Der
Drache – Symbol der Kultur Chinas
Von
Huang Nengfu

In China gilt der Drache als
wohltätiges und glückbringendes Wesen. Am 15. Januar nach
dem chinesischen Mondkalender wird z. B. in meiner Heimat
die Zeremonie zum „Empfang des Drachen und der Lampions“ veranstaltet.
Begleitet von Trommeln und Tamtams, Fahneneskorte und bunten
Laternen, „schlängelt“ sich der Stoffdrache durch die Straßen.
Die Straßenbewohner und Geschäftsleute heißen ihn als den
Gott des Reichtums und Wohlstandes herzlich willkommen, stellen
vor ihren Häusern oder Läden einen Tisch mit Weihrauch und
Kerzen auf und brennen Feuerwerkskörper ab.
In der feudalen Gesellschaft
symbolisierte der Drache auch die Autorität der chinesischen
Kaiser. Sie bezeichneten sich als „Sohn des wahren Drachen“.
Drachen-Ornamente sind deshalb überall in der Verbotenen Stadt
in Beijing zu sehen.
Seit
langem ist der Drache auch in der volkstümlichen Dekorationskunst
ein beliebtes Motiv. Die Drachengestalt tauchte zum ersten
Mal vor sechs- bis siebentausend Jahren auf dem Dekor uralter
Farbkeramik auf. Auch findet man sie öfter im Dekor der Bronzegegenstände
aus der Shang-Zeit (etwa 16. Jh. – 11. Jh. v. u. Z.). In den
nachfolgenden Dynastien wurden viele Gegenstände, wie Wagen,
Schiffe, Ritualgefäße, Musikinstrumente, Möbel, Porzellan-
und Keramikwaren sowie Spielzeuge und Münzen etc., mit Drachenmuster
verziert. So kann man sagen, dass der Drache in enger Verbindung
mit dem alltäglichen, geistigen und kulturellen Leben aller
Nationalitäten Chinas steht.
Der Mythos des Drachen
In der Paläontologie gehört
der Drache zu den Kriechtieren, die vor 225 Millionen bis
7 Millionen Jahren auf der Erde lebten. Das Mesozoikum war
die Blütezeit der Reptilien. Damals gab es auf der ganzen
Welt Meerreptilien sowie amphibische und fliegende Reptilien.
Im Spätmesozoikum waren die meisten Kriechtiere schon ausgestorben.
Nur einige von ihnen, wie Schildkröten, Schlangen, Eidechsen,
Krokodile usw., sind erhalten geblieben.
In der chinesischen Kultur
wird der Drache nicht als ein reales, sondern als ein mythisches
Tier betrachtet. Im Shuo Wen, dem frühesten chinesischen
etymologischen Werk aus dem Jahre 100 u. Z., wird er als „ein
Tier mit Schuppen, das spurlos verschwinden oder unerwartet
auftauchen, groß oder klein, kurz oder lang sein könne und
im Frühlingsäquinoktium in den Himmel fliege sowie zur Herbsttagundnachtgleiche
(am 23. September nach dem Mondkalender) ins Meer springe“
beschrieben – ein Hinweis auf die mythologische Herkunft des
Drachen.
Diese mythische Vorstellung
vom Drachen stammt aus der uralten archaischen Kultur Chinas,
findet sich in der alten Religion und wird auch in den alten
Volksmythen beschrieben. In den Schöpfungsmythen vor der Qin-Dynastie
(221–207 v. u. Z.) verkörpert der Drache folgende vier Gestalten:
Erstens: Eine Mischgestalt
aus Mensch und Drachen. Z. B. wurden Pan Gu, der Himmel und
Erde teilte und der Welt Gestalt verlieh, Nü Wa, eine uralte
weibliche Gottheit, die die Menschen erschuf, Huang Di, eine
legendäre Herrschergestalt in grauer Vorzeit und Vorfahr des
chinesischen Volkes, sowie Shen Nong Shi, der das Volk lehrte,
den Acker zu bebauen, als Gestalten mit dem Kopf eines Menschen
und dem Körper eines Drachen beschrieben.
Zweitens: Eine Inkarnation
des Menschen. Eine Legende besagt, dass Guns Körper, der Vater
von Yu dem Großen, einem legendären Herrscher und dem Gründer
der Xia-Dynastie (2205–1766 v. u. Z.), nachdem er gestorben
war, drei Jahre lang nicht verweste und sich dann in einen
gelben Drachen verwandelte.
Drittens: Ein Gott mit übermenschlicher
Kraft. Einer Sage zufolge half ein göttlicher Drache Yu dem
Großen bei seinem Kampf gegen Flutkatastrophen. Er zog mit
seinem Schwanz eine Linie und entlang dieser Linie hob Yu
Kanäle aus, die das Wasser zum Meer führten.
Viertens: Ein verkehrsmittel
der Götter. Shanhaijing, ein bekanntes geographisches
Werk, besagt, dass Lu Shou, der Geist des Westens, und Zhu
Rong, der Geist des Südens, jeweils auf zwei Drachen gen Himmel
flögen. Hier wird deutlich, dass der Drache, der in der Urgesellschaft
als Götze verehrt wurde, eng mit dem Kampf der Menschen gegen
Naturkatastrophen verbunden ist. Mit der Entwicklung der menschlichen
Gesellschaft haben sich Gestalt und Charakter des Drachen
immer mehr vervollkommnet, und die Mythen über den Drachen,
die in den mehrtausendjährigen Geschichtsbüchern bzw. vom
Volksmund geschildert werden, wurden immer phantasievoller.
Drache und kaiserliche
Autorität
In der Urgesellschaft wurde
der Drache als übernatürliche Kraft angesehen und war geistiges
Gut der ganzen Gesellschaft. In der Sklavenhaltergesellschaft
wurde er zum einzigen Vorfahren der herrschenden Familie und
in der feudalen Gesellschaft zum kaiserlichen Symbol.
Huang Di, der Gelbe Kaiser,
herrschte in grauer Vorzeit über die ganze Mittlere Ebene.
Als er hundert Jahre alt geworden war, so die Legende, holte
ihn ein Drache in den Himmel zurück.
Yu der Große, der Gründer
der Xia-Dynastie (21. Jh.–16. Jh. v. u. Z.), war der erste
Kaiser Chinas, der den Thron an seinen Sohn abtrat. Einer
Sage zufolge waren zwölf verschiedene Muster, die die kaiserliche
Autorität versinnbildlichten, auf sein Gewand gestickt. Eines
davon war das Drachenmuster.
Im
Jahre 206, als die Westliche Han-Dynastie (206 v. u. Z.–24
u. Z.) gegründet wurde, entstand eine Geschichte, die erzählt,
dass Liu Bang, der erste Kaiser des Reiches, der „Sohn“ des
Drachen sei, weil seine Mutter ihn geboren habe, nachdem sie
im Traum mit einem Drachen geschlechtlich verkehrt habe. Von
da an waren die Kaiser eng mit dem Drachen verbunden. „longyan“
(Miene des Drachen) und „longti“ (Körper des Drachen) wurde
dem Kaiser gegenüber als Schmeichelei benutzt, und das Schriftzeichen
„long“ (Drache) wurde den Schriftzeichen für seine Gebrauchsgegenstände
vorangestellt. Seine Kleidung wurde als „longjuan“, sein Sitz
als „longzuo“, sein Bett als „longchuang“ usw. bezeichnet.
Im Laufe der Zeit spielte
der Drache als Dekoration in den Kaiserpalästen eine immer
größere Rolle. Während das Drachenmuster nur eines der zwölf
Muster auf den zeremoniellen Roben der Kaiser der Han-Zeit
war, schmückte ein großes, rundes Drachenmuster Brust und
Rücken der Kleidungsstücke der Tyrannen der Tang-Dynastie
(618–907). Drachenornamente, die sich um den ganzen Körper
wanden, waren oft auf den kaiserlichen Gewändern der Song-Dynastie
(960–1279) zu finden. Noch üppigere Drachenmotive waren auf
die zeremoniellen Gewänder der Machthaber der Ming-Dynastie
(1368–1644) gestickt. Eine solche Robe war mit 192 Drachen
verziert. Stickereien dieser Art würden künstlerisch noch
sorgfältiger auf den kaiserlichen Gewändern der Qing-Dynastie
(1644–1911) ausgeführt.
Die kaiserlichen Residenzen
wurden in gleicher Weise dekoriert. Ein Beispiel dafür ist
die Taihedian (Halle der Höchsten Harmonie) in der Verbotenen
Stadt, dem heutigen Palastmuseum. Die Halle wird von 72 riesigen
Säulen gestützt, wovon sechs, die den Thron in der Mitte der
Halle flankieren, von vergoldeten Drachen umwunden sind. Die
Drachenköpfe auf den drei Säulen, die auf der östlichen Seite
des Thronsessels stehen, schauen westwärts nach oben und die
anderen umgekehrt. Über dem Thron befindet sich eine feine,
kunstvoll gearbeitete Kassettendecke mit gewundenen Drachen,
die mit Perlen spielen und deren Köpfe nach unten schauen.
Hinter dem Thron steht ein Wandschirm, der mit Drachen in
verschiedenen Haltungen dekoriert ist. Der ganze Thronsaal
ist eine ganze eindrucksvolle Szenerie von durcheinanderwirbelnden
Drachen.
Um die Idee, dass die Macht
der Kaiser von Gott komme, zu unterstreichen, wurde das Drachensymbol
an allen Orten, die der Kaiser frequentierte, verwendet. In
den Hallen und Hofhäusern der Verbotenen Stadt, wo er lebte
und seine Macht ausübte, im Himmelstempel, wo er um eine gute
Ernte betete, und in den kaiserlichen Gärten, wo er sich mit
seinen Konkubinen verlustierte, usw.
Drachen und Folklore
Im antiken China galt der Drache als das Totem
der Xiongnu (Hunen) im Norden und der Chu, Yue, Yue, Ailao
und Miao im Süden.
Der Drache war auch eine bedeutende
Figur in der Volksliteratur. Diejenigen, die Talent und Integrität
zeigten, wurden öfters als Drachen bezeichnet. Der große tang-zeitliche
Dichter Du Fu (712–770) schrieb in einem Gedicht, dass „diejenigen,
die sich Drachen zugesellen, unbesiegbare Kräfte haben“.
In der Volksliteratur und
-kunst wird der Drache oft vermenschlicht. In den Volksmärchen
kommen oft Drachenkönige vor, die in Unterwasserpalästen herrschen
und Armeen von Fischen, Schildkröten und anderen Meerestieren
befehlen und denen menschliche Charaktereigenschaften zugesprochen
werden. In manchen Erzählungen sind sie gut und wohlwollend,
in anderen schlecht und bösartig. Zhang Yu kocht das Meer,
ein Drama aus der Yuan-Dynastie, berichtet, wie der Gelehrte
Zhang Yu in Liebe zu der Tochter des Drachenkönigs entbrennt
und dem oppositionellen Verhalten seitens des Vaters begegnet,
indem er mittels Magie das Meer zum Sieden bringt, woraufhin
er schließlich das Mädchen heiraten kann.
Seit langem glaubt man, dass
der Drache in der Lage sei, Wind und Regen herbeizuzaubern
bzw. das Wetter wunschgemäß zu ändern. Infolgedessen entstanden
dort, wo man um mildes Wetter und gute Ernte zu beten pflegt,
zahlreiche Drachenkönig-Tempel.
Das Drachenboot-Rennen ist
eine Sportart, die sich nicht nur unter den verschiedenen
Nationalitäten Chinas, sondern auch in Japan und in den südostasiatischen
Ländern großer Popularität erfreut.
Der Drachentanz tauchte zum
ersten Mal in Dokumenten und Lithographien aus der Han-Dynastie
auf und ist bis heute eine sehr beliebte Form der Belustigung
unter den nationalen Minderheiten Chinas sowie auch in Japan
und in Südostasien.
Die Gestalt des Drachen
Die Gestalt des Drachen durchlief
eine mehrtausendjährige Entwicklung. In der Urgesellschaft
wurde der Drache als ein Tier mit Menschenkopf und Schlangenkörper
beschrieben. In der Shang- und Zhou-Dynastie war er durch
einen gehörnten Kopf auf einem langen, gewundenen Körper gekennzeichnet.
Er Ya Yi, ein Buch aus dem Jahre 1100 u. Z., das Vokabular
und Satzbau antiker Werke erläutert, bezeichnet den Drachen
als ein Tier, das Hörner wie ein Hirschgeweih, einen Kopf
wie ein Kamel, Augen wie die des Teufels (manche sagen wie
die der Krabbe), einen Hals wie eine Schlange, einen Bauch
wie eine Muschel, Schuppen wie ein Karpfen, Krallen wie ein
Adler, Tatzen wie ein Tiger und Ohren wie ein Ochse hat. Diese
Erläuterung hat mehr oder weniger der physischen Gestalt des
Drachen eine Definition gegeben. Danach richteten sich in
ihrer Praxis fast alle Hof- und Volksmaler.
Aber Charakter und Verhalten
des Drachen in der Hof- und Volkskunst sind völlig unterschiedlich.
In der Volkskunst ist er einfach, schlicht und freundlich,
was die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben zum Ausdruck
bringt. In Gegensatz dazu sind die Drachen in der Hofkunst
imponierend, grimmig und Ehrfurcht einflößend, was die kaiserliche
Allmacht symbolisiert.
Der Drache, ob freundlich
oder unnahbar, ist ein mythisches Tier, an dem das Herz des
chinesischen Volkes hängt. Es lässt auch die anderen Völker
der Welt an dieser Freude teilhaben.
Aus
China im Aufbau, Nr. 2, 1985