Guo
Moruo und die deutsche Literatur
Von
Chen Shulin
Guo Moruo (1892-1978) war sowohl ein hervorragender
Dichter, Schriftsteller und Dramatiker, als auch ein marxistischer
Historiker und Paläograph, ein bedeutender Gelehrter
der modernen Kulturgeschichte Chinas. Bei der Übersetzung
fortschrittlicher Literatur aus Deutschland und anderen Ländern
hat er viel geleistet. Seine Übersetzungen reichen von
Gedichten über Dramen bis zu Romanen und Kunst- und Literaturtheorien.
Anlässlich seines 1. Todestages möchte ich hauptsächlich
darüber schreiben, wie er das chinesische Volk mit der deutschen
Literatur vertraut gemacht hat.
Von Kindheit an las Guo Moruo gern und wurde
stark von der chinesischen Literatur beeinflusst. Nach seinem
Schulabschluss im Jahre 1914 ging er dann nach Japan, um dort
Medizin zu studieren. Dort war es aber die Regel, dass man,
wenn man Medizin studieren wollte, außer Medizin vor
allem Deutsch lernen musste und zudem noch Englisch und Latein.
Im Sprachunterricht wurde vor allem Werke im Original gelesen,
wie z. B. "aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit"
von Goethe und "Mozart auf der Fahrt nach Prag"
von Mörike. So kann Guo Moruo mit ausländischer
Literatur in Kontakt. Als er einmal auf diese Zeit zu sprechen
kam, sagte er: "Dieser Literaturunterricht brachte meine
Vorliebe für Literatur, die ich gerade mit Mühe überwunden
hatte, wieder voll zum Tragen. Damals begann ich, mich mit
der deutschen Literatur, besonders mit Goethe und Heine zu
beschäftigen."
Guo Moruos dichterisches Schaffen beeinflussten
der indische Dichter Rabindranath Tagore, der amerikanische
Dichter Walt Whitmann und Goethe am nachhaltigsten. Unter
dessen Einfluss begann er auch Dramen in Versformen zu schaffen.
Nachdem er den ersten Teil von "Faust" übersetzt
hatte, schrieb er das historische Drama "Die Geschwister
Nie Ying und Nie Zheng" und das Drama in Versform "Die
Wiedergeburt der Göttin". Dazu meinte er: "Da
ich mich mit Tagore und Goethe beschäftigte, begann ich
mich auch mit dem Pantheismus zu beschäftigen, oder anders
gesagt, da ich daran Interesse hatte, interessierten mich
gerade die Dichter, die sich damit auseinandersetzten."
Noch während seines Medizinstudiums
in Japan hatte Guo Moruo deutsche Literatur übersetzt und
das chinesische Volk vertraut gemacht. Anfang der 20er Jahre
hatte er z. B. "Die Leiden des jungen Werthers"
von Goethe und "Immensee" von Storm übersetzt, Mitte
der 20er Jahre dann "Der Ketzer von Soana" von Klopstock,
Goethe, Schiller, Heine und Storm und in den 30er Jahren das
Versepos "Hermann und Dorothea" von Goethe.
Für die Übersetzung von "Faust"
wandte Guo Moruo mehr Zeit und Energie auf als für andere
Übersetzungen. Schon während der 4. Mai-Bewegung
1919 hatte er damit begonnen. Er selbst erzählte darüber:
"Die 4. Mai-Bewegung ähnelte der Sturm und Drang-Zeit
zur Zeit Goethes. Beide Geschichtsperioden waren von einer
neuen Lebenseinstellung geprägt, beides waren Perioden
des Übergangs von der Feudalgesellschaft zur modernen
Gesellschaft. Deshalb fühle ich mich eng mit Goethe verbunden.
Als ich den ersten Teil von "Faust" übersetzte,
empfand ich fast wie eigenes Schaffen. Mein Gedanke dabei
war, in meinem Leben etwas von großer Bedeutung zu tun."
Aber es dauerte zehn Jahre, bis die Übersetzung
veröffentlicht wurde. "Ja, der Grund dafür war wirklich
eine schlimme Sache", sagte Guo Moruo einmal. "Als
ich den ersten Teil übersetzt hatte, begann das neue Semester…
Ich legte meine Manuskripte in einen kleinen Wandschrank.
Als ich sie zwei Monate später wieder hervornahm, war
ein Drittel davon von Mäusen angefressen." Guo Moruo
war so verärgert, dass er die Arbeit zehn Jahre liegen
ließ.
Als dann die Übersetzung des ersten
Teils von "Faust" veröffentlicht worden war,
wollte er den zweiten Teil nicht mehr übersetzen, er verstand
nämlich Goethe in seiner Altersepoche nicht. Er meinte
dazu: "Den zweiten Teil hat Goethe im hohen Alter geschrieben,
ich konnte seine Gefühle nicht nachvollziehen. Ja, ich konnte
den zweiten Teil sogar nicht weiter lesen, legte ihn beiseite,
mochte ihn nicht übersetzen. Ich wollte nichts mehr davon
wissen, dass der ,Faust' ein weltbekanntes Werk sein. Dann
vergingen 30 Jahre, ich versammelte Lebenserfahrungen, beteiligte
mich an den revolutionären Bürgerkriegen, erlebte den
Widerstandskriege gegen die japanische Aggression und die
üble Tschiang Kai-schek-Herrschaft… Dann las ich ,Faust' noch
einmal, und diesmal fühlte ich mich gefühlsmäßig
angesprochen, es machte mir Freunde, es zu übersetzen. Vieles
empfand ich als Verurteilung Tschiang Kai-schecks. Und so
war ich in kürzester Zeit mit der Übersetzung fertig."
Nach eigener Angabe brachte Guo Moruo für die Übersetzung
des ersten Teils zwei Monate noch zehn Tage, für die Übersetzung
des zweiten Teils aber nur knapp einen Monat.
Die Übertragungen Guo Moruos fanden
bei den chinesischen Lesern großen Widerhall. "Die
Leiden des jungen Werthers" erschütterten die jüngere
Generation, das Buch wurde für sie zu einer Waffe in ihrem
Kampf gegen den Feudalismus. Weiter verbreitet war damals
auch unter den Jugendlichen Goethes Gedicht "Jeder Jüngling
sehnt sich, so zu lieben. Jedes Mädchen, so geliebt zu
sein. Ach, der heiligste von unsern Trieben. Warum quillt
aus ihm die grimme Pein? …"
Dass Guo Moruos Übersetzungen bei den
Lesern solchen Widerhall fanden, hing zum einen vom Inhalt
und Stil der Originale ab, zum anderen aber auch von seiner
Übersetzungsfertigkeit, seinem Stil. Er selbst sagte
dazu: "Die Übersetzung hat eine positive Resonanz
und weckt das Interesse der Leser, wenn der Übersetzer
schöpferisch arbeitet, vor dem Übersetzen das Original
eingehend studiert, es richtig verstanden hat und dann schließlich
beim Übersetzten einen wahren Schaffensdrang empfindet."
Er selbst arbeitete so, und das machte aus seinen Übersetzungen
Kunstwerke. Seine Übersetzungen lesen sich wie seine
eigenen Werke. Um das Original korrekt ins Chinesische übertragen
zu können, hatte er jahrelang den "Faust" studiert
und gab sich beim Übersetzen dann große Mühe. "Um
entsprechende chinesische Wörter und Endreime zu finden,
arbeitete ich an manchen Versen einen halben Tag", sagte
Guo Moruo. "Ja, ich kann wirklich sagen, dass ich nicht
leichtsinnig an meine Arbeit gehe, auch wenn ich mir meinen
Übersetzungen sehr schnell fertig bin. Wenn Sie meine
Übersetzungen in aller Ruhe lesen, können Sie meine
Bemühungen erkennen. Ehrlich gesagt, war ich immer, wenn ich
mit einer Übersetzung fertig war, völlig erschöpft,
ganz so, als ob ich schwer krank sei."
Bei seinen
Forschungsarbeiten und Übersetzungen legte Guo Moruo
großes Gewicht auf Goethe, sicherlich, weil Goethe eine
wichtige Stellung in der deutschen Literatur und in der Weltliteratur
einnimmt, und zudem großen Einfluss auf ihn selbst ausgeübt
hatte. Nicht ganz unberechtigt wird Guo Moruo als Goethe Chinas
angesehen, ist er doch ebenso wie Goethe ein hervorragender
Schriftsteller gewesen und ist seine Nation doch so stolz
auf ihn wie die deutsche auf Goethe.

(Aus
Nr. 4 von "China im Aufbau", 1979)