
Das
Vermächtnis des Shaolin-Kung Fu
Von
Zhang Xueying


Die meisten Chinesen mittleren Alters erinnern
sich gut an den ersten Kung Fu-Film: Shaolin Temple von
1982. Dieser Film, der die Liebe eines jungen Shaolin-Mönchs
zu einer Schäferin schildert, brachte große Veränderungen für
das Shaolin-Kloster in der Provinz Henan. Vor 1982 kamen jährlich
nur 200 000 Touristen zu Besuch. Bis 1984 stieg ihre Zahl auf
2,6 Millionen.
Durch den
Film begeistert, beschlossen viele junge Chinesen, Kampfkunst
im Stil des Shaolin zu erlernen. Yan Lu aus der Provinz Shandong
war einer von ihnen. Seine Eltern gaben ihm den Namen Lin Qinghua,
in der Hoffnung, er könne auf die Qinghua-Universität gehen,
eine der besten Universitäten Chinas. Als Shaolin-Mönch ist
er heute überzeugt, an einer der besten Bildungsstätten für
Buddhismus Chinas zu sein.
„Ich war tief beeindruckt vom Film Shaolin
Temple, und beschloss, dass ich ein heldenhafter Mönch wie
Jueyuan sein wollte,“ sagt Yan Lu. „Mein Vater brachte mich
hierher, weil er wollte, dass ich Shaolin-Kung Fu erlerne, mich
aber zog es zum Buddhismus, und so beschloss ich, zu bleiben.“
Yan Lu ist heute Cheftrainer des Teams der Kampfmönche im Shaolin-Kloster.
Selbst heute kommen viele Teenager ins Shaolin-Kloster
mit dem Traum, ein Kampfmönch zu werden, wofür es vor allem
eines festen Charakters bedarf. Ein Novize muss drei Jahre lang
trainiert werden, und beginnt mit niederen Arbeiten zur Prüfung
der Geduld. „Heute, da junge Leute unter besseren Bedingungen
leben, sind sie stärker durch Fernsehen und Filmen beeinflusst
und unstet, es fällt ihnen schwer, sich zu konzentrieren, und
die Grundkenntnisse zu erlernen,“ sagt Yan Lu. „Sie stellen
sich vor, sie könnten gute Kung Fu-Fertigkeiten in ein paar
Tagen erwerben. Einige kommen, nur um die Kampfkunst zu erlernen,
und gehen danach sofort wieder. Unser Kloster hat heute etwa
100 Mönche.“ Auch Ausländer kommen zum Lernen ins Shaolin-Kloster.
Die Anforderungen für sie sind einfacher – gültige Papiere und
gute körperliche Verfassung.
Yan Da ist ein weiterer Mönch, der ins Shaolin-Kloster
kam, nachdem er den Film gesehen hatte. Seine Mutter ist Vegetarierin
und Buddhistin, was entscheidenden Einfluss auf Yan Da hatte.
„Ich musste nicht mehr zur Schule gehen, und es bestand kein
Druck seitens meiner Eltern, gesellschaftlich erfolgreich zu
sein,“ sagt Yan Da. „Die anderen Mönche waren wie Brüder zu
mir, und der Abt behandelte mich wie seinen Sohn. Ich spielte
den ganzen Tag. Es machte großen Spaß.“ Natürlich gab es Zeiten,
in denen sich Yan Da einsam und deprimiert fühlte, aber er betrachtete
es als Teil seines Weges zur Selbstbeherrschung. Er wurde drei
Monate lang geprüft, während derer er schmutzige Arbeiten verrichtete,
wie etwa Boden putzen, Dienst im Kesselraum und Reinigen der
Toiletten. Selbst da war ihm das Leben im Kloster lieber als
in der Familie.
Yan Da ist einer der buddhistischen Lehrmeister
des Klosters, von denen einige wenige schließlich Äbte werden.
Nachdem er 2003 seinen Abschluss an der Hochschule für Buddhismus
Chinas gemacht hatte, kam er mit neuen Ansichten über den Buddhismus
und den Sinn des Lebens ins Shaolin-Kloster zurück. In Mönchen
sieht er Menschen, die Gefühle und Bedürfnisse besser kontrollieren
können, weil sie erkennen, dass Liebe, Ehe, Konsum und Luxus
vergänglich sind, und nur geistiges Glück Bestand hat. Yan Da
hat viele weltliche Freunde, die ihm häufig E-Mail und SMS-Nachrichten
schicken, und ihn um Hilfe in schwierigen Lebenslagen bitten.
„Viele Menschen sagen, Mönche hätten ein hartes Leben, aber
ich denke, das Leben weltlicher Menschen ist weitaus mühsamer,“
sagt er. „Sie müssen sich um ihre Eltern kümmern, ihre Ehefrauen
und Kinder lieben, und für sie alle Verantwortung übernehmen.
Wir Mönche sind nur für uns und das Kloster verantwortlich,
unser Leben ist sehr einfach.
Als einer der wenigen Mönche mit höherer Bildung
stieg Yan Da schnell in der Hierarchie des Klosters auf, und
ist nun für Beziehungen mit der Außenwelt zuständig. Die Mönche
haben keine festen Aufgabenfelder, der Abt trifft sich jedoch
alle sechs Monate mit ihnen. Lädt er einen Mönch zum Tee ein,
so zeigt das Zufriedenheit mit ihrer Amtsführung an.
Die Lebensbedingungen im Kloster sind angenehm
genug,“ sagt Yan Da. „Zu viel Luxus macht es schwer, sich an
die buddhistische Lehre zu halten.“ Das Mönchsleben ist allerdings
weniger streng, als man es sich vielleicht vorstellt. Sie haben
Fernseher und Video-CDs, einige haben Mobiltelefone, und sie
bekommen jeden Monat einige hundert Yuan für Ausgaben. Yan Da
gibt sein Geld überwiegend für Telefonrechnungen und Bücher
aus. Sein Traum ist es, von Beijing zum Wutai-Gebirge zu wandern,
einem für Buddhisten heiligen Gebiet, etwa sechs Zugstunden
von Beijing, wofür man zu Fuß schätzungsweise einen Monat braucht.
Seit 1990 bleibt die jährliche Zahl von Touristen
im Shaolin-Kloster konstant auf einem Niveau von 1,5 Millionen.
Es gibt etwa 200 000 ausländische Touristen. Der Tourismus wird
zum wirtschaftlichen Rückgrat der Stadt Dengfeng. Jedes Jahr
verkauft das Kloster Eintrittskarten im Wert von 100 Millionen
Yuan, was 60 Prozent der Einkünfte des Kreises aus dem Tourismus
ausmacht.
Mittlerweile sind rund um das Kloster Kampfkunstschulen
aufgeblüht. Die erste staatlich betriebene Kampfkunstschule,
die Kampfkunstschule Dengfeng, wurde 1958 von der Kreisregierung
Dengfeng gegründet. Heute hat der Kreis 83 eingetragene Kampfkunstschulen,
und über 100 nicht eingetragene, von denen die meisten den Namen
Shaolin nutzen, um Schüler anzuziehen.
Die Kampfkunstschule Shaolin Tagou ist mit
15000 Lehrern und Schülern die Größte der Welt. Sie befand sich
früher in direkter Nachbarschaft des Shaolin-Klosters. „Unsere
Schule brachte den Leuten hier viele Besucher und gute Geschäftschancen,“
sagt Schulrektor Liu Haiqin. „Einheimische vermieten ihre Häuser
an unsere Schüler, die Schüler gehen in die hiesigen Restaurants
und Lebensmittelgeschäfte. In unserer Ferienzeit hat das hiesige
Postamt einen Umsatz von 1000 Yuan, während der Unterrichtsmonate
liegt diese Zahl jedoch zwischen 200 000 und 300 000.
Shi Xiaolong, in Südostasien ein Kinderstar
der Kampfkunst, wurde an der Kampfkunstschule Dengfeng seines
Vaters ausgebildet. Heute betreibt er mit seinem Vater die Kampfkunstschule
Kleiner Drachen. Einheimische schätzen, er habe Mitte der 90er
Jahre 1,5 Millionen Yuan verdient, im Alter von acht Jahren.
Shaolin wird in China auch zu einer bekannten
kommerziellen Marke. Zur Zeit tragen 54 chinesische Produkte
den Markennamen Shaolin, von Bier über Möbel, Autoreifen und
Stromkabel, bis hin zu Feuertopf-Geschirr und Hotels. Seit 1998
hat das Shaolin-Kloster sein eigenes offizielles Markenzeichen,
und gründete die Gesellschaft für industrielle Entwicklung des
Shaolin-Klosters. Es ging außerdem ein Joint Venture mit einer
Hong Konger Firma ein, um zwei seiner Produkte zu verkaufen,
vegetarischen Kuchen und Zen-Tee der Marke Shaolin.
Eine weitere Firma unter Leitung des Klosters
ist die Henan Shaolin Filmgesellschaft. Das Kloster betreibt
auch eine eigene Kampfkunstschule – die Ausbildungsbasis für
Kampfmönche des Shaolin-Klosters Songshan. Um die Shaolin-Kultur
zu fördern, gründete der Abt, Meister Yongxin, die Shaolin-Forschungsgesellschaft
für Boxkampf, die Shaolin-Akademie für Malerei und Kalligraphie,
das Kampfmönch-Team des Shaolin-Klosters, und ein Magazin mit
dem Titel Zen. Mit seiner Unterstützung veröffentliche
das Kloster auch seine eigene Webseite zur Verbreitung von Buddhismus
und Kung Fu. Er schickte seine Mönche aus, um ausländische Schüler
zu unterrichten, und lehrte Buddhismus und Kung Fu im Geist
seines Klosters auf Reisen rund um die Welt. Yongxin hat seine
Kampfmönche in über 20 Länder geführt, darunter die Vereinigten
Staaten, das Vereinigte Königreich und Japan. Das Shaolin-Kloster
hat heute Auslandszweigstellen in London, Berlin, Budapest und
Wien.
Yongxins größte Sorge ist, dass Shaolin-Kung
Fu vom allgemeinen sportlichen Wettkampf korrumpiert wird. Die
Nationale Kampfkunstschule Chinas brachte mit ihrer Gründung
1928 die Kampfkunst in den weltweiten sportlichen Wettkampf
ein, wenn auch zu Gunsten der westlichen Wettkampfregeln verändert.
1959 wurde Kampfkunst offizieller Bestandteil des ersten nationalen
Sportfestes, und wurde 1990 als neue Disziplin in die Asienspiele
aufgenommen. Damit war der Sport vollkommen standardisiert.
„Im Zuge der Standardisierung hat Kung Fu dramatische Veränderungen
erfahren,“ so Yongxin. „Ursprünglich lag der Schwerpunkt bei
Kung Fu in Übungen zur Stärkung der inneren Kräfte, sie werden
heute von Übungen überlagert, die eher Tanz- und Akrobatikdarbietungen
ähneln. Derartige Richtungen sind in Kampfkunstschulen populär,
und ihr oberstes Ziel ist simpel – Goldmedaillen zu gewinnen.
Dies entspricht nicht dem Geist des Shaolin.“
Der Abt erklärt, dass Shaolin-Kung Fu von
Kampfkunst unterschieden ist. Es ist eine buddhistische Praktik
mit dem Ziel, die Seele zu reinigen und den Charakter zu stärken.
Es spiegelt auch die chinesische Philosophie von Yin
und Yang und natürlicher Harmonie wider. Buddhistische
Gesänge und körperliche Übungen sind gleichermaßen Teil der
klösterlichen Praxis. Es gibt heute 445 Übungsserien im Shaolin-Kung
Fu, abgestimmt nach Regeln für Bewegungen und Reaktionen auf
den Gegner.
Zum Schutz des Shaolin-Kung Fu, das seit 1500
Jahren besteht, hofft der 41-jährige Abt, dass es in die UNESCO-Liste
für mündliches und traditionelles Kulturerbe der Menschheit
aufgenommen wird. Das Kloster erfährt zur Zeit ein Renovierungsprojekt
im Umfang von 300 Millionen Yuan, das zum Ziel hat, den wahren
Geist des Shaolin zu erhalten.