Oktober 2004
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Das Vermächtnis des Shaolin-Kung Fu

Von Zhang Xueying

 

Die meisten Chinesen mittleren Alters erinnern sich gut an den ersten Kung Fu-Film: Shaolin Temple von 1982. Dieser Film, der die Liebe eines jungen Shaolin-Mönchs zu einer Schäferin schildert, brachte große Veränderungen für das Shaolin-Kloster in der Provinz Henan. Vor 1982 kamen jährlich nur 200 000 Touristen zu Besuch. Bis 1984 stieg ihre Zahl auf 2,6 Millionen.

Durch den Film begeistert, beschlossen viele junge Chinesen, Kampfkunst im Stil des Shaolin zu erlernen. Yan Lu aus der Provinz Shandong war einer von ihnen. Seine Eltern gaben ihm den Namen Lin Qinghua, in der Hoffnung, er könne auf die Qinghua-Universität gehen, eine der besten Universitäten Chinas. Als Shaolin-Mönch ist er heute überzeugt, an einer der besten Bildungsstätten für Buddhismus Chinas zu sein.

„Ich war tief beeindruckt vom Film Shaolin Temple, und beschloss, dass ich ein heldenhafter Mönch wie Jueyuan sein wollte,“ sagt Yan Lu. „Mein Vater brachte mich hierher, weil er wollte, dass ich Shaolin-Kung Fu erlerne, mich aber zog es zum Buddhismus, und so beschloss ich, zu bleiben.“ Yan Lu ist heute Cheftrainer des Teams der Kampfmönche im Shaolin-Kloster.

Selbst heute kommen viele Teenager ins Shaolin-Kloster mit dem Traum, ein Kampfmönch zu werden, wofür es vor allem eines festen Charakters bedarf. Ein Novize muss drei Jahre lang trainiert werden, und beginnt mit niederen Arbeiten zur Prüfung der Geduld. „Heute, da junge Leute unter besseren Bedingungen leben, sind sie stärker durch Fernsehen und Filmen beeinflusst und unstet, es fällt ihnen schwer, sich zu konzentrieren, und die Grundkenntnisse zu erlernen,“ sagt Yan Lu. „Sie stellen sich vor, sie könnten gute Kung Fu-Fertigkeiten in ein paar Tagen erwerben. Einige kommen, nur um die Kampfkunst zu erlernen, und gehen danach sofort wieder. Unser Kloster hat heute etwa 100 Mönche.“ Auch Ausländer kommen zum Lernen ins Shaolin-Kloster. Die Anforderungen für sie sind einfacher – gültige Papiere und gute körperliche Verfassung.

Yan Da ist ein weiterer Mönch, der ins Shaolin-Kloster kam, nachdem er den Film gesehen hatte. Seine Mutter ist Vegetarierin und Buddhistin, was entscheidenden Einfluss auf Yan Da hatte. „Ich musste nicht mehr zur Schule gehen, und es bestand kein Druck seitens meiner Eltern, gesellschaftlich erfolgreich zu sein,“ sagt Yan Da. „Die anderen Mönche waren wie Brüder zu mir, und der Abt behandelte mich wie seinen Sohn. Ich spielte den ganzen Tag. Es machte großen Spaß.“ Natürlich gab es Zeiten, in denen sich Yan Da einsam und deprimiert fühlte, aber er betrachtete es als Teil seines Weges zur Selbstbeherrschung. Er wurde drei Monate lang geprüft, während derer er schmutzige Arbeiten verrichtete, wie etwa Boden putzen, Dienst im Kesselraum und Reinigen der Toiletten. Selbst da war ihm das Leben im Kloster lieber als in der Familie.

Yan Da ist einer der buddhistischen Lehrmeister des Klosters, von denen einige wenige schließlich Äbte werden. Nachdem er 2003 seinen Abschluss an der Hochschule für Buddhismus Chinas gemacht hatte, kam er mit neuen Ansichten über den Buddhismus und den Sinn des Lebens ins Shaolin-Kloster zurück. In Mönchen sieht er Menschen, die Gefühle und Bedürfnisse besser kontrollieren können, weil sie erkennen, dass Liebe, Ehe, Konsum und Luxus vergänglich sind, und nur geistiges Glück Bestand hat. Yan Da hat viele weltliche Freunde, die ihm häufig E-Mail und SMS-Nachrichten schicken, und ihn um Hilfe in schwierigen Lebenslagen bitten. „Viele Menschen sagen, Mönche hätten ein hartes Leben, aber ich denke, das Leben weltlicher Menschen ist weitaus mühsamer,“ sagt er. „Sie müssen sich um ihre Eltern kümmern, ihre Ehefrauen und Kinder lieben, und für sie alle Verantwortung übernehmen. Wir Mönche sind nur für uns und das Kloster verantwortlich, unser Leben ist sehr einfach.

Als einer der wenigen Mönche mit höherer Bildung stieg Yan Da schnell in der Hierarchie des Klosters auf, und ist nun für Beziehungen mit der Außenwelt zuständig. Die Mönche haben keine festen Aufgabenfelder, der Abt trifft sich jedoch alle sechs Monate mit ihnen. Lädt er einen Mönch zum Tee ein, so zeigt das Zufriedenheit mit ihrer Amtsführung an.

Die Lebensbedingungen im Kloster sind angenehm genug,“ sagt Yan Da. „Zu viel Luxus macht es schwer, sich an die buddhistische Lehre zu halten.“ Das Mönchsleben ist allerdings weniger streng, als man es sich vielleicht vorstellt. Sie haben Fernseher und Video-CDs, einige haben Mobiltelefone, und sie bekommen jeden Monat einige hundert Yuan für Ausgaben. Yan Da gibt sein Geld überwiegend für Telefonrechnungen und Bücher aus. Sein Traum ist es, von Beijing zum Wutai-Gebirge zu wandern, einem für Buddhisten heiligen Gebiet, etwa sechs Zugstunden von Beijing, wofür man zu Fuß schätzungsweise einen Monat braucht.

Seit 1990 bleibt die jährliche Zahl von Touristen im Shaolin-Kloster konstant auf einem Niveau von 1,5 Millionen. Es gibt etwa 200 000 ausländische Touristen. Der Tourismus wird zum wirtschaftlichen Rückgrat der Stadt Dengfeng. Jedes Jahr verkauft das Kloster Eintrittskarten im Wert von 100 Millionen Yuan, was 60 Prozent der Einkünfte des Kreises aus dem Tourismus ausmacht.

Mittlerweile sind rund um das Kloster Kampfkunstschulen aufgeblüht. Die erste staatlich betriebene Kampfkunstschule, die Kampfkunstschule Dengfeng, wurde 1958 von der Kreisregierung Dengfeng gegründet. Heute hat der Kreis 83 eingetragene Kampfkunstschulen, und über 100 nicht eingetragene, von denen die meisten den Namen Shaolin nutzen, um Schüler anzuziehen.

Die Kampfkunstschule Shaolin Tagou ist mit 15000 Lehrern und Schülern die Größte der Welt. Sie befand sich früher in direkter Nachbarschaft des Shaolin-Klosters. „Unsere Schule brachte den Leuten hier viele Besucher und gute Geschäftschancen,“ sagt Schulrektor Liu Haiqin. „Einheimische vermieten ihre Häuser an unsere Schüler, die Schüler gehen in die hiesigen Restaurants und Lebensmittelgeschäfte. In unserer Ferienzeit hat das hiesige Postamt einen Umsatz von 1000 Yuan, während der Unterrichtsmonate liegt diese Zahl jedoch zwischen 200 000 und 300 000.

Shi Xiaolong, in Südostasien ein Kinderstar der Kampfkunst, wurde an der Kampfkunstschule Dengfeng seines Vaters ausgebildet. Heute betreibt er mit seinem Vater die Kampfkunstschule Kleiner Drachen. Einheimische schätzen, er habe Mitte der 90er Jahre 1,5 Millionen Yuan verdient, im Alter von acht Jahren.

Shaolin wird in China auch zu einer bekannten kommerziellen Marke. Zur Zeit tragen 54 chinesische Produkte den Markennamen Shaolin, von Bier über Möbel, Autoreifen und Stromkabel, bis hin zu Feuertopf-Geschirr und Hotels. Seit 1998 hat das Shaolin-Kloster sein eigenes offizielles Markenzeichen, und gründete die Gesellschaft für industrielle Entwicklung des Shaolin-Klosters. Es ging außerdem ein Joint Venture mit einer Hong Konger Firma ein, um zwei seiner Produkte zu verkaufen, vegetarischen Kuchen und Zen-Tee der Marke Shaolin.

Eine weitere Firma unter Leitung des Klosters ist die Henan Shaolin Filmgesellschaft. Das Kloster betreibt auch eine eigene Kampfkunstschule – die Ausbildungsbasis für Kampfmönche des Shaolin-Klosters Songshan. Um die Shaolin-Kultur zu fördern, gründete der Abt, Meister Yongxin, die Shaolin-Forschungsgesellschaft für Boxkampf, die Shaolin-Akademie für Malerei und Kalligraphie, das Kampfmönch-Team des Shaolin-Klosters, und ein Magazin mit dem Titel Zen. Mit seiner Unterstützung veröffentliche das Kloster auch seine eigene Webseite zur Verbreitung von Buddhismus und Kung Fu. Er schickte seine Mönche aus, um ausländische Schüler zu unterrichten, und lehrte Buddhismus und Kung Fu im Geist seines Klosters auf Reisen rund um die Welt. Yongxin hat seine Kampfmönche in über 20 Länder geführt, darunter die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich und Japan. Das Shaolin-Kloster hat heute Auslandszweigstellen in London, Berlin, Budapest und Wien.

Yongxins größte Sorge ist, dass Shaolin-Kung Fu vom allgemeinen sportlichen Wettkampf korrumpiert wird. Die Nationale Kampfkunstschule Chinas brachte mit ihrer Gründung 1928 die Kampfkunst in den weltweiten sportlichen Wettkampf ein, wenn auch zu Gunsten der westlichen Wettkampfregeln verändert. 1959 wurde Kampfkunst offizieller Bestandteil des ersten nationalen Sportfestes, und wurde 1990 als neue Disziplin in die Asienspiele aufgenommen. Damit war der Sport vollkommen standardisiert. „Im Zuge der Standardisierung hat Kung Fu dramatische Veränderungen erfahren,“ so Yongxin. „Ursprünglich lag der Schwerpunkt bei Kung Fu in Übungen zur Stärkung der inneren Kräfte, sie werden heute von Übungen überlagert, die eher Tanz- und Akrobatikdarbietungen ähneln. Derartige Richtungen sind in Kampfkunstschulen populär, und ihr oberstes Ziel ist simpel – Goldmedaillen zu gewinnen. Dies entspricht nicht dem Geist des Shaolin.“

Der Abt erklärt, dass Shaolin-Kung Fu von Kampfkunst unterschieden ist. Es ist eine buddhistische Praktik mit dem Ziel, die Seele zu reinigen und den Charakter zu stärken. Es spiegelt auch die chinesische Philosophie von Yin und Yang und natürlicher Harmonie wider. Buddhistische Gesänge und körperliche Übungen sind gleichermaßen Teil der klösterlichen Praxis. Es gibt heute 445 Übungsserien im Shaolin-Kung Fu, abgestimmt nach Regeln für Bewegungen und Reaktionen auf den Gegner.

Zum Schutz des Shaolin-Kung Fu, das seit 1500 Jahren besteht, hofft der 41-jährige Abt, dass es in die UNESCO-Liste für mündliches und traditionelles Kulturerbe der Menschheit aufgenommen wird. Das Kloster erfährt zur Zeit ein Renovierungsprojekt im Umfang von 300 Millionen Yuan, das zum Ziel hat, den wahren Geist des Shaolin zu erhalten.

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