Alte
Möbel – neu bewertet
Von
Zhang Xueying
In den frühen Neunzigern beschlossen die Schmidts,
einer chinesischen Freundin zur Hochzeit einen Kleiderschrank
aus der Qing-Dynastie (1644–1911) zu schenken. Darauf angesprochen,
sagte sie ihnen, dass sie einen Schrank nach westlicher Bauart
vorziehen würde, weil das in ihren Augen mehr Stil hätte. Schließlich,
sehr zur Freude der zukünftigen Braut, beschenkte das Paar sie
mit dem modernsten Kleiderschrank in Verbundbauweise. Wie auch
immer, in den zehn Jahren, die seitdem vergangen sind, wurde
antikes Mobiliar zum Inbegriff von Modebewusstsein, Geschmack,
Wohlstand und sozialem Status. 2003 war der Kleiderschrank,
den die Schmidts ursprünglich kaufen wollten, bereits ein rares
Gut, und sein Preis hatte sich verdreifacht.
1994 schoss der Preis für ein Paar Mahagoni-Sessel
alten Stils, wie sie auf dem Antiquitätenmarkt von Tianjin verkauft
wurden, innerhalb von sechs Monaten von ungefähr hundert Yuan
auf über tausend. 1998 kam ein nach Rosenholz duftender Wandschirm
aus der Ming-Dynastie bei Christie’s in New York für 1,1 Mio.
US-Dollar unter den Hammer, und 2000 verkaufte sich bei einer
Auktion in Tianjin ein Truhenpaar aus rotem Sandelholz aus der
Qing-Dynastie für 3,98 Mio. Yuan. Im Frühling 2003 wurde bei
einer Auktion bei Christie’s eine Gruppe von zwölf mit Einlegearbeiten
aus rotem Sandelholz verkleideten Wandschirmen aus der Kangxi-Epoche
(1662–1722) an einen anonymen Shanghaier Geschäftsmann für sage
und schreibe 25 Mio. Yuan verkauft.
In den vergangenen zehn Jahren ist der Markt
für antike Möbel deutlich sichtbar angewachsen, von ein paar
wenigen verstreuten Läden zu ganzen Straßenzügen mit Geschäften
für Reproduktionen alter Möbel in Beijing, Shanghai und Hangzhou.
In den frühen Neunzigern gab es in Beijing ganze zehn Firmen
für antikes Mobiliar, heute sind es zweitausend.
Mit zunehmendem Wettbewerb sinken die Gewinne,
die mit antiken Möbeln erzielt werden. Mitte der Neunziger stiegen
die Profite der bekannten Beijing Huayi Antique Furniture Company
jährlich um durchschnittlich 40 bis 50 Prozent, heute sind es
weniger als zehn Prozent.
Derzeit verkauftes Mobiliar setzt sich zusammen
aus altem und neuem Holz in neuem Design und neuem Holz in altem
Design, so Luo Maisheng, stellvertretender Geschäftsführer bei
Huayi: „Heutzutage sind echt antike Möbel und seltene Hölzer
rar, und aus seltenem Holz gefertigte Möbel der Ming- oder Qing-Dynastie
sind nicht zu finden.“ Neue Möbel in klassischem Stil werden
handgefertigt, und zum vier- oder fünffachen Preis gewöhnlicher
Stücke verkauft. Ein für Möbel in alter Bauweise qualifizierter
Handwerker verdient 8000 Yuan im Monat, eine Summe, die den
Verdienst seiner weniger spezialisierten Berufsgenossen bei
weitem übertrifft, und der Monatsverdienst eines Meisters liegt
oft über 10 000 Yuan.
Um weiterhin vorne mitzumischen, hat sich Luo
Maisheng verschiedene Taktiken angeeignet. Er durchstreift regelmäßig
die Märkte für antike Möbel und schickt seine Vertriebsleute
in neue, teure Wohngebiete, um dort um potentielle Kunden zu
werben. Er schloss auch Kooperationsverträge mit verschiedenen
Inneneinrichtungsfirmen ab.
Die ersten Kunden der 1990 gegründeten Huayi
Antique Furniture Company waren ortsansässige Ausländer und
Geschäftsleute aus Taiwan, Hong Kong und Macao. Später bereicherten
Leute aus Kunst- und Kulturkreisen, Heimkehrer aus dem Ausland
und aufstrebende Unternehmer ihre einheimische Kundschaft.
Die meisten antiken Möbelstücke der Schmidts
sind von Huayi. Ihr liebstes Stück ist ein hölzernes, mit Schnitzereien
reich verziertes Bett aus der Qing-Dynastie, das sie 1993 für
600 Yuan gekauft haben. Nur vier Jahre später sahen sie ein
ähnliches, mit Drachen und Phönix verziertes Bett der selben
Epoche für 37 000 Yuan.
Wie viele ortsansässige Ausländer nimmt das Ehepaar
an antiken Stücken Veränderungen zu Gunsten der Funktionalität
vor. Sie modifizierten einen traditionellen Kleiderschrank,
indem sie Pfosten, Unterteilungen und Schubladen einbauten,
erkannten in einem altertümlichen Küchenschrank den idealen
Aufbewahrungsort für Schuhe, verwahren Quittungen und anderen
Kleinkram in einem Medizinschrank und hängen Tassen an ein edel
geschnitztes Fenstergitter.
Zhang Huanrong, Geschäftsführerin der Beijing
Shangzhiyu Culture Company, half einem anderen ausländischen
Kunden, einen chinesischen Kleiderschrank in einen westlichen
Weinschrank umzubauen, was sie zu einem Kommentar berechtigt:
„Die meisten ausländischen Kunden nehmen aus praktischen Gründen
Veränderungen an alten Stücken vor, während chinesische Kunden
deren ursprüngliche Gestalt erhalten möchten.“
Nachdem sie fünf Jahre lang als Reporterin für
die Möbelindustrie gearbeitet hatte, gründete Zhang Huanrong
Ende 2002 eine Firma für antikes Porzellan und Mobiliar, deren
Hauptaugenmerk im Unterschied zu Huayi auf Individualität zielt.
Sie kauft antike Möbel, fertigt Kopien an und modifiziert auch
Originale, wie etwa die Bank, die ursprünglich eine alte Krippe
war. Um ihre Vertriebswege auszubauen, hat sie Experten des
Palastmuseums eingeladen, Vorträge vor Antiquitätenliebhabern
zu halten. Außerdem ging sie mit dem Palastmuseum für sieben
Jahre einen Vertrag ein, der es ihr gestattet, Kopien dessen
seltener Sammlung anzufertigen, unter der Bedingung, dass die
Museumsverwaltung Quantität und Qualität streng überwacht, bestimmte
Hersteller ernennt und Arbeiter ausbildet. „Das Palastmuseum
beschäftigt eine große Zahl hoch qualifizierter Handwerker,
hat aber keine Lehrlinge. Meine Strategie wird diese Lücke füllen
und zugleich die Aufmerksamkeit von Sammlern erregen. Einnahmen
aus Auktionsverkäufen werden in die Anschaffung seltenerer Stücke
fließen.“ Zhang ist sich sicher, dass sich moderne Verfahren
zur Herstellung und Lackierung beim Anfertigen von Kopien effektiv
einsetzen lassen. Sie verhandelt derzeit mit Vertretern aus
Schweden und den Niederlanden über die Entwicklung eines Vertriebs
im Ausland.
Raubkopien sind eines der größten Probleme der
chinesischen Möbelindustrie. Oft wird, sobald ein individuelles
Stück nach Kundenwunsch einmal angefertigt worden ist, sein
Wert von einer großen Zahl auf den Markt geworfener Abwandlungen
oder schlichter Imitate zunichte gemacht. „Ausländische Möbelfirmen
fürchten die Teilnahme an chinesischen Möbelausstellungen, da
sie das Risiko eingehen, dass ihre Produkte kopiert werden,
bevor sie überhaupt auf den Markt gelangen“, bedauert Zhang.
Größere Firmen melden ihre Entwürfe oft zum Patent
an, einige Firmen geben jedoch zu, dass das Wesen der Möbelindustrie
die Schutzfunktion von Patenten untergräbt. Patentanmeldungen
kosten Zeit und Geld, und während des Verfahrens taucht eine
Flut von Imitaten auf, die das gesamte Konzept ad absurdum führt.
Luo Maishengs Meinung nach können Kopien nicht
verhindert werden. Die einzige Möglichkeit zu überleben ist
es, die Konkurrenz am Entwenden von Ideen zu hindern, und bei
der Präsentation neuer, einzigartiger Kreationen immer einen
Schritt voraus zu sein.