Eine
Revolution im Standesamt – der vereinfachte Weg zum Trauschein
Von Li
Wuzhou

„Schatz, lass uns heiraten!“
„Nicht jetzt, Liebster, erst nach dem 1. Oktober.“
„Warum denn? Du hast mir doch nichts zu verheimlichen,
oder?“
Dieser Kurzdialog könnte sich in den
letzten Monaten durchaus abgespielt haben. Nachdem nämlich
die neuen Vorschriften zur Registrierung der Eheschließung
angekündigt wurden, schoben zahlreiche Paare ihre Heiratspläne
auf.
In
der Vergangenheit wurde der 1. Oktober häufig als Hochzeitstag
gewählt, denn zum einen sind mit dem 1. Oktober, dem chinesischen
Nationalfeiertag, 7-tägige Ferien verbunden, so dass für
Verwandte und Freunde reichlich Zeit bleibt, um an der Hochzeitsfeier
teilzunehmen. Zum anderen ist der Nationalfeiertag für Neuvermählte
ein denkwürdiger Anlass. Aus diesem Grund hatten die Standesämter
in der Vergangenheit vor dem 1. Oktober alle Hände voll
zu tun. Aber in diesem Jahr war es auf dem Standesamt in Beijing
und auch anderswo ungewöhnlich ruhig.
„Der Grund dafür liegt auf der Hand. Früher
musste sich ein Paar vor der Registrierung zur Heirat einer
obligatorischen Gesundheitsuntersuchung unterziehen und sich
eine Bescheinigung von der Arbeitseinheit ausstellen lassen.
Außerdem musste es sich einen halben Tag Zeit nehmen,
um ein Aufklärungsvideo als Vorbereitung auf das Eheleben
anzusehen. Die Erledigung der Formalitäten dauerte zwei
bis drei Tage. Aber nach dem 1. Oktober kann alles innerhalb
weniger Stunden erledigt werden. Wer sollte es denn nicht einfacher
haben wollen?“, fragt ein Mitarbeiter im Standesamt ganz offen.
Als Reaktion auf den neu gewonnenen Freiraum
wählten in diesem Jahr viele Brautpaare einen anderen Tag
als den 1. Oktober als Hochzeitstag. Die neue gesetzliche Bestimmung
ist bei jungen Leuten beliebt und entspricht auch dem Zeitgeist.
Bescheinigung der Arbeitseinheit nicht
mehr nötig
„Im Oktober dieses Jahres können wir
endlich heiraten!“, freut sich Frau Sun. Auf diesen Moment musste
sie jahrelang warten. Die 27-Jährige hat bezüglich der
Bescheinigung der Arbeitseinheit einiges zu erzählen: Sie
und ihr Freund sind schon sechs Jahre zusammen, konnten aber
auch beim besten Willen keinen Trauschein erhalten. Es waren
jedoch nicht die Eltern, die sich in die Heirat einmischten,
sondern der Haken steckte im überholten Eintragungssystem für
die Eheschließung.
Frau
Sun stammt aus der Provinz Yunnan und schloss ihr Hochschulstudium
im Jahr 2000 ab. Um mit ihrem Freund, der nach dem Studium eine
Stelle in Beijing zugewiesen bekommen hatte, zusammen leben
zu können, nahm sie einen Job an einer Mittelschule in
Beijing an. 2002 wollten die beiden heiraten. Ihr Freund war
bereits in Beijing angemeldet, hatte also keine Probleme, eine
Heiratsbescheinigung zu bekommen. Frau Sun aber war noch immer
in Yunnan angemeldet und außerdem nicht als ordentliche
Lehrerin angestellt. Dementsprechend stellte ihr die Arbeitseinheit
auch keine Bescheinigung aus. Doch ohne dieses Dokument konnte
sie keinen Trauschein bekommen.
Die frühere Fassung der Vorschriften zur
Registrierung der Eheschließung schrieb vor, dass
bei der Beantragung eines Trauscheins „eine von der Arbeitseinheit,
vom Komitee der Dorfbewohner oder vom Quartierkomitee ausgestellte
Bescheinigung über den Familienstand“ vorzulegen ist. Dasselbe
galt für den Fall einer Scheidung. Diese Bestimmung, die viele
Jahre lang gültig war, wurde am 1. Oktober dieses Jahres aufgehoben.
Frau Sun bemerkt dazu: „Ich freue mich für
alle anderen jungen Leute, die wie ich in Beijing leben. Diesen
Kummer sind wir los.“ Frau Sun ist der Meinung, dass eine Heirat
Privatsache des Brautpaares sei. Sie sieht nicht ein, warum
die Angelegenheit der Arbeitseinheit mitzuteilen sein sollte
– und schon gar nicht, warum diese das Recht haben sollte, sich
einzumischen.
Ein Kollegin von Frau Sun kommentiert die
Reformen in der Vergabe des Trauscheins wie folgt: „Wir begrüßen
die Aufhebung dieser Vorschrift. Ich bin schon seit langer Zeit
mit meinem Freund zusammen und habe volles Vertrauen in ihn.
Meiner Meinung nach kommt es bei der Ehe auf die Ehrlichkeit
der beiden Partner und den gegenseitigen Respekt an. Das ist
eine moralische Frage. Gegenseitiges Vertrauen ist viel wichtiger
als die Bescheinigung.“
Experten betrachten die Reform aus einer anderen
Perspektive. Prof. Yang Dawen, der Vizevorsitzende des Forschungsvereins
zu Familie und Ehe in China, weist darauf hin, dass die alten
Vorschriften unzeitgemäß waren: „Wir leben heute
im Zeitalter der Marktwirtschaft. Viele Menschen, wie Privatunternehmer
oder Freiberufler, haben keine feste Anstellung oder nicht einmal
einen festen Beruf. Es ist unrealistisch, von ihnen eine von
der Arbeitseinheit ausgestellte Bescheinigung zu verlangen.
Nach der neuen Vorschrift reichen der Haushaltanmeldungsausweis,
der Personalausweis und die Unterschrift des Antragstellers
bzw. der Antragstellerin. Diese Dokumente zeigen in ausreichendem
Maß, ob er bzw. sie das gesetzlich vorgeschriebene Heiratsalter
erreicht hat und den Heiratsbedingungen entspricht. Die neuen
Vorschriften zielen darauf ab, das Recht der Bürger auf eine
freie Eheschließung maximal zu schützen.“
Abschaffung der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung
vor der Heirat
„Die neuen
Vorschriften heben nicht nur die Forderung nach einer von der
Arbeitseinheit ausgestellten Bescheinigung auf, sondern sehen
auch erstmals vor, dass ein ärztliches Attest keine notwendige
Bedingung für die Heiratseintragung darstellt. Damit wird den
Gefühlen der Betroffenen und ihrem Recht auf Privatsphäre
mehr Beachtung geschenkt“, streicht Zhang Mingliang, der Leiter
der Abteilung für Basisverwaltung und den Aufbau der Quartiergemeinschaften
im Ministerium für zivile Angelegenheiten, heraus.
Herr Yang ist 26 Jahre alt, hat eine feste
Arbeitsstelle und ein dickes Gehalt. Er kennt seine Freundin
seit einem Jahr, und die beiden bereiten sich auf die Heirat
vor. Er findet, dass die neuen Vorschriften den jungen Leuten
entgegenkommen, die sich vor der Registrierung beim Standesamt
keiner Gesundheitsuntersuchung unterziehen wollen. Heute, in
der Zeit der freien Partnerwahl, entschließe sich ein
Liebespaar gewöhnlich erst dann zur Heirat, wenn sich beide
Partner gründlich kennen. Ob der Partner psychologische oder
körperliche Probleme habe, wisse man schon längst
vor der Heirat. Selbst wenn beim Partner eine unheilbare Krankheit
diagnostiziert werde, stelle dies kein Hindernis für die Eheschließung
dar. Man heirate ja schließlich aus Liebe.
Frau Wang ist Sekretärin in einem Fünf-Sterne-Hotel
in Changsha. Obwohl sie momentan nicht erwägt zu heiraten,
würde sie sich vor der Ehe freiwillig einer Gesundheitsuntersuchung
unterziehen, um sich und ihrem Partner eine Bescheinigung zu
beschaffen, dass alles in Ordnung sei. Die Gesundheitsuntersuchung,
meint sie, sei der erste Schutz für die Ehe, denn das Heiraten
drehe sich durchaus um handfeste Dinge. Wenn ein Partner aus
Angst eine Krankheit verheimliche, missachte er sein Gegenüber.
Die meisten Mediziner sind gegen die Abschaffung
der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung vor der Heirat.
Vizedirektor Xu von der Nanjinger Klinik für Frauen- und Kinderkrankheiten
sagt: „Jedes Jahr haben wir bei der Untersuchung Krankheiten
wie angeborenes Herzleiden oder chronische Harnvergiftung diagnostiziert.
Das sind latente Krankheiten, die im schlimmsten Fall tödlich
verlaufen können. Wenn man sich seiner Krankheiten bewusst
ist, kann man seine Verantwortung gegenüber dem Partner und
dem Nachwuchs nachkommen. Insbesondere Erbkrankheiten können,
wenn sie nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, den Nachkommen
großen Schaden zufügen.“
Die maßgebenden Experten halten jedoch
dagegen, die Abschaffung der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung
vor der Heirat bedeute nicht, dass sie unwichtig sei. Vielmehr
sollte jeder selbst erkennen, wie wichtig sie ist. Nach einer
Umfrage der Beijing Youth Daily finden nur 25% der Befragten
die Gesundheitsuntersuchung unnötig. Und im vorigen Jahr
gaben 96% von 5000 jüngeren Einwohnern gegenüber dem Gesundheitsamt
der Stadt Beijing an, sich vor der Heirat auf ihre Gesundheit
untersuchen lassen zu wollen.
Die Experten argumentieren damit, die Abschaffung
der obligatorischen Gesundheitsuntersuchung erfolge aus Achtung
vor den Rechten der Bürger. Heiratswillige Paare sollten sich
aber trotzdem einer Gesundheitsuntersuchung unterziehen. Damit
bewiesen sie Verantwortungsbewusstsein.
Abschied vom Scheidungskrieg
Nicht nur die Eheschließung war bis
jetzt in China kompliziert, es war auch nicht leicht, sich scheiden
zu lassen. Jeder Chinese, jede Chinesin wird sich an dramatische
literarische Darstellungen zum Thema Scheidung erinnern können.
Scheidungskrieg, Handbuch zur Scheidung und wie
sie alle heißen handeln alle von der zermürbenden Mühsal
und Hilfslosigkeit in einer Scheidung.
Früher bedeutete die Scheidung für Chinesen
einen Gesichtsverlust, denn aus ihrer Sicht fügte sie den Kindern
Schaden zu und störte den gesellschaftlichen Frieden. Deshalb
war sie ein langwieriger Prozess. In verschiedenen Phasen der
Scheidung versuchten Außenstehende, die Ehe zu retten,
was im Grunde eine Einmischung bedeutete. Wenn eine Seite die
Scheidung ablehnte, konnte das Ehepaar nicht geschieden werden.
Wer trotzdem auf der Scheidung bestand, trat einen Marathonlauf
an. Er bzw. sie musste Sitzungen mit den alten Frauen vom Quartierkomitee
über sich ergehen lassen, in denen diese mit gutem Zureden versuchten,
die Scheidung abzuwenden. Wenn dies nichts half, folgten mahnende
Gespräche mit der Leitung der Arbeitseinheit. So gab man
schließlich den Gedanken an eine Scheidung auf. Man wagte
nicht mehr, die Scheidung zu erwähnen.
Wer aber mit Glück alle Hindernisse überwunden
hatte, kam in der Arbeitseinheit gleich ins Gerede, denn man
brauchte ja eine Bescheinigung von der Arbeitseinheit. Von der
Beantragung bis zur Erledigung der Scheidungsformalitäten
dauerte es einen ganzen Monat, danach wurde noch eine Selbstreflexionsphase
gefordert, und erst danach konnte geschieden werden.
Laut den neuen Vorschriften für die Heiratsbeantragung
ist für die Scheidung keine Bescheinigung von der Arbeitseinheit
mehr nötig. Auf der Grundlage der Freiwilligkeit kann sich
ein Ehepaar auf dem Standesamt scheiden lassen und gleich die
Scheidungsurkunde bekommen.
„Eigentlich gibt es keinen Grund für die Arbeitseinheit,
sich ausführlich über den Familienstand der Betroffenen zu informieren,
und sie ist dazu auch nicht verpflichtet“, erklärt Prof.
Jiang Yue, Experte für das Ehegesetz an der Universität
Xiamen. Er weist darauf hin, dass beide Ehepartner an sich über
genügend Papiere verfügten, die von den Behörden überprüft
werden können.
Zhang Mingliang fügt hinzu, es sei nicht nötig,
auf den traditionellen Vorstellungen über die Ehe zu beharren.
Wenn sich die Ehepartner emotionell so weit voneinander entfernt
hätten, dass eine Versöhnung unmöglich sei, dann
sei die Scheidung eher eine gute Sache für sie, denn sie löse
sie von den Fesseln der Ehe und gebe ihnen die Möglichkeit,
aufs Neue nach dem eigenen Glück zu suchen. Selbst falls beide
im Nachhinein zum Schluss kommen, leichtsinnig gehandelt zu
haben, könnten sie noch immer wieder heiraten. So gesehen
seien die negativen Auswirkungen einer Scheidung eher klein.
„Der Anblick der jungen Ehepaare, die im Standesamt
einen knallroten Trauschein entgegennahmen, machte mich traurig,
als ich meine dunkelgrüne Scheidungsurkunde erhielt“, sagt Herr
Zhang, der bereits zwei Scheidungen hinter sich hat und mit
der Farbgebung der Urkunden sehr unzufrieden ist. „Gesetzliche
Dokumente sollten entsprechen den internationalen Gepflogenheiten
neutral und nicht mit den traditionellen Farben Rot und Grün
gestaltet sein.“
Herrn Zhangs Vorschlag wurde von den Behörden
aufgenommen. Mit der inhaltlichen Abänderung der Vorschrift
über die Heiratsbeantragung wurden die Trau- und die Scheidungsscheine
neu gestaltet.
Stille Veränderung
Früher wurde aus dem einfachen Volk und aus
Gelehrtenkreisen immer wieder der Ruf nach einer Abänderung
der Vorschriften zur Registrierung der Eheschließung laut.
In der neuen Fassung ist deutlich zu erkennen, dass diese Stimmen
ausreichend berücksichtigt wurden.
„Die Reform erreichte vor allem, dass die
Bearbeitung zivilstandsamtlicher Angelegenheiten wie Eheschließungen
und Scheidungen weniger bürokratisch ablaufen und das Bewusstsein
der Verwaltung dafür geschärft wurde, eine Dienstleistung
zu erbringen“, zieht Zhang Mingliang Bilanz. Er weist darauf
hin, dass im Titel dieser Vorschrift das Wort „Verwaltung“ fehlt.
Das sei nicht nur Kosmetik, sondern Ausdruck dafür, dass dieser
gesetzlichen Bestimmung mehr Menschlichkeit verliehen worden
sei. Nicht zuletzt spiegele sie auch die Veränderung der
Zeit und den Fortschritt der Gesellschaft wider, indem sie getreu
dem Grundsatz „Eheschließung ist Privatsache, die Regierung
bietet dazu nur ihren Dienst an“ die Bürger in den Mittelpunkt
stellt.
In den letzten Jahren ist die chinesische
Gesetzgebung menschlicher geworden. Vor einem Jahr erließ
die Provinz Jilin ein Gesetz, das Frauen die künstliche Befruchtung
erlaubt, wenn sie das gesetzliche Heiratsalter erreicht und
keine Kinder haben und lebenslang unverheiratet bleiben wollen,
sich aber trotzdem ein Kind wünschen. In der Provinz Jiangsu
wurde eine Bestimmung aufgehoben, die Paaren ohne Trauschein
das Zusammenleben in einem Haushalt verbot. In Beijing wurde
eine Abänderung im Haushaltmeldesystem vorgenommen, wodurch
ein neugeborenes Kind auch beim Vater ins Haushaltsheft eingetragen
werden kann und nicht nur wie bisher bei der Mutter.
„Die neuen Vorschriften zur Heiratsregistrierung
machen die Eheschließung wirklich zur Privatsache. Ich
finde, dass die Gesetze und gesetzlichen Bestimmungen immer
menschlicher werden. Rechte, die eigentlich nur die Privatsphäre
betreffen, sind wieder den Massen zurückgegeben worden. So öffnet
sich in China nicht nur die Wirtschaft, sondern auch grundlegende
gesellschaftliche Konzepte verändern sich,“ sagt Herr Zhu,
Frau Suns Ehemann.