Januar 2005
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Der Drache – Symbol der Kultur Chinas

Von Huang Nengfu

In China gilt der Drache als wohltätiges und glückbringendes Wesen. Am 15. Januar nach dem chinesischen Mondkalender wird z. B. in meiner Heimat die Zeremonie zum „Empfang des Drachen und der Lampions“ veranstaltet. Begleitet von Trommeln und Tamtams, Fahneneskorte und bunten Laternen, „schlängelt“ sich der Stoffdrache durch die Straßen. Die Straßenbewohner und Geschäftsleute heißen ihn als den Gott des Reichtums und Wohlstandes herzlich willkommen, stellen vor ihren Häusern oder Läden einen Tisch mit Weihrauch und Kerzen auf und brennen Feuerwerkskörper ab.

In der feudalen Gesellschaft symbolisierte der Drache auch die Autorität der chinesischen Kaiser. Sie bezeichneten sich als „Sohn des wahren Drachen“. Drachen-Ornamente sind deshalb überall in der Verbotenen Stadt in Beijing zu sehen.

Seit langem ist der Drache auch in der volkstümlichen Dekorationskunst ein beliebtes Motiv. Die Drachengestalt tauchte zum ersten Mal vor sechs- bis siebentausend Jahren auf dem Dekor uralter Farbkeramik auf. Auch findet man sie öfter im Dekor der Bronzegegenstände aus der Shang-Zeit (etwa 16. Jh. – 11. Jh. v. u. Z.). In den nachfolgenden Dynastien wurden viele Gegenstände, wie Wagen, Schiffe, Ritualgefäße, Musikinstrumente, Möbel, Porzellan- und Keramikwaren sowie Spielzeuge und Münzen etc., mit Drachenmuster verziert. So kann man sagen, dass der Drache in enger Verbindung mit dem alltäglichen, geistigen und kulturellen Leben aller Nationalitäten Chinas steht.

Der Mythos des Drachen

In der Paläontologie gehört der Drache zu den Kriechtieren, die vor 225 Millionen bis 7 Millionen Jahren auf der Erde lebten. Das Mesozoikum war die Blütezeit der Reptilien. Damals gab es auf der ganzen Welt Meerreptilien sowie amphibische und fliegende Reptilien. Im Spätmesozoikum waren die meisten Kriechtiere schon ausgestorben. Nur einige von ihnen, wie Schildkröten, Schlangen, Eidechsen, Krokodile usw., sind erhalten geblieben.

In der chinesischen Kultur wird der Drache nicht als ein reales, sondern als ein mythisches Tier betrachtet. Im Shuo Wen, dem frühesten chinesischen etymologischen Werk aus dem Jahre 100 u. Z., wird er als „ein Tier mit Schuppen, das spurlos verschwinden oder unerwartet auftauchen, groß oder klein, kurz oder lang sein könne und im Frühlingsäquinoktium in den Himmel fliege sowie zur Herbsttagundnachtgleiche (am 23. September nach dem Mondkalender) ins Meer springe“ beschrieben – ein Hinweis auf die mythologische Herkunft des Drachen.

Diese mythische Vorstellung vom Drachen stammt aus der uralten archaischen Kultur Chinas, findet sich in der alten Religion und wird auch in den alten Volksmythen beschrieben. In den Schöpfungsmythen vor der Qin-Dynastie (221–207 v. u. Z.) verkörpert der Drache folgende vier Gestalten:

Erstens: Eine Mischgestalt aus Mensch und Drachen. Z. B. wurden Pan Gu, der Himmel und Erde teilte und der Welt Gestalt verlieh, Nü Wa, eine uralte weibliche Gottheit, die die Menschen erschuf, Huang Di, eine legendäre Herrschergestalt in grauer Vorzeit und Vorfahr des chinesischen Volkes, sowie Shen Nong Shi, der das Volk lehrte, den Acker zu bebauen, als Gestalten mit dem Kopf eines Menschen und dem Körper eines Drachen beschrieben.

Zweitens: Eine Inkarnation des Menschen. Eine Legende besagt, dass Guns Körper, der Vater von Yu dem Großen, einem legendären Herrscher und dem Gründer der Xia-Dynastie (2205–1766 v. u. Z.), nachdem er gestorben war, drei Jahre lang nicht verweste und sich dann in einen gelben Drachen verwandelte.

Drittens: Ein Gott mit übermenschlicher Kraft. Einer Sage zufolge half ein göttlicher Drache Yu dem Großen bei seinem Kampf gegen Flutkatastrophen. Er zog mit seinem Schwanz eine Linie und entlang dieser Linie hob Yu Kanäle aus, die das Wasser zum Meer führten.

Viertens: Ein verkehrsmittel der Götter. Shanhaijing, ein bekanntes geographisches Werk, besagt, dass Lu Shou, der Geist des Westens, und Zhu Rong, der Geist des Südens, jeweils auf zwei Drachen gen Himmel flögen. Hier wird deutlich, dass der Drache, der in der Urgesellschaft als Götze verehrt wurde, eng mit dem Kampf der Menschen gegen Naturkatastrophen verbunden ist. Mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft haben sich Gestalt und Charakter des Drachen immer mehr vervollkommnet, und die Mythen über den Drachen, die in den mehrtausendjährigen Geschichtsbüchern bzw. vom Volksmund geschildert werden, wurden immer phantasievoller.

Drache und kaiserliche Autorität

In der Urgesellschaft wurde der Drache als übernatürliche Kraft angesehen und war geistiges Gut der ganzen Gesellschaft. In der Sklavenhaltergesellschaft wurde er zum einzigen Vorfahren der herrschenden Familie und in der feudalen Gesellschaft zum kaiserlichen Symbol.

Huang Di, der Gelbe Kaiser, herrschte in grauer Vorzeit über die ganze Mittlere Ebene. Als er hundert Jahre alt geworden war, so die Legende, holte ihn ein Drache in den Himmel zurück.

Yu der Große, der Gründer der Xia-Dynastie (21. Jh.–16. Jh. v. u. Z.), war der erste Kaiser Chinas, der den Thron an seinen Sohn abtrat. Einer Sage zufolge waren zwölf verschiedene Muster, die die kaiserliche Autorität versinnbildlichten, auf sein Gewand gestickt. Eines davon war das Drachenmuster.

Im Jahre 206, als die Westliche Han-Dynastie (206 v. u. Z.–24 u. Z.) gegründet wurde, entstand eine Geschichte, die erzählt, dass Liu Bang, der erste Kaiser des Reiches, der „Sohn“ des Drachen sei, weil seine Mutter ihn geboren habe, nachdem sie im Traum mit einem Drachen geschlechtlich verkehrt habe. Von da an waren die Kaiser eng mit dem Drachen verbunden. „longyan“ (Miene des Drachen) und „longti“ (Körper des Drachen) wurde dem Kaiser gegenüber als Schmeichelei benutzt, und das Schriftzeichen „long“ (Drache) wurde den Schriftzeichen für seine Gebrauchsgegenstände vorangestellt. Seine Kleidung wurde als „longjuan“, sein Sitz als „longzuo“, sein Bett als „longchuang“ usw. bezeichnet.

Im Laufe der Zeit spielte der Drache als Dekoration in den Kaiserpalästen eine immer größere Rolle. Während das Drachenmuster nur eines der zwölf Muster auf den zeremoniellen Roben der Kaiser der Han-Zeit war, schmückte ein großes, rundes Drachenmuster Brust und Rücken der Kleidungsstücke der Tyrannen der Tang-Dynastie (618–907). Drachenornamente, die sich um den ganzen Körper wanden, waren oft auf den kaiserlichen Gewändern der Song-Dynastie (960–1279) zu finden. Noch üppigere Drachenmotive waren auf die zeremoniellen Gewänder der Machthaber der Ming-Dynastie (1368–1644) gestickt. Eine solche Robe war mit 192 Drachen verziert. Stickereien dieser Art würden künstlerisch noch sorgfältiger auf den kaiserlichen Gewändern der Qing-Dynastie (1644–1911) ausgeführt.

Die kaiserlichen Residenzen wurden in gleicher Weise dekoriert. Ein Beispiel dafür ist die Taihedian (Halle der Höchsten Harmonie) in der Verbotenen Stadt, dem heutigen Palastmuseum. Die Halle wird von 72 riesigen Säulen gestützt, wovon sechs, die den Thron in der Mitte der Halle flankieren, von vergoldeten Drachen umwunden sind. Die Drachenköpfe auf den drei Säulen, die auf der östlichen Seite des Thronsessels stehen, schauen westwärts nach oben und die anderen umgekehrt. Über dem Thron befindet sich eine feine, kunstvoll gearbeitete Kassettendecke mit gewundenen Drachen, die mit Perlen spielen und deren Köpfe nach unten schauen. Hinter dem Thron steht ein Wandschirm, der mit Drachen in verschiedenen Haltungen dekoriert ist. Der ganze Thronsaal ist eine ganze eindrucksvolle Szenerie von durcheinanderwirbelnden Drachen.

Um die Idee, dass die Macht der Kaiser von Gott komme, zu unterstreichen, wurde das Drachensymbol an allen Orten, die der Kaiser frequentierte, verwendet. In den Hallen und Hofhäusern der Verbotenen Stadt, wo er lebte und seine Macht ausübte, im Himmelstempel, wo er um eine gute Ernte betete, und in den kaiserlichen Gärten, wo er sich mit seinen Konkubinen verlustierte, usw.

Drachen und Folklore

Im antiken China galt der Drache als das Totem der Xiongnu (Hunen) im Norden und der Chu, Yue, Yue, Ailao und Miao im Süden.

Der Drache war auch eine bedeutende Figur in der Volksliteratur. Diejenigen, die Talent und Integrität zeigten, wurden öfters als Drachen bezeichnet. Der große tang-zeitliche Dichter Du Fu (712–770) schrieb in einem Gedicht, dass „diejenigen, die sich Drachen zugesellen, unbesiegbare Kräfte haben“.

In der Volksliteratur und -kunst wird der Drache oft vermenschlicht. In den Volksmärchen kommen oft Drachenkönige vor, die in Unterwasserpalästen herrschen und Armeen von Fischen, Schildkröten und anderen Meerestieren befehlen und denen menschliche Charaktereigenschaften zugesprochen werden. In manchen Erzählungen sind sie gut und wohlwollend, in anderen schlecht und bösartig. Zhang Yu kocht das Meer, ein Drama aus der Yuan-Dynastie, berichtet, wie der Gelehrte Zhang Yu in Liebe zu der Tochter des Drachenkönigs entbrennt und dem oppositionellen Verhalten seitens des Vaters begegnet, indem er mittels Magie das Meer zum Sieden bringt, woraufhin er schließlich das Mädchen heiraten kann.

Seit langem glaubt man, dass der Drache in der Lage sei, Wind und Regen herbeizuzaubern bzw. das Wetter wunschgemäß zu ändern. Infolgedessen entstanden dort, wo man um mildes Wetter und gute Ernte zu beten pflegt, zahlreiche Drachenkönig-Tempel.

Das Drachenboot-Rennen ist eine Sportart, die sich nicht nur unter den verschiedenen Nationalitäten Chinas, sondern auch in Japan und in den südostasiatischen Ländern großer Popularität erfreut.

Der Drachentanz tauchte zum ersten Mal in Dokumenten und Lithographien aus der Han-Dynastie auf und ist bis heute eine sehr beliebte Form der Belustigung unter den nationalen Minderheiten Chinas sowie auch in Japan und in Südostasien.

Die Gestalt des Drachen

Die Gestalt des Drachen durchlief eine mehrtausendjährige Entwicklung. In der Urgesellschaft wurde der Drache als ein Tier mit Menschenkopf und Schlangenkörper beschrieben. In der Shang- und Zhou-Dynastie war er durch einen gehörnten Kopf auf einem langen, gewundenen Körper gekennzeichnet. Er Ya Yi, ein Buch aus dem Jahre 1100 u. Z., das Vokabular und Satzbau antiker Werke erläutert, bezeichnet den Drachen als ein Tier, das Hörner wie ein Hirschgeweih, einen Kopf wie ein Kamel, Augen wie die des Teufels (manche sagen wie die der Krabbe), einen Hals wie eine Schlange, einen Bauch wie eine Muschel, Schuppen wie ein Karpfen, Krallen wie ein Adler, Tatzen wie ein Tiger und Ohren wie ein Ochse hat. Diese Erläuterung hat mehr oder weniger der physischen Gestalt des Drachen eine Definition gegeben. Danach richteten sich in ihrer Praxis fast alle Hof- und Volksmaler.

Aber Charakter und Verhalten des Drachen in der Hof- und Volkskunst sind völlig unterschiedlich. In der Volkskunst ist er einfach, schlicht und freundlich, was die Hoffnung der Menschen auf ein besseres Leben zum Ausdruck bringt. In Gegensatz dazu sind die Drachen in der Hofkunst imponierend, grimmig und Ehrfurcht einflößend, was die kaiserliche Allmacht symbolisiert.

Der Drache, ob freundlich oder unnahbar, ist ein mythisches Tier, an dem das Herz des chinesischen Volkes hängt. Es lässt auch die anderen Völker der Welt an dieser Freude teilhaben.

Aus China im Aufbau, Nr. 2, 1985

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