Die
Seidenstraße und die Blüte
der
Tang-Dynastie
Von Huo Jianying
Das Tanztheater Entlang
der Seidenstraße kehrte in Beijing für die Feierlichkeiten
zum Chinesischen Neujahr 2003 auf die Bühne zurück und wurde
so begeistert empfangen wie zur Erstaufführung vor 24 Jahren.
Das Theaterstück, in der Blütezeit der Tang-Dynastie angesiedelt,
feiert die Kunst in den Grotten von Dunhuang und die atemberaubende
Pracht der Tang. Vor dem Hintergrund der alten Seidenstraße
erzählen seine Geschichten von Liebe, Menschlichkeit und
der Freundschaft in jener offenen Zeit.
Doch die Dramatiker sind
nicht die einzigen, die in unserer Zeit das goldene Zeitalter
der Tang feiern. Nach fünf Jahren minuziöser Arbeit durch
100 meisterliche Handwerker wurde vor kurzem in der Stadt Taizhou
in der Provinz Zhejiang ein riesiges, mit Edelsteinen versehenes
Relief fertiggestellt. Auf 2 x 60 Metern gedenkt es der 7000
km langen eurasischen Verbindung der Tang-Dynastie, die zum
ersten Mal den Austausch zwischen China und dem Ausland ermöglichte
und so viel zur Blüte der Tang-Zeit beitrug. Die Schnitzerei
zeigt 12 Szenarien entlang der Reise, darunter Chang’an, die
Hauptstadt der Tang, Regionen westlich des Yumen-Passes, Mittelmeergebiete
und Rom. Das Material für das Relief wurde aus rund 30 Tonnen
Jade von Hand verlesen.


Eine Straße der Trübsal
Obwohl ihr genauer Verlauf
noch immer nicht bestimmt ist, umgibt die Seidenstraße
seit Jahrhunderten eine mystische Aura. Sie war kein geplanter
Verkehrsweg, sondern wurde ungewollt von den Karavanen mutiger
asiatischer und europäischer Händler geformt.
Erst 1877 gab der deutsche
Geograph Ferdinand von Richthofen der Handelsverbindung den
Namen „Seidenstraße“, doch auf ihr zu reisen war alles
andere als einfach und schnell, wie die Bezeichnung fälschlicherweise
nahelegen könnte.
Im
Jahre 399 trat Faxian, ein Mönch unter der Jin-Dynastie
(317–420), mit 65 Jahren eine Pilgerreise nach Indien an, um
buddhistische Schriften zu suchen. Er und seine Begleiter schleppten
sich über unbekannte Berge und durch wasserlose Wüsten und kamen
mehrmals vom Weg ab. Einige seiner Mitreisenden erlagen Krankheiten,
andere gaben nach der Hälfte auf. Als Faxian endlich Sri
Lanka erreichte, war er allein. Es war ein Wunder, dass ein
Mann mit 70 Jahren 35 Tage in der gnadenlosen Taklamakan-Wüste
überleben konnte. Auf seiner Rückreise auf dem Seeweg nach China
hatte Faxian wiederum unglaubliches Glück und überlebte 70 Tage
stürmischen Wetters. Es war in Shandong, als er wieder einen
Fuß auf chinesisches Territorium setzte. Er war gerade
80 geworden.
Faxian schrieb später
ein Buch, Aufzeichnungen über die buddhistischen Länder,
erwähnte darin aber mit keinem Wort seine Reiseerlebnisse.
Gelehrte spekulierten, dass er seine schreckliche Reise nicht
noch einmal durchleben wollte, doch Generationen später
erweckten seine Abenteuer zahllose Phantasien zur Seidenstraße.
Die Reise nach dem Westen, einer von Chinas vier Klassikern,
beschreibt, wie sich die vier Protagonisten durch ruppiges Gelände
kämpfen und den Klauen von Dämonen entkommen, aber
auch, wie sie sich von fremden Landschaften bezaubern lassen,
bevor sie schließlich das Westliche Paradies erreichen.
Eine Straße des Wohlstands
Schon
in der Han-Dynastie (206 v. Chr. – 220 n. Chr.) wurde absehbar,
dass die Seidenstraße die Macht der chinesischen Nation
stärken und ihrer Bevölkerung Reichtum bringen würde.
Bald nachdem er den Thron bestiegen hatte, zu einer Zeit, als
sich das neugeborene Reich noch immer von einer lang andauernden
Kriegsperiode erholte, leerte der Tang-Kaiser Li Shimin die
Staatskassen und ließ eine große Zahl von Arbeitskräften
zur Wiederherstellung der Seidenstraße abstellen. Nach
zwei Jahrzehnten dauernden Bemühungen war sie für den Verkehr
bereit und wurde zu einem noch breiteren Kanal für den wirtschaftlichen
und kulturellen Austausch zwischen China und dem Rest der Welt.
Die Tang stieg mit ihrer blühenden Wirtschaft, entwickelten
Kultur und aufgeklärten Regierung zur mächtigsten
Dynastie der chinesischen Geschichte auf. Noch heute kennt man
die Chinesen als das Volk der Tang, und die Chinatowns von San
Francisco, New York und London werden von der örtlichen
chinesischen Bevölkerung „Tangren Jie“ – Straße der
Tang-Leute – genannt.
Der Hexi-Korridor war ein
strategischer Weg entlang der Seidenstraße, und die Städte,
an denen er vorbeiführte, wie Wuwei, Shandan, Zhangye und Jiuquan,
erlebten ihren Höhepunkt in der Tang-Dynastie. Ihre Tage
glorreichen Wohlstands liegen schon lange zurück, doch sie waren
einst aufstrebende Orte, wo chinesische und fremde Händler
zusammentrafen. Wuwei z. B. war eine Großstadt mit einer
Bevölkerung von mehreren Hunderttausend und ein Knotenpunkt
des internationalen Handels, wo in zahllosen Weinschenken zu
jeder Tages- und Nachtzeit Musik gespielt und Tänze aufgeführt
wurden. Vom Überfluss dieser Städte überwältigt,
hielt ein arabischer Schriftsteller auf Besuch in Shandan die
Stadt fälschlicherweise für die Hauptstadt der Tang, Chang’an.
Die Hauptstadt aber war in
ihrer Größe und Pracht nicht zu verwechseln. Ihre
Achse, die Zhuque-Straße, war 155 m breit, und mindestens
ein Zehntel der eine Million zählenden Bevölkerung
war ausländisch. 100 dieser Ausländer bekleideten
hohe Regierungsposten. Das heutige Xi’an, das auf dem Gebiet
von Chang’an liegt, nimmt gerade ein Achtel der Tang-Hauptstadt
ein.
Die Blüte der Tang, ihre
Offenheit und Toleranz gegenüber fremden Zivilisationen sollten
ihrem Volk mehr als Grund genug sein, sie zum goldenen Zeitalter
Chinas zu idealisieren.
Der ewige Glanz der Tang
In einem Ramschladen streckt
ein Kind einige „Kaiyuan Tongbao“ hervor – Kupfermünzen aus
der Tang. Der Ladenbesitzer wirft einen kurzen Blick darauf,
wirft sie in ein Kästchen mit ähnlichen alten Münzen
und gibt dem Kind einige Yuan. Nach über tausend Jahren ist
Geld aus der Tang-Dynastie noch immer gefragt.
Models in atemberaubenden
Tang-Kostümen defilieren auf dem Laufsteg. Ihre Kleider, hauchdünne
Kittel, tief geschnitten und von den Schultern herabfallend,
passen überraschend gut zu den zeitgenössischen Modetrends.
Die Tang-Dynastie war zweifelsohne die Zeit in Chinas Feudalgeschichte,
in der die Frauen am wenigsten unterdrückt wurden.
Doch das Erbe der Tang besteht
aus weit mehr als nur Kupfermünzen und feinen Stoffen. Sein
geistiger und materieller Reichtum bilden nichts weniger als
die Essenz der chinesischen Zivilisation.
Die Herrschaftszeit von Zhenguan
und Kaiyuan, welche von der Mitte des 7. bis zur Mitte des 8.
Jh. reichte, stellen den Höhepunkt des Friedens und des
Wohlstands in der Tang-Dynastie dar, die Herrscher und Gelehrte
nachfolgender Dynastien nachzuahmen versuchten.
Der Tang-Spiegel,
1086 veröffentlicht, wurde vom Historiker Fan Zuyu in der
Song-Dynastie zusammengestellt. Er beinhaltet Aufzeichnungen
über die Worte und guten Taten jedes Tang-Kaisers und entsprechende
Kommentare und Analysen, die zu enthüllen versuchen, was die
Grundlagen für den Erfolg der Dynastie und ihren Niedergang
waren. Der Tang-Spiegel wird als Klassiker der monarchischen
Regierungskunst hochgehalten und wurde von den Kaisern seit
der Song-Dynastie (960–1279) als politisches Lehrbuch verwendet.
Zhu Yuanzhang (1328–1398), der Gründer der Ming-Dynastie (1368–1644),
wird mit den Worten zitiert: „Sollte ich wählen müssen
zwischen einer hübschen Konkubine und dem Tang-Spiegel,
ich würde mich für letzteren entscheiden.“
Einige in der Tang eingerichtete
Systeme wurden geprüft und für gut befunden und, mit Ergänzungen
und Zusätzen versehen, erneut angewendet. Die Steuersysteme
der Song- und der Ming- sowie das Rechtssystem der Ming- und
der Qing-Dynastie beispielsweise beruhten alle auf ihren Vorgängern
in der Tang.
So wie sich die Monarchen
in den Tang-Spiegel vertieften, begeisterte sich das einfache
Volk für Tang-Gedichte. Sowohl hinsichtlich des Umfangs als
auch der literarischen Fertigkeit erreichte die chinesische
Lyrik ihren Höhepunkt in der Tang-Zeit. Über die Jahrhunderte
wurden rund 50 000 Tang-Gedichte in handgeschriebenen, gedruckten
oder digitalisierten Anthologien gesammelt. Für chinesische
Kinder ist es Tradition, dass sie, um sprechen zu lernen, Tang-Gedichte
rezitieren, und diese sind obligatorischer Bestandteil in Lehrbüchern
der Grund- und der Mittelschule.
Während Chinas 2000-jähriger
Feudalzeit übte die Tang-Dynastie den größten Einfluss
auf den Gang der Geschichte dieses Landes aus. Sie steht für
eine Zeit, in der China eine Weltmacht war. Die Glorie der Tang-Dynastie
ist noch heute eine Inspirationsquelle für die Suche des chinesischen
Volkes nach einer nationalen Wiederauferstehung.