener Zeit war die Messlatte für den Reichtum einer Familie das Ausmaß der Getreidereserven. Unsere gerissene Freundin gab uns den Rat, am Boden unseres Kornspeichers Sand aufzuschütten und unsere wenigen Getreidekörner darauf zu schütten, um den Eindruck von Überfluss entstehen zu lassen. Als die Eltern des Mädchens kamen, waren sie hocherfreut, unser scheinbar volles Getreide- und Maislager zu sehen und stimmten der Heirat zu. Ich war froh, dass die Sache entschieden war, denn ein Heiratsversprechen von Eltern war damals so bindend wie das Gesetz.

Wir hatten uns vor unserer Hochzeit nie gesehen, denn Mädchen blieben damals hauptsächlich zu Hause. Unsere Eltern machten ein passendes Datum für unsere Hochzeit aus und an jenem Tag wurde sie meine Braut. Seitdem führen wir eine stabile, glückliche Ehe. Meine Frau kümmert sich um die Haushaltsangelegenheiten und ich arbeite außerhalb, um die Familie zu versorgen. Wir werden nun bald 70 und leben glücklich mit unseren Kindern und Enkelkindern. Für uns bedeutet die Ehe, ein glückliches und gutes Leben miteinander zu führen.

In den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren arrangierte Ehen noch immer die Norm: die meisten Paare kamen durch Heiratsvermittlerinnen zustande und mussten noch um den Segen der Eltern bitten vor der Eheschließung. Zwanglose Rendezvous und freie Liebe waren nicht verbreitet, deshalb wussten die Paare sehr wenig voneinander vor ihrem Hochzeitstag. Viele aus dieser Generation sagen, dass sie zuerst heirateten und sich dann verliebten. Sie bestehen darauf, dass die Liebe wächst mit dem Fortschreiten des Ehelebens.

Liu Ying, weiblich, 45, Büroangestellte

Ich heiratete 1983 mit 24, mein Mann war 27. Er war ein Mitarbeiter meiner Mutter und ein sehr netter Mann. Ich war damals nicht gesund und er kam oft zu uns nach Hause, um sich um mich zu kümmern. Meine Eltern waren ihm dankbar und wollten, dass er meine ältere Schwester heiratete, aber er sagte ihnen, dass er mich liebte. Ich stimmte anfangs nicht zu, da ich Träume von einem Märchenprinzen hatte. Nach langem Streit mit meinen Eltern stimmte ich zu und heiratete ihn. Ich begann bald, nach traditionellen Mustern zu denken, die besagen, dass die Haupteigenschaften eines Ehemannes darin bestehen sollten, dass er ein guter Mann ist und sich um die Eltern der Frau kümmert. Sehr wenige Leute unserer Generation sprechen über Liebe; für sie bedeuet Ehe einfach, miteinander zu leben, genau wie unsere Eltern.

Mein Verlobter und ich sahen einander kaum nach unserer Verlobung. Jedes Mal, wenn er zu uns nach Hause kam, unterhielt er sich fröhlich mit meinen Eltern aber kaum mit mir alleine. Die Leute damals waren sehr konservativ und meine Eltern ließen uns nicht alleine ausgehen vor unserer Hochzeit. Wir registrierten unsere Ehe, als ich 22 Jahre alt war, doch ich hatte wenig persönlichen Kontakt mit ihm vor unserer Hochzeitszeremonie, die stattfand, als ich 24 war, obwohl wir legal verheiratet waren. Damals wurde eine Ehe nur nach einem großen Hochzeitsbankett für Freunde und Verwandte anerkannt. Meine Mitgift bestand aus zwei Leintüchern und zwei Bettdecken für das Holzbett, das mein Mann für uns gekauft hatte. Ich weiß, dass die jungen Leute heutzutage ein Auto und eine große Wohnung als Hochzeitsgeschenke erwarten, doch zu unseren Zeiten waren der gute Charakter des Mannes und sein angebrachtes Verhalten der älteren Generation gegenüber am wichtigsten.

Unsere Freunde waren überrascht, dass wir selten stritten nach unserer Hochzeit. Am Abend liest mein Mann zu Hause und ich sehe fern. Ich treffe die wichtigsten Entscheidungen im Haushalt, denen mein Mann immer zustimmt, deshalb gibt es nichts zu streiten. Ich denke, der einzige Zweck der Ehe ist, dass die Partner sich gut umeinander kümmern. Mein Mann und ich sind kein romantisches Paar, und wir haben noch nie unseren Hochzeitstag gefeiert, obwohl wir schon seit 21 Jahren verheiratet sind. Jüngere Paare sagen vielleicht, dass wir leidenschaftslos sind. Das stimmt möglicherweise; unsere Beziehung ist von Natur aus eher familienorientiert, wie die zwischen uns und unseren Eltern. Ehe bedeutet für uns, zu lernen, wie man in Harmonie lebt. Liebe ist wichtig, aber sie reicht nicht, um die Ehe bestehen zu lassen.

In den 90er Jahren traten die meisten jungen Leute in den Stand der Ehe, nachdem sie sich bereits verliebt hatten. Nachdem sie ihre Liebe all den Mitmenschen in ihrer Umgebung verkündet haben, folgen sie dem normalen Heiratsprozedere. Diese jungen Leute halten eine Ehe ohne Liebe für unmoralisch und manche gehen so weit, ihre Ehe aufzugeben, wenn die Flamme verloschen ist.

Li Sihai, männlich, 35, Journalist

Obwohl meine Ehe zerbrochen ist, glaube ich noch immer daran, dass die Ehe eine notwendige Institution im Leben der Menschen ist. Ich habe nicht vor, single zu bleiben; ich habe vor, ein Mädchen zu finden, sie zu heiraten und mit ihr ein Kind zu haben.

Ich heiratete zum ersten Mal mit 24, ein Jahr, nachdem ich zu arbeiten begonnen hatte. Die Leute meiner Generation waren tief beeinflusst von der Reform- und Öffnungspolitik. Wir lasen viel romantische Literatur und und sahen uns Seifenopern im Fernsehen an. Ich stellte mir immer vor, dass ich meine Traumprinzessin kennen lernen würde und wir für immer und ewig glücklich miteinander leben würden. Das Mädchen, das ich heiratete, war eine Arbeitskollegin. Sie sah sehr durchschnittlich aus. Schließlich ergab sich die Gelegenheit für ein Gespräch und wir fanden heraus, dass wir uns sehr gut verstanden. Nach einer Woche war sie meine Freundin und sechs Monate später waren wir verheiratet. Ihre und meine Eltern waren mit der Heirat zufrieden.

Meine Exfrau ist eine ehrgeizige Frau. Nach dem Universitätsabschluss war sie verpflichtet, Beijing zu verlassen, hatte aber noch immer Träume und Pläne, dorthin zurückzukehren, die sie auch nach unserer Hochzeit verfolgte. Aus meinen tiefen Gefühlen für sie heraus ermutigte ich sie dazu. 1996 ging sie alleine nach Beijing und bereitete sich im folgenden halben Jahr auf die Aufnahmeprüfung für Postgraduierte vor. Ich nahm jeden Monat eine 20-stündige Zugfahrt nach Beijing auf mich, um sie zu sehen. 1998 wurde sie letztendlich in ein Magisterprogramm der Renmin- Universität aufgenommen, wo sie auch ihr Bakkalaureat gemacht hatte. Um in ihrer Nähe zu sein, verließ ich meinen Job in meiner Heimatstadt, lernte ein halbes Jahr lang und wurde für ein Postgraduiertenstudium an der Tsinghua-Universität zugelassen. Gerade zu der Zeit, als ich mir unser glückliches gemeinsames Leben in Beijing ausmalte, sagte sie mir, dass sie die Scheidung wolle, da sie das Gefühl habe, dass die Liebe sich aus unserer Ehe verabschiedet hatte. Ich glaube, dass es unmoralisch ist, in einer Ehe ohne Liebe zu verweilen und so hatten wir eine schnelle Scheidung. Zu jener Zeit war eine Scheidung mit einem großen gesellschaftlichen Stigma verbunden und deshalb erzählte ich meinen Eltern erst ein Jahr später davon, um sie nicht aufzuregen. Sie glauben daran, dass die Ehe für die Ewigkeit ist und dass all die Prüfungen und die Probleme unabdingbar sind. Das war auf jeden Fall die Meinung meiner Mutter. Sie führte den Haushalt und kümmerte sich um uns Kinder und wenn mein Vater wütend war und sie anschrie, war das einzige, was sie tun konnte, einen geheimen Platz zum Weinen zu finden. Ich denke, dass ihre Ehe so unglücklich war, hängt damit zusammen, dass sie das Konzept der Liebe nicht verstanden, obwohl sie so lange Zeit miteinander gelebt hatten. Das ist der Grund, warum ich Liebe in der Ehe so wichtig finde.

Für junge Leute um die zwanzig sind Konzepte der Liebe, Heirat und Familie noch weiter entfernt von denen ihrer Eltern. Sie suchen nach Liebe und Glück aber nicht zwingend die Ehe. Der älteren Generation, die sagt, dass das einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein zeigt, halten sie entgegen, dass die Verantwortung für ihr eigenes Leben am wichtigsten ist.

Cheng Xin, weiblich, 26, Immobilienmaklerin

Ich habe vor, nächstes Jahr zu heiraten zu einem Datum, das die Eltern meines Freundes wählen, obwohl das nicht mein Wunsch ist. Ich hatte gedacht, dass das Datum der Hochzeit, der Ort und die Art der Zeremonie von mir entschieden werden sollen, aber die Wirklichkeit dieses großen Schrittes ist viel komplexer. Wie die meisten chinesischen Eltern, ist für die Eltern meines Mannes die Hochzeit das wichtigste Ereignis im Leben ihres Sohnes und sie drängen uns, ein großes Hochzeitsbankett zu veranstalten. Ich habe so eine ausladende Angelegenheit nicht geplant und bekomme Panik, wenn ich daran denke. Ich muss auch sehr vorsichtig sein mit der Beziehung zu meiner zukünftigen Schwiegermutter, da ich von anderen Familien weiß, dass oft Konflikte zwischen Schwiegertöchtern und -müttern entstehen.

Ich lernte meinen Freund über das Internet kennen, es war eine sogenannte Internetliebe. Für viele ist es ein großes Risiko, einen Partner über einen Internetchat zu finden, aber für mich erfüllt der Chatroom im Internet die gleiche Funktion wie eine Heiratsvermittlerin. Natürlich kann man nicht jedem in einem Chatroom vertrauen, aber die Mehrheit ist in Ordnung. Wir hatten das erste Rendezvous, nachdem wir eine einjährige Cyberbekanntschaft geführt hatten. Zwei Jahre später, als wir das Gefühl hatten, dass wir eine stabile Beziehung hatten, stellte ich ihn meinen Eltern vor. Als sie sahen, dass er ein guter junger Mann ist, waren sie damit einverstanden, dass wir uns weiterhin sahen, doch wenn sie gewusst hätten, dass wir uns durch das Internet kennen gelernt haben, wäre die Sache ganz anders gelaufen. Es gibt viele Fälle von Mädchen, die über das Internet betrogen werden und viele Eltern sind dem Internet gegenüber misstrauisch. Meine Freunde sind auch überrascht über die Art, wie wir uns kennen gelernt haben; manche erzählen ihren Freunden unsere Geschichte als Beispiel dafür, wie das Internet genauso als Heiratsvermittlerin verwendet werden kann, andere sind hingegen sehr gegen unsere Beziehung.

Ich habe nichts gegen die Ehe: für mich ist sie eine Garantie für ein Liebespaar, zusammenzubleiben. Aber ich bin gegen das Phänomen, dass Frauen völlig vom Dasein als Ehefrau und Mutter vereinnahmt werden und sich selbst aufgeben. Für mich bedeutet Ehe, dass man das Leben miteinander genießt.

Wang Yanyu, weiblich, 23, Magisterstudentin

Niemand glaubt mir, wenn ich erzähle, dass ich noch nie einen Freund hatte. Sie denken, es sollte einfach sein für ein Mädchen wie mich, einen zu finden, trotzdem habe ich keinen. Von der Grundschule bis zur Universität war ich immer die beste Studentin in der Klasse und meine Mutter verbot mir, vor der Universität einen Freund zu haben. Ich folgte ihrem Rat. Als ich dann an die Universität kam, lernte ich einige Jugnen kennen, die ich mochte, aber meine Gefühle fanden keinen Widerhall. Jeder auf dem Campus wusste davon, aber es war mir in keinster Weise peinlich. Ich sehe nicht ein, warum Leute glauben, dass es normal ist für Jungen, einem Mädchen nachzulaufen und nicht umgekehrt.

Nach meinem Universitätsabschluss arbeitete ich ein Jahr lang und ging zurück an die Universität für mein Magisterstudium. Ich habe noch immer keinen Freund, aber ich mache mir keine Sorgen darüber, da ich mich alleine absolut wohl fühle. Meine Eltern im Gegenteil machen sich Sorgen um mich, mein Vater sagt, dass es einfach nicht passend ist für ein Mädchen, single zu bleiben, und dass Ehe und Familie das wichtigste für eine Frau seien. Ich habe schon so lange mit ihnen über dieses Thema gestritten, dass nichts mehr zu sagen bleibt und glücklicherweise leben sie in einer anderen Stadt und können sich so nicht allzu viel in mein Leben einmischen. Für mich bedeutet Ehe nicht so viel. Eine Studienkollegin von mir heiratete den Sohn eines Bürgermeisters und viele meiner Freundinnen geben mir den Rat, einen Mann um die 30 mit einer guten Karriere zu finden, wenn ich ein besseres Leben will. Sie lassen die Ehe wie ein Spiel aussehen, in dem beide Seiten um ihre jeweiligen Interessen verhandeln. Wenn das so ist, bleibe ich doch lieber alleine und genieße meine Freiheit.

Alle Namen in diesem Artikel sind erfunden.

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