November 2002
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Sonderberichte

Neuer Weg zum Reichtum für die Bauern

Von Li Xia

Die 32-jährige Li Lianfen sieht in der touristischen Hochsaison ihren Mann und ihren Sohn nur einmal in der Woche, denn sie führt in ihrem Haus eine kleine Pension für Touristen, die die ländlichen Sitten und Gebräuche kennen lernen möchten. Sie ist sowohl Gastgeberin als auch Dienerin. Außerdem muss sie sich um viele Kleinigkeiten kümmern und hat deshalb überhaupt keine Zeit mehr für den Haushalt. Ihr Sohn besucht eine Grundschule in der Kreisstadt, die über 20 km von ihrem Dorf entfernt liegt, und übernachtet in einer vorübergehend gemieteten Wohnung in der Kreisstadt bei seinem Vater, der Lehrer an einer Mittelschule ist.

Li Lianfens Familie besteht aus fünf Angehörigen in drei Generationen: Schwiegervater, Schwiegermutter, Vater, Mutter und einem siebenjährigen Sohn. Der Schwiegervater ist Manager eines Landschaftsgebiets und spielt, wie es der chinesischen Tradition entspricht, auch in der Familie eine führende Rolle. Die Schwiegermutter kümmert sich um die Familienangelegenheiten. Alle fünf leben im Wohlstand. Anfangs, als die anderen Haushalte im Dorf begannen, Touristen Unterkunft und Verpflegung anzubieten, nahm die Familie Li eine abwartende Haltung ein. Aber später beschloss Frau Li, ihrem Beispiel zu folgen, weil sich damit eine zusätzliche Einnahmequelle eröffnete.

Das Dorf Shicheng im Kreis Miyun, wo die Familie Li lebt, liegt etwa 100 km von Beijing entfert. Rings um dieses Dorf stehen Berge, wo es Wasserfälle, Schluchten und Obstgärten gibt. In den Monaten zwischen März und Oktober ist dieses Dorf besonders schön: Die Bergblumen sind in voller Blüte, die Pflanzen grün und der Miyun-Stausee ist wieder voll mit Wasser. Was für eine bezaubernde Landschaft für Touristen!  

Ein anderer wichtiger Grund für die zunehmende Touristenzahl in Shicheng liegt darin, dass die chinesische Wirtschaft in den vergangenen 20 Jahren große Fortschritte gemacht hat. Viele Stadtbewohner haben einen bescheidenen Wohlstand erreicht. Ein deutliches Kennzeichen dafür ist, dass sich einige heute ein Auto leisten können. Das vergünstigt einen Ausflug. Seit zwei Jahren machen immer mehr Menschen einen Ausflug in die Vororte Beijings.

Der Kreis Miyun hat eine lange Geschichte. Hier gibt es zahlreiche natürliche und historische Sehenswürdigkeiten. Die bekanntesten von ihnen sind die Große Mauer bei Simatai, der einstmals strategisch wichtige Pass Gubeikou und eine kaiserliche Sommerresidenz. Die natürlichen Sehenswürdigkeiten wie die staatlichen Waldparks Wulingshan und Yunmengshan sowie das Landschaftsgebiet Taoyuan Xiangu können als die „schönsten natürlichen Sehenswürdigkeiten Beijings“ bezeichnet werden. Das Miyun-Reservoir versorgt die Stadt mit Trinkwasser und ist zugleich eine schöne Attraktion für Touristen. Obwohl China ein großes Agrarwirtschaftsland ist, ist das Leben auf dem Land für viele Stadtbewohner sehr fremd. Gerade die Stadtkinder haben kaum je ein Schwein oder ein Schaf zu Gesicht bekommen. Einige Tage bei einer Bauernfamilie zu verbringen und damit das Leben auf dem Land zu genießen, das ist der Wunsch vieler Beijinger.

Die Nachfrage nach Urlaub auf dem Land hat den Bauern einen neuen Weg zum Wohlstand eröffnet. Bekanntlich sind viele chinesische Bauern dank der Entwicklung der ländlichen Kleinindustrie reich geworden. Diese Möglichkeit gab es für die Bauern in Miyun aber nur sehr beschränkt, denn nach dem Bau des Miyun-Reservoirs in den 50er Jahren wurden die Fabriken hier geschlossen oder in andere Orte verlegt, damit das Wasser, das für die ganze Stadt Beijing als Trinkwasser dient, sauber bleibt.

Wie andere Dörfer in bergigen Gebieten Chinas war auch das Dorf Shicheng vor den 80er Jahren sehr rückständig. Obwohl die Kreisstadt nur 25 km entfernt liegt, gab es nur wenige, die sie besucht hatten. Einmal in die Hauptstadt Beijing zu fahren war der Traum vieler Bauern, denn sie konnten sich überhaupt nicht vorstellen, war für ein „glückliches“ Leben die Städter führten.

Heute hat sich das geändert. Die Bauern begegnen im Dorf fast jeden Tag städtischen Besuchern. Diese kommen für einen Ausflug hierher, pflücken selber Obst im Obstgarten, probieren Wildgemüse und schlafen auf dem Kang, einem gemauerten, beheizbaren Bett – kurz gesagt, sie führen hier das Leben, an das die Bauern seit Generationen gewöhnt sind. Und dank ihrer Ankunft sind die Bauern reich geworden.

Zugleich räumt die Kreisregierung den Bauern viele Vorzugsbedingungen ein. Familien wie diejenige von Li Lianfen, die nur ein Kind haben, können bei der Bank einen zinslosen Kredit aufnehmen. Außerdem gewährt die Kreisregierung den Bauern finanzielle Unterstützung. Beispielsweise dürfen die Bauern einen Obstgarten anlegen oder die Nutzungsrechte am Boden zu einem anderen Zweck verwenden. Wenn der Anteil der Haushalte, die eine Pension führen, in einem Dorf 40% übersteigt, investiert die Kreisregierung in den Aufbau der Infrastruktur. Das Tourismusamt des Kreises Miyun hat außerdem eine Verwaltungsstelle für solche Haushalte gegründet, um die Dienstleistungsqualität im touristischen Bereich zu garantieren.

Nach über 20 Jahren wirtschaftlicher Entwicklung in China ist den Behörden auf verschiedenen Ebenen, vor allem aber den Kreisregierungen, bewusst geworden, dass der Getreideanbau nicht der einzige Weg ist, um die Existenz der Bauern zu sichern und sie zu Wohlstand zu führen. Viele Gebiete verfügen über ein großes Entwicklungspotential, und man kann es auf verschiedene Weise erschließen. Jia Haijiang, Vizeleiter der Propagandaabteilung der Kreisregierung Miyun, sagt, dass die Kreisregierung die wirtschaftliche Struktur reguliert hat, damit die Wirtschaft auf dem Land weiter wächst und der Lebensstandard der Bauern ständig erhöht werden kann. Heute wird im Kreis Miyun kaum mehr Getreide angebaut. Man hat die Produktion auf den Anbau von Obst, Gemüse und Nutzpflanzen sowie auf die Entwicklung der Vieh- und Forstwirtschaft verlagert. Im ganzen Kreis wurden über 400 wirtschaftliche Organisationen gegründet, deren Aufgabe darin liegt, die Bauern bei der Nutzung der Ressourcen und bei der Erschließung der Märkte anzuleiten.

Zur gleichen Zeit wurden einige Betriebe für die Verarbeitung von Agrar- und Agrarnebenprodukten gegründet. Ein inländisches Großunternehmen wurde mit dem Aufbau der Milchviehzucht beauftragt. Dank der Gründung solcher Betriebe sind die Bauern in Miyun zu einem gewissen Wohlstand gekommen. Im letzten Jahr betrug das jährliche Pro-Kopf-Einkommen über 4000 Yuan. Unter allen Kreisen Beijings war dies zwar nicht das höchste, doch lag Miyun bei der Zuwachsrate an der Spitze.

Wie Mitarbeiter des Tourismusamts Miyun erläutern, sind die Investitionen für den „Bauernhoftourismus“ niedrig, und sie werfen sehr bald Gewinn ab. Zur Zeit gibt es im Kreis 2000 Haushalte, die Landurlaub anbieten, in denen etwa 12 000 Menschen beschäftigt sind. Diese Haushalte bringen es auf ein Jahreseinkommen von mindestens 8000 Yuan, die erfolgreichsten verdienen gar bis zu 100 000 Yuan.

Immer mehr Familien nehmen sich die reich gewordenen Haushalte zum Vorbild, auch wenn manche von ihnen bereits einen bescheidenen Wohlstand erreicht haben. Die Familie Li Lianfens ist ein gutes Beispiel. Natürlich ist es nicht einfach, Geld zu verdienen. In der touristischen Hochsaison empfängt sie täglich über 30 Personen. Li Lianfen steht morgens um 5 Uhr auf, um das Frühstück für ihre Gäste vorzubreiten. Nach dem Frühstück geht sie einkaufen und macht dann die Gästezimmer sauber. Viele ihrer Gäste sind Stammkunden, darunter eine ganze Gruppe von Studentinnen und Studenten der Kunsthochschule. Sie sind jung und voller Energie und bringen dem Dorf neue Lebenskraft.

Die Kosten für einen solchen Ausflug sind nicht hoch. Pro Tag bezahlt man für Essen und Unterkunft nur 35 Yuan. Wenn man über 20 Tage im Dorf bleibt, betragen die Ausgaben gar nur 20 Yuan pro Tag. Einmal empfing Li Lianfens Familie einige Gäste aus Shanghai. Anfangs bekagten sich diese darüber, dass der Aufenthalt zu teuer wäre. Aber nach einigen Tagen änderten sie ihre Meinung und fanden, dass der ausgezeichnete Service das Geld durchaus wert war.

Die Bauern sind dank dem „Bauernhoftourismus“ reich geworden. Und gleichzeitig wurde der Austausch zwischen Stadt und Land gefördert und dadurch der Graben zwischen den Vorstellungen der Städter und denjenigen der Bauern verringert.

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