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Zehn Jahre im Leben eines chinesischen Börsenspekulanten

 

Von Liu Qiong

 

Liu Bing teilt nicht öffentlich mit, wie viel Geld er in den letzten zehn Jahren auf dem Aktienmarkt gewonnen hat. „Ich habe Aktien mit Unterbrechungen angekauft und wieder abgestoßen, aber nie berechnet, wie viel Geld ich insgesamt investiert habe“. Trotzdem verneint er nicht, dass er auf dem Aktienmarkt, der im Jahr 2006 vom Bärenmarkt (Baisse) zum Bullenmarkt (Hausse) überging, große Erträge erzielt hat. „Die Summe meines Geldes, welches ich in den Aktienmarkt investiert habe, beträgt nun rund dreifach soviel wie Anfang 2006“. Als Liu Bing über den Aktienmarkt spricht, sieht er gleichgültig aus. Denn er hat in den letzten zehn Jahren den großen Wechsel zwischen dem Bärenmarkt (Baisse) und Bullenmarkt (Hausse) erlebt und ist darum bei Aufstieg oder Fall der Aktienindizes nicht mehr aufgeregt.

Der erste Topf voll Gold aus dem Aktienmarkt

 

1990 wurden in China zwei Wertpapierbörsen gegründet, eine in Shanghai und eine in Shenzhen. Als Liu Bing 1996 in den Aktienmarkt einstieg, arbeitete er in Shenzhen bei einer Hongkonger Immobilienfirma und hatte eine Summe von überschüssigem Geld in der Hand. Mit scharfem Blick schätzte er ein, dass die Aktiennotierungen an der Shenzhener Börse wegen der „Rückkehr Hongkongs zum Vaterland“ in die Höhe schnellen würden. Vor 1996 herrschte in China drei Jahre lang ein Bärenmarkt (Baisse). Viele Aktiennotierungen erreichten ihren niedrigsten Stand. Beispielsweise kostete die Aktie Shenfazhan nur etwas mehr als 6 Yuan (etwa 0,60 Euro) und die Aktie Sichuan Changhong leicht über 7 Yuan. Aber nach dem Frühlingsfest Anfang des Jahres 1996 stiegen die Aktienindezes ständig an und die politischen Maßnahmen der makroökonomischen Steuerung traten nach und nach in Kraft, was sich günstig auf die Möglichkeit auswirkte, Gewinne zu erzielen.

„Das Thema Rückkehr Hongkongs nach China im Jahr 1996 ist mit dem heutigen Thema Olympiade 2008 vergleichbar“. Liu Bing sagt, dass damals aus diesem Grund in Shenzhen fast jeder, der einige tausend Yuan hatte, in den Aktienmarkt einsteigen wollte. Vor diesem Hintergrund wurde Liu Bing mit seinem ersten Ersparten Börsenspekulant, obwohl er noch nicht viel vom Börsengeschäft wußte.

Am Anfang kaufte Liu Bing Aktien und stieß sie ständig wieder ab. „Die Gewinne konnten nicht einmal die Kommissionsgebühr und die Handelssteuer abdecken“. Liu Bing findet, dass seit 2006 die Neueinsteiger auf dem Aktienmarkt ähnlich handeln wie er damals. „Die meisten chinesischen Aktieninhaber sind nicht reif und wollen spekulieren. Schon bei einem leisen Rascheln im Gras geraten sie aus der Fassung. Im Ausland beträgt der Anteil der gehandelten Aktien jährlich durchschnittlich nur weniger als 40%, was einem reifen Markt entspricht, während dieser Prozentsatz in China bei mehr als 600% liegt.“

Zwar war Liu Bing am Anfang in Bezug auf Aktienhandel eher ein Wirrkopf, aber er erwarb sich im Bullenmarkt (Hausse) glücklicherweise seinen ersten „Topf voll Gold“. Vom 1. April bis 12. Dezember 1996 nahmen die Aktienindezes an der Shanghaier Börse um 124% und in der Shenzhener Börse um 346% zu. Es gab mehr als 100 Aktien, deren Notierungen sich um mehr als das Fünffache erhöhten. Noch heute kann Liu Bing sich deutlich daran erinnern, dass die erste von ihm gekaufte Aktie Sihuan Shengwu hieß und ihre Nummernbezeichnung 0518 war. „Damals kostete Sihuan Shengwu 1,38 Yuan, ihre höchste Notierung betrug vor kurzem schon über 10 Yuan“. Weil Liu Bing so viele Jahre mit dem Aktienhandel beschäftigt gewesen ist, kann er die Nummernbezeichnung der meisten Aktien ohne Nachdenken wiedergeben.

 

Der zu standardisierende Aktienmarkt Chinas

 

Liu Bing hat natürlich nicht immer günstigen Wind. Er wird z. B. die Aktie Jiuzhou Gufen nie vergessen. „Weil ich hörte, dass ein Verwandter eines wichtigen Regierungsmitarbeiters der Inhaber dieser Aktie war, entschied ich, sie auch anzukaufen. Nachdem ich einen Preis von mehr als 30 Yuan bezahlte, sank die Notierung innerhalb von einem Tag auf nur 16 Yuan. Heute existiert diese Aktie nicht mehr.“ Wegen dieser Aktie erlitt Liu Bing seinen schwersten Verlust auf dem Aktienmarkt, was einen unauslöschlichen Eindruck bei ihm hinterlassen hat. „Damals herrschte auf dem Aktienmarkt ein Chaos. Individuelle Investoren wie ich mussten schwere Verluste hinnehmen. Es gab viele auf Investitionen spezialisierte Finanzinstitute, die absichtlich mit bestimmten Aktien handelten, und Einzelpersonen, die wie Bankhalter in einem Glücksspiel einen riesigen Ertrag bekamen. Es gab auch an der Börse notierte Firmen, die das aufgebrachte Kapital nicht in der vorgesehenen Art und Weise nutzten. Außerdem war der Aktienmarkt voll von Gerüchten aus verschiedenen Quellen.“

Um den Aktienmarkt zu standardisieren, ging die Wertpapieraufsichtskommission 2001 gezielt gegen Manipulationen des Aktienkurses vor. Darüber hinaus wurden Dutzende an der Börse notierte Firmen kontrolliert und für Vergehen bestraft. Um die Bekanntgabe von Informationen durch die an der Börse notierten Firmen weiter zu standardisieren, vereinheitlichte die Wertpapieraufsichtskommission die Kriterien für Fondsmanagement und gründete ein System zur Regelung der Disqualifikation von von Unternehmen. Zwar herrschte nun eine Flaute am Aktienmarkt, Liu Bing verlor aber nie seine Zuversicht, denn er glaubte, dass es vorteilhaft für individuelle Investoren war, wenn durch solche Maßnahmen der chinesische Aktienmarkt auf das rechte Gleis gebracht wird.

2006 war das Jahr, in dem Liu Bing seine größten Erträge erzielte. Nach fünf Jahre andauerndem Bärenmarkt (Baisse) ist Anfang 2006 der Bullenmarkt (Hausse) gekommen. Auch im Jahr 2006 traten das „Wertpapiergesetz“ und das „Firmengesetz“ der Volksrepublik China, die in großem Maßstab revidiert worden waren, in Kraft. Dank dessen stieg 2006 der Aktienindex der Shanghaier Börse um 130,43% und jener der Shenzhener Börse um 132,12%. Damit wurde der chinesische Aktienmarkt ein Star unter den internationalen Wertpapiermärkten.

„Es lohnt sich, langfristig in die chinesische Wirtschaft zu investieren“

 

Im Gespräch erwähnte Liu Bing häufig zwei Namen: Lin Yuan und Yang Baiwang. Diese beiden Personen sind fast allen chinesischen Börsenspekulanten bekannt. Lin Yuan stieg 1989 mit 8000 Yuan, die von seiner ganzen Familie zusammengebracht wurde, in den Aktienmarkt ein. Bis 2007 erhöhte sich die Summe von 8000 Yuan auf mehr als 2 Milliarden Yuan. Yang Baiwang zählt zu den ersten individuellen Investoren des chinesischen Aktienmarktes. Er begann mit 2000 Yuan. In den letzten 18 Jahren hat er immer Gewinne gemacht, ganz gleich, ob der Aktienindex fiel oder stieg. Die Geschichte von Lin Yuan und Yang Baiwang spornt zahlreiche Menschen an, in den Aktienmarkt einzusteigen.

Einer Statistik zufolge wurden 4,7859 Millionen neue Aktienkonten allein im ersten Quartal 2007 eröffnet, was die Gesamtzahl des ganzen Vorjahrs überschritt. Liu Bing kennt viele Aktieninhaber, insbesondere die älteren, die im Alltagsleben um jede Unze Gewicht feilschen und z. B. mit dem Gemüsehändler zehn Minuten vergeuden können, nur um einige Jiao (10 Jiao = 1 Yuan = 0,10 EUR) zu sparen. Aber sie können mit einigen Zehntausend oder mehr als Hunderttausend Yuan Aktien kaufen, ohne zu wissen, zu welchen Branchen sie gehören. Außerdem gönnen sie sich auch nicht eine Fachzeitung, auch wenn diese nur einen Yuan kostet. „Das ist kein rationelles Investitionsverhalten. In diesem Bereich und auch über die Geldverwaltung haben wir Chinesen noch viel zu lernen.“ Allerdings erkennt Liu Bing an, dass das Bewusstsein für Geldanlagen allgemein gestärkt worden ist, und dies sei eine gute Sache. „Früher deponierten die meisten Leute ihr Geld bei der Bank, wobei das vorhandene Kapital nicht gut genutzt wurde; eine Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen“.

Seine zehnjährigen Erfahrungen auf dem Aktienmarkt zusammenfassend meint Liu Bing, dass man Zuversicht in die chinesische Wirtschaft haben und darum langfristig investieren soll. „Die chinesische Wirtschaft entwickelt sich gut. In den letzten zehn Jahren betrug das Wirtschaftswachstum jährlich mehr als 9%. Vor der Olympiade 2008 wird der Aktienindex der Shanghaier Börse bestimmt 6000 Punkte erreichen“. Diese Prognose äußerte er Anfang 2007, als der Aktienindex der Shanghaier Börse noch um 4000 Punkte schwankte. Bei Redaktionsschluss betrug der Aktienindex der Shanghaier Börse schon 6100 Punkte, zehn Monate vor der Eröffnung der Olympischen Spiele 2008.

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