Acht
Kriminalstorys aus
dem Alten
China
Der
Mord an dem Seidenhändler Liu (Teil 1)
Im
Südosten des Kreises Dingyuan lag inmitten von Bergen das kleine
Dorf Xiaoshawo. Es gab dort kaum Ackerland, doch die Berge waren
dicht bewaldet, und so lebten die Menschen vor allem vom Holz. In
diesem Dorf wohnte ein alter Mann, Zhang mit Namen. Sein Vorname
war in Vergessenheit geraten, denn weil er in seiner Familie der
dritte Sohn war, nannte man ihn von jeder nur Zhang San (Zhang Drei).
Zhang San war, obwohl zum Zeitpunkt dieser Geschichte schon um die
60, nie verheiratet gewesen. Er behauste allein seine Strohhütte,
doch ein Eigenbr¡tler war er nicht. Er war wohlgelitten im Dorf.
Ganz gleich, was wem passierte, Zhang San half, wo er nur konnte.
Früher hatte auch er Bäume gefällt und bearbeitet. Jetzt,
da die alten Knochen nicht mehr so wollten, ließ man ihn das
Holz bewachen, wiegen und verkaufen.
Eines Tages fiel Zhang San ein, dass er noch Geld
einzutreiben habe. Drei Jahre war es her, dass ein Mann aus Dongtawan,
er hieß Zhao Da, Holz im Wert von 400 Käsch gekauft hatte, und dieses
Geld stand noch aus. Am besten ist es, sagte sich Zhang San, ich
gehe gleich zu ihm. So wanderte er los und ereichte dann auch bald
den Nachbarort Dongtawan.
„Wo wohnt hier Zhao Da?“, fragte er, und man wies
ihn zu einem großen Haus mit einer prächtigen Fassade. Erst wagte
er nicht an die Tür zu klopfen und fragte nochmals nach, ob es sich
wirklich um Zhaos Haus handelte. „Ja“, hieß es, „Zhao Da ist ein reicher
Mann geworden, man sagt jetzt auch Herr Zhao zu ihm.“
Soso, dachte sich Zhang San, zahlt sein Holzgeld
nicht, kann sich aber ein dickes Haus bauen lassen. Zhang, ansonsten
ein ebenso friedlicher wie zufriedener Mensch, war ärgerlich. Nicht
dass er, der selber in einer Strohhütte hauste, diesem Zhao seinen
Palast nicht g¡nnte. Seinetwegen konnte der reiche Zhao auch noch
Turm drauf bauen. Doch bei hart arbeitenden Leuten wie den Holzfällern
in Xiaoshawo Schulden haben und nicht bezahlen, das geh¡rte sich
einfach nicht. Kräftig schlug Zhang San mit seinem Stock an die Tür.
„Zhao Da! Zhao Da!“, rief er.
Von drinnen war eine Stimme zu vernehmen: „Wer
schreit hier so herum? Manieren sind das!“
Ein fein gekleideter Herr ¡ffnete die Tür, und Zhang
San musste schon genau hinschauen, um Zhao Da wiederzuerkennen.
„Oh, Bruder Zhang“, sagte Zhao, „welch überraschender
Besuch. Kommen Sie herein.“
„Nein, ich will mich nicht lange aufhalten“, erwiderte
Zhang, „ich will nur, dass Sie Ihre Schulden begleichen, 400 Käsch.“
„Aber bitte“, drängte Zhao, „so kommen Sie doch in
mein Haus, wir sind doch gute Bekannte.“
Eine Frau erschien in der Tür, in Seide gewandet
und mit Schmuck behangen wie eine Prinzessin. „Mein lieber, mit wem
sprichst du da?“, säuselte sie.
„Hier ist Bruder Zhang“, sagte Zhao, „wir sind gute
Freunde.“
Die Dame des Hauses machte eine leichte Verbeugung,
worauf Zhang bedauernd feststellte, er k¡nne den Gruß leider nicht
erwidern, denn er habe einen Hexenschuss. „Immer noch der alte Witzbold!“,
rief da Zhao, „den Scherz kenne ich noch von früher. Nun komm schon
herein, sonst stehen wir uns hier noch die Beine in den Bauch!“
Also betrat Zhang San das Haus, man führte ihn
in ein geräumiges Zimmer, die Frau brachte Tee, man unterhielt sich
über dies und das. Zhao Da zählte schließlich das Geld ab, 400 Käsch,
und bezahlte seine Schulden. „Eigentlich“, sagte Zhang, „müssten Sie
noch was drauflegen, denn drei Jahre sind eine lange Zeit.“ Doch
er habe, sagte er weiter, diesbezüglich eine andere Idee. „Wie war’s
mit einem der sch¡nen Tont¡pfe, die Sie hier haben? Ein solcher Topf
anstelle der Schuldzinsen, einverstanden?“ Zhao Da, der eine gr¡ßere
Menge neuer Tont¡pfe herumstehen hatte, erwiderte, Zhang k¡nne sich
gern einen aussuchen. Als dies getan war, machte sich Zhang auf
den Weg, denn es fing jetzt im Spätherbst schon früh an zu dunkeln.
(Fortsetzung)
äääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääääää
Von Hu Ben
Herausgegeben
vom Verlag für fremdsprachige Literatur Beijing
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