Chinesische
Ansichten zur Ehe im Wandel
Von
Mitarbeiterin Lu Rucai
Fortschritt spiegelt
sich in vielen Aspekten des Lebens wider und in China ist
die Ehe wie überall der wichtigste Spiegel des gesellschaftlichen
Fortschritts. Heutige Konzepte von Liebe und Ehe stehen in
völligem Gegensatz zu denen vor zehn, zwanzig und fünfzig
Jahren.
Es
folgen fünf persönliche Berichte über Liebe und Ehe von Generationen,
die 60 Jahre überspannen.
In
den 50er und 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Chinas
Wirtschaft sich erholte von einer langen Kriegsperiode, wurden
Arbeiter, Bauern und Soldaten als die Herren des Landes und
als ideale Ehepartner angesehen. Zu jener Zeit fungierten
die Eltern als Heiratsvermittler; junge Leute hatten selten
freie Wahl, was ihre Lebenspartner anging.


Lu
Qinglin, 65, männlich, Bauer
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Ich heirtete
1956 mit zwanzig. Heute scheint das sehr jung zu sein, aber
damals fand man das schon spät. In den 50er Jahren wurden
Heiratsvermittlerinnen nach Hause eingeladen, wenn ein junger
Sohn oder eine Tochter 17 oder 18 geworden war. Ich bin der
zweite Sohn in meiner Familie. Mein älterer Bruder trat bald
nach der Befreiung 1949 der Volksbefreiungsarmee bei. Kurz
danach kam die Heiratsvermittlerin zu uns nach Hause, um ihm
eine passende Braut vorzuschlagen, die sie als groß und fleißig
beschrieb. Meine Eltern akzeptierten sie mit Freude. Als mein
Bruder auf Fronturlaub heimkam, heiratete er dieses Mädchen,
das er nie zuvor gesehen hatte. Dann war ich an der Reihe.
Meine Eltern hatten weniger strenge Anforderungen an ihre
zweite Schwiegertochter, ihr Hauptwunsch war, dass sie eine
gewillte Arbeiterin und fruchtbar sei. Ich andererseits wollte
immer eine hübsche Frau. Eine Frau aus der Nachbarschaft erzählte
mir von ihrer Nichte, und sagte mir, dass sie hübsch war,
hart arbeitete und einen Mann aus einer wohlsituierten Familie
wollte. Zu jener Zeit hatten viele Familien Probleme durchzukommen,
und da mein Vater ein sogenannter Intellektueller gewesen
war, verdiente er zu wenig, um unsere Familie gut versorgen
zu können. Unsere kuppelnde Nachbarin aber schlug einen Trick
vor, der uns helfen könnte, unsere wirtschaftlichen Probleme
zu verheimlichen. Zu jener Zeit war die Messlatte für den
Reichtum einer Familie das Ausmaß der Getreidereserven. Unsere
gerissene Freundin gab uns den Rat, am Boden unseres Kornspeichers
Sand aufzuschütten und unsere wenigen Getreidekörner darauf
zu schütten, um den Eindruck von Überfluss entstehen zu lassen.
Als die Eltern des Mädchens kamen, waren sie hocherfreut,
unser scheinbar volles Getreide- und Maislager zu sehen und
stimmten der Heirat zu. Ich war froh, dass die Sache entschieden
war, denn ein Heiratsversprechen von Eltern war damals so
bindend wie das Gesetz.
Wir
hatten uns vor unserer Hochzeit nie gesehen, denn Mädchen
blieben damals hauptsächlich zu Hause. Unsere Eltern machten
ein passendes Datum für unsere Hochzeit aus und an jenem Tag
wurde sie meine Braut. Seitdem führen wir eine stabile, glückliche
Ehe. Meine Frau kümmert sich um die Haushaltsangelegenheiten
und ich arbeite außerhalb, um die Familie zu versorgen. Wir
werden nun bald 70 und leben glücklich mit unseren Kindern
und Enkelkindern. Für uns bedeutet die Ehe, ein glückliches
und gutes Leben miteinander zu führen.
In
den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts waren arrangierte
Ehen noch immer die Norm: die meisten Paare kamen durch Heiratsvermittlerinnen
zustande und mussten noch um den Segen der Eltern bitten vor
der Eheschließung. Zwanglose Rendezvous und freie Liebe waren
nicht verbreitet, deshalb wussten die Paare sehr wenig voneinander
vor ihrem Hochzeitstag. Viele aus dieser Generation sagen,
dass sie zuerst heirateten und sich dann verliebten. Sie bestehen
darauf, dass die Liebe wächst mit dem Fortschreiten des Ehelebens.
Liu Ying, weiblich, 45,
Büroangestellte
Ich
heiratete 1983 mit 24, mein Mann war 27. Er war ein Mitarbeiter
meiner Mutter und ein sehr netter Mann. Ich war damals nicht
gesund und er kam oft zu uns nach Hause, um sich um mich zu
kümmern. Meine Eltern waren ihm dankbar und wollten, dass
er meine ältere Schwester heiratete, aber er sagte ihnen,
dass er mich liebte. Ich stimmte anfangs nicht zu, da ich
Träume von einem Märchenprinzen hatte. Nach langem Streit
mit meinen Eltern stimmte ich zu und heiratete ihn. Ich begann
bald, nach traditionellen Mustern zu denken, die besagen,
dass die Haupteigenschaften eines Ehemannes darin bestehen
sollten, dass er ein guter Mann ist und sich um die Eltern
der Frau kümmert. Sehr wenige Leute unserer Generation sprechen
über Liebe; für sie bedeuet Ehe einfach, miteinander zu leben,
genau wie unsere Eltern.
Mein Verlobter und ich sahen
einander kaum nach unserer Verlobung. Jedes Mal, wenn er zu
uns nach Hause kam, unterhielt er sich fröhlich mit meinen
Eltern aber kaum mit mir alleine. Die Leute damals waren sehr
konservativ und meine Eltern ließen uns nicht alleine ausgehen
vor unserer Hochzeit. Wir registrierten unsere Ehe, als ich
22 Jahre alt war, doch ich hatte wenig persönlichen Kontakt
mit ihm vor unserer Hochzeitszeremonie, die stattfand, als
ich 24 war, obwohl wir legal verheiratet waren. Damals wurde
eine Ehe nur nach einem großen Hochzeitsbankett für Freunde
und Verwandte anerkannt. Meine Mitgift bestand aus zwei Leintüchern
und zwei Bettdecken für das Holzbett, das mein Mann für uns
gekauft hatte. Ich weiß, dass die jungen Leute heutzutage
ein Auto und eine große Wohnung als Hochzeitsgeschenke erwarten,
doch zu unseren Zeiten waren der gute Charakter des Mannes
und sein angebrachtes Verhalten der älteren Generation gegenüber
am wichtigsten.
Unsere Freunde waren überrascht,
dass wir selten stritten nach unserer Hochzeit. Am Abend liest
mein Mann zu Hause und ich sehe fern. Ich treffe die wichtigsten
Entscheidungen im Haushalt, denen mein Mann immer zustimmt,
deshalb gibt es nichts zu streiten. Ich denke, der einzige
Zweck der Ehe ist, dass die Partner sich gut umeinander kümmern.
Mein Mann und ich sind kein romantisches Paar, und wir haben
noch nie unseren Hochzeitstag gefeiert, obwohl wir schon seit
21 Jahren verheiratet sind. Jüngere Paare sagen vielleicht,
dass wir leidenschaftslos sind. Das stimmt möglicherweise;
unsere Beziehung ist von Natur aus eher familienorientiert,
wie die zwischen uns und unseren Eltern. Ehe bedeutet für
uns, zu lernen, wie man in Harmonie lebt. Liebe ist wichtig,
aber sie reicht nicht, um die Ehe bestehen zu lassen.
In
den 90er Jahren traten die meisten jungen Leute in den Stand
der Ehe, nachdem sie sich bereits verliebt hatten. Nachdem
sie ihre Liebe all den Mitmenschen in ihrer Umgebung verkündet
haben, folgen sie dem normalen Heiratsprozedere. Diese jungen
Leute halten eine Ehe ohne Liebe für unmoralisch und manche
gehen so weit, ihre Ehe aufzugeben, wenn die Flamme verloschen
ist.
Li Sihai, männlich, 35,
Journalist
Obwohl meine Ehe zerbrochen
ist, glaube ich noch immer daran, dass die Ehe eine notwendige
Institution im Leben der Menschen ist. Ich habe nicht vor,
single zu bleiben; ich habe vor, ein Mädchen zu finden, sie
zu heiraten und mit ihr ein Kind zu haben.
Ich
heiratete zum ersten Mal mit 24, ein Jahr, nachdem ich zu
arbeiten begonnen hatte. Die Leute meiner Generation waren
tief beeinflusst von der Reform- und Öffnungspolitik. Wir
lasen viel romantische Literatur und und sahen uns Seifenopern
im Fernsehen an. Ich stellte mir immer vor, dass ich meine
Traumprinzessin kennen lernen würde und wir für immer und
ewig glücklich miteinander leben würden. Das Mädchen, das
ich heiratete, war eine Arbeitskollegin. Sie sah sehr durchschnittlich
aus. Schließlich ergab sich die Gelegenheit für ein Gespräch
und wir fanden heraus, dass wir uns sehr gut verstanden. Nach
einer Woche war sie meine Freundin und sechs Monate später
waren wir verheiratet. Ihre und meine Eltern waren mit der
Heirat zufrieden.
Meine Exfrau ist eine ehrgeizige
Frau. Nach dem Universitätsabschluss war sie verpflichtet,
Beijing zu verlassen, hatte aber noch immer Träume und Pläne,
dorthin zurückzukehren, die sie auch nach unserer Hochzeit
verfolgte. Aus meinen tiefen Gefühlen für sie heraus ermutigte
ich sie dazu. 1996 ging sie alleine nach Beijing und bereitete
sich im folgenden halben Jahr auf die Aufnahmeprüfung für
Postgraduierte vor. Ich nahm jeden Monat eine 20-stündige
Zugfahrt nach Beijing auf mich, um sie zu sehen. 1998 wurde
sie letztendlich in ein Magisterprogramm der Renmin- Universität
aufgenommen, wo sie auch ihr Bakkalaureat gemacht hatte. Um
in ihrer Nähe zu sein, verließ ich meinen Job in meiner Heimatstadt,
lernte ein halbes Jahr lang und wurde für ein Postgraduiertenstudium
an der Tsinghua-Universität zugelassen. Gerade zu der Zeit,
als ich mir unser glückliches gemeinsames Leben in Beijing
ausmalte, sagte sie mir, dass sie die Scheidung wolle, da
sie das Gefühl habe, dass die Liebe sich aus unserer Ehe verabschiedet
hatte. Ich glaube, dass es unmoralisch ist, in einer Ehe ohne
Liebe zu verweilen und so hatten wir eine schnelle Scheidung.
Zu jener Zeit war eine Scheidung mit einem großen gesellschaftlichen
Stigma verbunden und deshalb erzählte ich meinen Eltern erst
ein Jahr später davon, um sie nicht aufzuregen. Sie glauben
daran, dass die Ehe für die Ewigkeit ist und dass all die
Prüfungen und die Probleme unabdingbar sind. Das war auf jeden
Fall die Meinung meiner Mutter. Sie führte den Haushalt und
kümmerte sich um uns Kinder und wenn mein Vater wütend war
und sie anschrie, war das einzige, was sie tun konnte, einen
geheimen Platz zum Weinen zu finden. Ich denke, dass ihre
Ehe so unglücklich war, hängt damit zusammen, dass sie das
Konzept der Liebe nicht verstanden, obwohl sie so lange Zeit
miteinander gelebt hatten. Das ist der Grund, warum ich Liebe
in der Ehe so wichtig finde.
Für
junge Leute um die zwanzig sind Konzepte der Liebe, Heirat
und Familie noch weiter entfernt von denen ihrer Eltern. Sie
suchen nach Liebe und Glück aber nicht zwingend die Ehe. Der
älteren Generation, die sagt, dass das einen Mangel an Verantwortungsbewusstsein
zeigt, halten sie entgegen, dass die Verantwortung für ihr
eigenes Leben am wichtigsten ist.
Cheng Xin, weiblich, 26,
Immobilienmaklerin
Ich
habe vor, nächstes Jahr zu heiraten zu einem Datum, das die
Eltern meines Freundes wählen, obwohl das nicht mein Wunsch
ist. Ich hatte gedacht, dass das Datum der Hochzeit, der Ort
und die Art der Zeremonie von mir entschieden werden sollen,
aber die Wirklichkeit dieses großen Schrittes ist viel komplexer.
Wie die meisten chinesischen Eltern, ist für die Eltern meines
Mannes die Hochzeit das wichtigste Ereignis im Leben ihres
Sohnes und sie drängen uns, ein großes Hochzeitsbankett zu
veranstalten. Ich habe so eine ausladende Angelegenheit nicht
geplant und bekomme Panik, wenn ich daran denke. Ich muss
auch sehr vorsichtig sein mit der Beziehung zu meiner zukünftigen
Schwiegermutter, da ich von anderen Familien weiß, dass oft
Konflikte zwischen Schwiegertöchtern und -müttern entstehen.
Ich lernte meinen Freund über
das Internet kennen, es war eine sogenannte Internetliebe.
Für viele ist es ein großes Risiko, einen Partner über einen
Internetchat zu finden, aber für mich erfüllt der Chatroom
im Internet die gleiche Funktion wie eine Heiratsvermittlerin.
Natürlich kann man nicht jedem in einem Chatroom vertrauen,
aber die Mehrheit ist in Ordnung. Wir hatten das erste Rendezvous,
nachdem wir eine einjährige Cyberbekanntschaft geführt hatten.
Zwei Jahre später, als wir das Gefühl hatten, dass wir eine
stabile Beziehung hatten, stellte ich ihn meinen Eltern vor.
Als sie sahen, dass er ein guter junger Mann ist, waren sie
damit einverstanden, dass wir uns weiterhin sahen, doch wenn
sie gewusst hätten, dass wir uns durch das Internet kennen
gelernt haben, wäre die Sache ganz anders gelaufen. Es gibt
viele Fälle von Mädchen, die über das Internet betrogen werden
und viele Eltern sind dem Internet gegenüber misstrauisch.
Meine Freunde sind auch überrascht über die Art, wie wir uns
kennen gelernt haben; manche erzählen ihren Freunden unsere
Geschichte als Beispiel dafür, wie das Internet genauso als
Heiratsvermittlerin verwendet werden kann, andere sind hingegen
sehr gegen unsere Beziehung.
Ich habe nichts gegen die
Ehe: für mich ist sie eine Garantie für ein Liebespaar, zusammenzubleiben.
Aber ich bin gegen das Phänomen, dass Frauen völlig vom Dasein
als Ehefrau und Mutter vereinnahmt werden und sich selbst
aufgeben. Für mich bedeutet Ehe, dass man das Leben miteinander
genießt.
Wang Yanyu, weiblich, 23,
Magisterstudentin
Niemand glaubt mir, wenn ich
erzähle, dass ich noch nie einen Freund hatte. Sie denken,
es sollte einfach sein für ein Mädchen wie mich, einen zu
finden, trotzdem habe ich keinen. Von der Grundschule bis
zur Universität war ich immer die beste Studentin in der Klasse
und meine Mutter verbot mir, vor der Universität einen Freund
zu haben. Ich folgte ihrem Rat. Als ich dann an die Universität
kam, lernte ich einige Jugnen kennen, die ich mochte, aber
meine Gefühle fanden keinen Widerhall. Jeder auf dem Campus
wusste davon, aber es war mir in keinster Weise peinlich.
Ich sehe nicht ein, warum Leute glauben, dass es normal ist
für Jungen, einem Mädchen nachzulaufen und nicht umgekehrt.
Nach meinem Universitätsabschluss
arbeitete ich ein Jahr lang und ging zurück an die Universität
für mein Magisterstudium. Ich habe noch immer keinen Freund,
aber ich mache mir keine Sorgen darüber, da ich mich alleine
absolut wohl fühle. Meine Eltern im Gegenteil machen sich
Sorgen um mich, mein Vater sagt, dass es einfach nicht passend
ist für ein Mädchen, single zu bleiben, und dass Ehe und Familie
das wichtigste für eine Frau seien. Ich habe schon so lange
mit ihnen über dieses Thema gestritten, dass nichts mehr zu
sagen bleibt und glücklicherweise leben sie in einer anderen
Stadt und können sich so nicht allzu viel in mein Leben einmischen.
Für mich bedeutet Ehe nicht so viel. Eine Studienkollegin
von mir heiratete den Sohn eines Bürgermeisters und viele
meiner Freundinnen geben mir den Rat, einen Mann um die 30
mit einer guten Karriere zu finden, wenn ich ein besseres
Leben will. Sie lassen die Ehe wie ein Spiel aussehen, in
dem beide Seiten um ihre jeweiligen Interessen verhandeln.
Wenn das so ist, bleibe ich doch lieber alleine und genieße
meine Freiheit.
Alle
Namen in diesem Artikel sind erfunden.