Heimkehr?
Interview
mit drei chinesischen Indonesiern in Beijing
Von
Katharina Schneider-Roos
Nani
(64) hat Indonesien als junges Mädchen 1964 während der damaligen
Unruhen verlassen und lebt seitdem im Ausland. Ihre Familie
lebt seit vier Generationen in Indonesien. Sie besucht China
als Touristin und um Verwandte zu besuchen.
Rudi
(30) hat im Ausland studiert und in Indonesien gearbeitet
und studiert nun Chinesisch in Beijing. Sein Vater ist die
zweite Generation in Indonesien, die Familie seiner Mutter
lebt seit vier Generationen dort.
Leni
(26) spricht von klein auf Chinesisch, da ihr Vater aus Hong
Kong stammt. Sie kam nach China, um ihr Schriftchinesisch
zu verbessern und ihren Mann Rudi zu begleiten.
Fühlen
Sie sich als Chinese/Chinesin?
Nani: „Als ich in Indonesien gelebt
habe, fühte ich mich als Indonesierin. Ich war einfach Einwohnerin
von Sumatra und hatte einen gemischten Freundeskreis. Ich
war völlig integriert bis zum Ende der Regierung Sukarnos,
als viele Chinesen verfolgt wurden und ihre Häuser abgebrannt
wurden. Man ließ mich spüren, dass ich Chinesin bin. Es war
ein neues Gefühl des Hasses, der Bitterkeit, und ich stellte
mir selbst viele Fragen über meine Identität. Das Thema China
hatte sich erübrigt, als mein Vater sich entschied, in Indonesien
zu bleiben, als man nach dem zweiten Weltkrieg wählen mußte
zwischen indonesischer und chinesischer Staatsbürgerschaft.
Mein Vater dachte, dass sein Großvater sicher einen guten
Grund gehabt hatte, China zu verlassen und dass wir seine
Entscheidung akzeptieren und Indonesien als unser Vaterland
anerkennen müssten.“
Rudi: „Ich bin
ein Chinese, der in Indonesien lebt. Man wird dort anders
behandelt. Man hat nicht das Gefühl, in dieses Land zu gehören.
In Schichten mit niedrigerem Bildungsniveau wird die ablehnende
Haltung nicht einmal verheimlicht. Diese Leute betrachten
dich als Ausländer. Besonders vor 1998 sagten sie, wir werden
als Chinesen bevorzugt behandelt. Doch 1998, während der Unruhen,
half uns die Regierung überhaupt nicht.“
Leni (25): „1998 habe ich so erlebt:
Vor der Universität verfolgte die Polizei die Masse. Es gab
Gewehrschüsse. Ich rannte und kletterte über den Zaun auf
das Universitätsgelände. Ich wartete dort und hatte Angst.
Ich wollte aber nach Hause. Ich wollte wissen, wie es meiner
Familie geht. Doch es fuhren keine Taxis und nur wenige Busse.
Ich wartete zwei Stunden mit zwei Freunden in der Busstation.
Endlich kam ein Bus, mit dem ich nach Hause fahren konnte.
Eine Freundin von mir wurde von Indonesiern umzingelt und
wurde durch einen freundlichen Indonesier mit einem Motorradtaxi
gerettet. Er nahm sie mit nach Hause und sie konnte erst am
nächsten Tag, als Muslimin verkleidet und mit Sonnenbrille,
damit man ihre chinesischen Augen nicht sieht, nach Hause
gehen. Der Mann bekam sehr viel Geld von ihrer Mutter.“
Was
bedeutet Chinesischsein in Indonesien?
Nani:
„Meine Eltern hatten beide die holländische Schule besucht,
da es aber an dem Ort, an dem ich aufwuchs, keine holländische
Schule gab, musste ich die chinesische Schule der chinesischen
Gilde besuchen. Ich hatte es sehr schwer, da mir meine Eltern
nicht bei meinen Hausaufgaben helfen konnten, denn sie konnten
kein Wort Chinesisch. Deshalb schlugen mir die Lehrer immer
mit einem Stock auf die Finger. Ich hasste die Schule.“
Rudi:
„Es gab einige chinesische Bräuche, die mein Vater beibehalten
hatte. Als Kinder mussten wir einen Altar aufstellen und zu
unseren Großeltern beten. Mein Vater hat noch immer die chinesische
Angewohnheit, das Gesicht anderer zu wahren. Wir feiern auch
chinesische Feiertage. Die Situation hat sich nach 1998 gebessert.
Die Gesetze wurden gelockert und wir können nun offen chinesische
Feiertage feiern. Es gibt sogar ein Fernsehprogramm mit chinesischer
Kultur. Das Lustige ist, dass darin Indonesier chinesische
Lieder singen, natürlich oft falsch. Es gibt auch Filme über
berühmte indonesische Chinesen. Wir haben gute indonesische
Freunde, doch es bleibt immer ein wenig Misstrauen zwischen
uns bestehen. Chinesen werden mata sipit (kleine Augen)
oder Cina genannt. Die Gemischten haben Glück, man
erkennt sie nicht sofort als Chinesen. Doch man erkennt die
Herkunft im Identitätsausweis.
Leni:
„Wir mussten ganz traditionell chinesisch heiraten. Wir mussten
zwei Koffer, einen für den Mann und einen für die Frau herrichten
und sie mit jeweils sechs Kleidungsstücken, sechs Nachthemden,
Make-up und Toillettenartikeln füllen. Bei der Verlobung musste
die Familie des Mannes Süßigkeiten, Früchte, Gold und Wein
mit einem roten Band zusammen binden und das Zeichen für Glück
(Fu) spielt auch eine Rolle. Meine Mutter erlaubte uns nicht,
Indonesier zu heiraten. Sie hasst Indonesier. In der Moschee,
die neben dem Haus einer Freundin ist, wird im Gebet gegen
Chinesen aufgehetzt. Ich hatte früher einen indonesischen
Freund, was meine Mutter natürlich nicht wusste. Alle meinten,
dass solche Beziehungen unmöglich sind.“
Wie empfinden Sie Chinesen
in China? Wo sind die Trennlinien, wo die Gemeinsamkeiten?
Nani: „Ich wohnte
in Palembang, das sehr chinesisch war. Die Architektur in
China erinnert mich sehr an die in Palembang. Ich kenne das
südchinesische Essen, die nordchinesische Küche ist neu für
mich. Ich weiß nicht, ob das chinesisch oder indonesisch ist,
dass ich meinen Kindern beibrachte, ältere Leute zu respektieren.
Wahrscheinlich ist das einfach asiatisch. Die Leute hier in
China sind freundlich, lachen aber wenig. Ich habe nicht das
Gefühl, dass sie mir vorhalten, dass ich als Auslandschinesin
mein Heimatland in schlechten Zeiten nicht unterstützt habe.
Ich bin stolz, Chinesin zu sein. Chinesen hatten so viele
Probleme in der Geschichte, doch sie haben sich durch eigene
Kraft aus der Armut hochgearbeitet.“
Rudi:
„Ich kam nach China, um Chinesisch zu lernen. Ich fühlte mich
als Chinese, konnte aber nicht Chinesisch sprechen. Ich liebe
Indonesien überhaupt nicht. Als Kind liebte ich Indonesien,
doch in der Mittelschule wurde ich desillusioniert. Als ich
nach China kam, wollte ich nur die Sprache studieren, sonst
nichts. Doch als wir länger blieben, merkte ich, dass wir
völlig integriert sind und als Ortsansässige angesehen werden,
solange wir nicht sprechen. Sobald wir den Mund aufmachen,
werden wir anders behandelt. Deshalb müssen wir eifrig studieren.
Wir fühlen uns sicher und haben das Gefühl, hierher zu gehören.
Wir können in der Nacht zu Fuss spazieren gehen und ohne Probleme
in kleinen Geschäften einkaufen. In Indonesien würden die
Leute verstummen und uns anstarren, wenn wir einen Laden betreten.“
Leni:
„Die Chinesen in China fragen uns immer sofort nach 1998.
Sie sagen, wir sollen doch nach China ziehen.“
Wie könnte die Situation
zwischen Indonesiern und Chinesen in Indonesien verbessert
werden?
Rudi: „Ich finde,
dass die Situation nur verbessert werden kann durch Anhebung
der Bildung, auch der moralischen Bildung, durch Kontrolle
des Bevölkerungswachstums und gute Staatsführung der Regierung.“
Bemerkung:
Die chinesische Minderheit in Indonesien machte nie mehr als
drei Prozent der Bevölkerung aus. In den 50er Jahren begann
eine wirtschaftliche Diskriminierungspolitik. In den anti-chinesischen
Progromen von 1965-1967 starben ungefähr 1 Million Menschen.
Die schockierendsten anti-chinesischen Unruhen brachen am
13. Mai 1998 aus, als Häuser von Chinesen verbrannt und chinesische
Frauen vergewaltigt wurden.