Oktober 2004
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Alte Möbel – neu bewertet

Von Zhang Xueying

In den frühen Neunzigern beschlossen die Schmidts, einer chinesischen Freundin zur Hochzeit einen Kleiderschrank aus der Qing-Dynastie (1644–1911) zu schenken. Darauf angesprochen, sagte sie ihnen, dass sie einen Schrank nach westlicher Bauart vorziehen würde, weil das in ihren Augen mehr Stil hätte. Schließlich, sehr zur Freude der zukünftigen Braut, beschenkte das Paar sie mit dem modernsten Kleiderschrank in Verbundbauweise. Wie auch immer, in den zehn Jahren, die seitdem vergangen sind, wurde antikes Mobiliar zum Inbegriff von Modebewusstsein, Geschmack, Wohlstand und sozialem Status. 2003 war der Kleiderschrank, den die Schmidts ursprünglich kaufen wollten, bereits ein rares Gut, und sein Preis hatte sich verdreifacht.

1994 schoss der Preis für ein Paar Mahagoni-Sessel alten Stils, wie sie auf dem Antiquitätenmarkt von Tianjin verkauft wurden, innerhalb von sechs Monaten von ungefähr hundert Yuan auf über tausend. 1998 kam ein nach Rosenholz duftender Wandschirm aus der Ming-Dynastie bei Christie’s in New York für 1,1 Mio. US-Dollar unter den Hammer, und 2000 verkaufte sich bei einer Auktion in Tianjin ein Truhenpaar aus rotem Sandelholz aus der Qing-Dynastie für 3,98 Mio. Yuan. Im Frühling 2003 wurde bei einer Auktion bei Christie’s eine Gruppe von zwölf mit Einlegearbeiten aus rotem Sandelholz verkleideten Wandschirmen aus der Kangxi-Epoche (1662–1722) an einen anonymen Shanghaier Geschäftsmann für sage und schreibe 25 Mio. Yuan verkauft.

In den vergangenen zehn Jahren ist der Markt für antike Möbel deutlich sichtbar angewachsen, von ein paar wenigen verstreuten Läden zu ganzen Straßenzügen mit Geschäften für Reproduktionen alter Möbel in Beijing, Shanghai und Hangzhou. In den frühen Neunzigern gab es in Beijing ganze zehn Firmen für antikes Mobiliar, heute sind es zweitausend.

Mit zunehmendem Wettbewerb sinken die Gewinne, die mit antiken Möbeln erzielt werden. Mitte der Neunziger stiegen die Profite der bekannten Beijing Huayi Antique Furniture Company jährlich um durchschnittlich 40 bis 50 Prozent, heute sind es weniger als zehn Prozent.

Derzeit verkauftes Mobiliar setzt sich zusammen aus altem und neuem Holz in neuem Design und neuem Holz in altem Design, so Luo Maisheng, stellvertretender Geschäftsführer bei Huayi: „Heutzutage sind echt antike Möbel und seltene Hölzer rar, und aus seltenem Holz gefertigte Möbel der Ming- oder Qing-Dynastie sind nicht zu finden.“ Neue Möbel in klassischem Stil werden handgefertigt, und zum vier- oder fünffachen Preis gewöhnlicher Stücke verkauft. Ein für Möbel in alter Bauweise qualifizierter Handwerker verdient 8000 Yuan im Monat, eine Summe, die den Verdienst seiner weniger spezialisierten Berufsgenossen bei weitem übertrifft, und der Monatsverdienst eines Meisters liegt oft über 10 000 Yuan.

Um weiterhin vorne mitzumischen, hat sich Luo Maisheng verschiedene Taktiken angeeignet. Er durchstreift regelmäßig die Märkte für antike Möbel und schickt seine Vertriebsleute in neue, teure Wohngebiete, um dort um potentielle Kunden zu werben. Er schloss auch Kooperationsverträge mit verschiedenen Inneneinrichtungsfirmen ab.

Die ersten Kunden der 1990 gegründeten Huayi Antique Furniture Company waren ortsansässige Ausländer und Geschäftsleute aus Taiwan, Hong Kong und Macao. Später bereicherten Leute aus Kunst- und Kulturkreisen, Heimkehrer aus dem Ausland und aufstrebende Unternehmer ihre einheimische Kundschaft.

Die meisten antiken Möbelstücke der Schmidts sind von Huayi. Ihr liebstes Stück ist ein hölzernes, mit Schnitzereien reich verziertes Bett aus der Qing-Dynastie, das sie 1993 für 600 Yuan gekauft haben. Nur vier Jahre später sahen sie ein ähnliches, mit Drachen und Phönix verziertes Bett der selben Epoche für 37 000 Yuan.

Wie viele ortsansässige Ausländer nimmt das Ehepaar an antiken Stücken Veränderungen zu Gunsten der Funktionalität vor. Sie modifizierten einen traditionellen Kleiderschrank, indem sie Pfosten, Unterteilungen und Schubladen einbauten, erkannten in einem altertümlichen Küchenschrank den idealen Aufbewahrungsort für Schuhe, verwahren Quittungen und anderen Kleinkram in einem Medizinschrank und hängen Tassen an ein edel geschnitztes Fenstergitter.

Zhang Huanrong, Geschäftsführerin der Beijing Shangzhiyu Culture Company, half einem anderen ausländischen Kunden, einen chinesischen Kleiderschrank in einen westlichen Weinschrank umzubauen, was sie zu einem Kommentar berechtigt: „Die meisten ausländischen Kunden nehmen aus praktischen Gründen Veränderungen an alten Stücken vor, während chinesische Kunden deren ursprüngliche Gestalt erhalten möchten.“

Nachdem sie fünf Jahre lang als Reporterin für die Möbelindustrie gearbeitet hatte, gründete Zhang Huanrong Ende 2002 eine Firma für antikes Porzellan und Mobiliar, deren Hauptaugenmerk im Unterschied zu Huayi auf Individualität zielt. Sie kauft antike Möbel, fertigt Kopien an und modifiziert auch Originale, wie etwa die Bank, die ursprünglich eine alte Krippe war. Um ihre Vertriebswege auszubauen, hat sie Experten des Palastmuseums eingeladen, Vorträge vor Antiquitätenliebhabern zu halten. Außerdem ging sie mit dem Palastmuseum für sieben Jahre einen Vertrag ein, der es ihr gestattet, Kopien dessen seltener Sammlung anzufertigen, unter der Bedingung, dass die Museumsverwaltung Quantität und Qualität streng überwacht, bestimmte Hersteller ernennt und Arbeiter ausbildet. „Das Palastmuseum beschäftigt eine große Zahl hoch qualifizierter Handwerker, hat aber keine Lehrlinge. Meine Strategie wird diese Lücke füllen und zugleich die Aufmerksamkeit von Sammlern erregen. Einnahmen aus Auktionsverkäufen werden in die Anschaffung seltenerer Stücke fließen.“ Zhang ist sich sicher, dass sich moderne Verfahren zur Herstellung und Lackierung beim Anfertigen von Kopien effektiv einsetzen lassen. Sie verhandelt derzeit mit Vertretern aus Schweden und den Niederlanden über die Entwicklung eines Vertriebs im Ausland.

Raubkopien sind eines der größten Probleme der chinesischen Möbelindustrie. Oft wird, sobald ein individuelles Stück nach Kundenwunsch einmal angefertigt worden ist, sein Wert von einer großen Zahl auf den Markt geworfener Abwandlungen oder schlichter Imitate zunichte gemacht. „Ausländische Möbelfirmen fürchten die Teilnahme an chinesischen Möbelausstellungen, da sie das Risiko eingehen, dass ihre Produkte kopiert werden, bevor sie überhaupt auf den Markt gelangen“, bedauert Zhang.

Größere Firmen melden ihre Entwürfe oft zum Patent an, einige Firmen geben jedoch zu, dass das Wesen der Möbelindustrie die Schutzfunktion von Patenten untergräbt. Patentanmeldungen kosten Zeit und Geld, und während des Verfahrens taucht eine Flut von Imitaten auf, die das gesamte Konzept ad absurdum führt.

Luo Maishengs Meinung nach können Kopien nicht verhindert werden. Die einzige Möglichkeit zu überleben ist es, die Konkurrenz am Entwenden von Ideen zu hindern, und bei der Präsentation neuer, einzigartiger Kreationen immer einen Schritt voraus zu sein.

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