November 2003
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Eine Revolution im Standesamt – der vereinfachte Weg zum Trauschein

Von Li Wuzhou

„Schatz, lass uns heiraten!“ 

„Nicht jetzt, Liebster, erst nach dem 1. Oktober.“

„Warum denn? Du hast mir doch nichts zu verheimlichen, oder?“

Dieser Kurzdialog könnte sich in den letzten Monaten durchaus abgespielt haben. Nachdem nämlich die neuen Vorschriften zur Registrierung der Eheschließung angekündigt wurden, schoben zahlreiche Paare ihre Heiratspläne auf.

In der Vergangenheit wurde der 1. Oktober häufig als Hochzeitstag gewählt, denn zum einen sind mit dem 1. Oktober, dem chinesischen Nationalfeiertag, 7-tägige Ferien verbunden, so dass für Verwandte und Freunde reichlich Zeit bleibt, um an der Hochzeitsfeier teilzunehmen. Zum anderen ist der Nationalfeiertag für Neuvermählte ein denkwürdiger Anlass. Aus diesem Grund hatten die Standesämter in der Vergangenheit vor dem 1. Oktober alle Hände voll zu tun. Aber in diesem Jahr war es auf dem Standesamt in Beijing und auch anderswo ungewöhnlich ruhig.

„Der Grund dafür liegt auf der Hand. Früher musste sich ein Paar vor der Registrierung zur Heirat einer obligatorischen Gesundheitsuntersuchung unterziehen und sich eine Bescheinigung von der Arbeitseinheit ausstellen lassen. Außerdem musste es sich einen halben Tag Zeit nehmen, um ein Aufklärungsvideo als Vorbereitung auf das Eheleben anzusehen. Die Erledigung der Formalitäten dauerte zwei bis drei Tage. Aber nach dem 1. Oktober kann alles innerhalb weniger Stunden erledigt werden. Wer sollte es denn nicht einfacher haben wollen?“, fragt ein Mitarbeiter im Standesamt ganz offen.

Als Reaktion auf den neu gewonnenen Freiraum wählten in diesem Jahr viele Brautpaare einen anderen Tag als den 1. Oktober als Hochzeitstag. Die neue gesetzliche Bestimmung ist bei jungen Leuten beliebt und entspricht auch dem Zeitgeist.

Bescheinigung der Arbeitseinheit nicht mehr nötig

„Im Oktober dieses Jahres können wir endlich heiraten!“, freut sich Frau Sun. Auf diesen Moment musste sie jahrelang warten. Die 27-Jährige hat bezüglich der Bescheinigung der Arbeitseinheit einiges zu erzählen: Sie und ihr Freund sind schon sechs Jahre zusammen, konnten aber auch beim besten Willen keinen Trauschein erhalten. Es waren jedoch nicht die Eltern, die sich in die Heirat einmischten, sondern der Haken steckte im überholten Eintragungssystem für die Eheschließung.

Frau Sun stammt aus der Provinz Yunnan und schloss ihr Hochschulstudium im Jahr 2000 ab. Um mit ihrem Freund, der nach dem Studium eine Stelle in Beijing zugewiesen bekommen hatte, zusammen leben zu können, nahm sie einen Job an einer Mittelschule in Beijing an. 2002 wollten die beiden heiraten. Ihr Freund war bereits in Beijing angemeldet, hatte also keine Probleme, eine Heiratsbescheinigung zu bekommen. Frau Sun aber war noch immer in Yunnan angemeldet und außerdem nicht als ordentliche Lehrerin angestellt. Dementsprechend stellte ihr die Arbeitseinheit auch keine Bescheinigung aus. Doch ohne dieses Dokument konnte sie keinen Trauschein bekommen.

Die frühere Fassung der Vorschriften zur Registrierung der Eheschließung schrieb vor, dass bei der Beantragung eines Trauscheins „eine von der Arbeitseinheit, vom Komitee der Dorfbewohner oder vom Quartierkomitee ausgestellte Bescheinigung über den Familienstand“ vorzulegen ist. Dasselbe galt für den Fall einer Scheidung. Diese Bestimmung, die viele Jahre lang gültig war, wurde am 1. Oktober dieses Jahres aufgehoben.

Frau Sun bemerkt dazu: „Ich freue mich für alle anderen jungen Leute, die wie ich in Beijing leben. Diesen Kummer sind wir los.“ Frau Sun ist der Meinung, dass eine Heirat Privatsache des Brautpaares sei. Sie sieht nicht ein, warum die Angelegenheit der Arbeitseinheit mitzuteilen sein sollte – und schon gar nicht, warum diese das Recht haben sollte, sich einzumischen.

Ein Kollegin von Frau Sun kommentiert die Reformen in der Vergabe des Trauscheins wie folgt: „Wir begrüßen die Aufhebung dieser Vorschrift. Ich bin schon seit langer Zeit mit meinem Freund zusammen und habe volles Vertrauen in ihn. Meiner Meinung nach kommt es bei der Ehe auf die Ehrlichkeit der beiden Partner und den gegenseitigen Respekt an. Das ist eine moralische Frage. Gegenseitiges Vertrauen ist viel wichtiger als die Bescheinigung.“

Experten betrachten die Reform aus einer anderen Perspektive. Prof. Yang Dawen, der Vizevorsitzende des Forschungsvereins zu Familie und Ehe in China, weist darauf hin, dass die alten Vorschriften unzeitgemäß waren: „Wir leben heute im Zeitalter der Marktwirtschaft. Viele Menschen, wie Privatunternehmer oder Freiberufler, haben keine feste Anstellung oder nicht einmal einen festen Beruf. Es ist unrealistisch, von ihnen eine von der Arbeitseinheit ausgestellte Bescheinigung zu verlangen. Nach der neuen Vorschrift reichen der Haushaltanmeldungsausweis, der Personalausweis und die Unterschrift des Antragstellers bzw. der Antragstellerin. Diese Dokumente zeigen in ausreichendem Maß, ob er bzw. sie das gesetzlich vorgeschriebene Heiratsalter erreicht hat und den Heiratsbedingungen entspricht. Die neuen Vorschriften zielen darauf ab, das Recht der Bürger auf eine freie Eheschließung maximal zu schützen.“

Abschaffung der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung vor der Heirat

„Die neuen Vorschriften heben nicht nur die Forderung nach einer von der Arbeitseinheit ausgestellten Bescheinigung auf, sondern sehen auch erstmals vor, dass ein ärztliches Attest keine notwendige Bedingung für die Heiratseintragung darstellt. Damit wird den Gefühlen der Betroffenen und ihrem Recht auf Privatsphäre mehr Beachtung geschenkt“, streicht Zhang Mingliang, der Leiter der Abteilung für Basisverwaltung und den Aufbau der Quartiergemeinschaften im Ministerium für zivile Angelegenheiten, heraus.

Herr Yang ist 26 Jahre alt, hat eine feste Arbeitsstelle und ein dickes Gehalt. Er kennt seine Freundin seit einem Jahr, und die beiden bereiten sich auf die Heirat vor. Er findet, dass die neuen Vorschriften den jungen Leuten entgegenkommen, die sich vor der Registrierung beim Standesamt keiner Gesundheitsuntersuchung unterziehen wollen. Heute, in der Zeit der freien Partnerwahl, entschließe sich ein Liebespaar gewöhnlich erst dann zur Heirat, wenn sich beide Partner gründlich kennen. Ob der Partner psychologische oder körperliche Probleme habe, wisse man schon längst vor der Heirat. Selbst wenn beim Partner eine unheilbare Krankheit diagnostiziert werde, stelle dies kein Hindernis für die Eheschließung dar. Man heirate ja schließlich aus Liebe.

Frau Wang ist Sekretärin in einem Fünf-Sterne-Hotel in Changsha. Obwohl sie momentan nicht erwägt zu heiraten, würde sie sich vor der Ehe freiwillig einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen, um sich und ihrem Partner eine Bescheinigung zu beschaffen, dass alles in Ordnung sei. Die Gesundheitsuntersuchung, meint sie, sei der erste Schutz für die Ehe, denn das Heiraten drehe sich durchaus um handfeste Dinge. Wenn ein Partner aus Angst eine Krankheit verheimliche, missachte er sein Gegenüber.

Die meisten Mediziner sind gegen die Abschaffung der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung vor der Heirat. Vizedirektor Xu von der Nanjinger Klinik für Frauen- und Kinderkrankheiten sagt: „Jedes Jahr haben wir bei der Untersuchung Krankheiten wie angeborenes Herzleiden oder chronische Harnvergiftung diagnostiziert. Das sind latente Krankheiten, die im schlimmsten Fall tödlich verlaufen können. Wenn man sich seiner Krankheiten bewusst ist, kann man seine Verantwortung gegenüber dem Partner und dem Nachwuchs nachkommen. Insbesondere Erbkrankheiten können, wenn sie nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, den Nachkommen großen Schaden zufügen.“

Die maßgebenden Experten halten jedoch dagegen, die Abschaffung der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung vor der Heirat bedeute nicht, dass sie unwichtig sei. Vielmehr sollte jeder selbst erkennen, wie wichtig sie ist. Nach einer Umfrage der Beijing Youth Daily finden nur 25% der Befragten die Gesundheitsuntersuchung unnötig. Und im vorigen Jahr gaben 96% von 5000 jüngeren Einwohnern gegenüber dem Gesundheitsamt der Stadt Beijing an, sich vor der Heirat auf ihre Gesundheit untersuchen lassen zu wollen.

Die Experten argumentieren damit, die Abschaffung der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung erfolge aus Achtung vor den Rechten der Bürger. Heiratswillige Paare sollten sich aber trotzdem einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen. Damit bewiesen sie Verantwortungsbewusstsein.

Abschied vom Scheidungskrieg

Nicht nur die Eheschließung war bis jetzt in China kompliziert, es war auch nicht leicht, sich scheiden zu lassen. Jeder Chinese, jede Chinesin wird sich an dramatische literarische Darstellungen zum Thema Scheidung erinnern können. Scheidungskrieg, Handbuch zur Scheidung und wie sie alle heißen handeln alle von der zermürbenden Mühsal und Hilfslosigkeit in einer Scheidung.

Früher bedeutete die Scheidung für Chinesen einen Gesichtsverlust, denn aus ihrer Sicht fügte sie den Kindern Schaden zu und störte den gesellschaftlichen Frieden. Deshalb war sie ein langwieriger Prozess. In verschiedenen Phasen der Scheidung versuchten Außenstehende, die Ehe zu retten, was im Grunde eine Einmischung bedeutete. Wenn eine Seite die Scheidung ablehnte, konnte das Ehepaar nicht geschieden werden. Wer trotzdem auf der Scheidung bestand, trat einen Marathonlauf an. Er bzw. sie musste Sitzungen mit den alten Frauen vom Quartierkomitee über sich ergehen lassen, in denen diese mit gutem Zureden versuchten, die Scheidung abzuwenden. Wenn dies nichts half, folgten mahnende Gespräche mit der Leitung der Arbeitseinheit. So gab man schließlich den Gedanken an eine Scheidung auf. Man wagte nicht mehr, die Scheidung zu erwähnen.

Wer aber mit Glück alle Hindernisse überwunden hatte, kam in der Arbeitseinheit gleich ins Gerede, denn man brauchte ja eine Bescheinigung von der Arbeitseinheit. Von der Beantragung bis zur Erledigung der Scheidungsformalitäten dauerte es einen ganzen Monat, danach wurde noch eine Selbstreflexionsphase gefordert, und erst danach konnte geschieden werden.

Laut den neuen Vorschriften für die Heiratsbeantragung ist für die Scheidung keine Bescheinigung von der Arbeitseinheit mehr nötig. Auf der Grundlage der Freiwilligkeit kann sich ein Ehepaar auf dem Standesamt scheiden lassen und gleich die Scheidungsurkunde bekommen.

„Eigentlich gibt es keinen Grund für die Arbeitseinheit, sich ausführlich über den Familienstand der Betroffenen zu informieren, und sie ist dazu auch nicht verpflichtet“, erklärt Prof. Jiang Yue, Experte für das Ehegesetz an der Universität Xiamen. Er weist darauf hin, dass beide Ehepartner an sich über genügend Papiere verfügten, die von den Behörden überprüft werden können.

Zhang Mingliang fügt hinzu, es sei nicht nötig, auf den traditionellen Vorstellungen über die Ehe zu beharren. Wenn sich die Ehepartner emotionell so weit voneinander entfernt hätten, dass eine Versöhnung unmöglich sei, dann sei die Scheidung eher eine gute Sache für sie, denn sie löse sie von den Fesseln der Ehe und gebe ihnen die Möglichkeit, aufs Neue nach dem eigenen Glück zu suchen. Selbst falls beide im Nachhinein zum Schluss kommen, leichtsinnig gehandelt zu haben, könnten sie noch immer wieder heiraten. So gesehen seien die negativen Auswirkungen einer Scheidung eher klein.

„Der Anblick der jungen Ehepaare, die im Standesamt einen knallroten Trauschein entgegennahmen, machte mich traurig, als ich meine dunkelgrüne Scheidungsurkunde erhielt“, sagt Herr Zhang, der bereits zwei Scheidungen hinter sich hat und mit der Farbgebung der Urkunden sehr unzufrieden ist. „Gesetzliche Dokumente sollten entsprechen den internationalen Gepflogenheiten neutral und nicht mit den traditionellen Farben Rot und Grün gestaltet sein.“

Herrn Zhangs Vorschlag wurde von den Behörden aufgenommen. Mit der inhaltlichen Abänderung der Vorschrift über die Heiratsbeantragung wurden die Trau- und die Scheidungsscheine neu gestaltet.

Stille Veränderung

Früher wurde aus dem einfachen Volk und aus Gelehrtenkreisen immer wieder der Ruf nach einer Abänderung der Vorschriften zur Registrierung der Eheschließung laut. In der neuen Fassung ist deutlich zu erkennen, dass diese Stimmen ausreichend berücksichtigt wurden.

„Die Reform erreichte vor allem, dass die Bearbeitung zivilstandsamtlicher Angelegenheiten wie Eheschließungen und Scheidungen weniger bürokratisch ablaufen und das Bewusstsein der Verwaltung dafür geschärft wurde, eine Dienstleistung zu erbringen“, zieht Zhang Mingliang Bilanz. Er weist darauf hin, dass im Titel dieser Vorschrift das Wort „Verwaltung“ fehlt. Das sei nicht nur Kosmetik, sondern Ausdruck dafür, dass dieser gesetzlichen Bestimmung mehr Menschlichkeit verliehen worden sei. Nicht zuletzt spiegele sie auch die Veränderung der Zeit und den Fortschritt der Gesellschaft wider, indem sie getreu dem Grundsatz „Eheschließung ist Privatsache, die Regierung bietet dazu nur ihren Dienst an“ die Bürger in den Mittelpunkt stellt.

In den letzten Jahren ist die chinesische Gesetzgebung menschlicher geworden. Vor einem Jahr erließ die Provinz Jilin ein Gesetz, das Frauen die künstliche Befruchtung erlaubt, wenn sie das gesetzliche Heiratsalter erreicht und keine Kinder haben und lebenslang unverheiratet bleiben wollen, sich aber trotzdem ein Kind wünschen. In der Provinz Jiangsu wurde eine Bestimmung aufgehoben, die Paaren ohne Trauschein das Zusammenleben in einem Haushalt verbot. In Beijing wurde eine Abänderung im Haushaltmeldesystem vorgenommen, wodurch ein neugeborenes Kind auch beim Vater ins Haushaltsheft eingetragen werden kann und nicht nur wie bisher bei der Mutter.

„Die neuen Vorschriften zur Heiratsregistrierung machen die Eheschließung wirklich zur Privatsache. Ich finde, dass die Gesetze und gesetzlichen Bestimmungen immer menschlicher werden. Rechte, die eigentlich nur die Privatsphäre betreffen, sind wieder den Massen zurückgegeben worden. So öffnet sich in China nicht nur die Wirtschaft, sondern auch grundlegende gesellschaftliche Konzepte verändern sich,“ sagt Herr Zhu, Frau Suns Ehemann. 

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