Eine
Erinnerung an die Pracht der Tang-Dynastie

Die Tang-Dynastie (618-907) währte zwar im Vergleich
zur 5000jährigen Geschichte der chinesischen Zivilisation nicht
besonders lange, aber die 289 Jahre gelten als glänzendstes Kapitel
des alten China. Während ihres Zeniths von 140 Jahren (618-765)
hat die Tang-Dynastie China nicht nur in eine Periode beispielloser
Entwicklung und Wohlstandes geführt, sondern leistete auch einen
unschätzbaren Beitrag zum Fortschritt der Menschheit.
Das chinesische Volk ist stolz auf ihre beiden
herausragenden Dynastien, die Han und die Tang, beide Symbole für
China und die chinesische Nation. Zahllose Chinesen, ob in China
oder im Ausland, bezeichnen sich selbst als Hanren (Han-Menschen)
oder Tangren (Tang-Menschen). Die chinesischen Gemeinschaften in
Europa und Amerika („china town“) sind als Tangren Jie bekannt,
was nichts anderes bedeutet als Nachbarschaften oder Strassen, in
denen Tang-Menschen wohnen.
Li Shimin ü Ein einzigartiger
Kaiser
Die
chinesische Geschichte der Sklaven- und Feudalgesellschaft kennt
viele absolute Alleinherrscher. Eine einzige Person hatte die h¡chste
Macht über Gesetz und Nation und bestimmte so die historische
Entwicklung, das Schicksal des Landes und das Wohlergehen seiner
Bev¡lkerung. Für Jahrtausende haben so rücksichtslose und
tyrannische Herrscher Leid und Unglück über die chinesische
Nation gebracht.
Li Shimin wurde im Jahre 598 geboren. Sein Großvater
und Vater waren hochrangige Beamte während der Sui-Dynastie (581-618).
Lis Kindheit war eine Periode des Aufruhrs im Lande. Yang Guang,
der zweite Kaiser der Sui-Dynastie, bestieg 605 den Thron. Er stellte
sich bald als verschwenderischer und grausamer Kaiser heraus, der
einen Bauernaufstand im Jahr 611 geradezu herausforderte.
Inmitten von politischen Turbulenzen und Cliquenintrigen
forderte der gerade erst 17 Jahre alte Li seinen Vater, damals Militärkommandeur
in Taiyuan, auf, sich den historischen Notwendigkeiten nicht in
den Weg zu stellen und sich gegen den Sui-Kaiser zu erheben. 618
wurde Li Yuan erster Kaiser der Tang-Dynastie.
Stabilität und Solidarität waren die obersten
Richtlinien der neuen Dynastie. Li Shimin stand seinem Vater in
dessen Bemühen um die Einheit der Nation mit Ratschlägen zur Seite,
die von militärischer und politischer Genialität zeugten. Im Alter
von nur 28 Jahren (626) folgte er seinem Vater auf den Thron, den
er nun für 23 Jahre innehatte. In dieser Zeit legte er die Grundlagen
für den Ruf, den die Tang-Dynastie seitdem bis heute besitzt: Ein
Zeitalter des Wohlstandes, der Weltläufigkeit und des Friedens.
Historiker und Politiker sehen in seinem Regierungsstil ein Modell
für eine erfolgreiche Herrschaft, während er für die einfachen Leute
ein Synonym für ein glückliches Leben darstellt.
Ein unsinkbares „Boot“
Obwohl Li Shimin die politischen und administrativen
Erfahrungen zahlreicherä Dynastien schätzte, unterschied sich seine
Regierungsphilosophie doch grundlegend von der vorangegangener Herrscher.
Li Shimin betrachtete den Kaiser nicht als „Sohn des Himmels“, sondern
sah eine stabile Herrschaft in der Unterstützung durch die Bev¡lkerung
begründet: „Der Monarch gleicht einem Boot und seine Untertanen
sind das Wasser. Wasser trägt das Boot, kann es aber auch zum Kentern
bringen.“
Diese
Philosophie zeigte sich auch in Li Shimins täglicher Regierungspraxis.
Er führte eine Reihe von Maßnahmen durch, die der Bev¡lkerung
zugute kamen. Sie umfassten ein Verbot der Verschwendungssucht und
eine Aufforderung zur Sparsamkeit, Steuererleichterungen und Einschränkung
von Fronarbeit, Aufbau von Wasserschutzprojekten, Unterstützung
der Landwirtschaft und F¡rderung des Bev¡lkerungswachstums.
Doch unglücklicherweise stand der Beginn seiner Regierungszeit
unter keinem guten Stern. Im zweiten Jahr litt China unter einer
schweren Trockenheit, die eine Heuschreckenplage und eine Hungersnot
zur Folge hatte. Zahllose Familien mussten ihre Heimat verlassen
und ihre Kinder verkaufen. Daraufhin verkündete Li Shimin ein
Dekret, dem zufolge die Eltern ihre Kinder wieder ausl¡sen konnten
ü gegen Gold und Seide, das die kaiserliche Verwaltung zur Verfügung
stellte.
Li Shimin war nicht nur den einfachen Leuten ein
gütiger Herrscher, er hielt auch die lokalen Beamten und Verwalter
unter strenger Aufsicht. Er achtete darauf, dass sie im Interesse
der Bev¡lkerung handelten und führte pers¡nliche Inspektionsreisen
durch, wobei er die unfähigen Beamten bestrafte und die Fähigen
bef¡rderte ü zur großen Befriedigung der Bev¡lkerung.
Ein weiser Monarch und ein redlicher
Beamter
Li Shimins Klugheit zeigte sich auch im Umgang
mit seinen Vertrauten. Redlichkeit und Kompetenz waren die obersten
Auswahlkriterien für jeden Beamten, gleichgültig welchem sozialen
oder ethnischen Hintergrund er entstammte. Wie Zheng, der wohl bekannteste
Regierungsberater der Tang-Dynastie, hatte zwar zuvor Lis Bruder
Li Jiancheng gedient, einem Erzrivalen um die kaiserliche Macht.
Wei wurde nach Li Jianchengs Niederlage und Tod gefangen genommen.
Li
Shimin war sich Weis Fähigkeiten als Berater bewusst und fragte
jenen, was ihn dazu bewogen hätte, Li Jiancheng zur Beseitigung
aller Widersacher zu raten, Li Shimin eingeschlossen. Seine schlichte
und treffende Antwort war: „Wäre Li Jiancheng meinem Rat gefolgt,
so wäre er nicht besiegt worden“. Li Shimin schätzte Weis
Talent und Ehrlichkeitä und bot ihm eine Schlüsselstellung
in der Regierung an.
Wei war hocherfreut über des Kaisers Verständnis
und Vertrauen. Während seiner Beraterzeit schrieb er über 200 Eingaben
und gab Ratschläge zur Verwaltung. Zugleich forderte er den Kaiser
auf, auch Meinungen aus anderen Quellen einzuholen. Ein Herrscher
sollte sich umfassend informieren und allen Ansichten ein offenes
Ohr schenken.
Obwohl Li Shimin und Wei Zheng die Grundüberzeugung
einer gütigen Herrschaft teilten, kam es doch manchmal zu Differenzen.
Einmal stritten sich beide bei einer Kaiserlichen Audienz so heftig,
dass der Kaiser bei Rückkehr in den inneren Hof zornig erklärte,
Wie Zheng sei zu eigenwillig und werde wohl eines Tages hingerichtet
werden müssen. Kaiserin Zhangsun gratulierte dem zunächst verblüfften
Kaiser zu einem solchen Minister, der genug Rückgrad und Aufrichtigkeit
besitze, seine unpopuläre Meinung zu äußern. Li Shimin beruhigte
sich sofort.
Als 643 Wei Zheng starb, war Li Shimin zutiefst
traurig.
Eine große Familie
Li
Shimin zeichnete sich auch auf dem Gebiet der ethnischen und ausländischen
Angelegenheiten aus. Er brach mit der tiefverwurzelten Überzeugung,
dass seit alters her die chinesische Rasse die überlegene und
alle anderen minderwertig seien. Die wirtschaftliche Stärke der
Tang-Dynastieä erlaubte eine Öffnung gegenüber fremden Menschen,
Waren, Ideologien, Kulturen und Lebensstilen.
Seit seiner Inthronisation war sich Li Shimin
der Bedeutung der Seidenstraße bewusst. In den ersten Jahren seiner
Regierungszeit befriedete er in mehreren Militärexpeditionen die
Grenzgebiete und die Gebiete entlang der Seidenstraße.
Damit waren die Grundlagen geschaffen für ein
friedliches Zusammenleben der ethnischen Gruppen und das Aufblühen
des Handels. Weitere Dekrete und Verordnungen festigten die Situation.
Kaufleuten wurde gestattet, frei zu reisen und mit der Bev¡lkerung
der Grenzgebiete und darüber hinaus Handel zu treiben. Es folgten
Maßnahmen zur Sicherheit der Händler und eine Vorzugspolitik, die
u. a. Steuererleichterungen und kostenlose Bereitstellung von Feuerholz
für reisende Händler umfasste.
Im Gegenzug ließen sich zahlreiche Ausländer und
Angeh¡rige ethnischer Minderheiten in ChangÖan, der Hauptstadt des
Reiches, nieder. Nach einer Volkszählung im Jahre 629 waren es 100
000 bei einer Gesamtbev¡lkerung von einer Million. Als ein Jahr
später die Tujue, ein turkmenischer Stamm, auseinanderbrachen, fanden
Hunderttausende Aufnahme unter dem Dach der Tang. Die Häuptlinge
wurden Beamte in ChangÖan und dienten in verschiedenen Abteilungen
der kaiserlichen Verwaltung. Zu dieser Zeit arbeiteten über 200
Beamte am kaiserlichen Hof, fast die Hälfte waren Ausländer oder
aus ethnischen Minderheiten. Die Integration von Chinesischem und
Ausländischem beflügelte den sozialen Fortschritt und die Entwicklung
der Tang-Dynastie.
ChangÖan
war eine echte kosmopolitische Metropole. Ausländer überall:
vom kaiserlichen Palast bis in die abgelegenen Straßen und Alleen,
sogar unter den kaiserlichen Wachen. Geschäfte und Restaurants
der Zu (Sammelbezeichnung für alles ausländische) gab es an
fast jeder Straßenecke.
Auch ausländische Kultur leistete einen großen
Beitrag zur kulturellen Prachtentfaltung der Tang-Dynastie, im besonderen
in den darstellenden Künsten. Von den 10 Musik- und Tanzprogrammen
der frühen Tang-Dynastie kamen sieben aus den westlichen Regionen
oder aus dem Ausland. Der Hu-Wirbeltanz durfte bei keinem Unterhaltungsprogramm
fehlen. Der Tanz wurde solo oder im Duett auf einem kleinen runden
Teppich aufgeführt. Bai Juyi, ein großer Dichter der Tang-Dynastie,
beschrieb ihn als „schneller als ein Spinnrad“.
In
der Frühzeit der Dynastie lebten weniger als 18 Millionen Menschen
in China. Hundert Jahre später (755) waren es schon 52,92 Millionen.
In der alten Feudalgesellschaft war Bev¡lkerungswachstum ein wichtiger
Indikator für wirtschaftliche Stärke und sozialen Fortschritt
eines Landes. Diese Periode von 100 Jahren wurde später als „Tang
des großen Wohlstandes“ bekannt.
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