Juli 2002
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Kultur und Kunst

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Ballet im Dilemma
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Eine Einführung in die chinesische Küche (3)
Eine Einführung in die chinesische Küche (4)
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Chinesische Ess- und Trinkgewohnheiten
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Ballett im Dilemma

Von Yin Xingchuan

Jedes Wochenende herrscht vor dem Eingang der Tanzhochschule Beijing emsiges Treiben. Auf beiden Seiten der Straße steht Fahrrad an Fahrrad, Auto an Auto, so dass der unaufhörliche Verkehr nicht selten zusammenbricht. Die Leute besuchen hier Tanzkurse. Unter ihnen sind viele Kinder, die von ihren Eltern hierher gebracht werden. Aber es kommen auch Tanzliebhaber aus verschiedenen Altersgruppen.

Die Tanzhochschule Beijing liegt in einer Nebenstraße. Sie zählt zu den bekanntesten Kunstakademien Chinas. Professionelle Tänzer werden hier ausbildet, außerdem gibt es viele Tanzkurse für Hobbytänzer. Immer mehr Leute leben in Wohlstand und wollen, dass ihre Kinder auch eine musische Ausbildung erhalten. Daher sind diese Kurse sehr beliebt. Hunderte, ja, Tausende Kursteilnehmer strömen zusammen mit ihren Begleitern am Wochenende zur Hochschule – eine eindrucksvolle Szenerie.

Außer den Kursen für chinesische Volkstänze und moderne westliche Tänze nimmt ein großer Teil der Besucher an Ballettkursen teil, die meisten von ihnen sind Kinder, denn ihre Eltern glauben, dass Ballett den Kunstsinn ihrer Kinder fördert.

In China fand hohe Kunst immer schon Bewunderer. Doch heute steckt sie in der Klemme. Es gelingt ihr nicht, einen Markt zu etablieren, vom Ballett ganz zu schweigen, das als „die vornehmste Kunst unter den vornehmen“ bezeichnet wird. Zur Zeit gibt es in China etwa 300 Berufsballetttänzer und fünf Balletttruppen. Ihre Vorstellungen sind vom staatlichen Kulturfonds abhängig.

China verfügt über gut ausgebaute Trainingsinstitutionen für Balletttänzer. Die Tanzhochschulen Beijing und Shanghai sind zwei berühmte Kunstakademien, wo qualifizierte Tänzer ausgebildet werden. Ihnen sind Mittelschulen angeschlossen. Daneben gibt es noch eine Reihe von Kunstakademien und Kunstschulendie diese Fachrichtung anbieten.

Darüber hinaus gibt es auch private Kunstschulen und Kurse, bei denen oft Unterricht von Prominenten aus Künstlerkreisen gegeben wird.

Die Runliang Tanzschule in Beijing ist eine private Kunstschule für Balletttänzer. Die Gründerin Zhong Runliang war eine der bekanntesten Balletttänzerinnen in China. Um die Ballettkunst zu verbreiten, errichtete sie 1997 diese Schule und hat sie nach ihrem eigenen Namen benannt.

Seit ihrer Gründung sind einige Jahre vergangen. Inzwischen haben  die ersten Absolventen die Tanzschule verlassen. Unter ihnen begannen manche eine künstlerische Laufbahn, manche sind Tanzlehrer geworden, und andere studieren an in- und ausländischen Kunstakademien weiter. Einige Schüler wurden bei internationalen Ballettwettbewerben für Jugendliche ausgezeichnet.

Bemerkenswert ist, dass diese Tanzschule nicht vom staatlichen Bildungsfonds finanziert ist, sondern mit gesellschaftlicher Finanzierung unterstützt wird. Das zeigt, dass diese Kunstrichtung in der Gesellschaft bereits an Aufmerksamkeit und Unterstützung gewinnt und immer mehr junge Leute sich ihr widmen wollen.

Tatsächlich ist der Weg zum Balletttänzer bzw. zur Balletttänzerin langwierig. Den großen Zeit- und Geldaufwand können sich nicht viele chinesische Familien leisten, trotzdem schicken viele Eltern ihre künstlerisch begabten Kinder in verschiedene Kunstschulen. Die Anzahl neuer Schüler ist an den staatlichen Kunstfachschulen in Beijing und Shanghai z. B. durch eine Quote begrenzt, daher bleibt vielen nur der Gang an private Kunstschulen übrig. Das ist ein wichtiger Grund für den großen Andrang, den private Kunstschulen erleben.

Mittlerweile sind private Kunstschulen in Tänzerkreisen akzeptiert. Viele Fachleute sind der Meinung, dass Tanz in den allgemeinen Lehrplan an Grund- und Mittelschulen integriert werden soll, denn Musik und Malen sind schon längst Teil davon. Private Kunstschulen könnten die dafür nötigen Lehrkräfte ausbilden.

In den letzten Jahren haben Ballettvorstellungen in Großstädten wie Beijing und Shanghai ein festes Publikum gewonnen, und die Spielsaison ist etabliert. Weltberühmte Balletttruppen treten ab und zu in China auf und fast alle wichtige Ballette werden auf chinesischen Bühnen aufgeführt.

Chinesische Balletttänzer haben stets versucht, das Ballett zu erneuern, indem sie nationale künstlerische Elemente in ihre Darstellung einfügen. In China wurde Ballett erst in den 50er Jahren eingeführt. Damals kannten nur wenige Chinesen diese westliche Tanzkunst. Dennoch schufen sie einige chinesische Ballettstücke wie „Das Rote Frauenbataillon“ und „Das Mädchen mit den weißen Haaren“, die jetzt zum Standardrepertoire gehören und sich einen Namen auf der Weltbühne gemacht haben.

Letztes Jahr wurde eine weitere antike chinesische Liebesgeschichte, die  „Schmetterlingsgeschichte“, von der Balletttruppe Guangzhou bearbeitet. Für die Musik wurden Violinen, ein Chor, antike chinesische Musikinstrumente und die lokale Yue-Oper harmonisch miteinander verbunden. Anstatt traditioneller Ballettkleider wurde antike chinesische Tracht für das Kostüm verwendet, und der Tanz wurde mit chinesischem Fächertanz und Breitärmeltanz bereichert. So wurde der orientalische Reiz traditioneller chinesischer Tanzkunst mit der Anmut, mit der Abstraktheit und Metaphorik des klassischen Balletts harmonisch verschmolzen.

Ende des letzten Jahres ging die Balletttruppe Guangzhou auf Tournee in die USA. Außer klassischen Ballettstücken wurde auch die „Schmetterlingsgeschichte“ aufgeführt. Die Zuschauerzahl betrug fast 10 000. In den Berichten US-amerikanischer Zeitungen wurden die Kunstfertigkeit und die Geschicklichkeit der Tänzer gelobt. Zhang Dandan, Leiterin der Balletttruppe, sagte, das ausländische Publikum sei mit dem  Inhalt der „Schmetterlingsgeschichte“ kaum vertraut gewesen, doch sie brachten dem chinesischen Ballett Bewunderung entgegen.

Trotz einer festen Anzahl von Zuschauern und qualifizierten Balletttänzern bleibt das chinesische Ballett einsam. Professionelle Balletttruppen befinden sich im Dilemma. Einerseits ist das Publikumspotential noch nicht ausgeschöpft, andererseits kämpfen die Balletttruppen ums Überleben.

China hat nun fünf professionelle Balletttruppen. Sie sind in Beijing, Shanghai, Tianjin, Shenyang und Guangzhou.

Verglichen mit ausländischen Balletttruppen sind die chinesischen nur dünn besetzt, oft nur mit einem Dutzend Tänzerinnen und Tänzern. Die Kosten der Proben und Darbietungen reichen von einigen Millionen bis zu über 10 Millionen Yuan im Jahr. An Einnahmen kassiert die Beijinger Balletttruppe höchstens fünf Millionen Yuan, die nicht einmal die regulären Kosten decken. Der restliche Teil stammt vom Staat und aus gesellschaftlichen Spenden. Unter diesen Umständen sind die chinesischen Balletttruppen nicht in der Lage, neue Mitglieder zu rekrutieren oder Neuerungen durchzusetzen.

Die Zentrale Balletttruppe ist die größte in China und genießt internationales Ansehen. Mitte der 90er Jahre betrug ihr Durchschnittsalter fast 40 Jahre und sie wurde als die „älteste Balletttruppe der Welt“ belächelt. Erst mit staatlichen Subventionen konnten schließlich neue Balletttänzer gewonnen werden.

Wie schon erwähnt, hat Ballett in China keine lange Tradition. Deshalb bedarf es gründlicher Überlegungen, um erstklassige Darbietungen zu ermöglichen und damit mehr Zuschauer zu gewinnen. Die Balletttruppe Guangzhou gilt als innovativ. Ihre Leiterin meint, vorrangiges Ziel müsse es sein, die Popularität des Balletts zu steigern. Die Eintrittskarten zu ihren Vorstellungen kosten gerade 20 bis 80 Yuan. Zhang Dandan erklärt, zwar solle Ballett nicht allzu billig sein, aber gegenwärtig gehe die Verbreiterung des Publikums vor.

Mit der Öffentlichkeitsarbeit beschäftigen sich nun die Balletttruppen selber, die staatlichen Kulturbehörden und viele Künstlerinnen wie Zhong Runliang. Doch ihre Bemühungen können die Bedürfnisse der Zuschauer und der Balletttruppen bei weitem nicht befriedigen. Um den chinesischen Ballettmarkt zu erschließen, bedarf es durchdachter Pläne und eines größeren finanziellen Aufwands.

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