Schreiben
zwischen Zensur und Schreibverbot
Es fällt auf, dass die Präsenz chinesischer
Schriftsteller auf dem internationalen Literaturmarkt bescheiden
ist, völlig unangemessen der Bedeutung des bevölkerungsreichsten
Landes der Welt. Das liegt, wie man weiß, an den Zeiten
der geistigen Unterdrückung, die in China häufiger und
meist rigoroser waren als anderswo. Zensur und Schreibverbote
haben in China eine lange Tradition.
Umso interessanter mag es sein, nachzulesen,
was chinesische Autoren zum Beispiel in den wenigen Jahren der
kreativen Freiheit des 20. Jahrhunderts an Werken hervorgebracht
haben.
Andreas Donath, ein profunder Kenner der modernen
chinesischen Kultur, hat 14 Erzählungen von 14 chinesischen
Schriftstellern in einem Band versammelt. Er dokumentiert damit
die Entwicklung der Prosaliteratur Chinas seit der Revolution
von 1911, die den Drachenthron stürzte.
Wir begegnen in diesem Buch Lu Xun, dem Wegbereiter
der modernen chinesischen Literatur, seiner Schülerin Ding
Ling, die als bedeutendste Dichterin Chinas gilt, Wang Meng, dem
zu Zwangsarbeit und Verbannung verurteilten Intellektuellen, der
dann kurzzeitig Chinas Kulturminister war, und anderen Repräsentanten
des chinesischen Geisteslebens. Wir erfahren an manchen der Texte,
wie subtil von den Autoren Kritik geübt worden war am politischen
Kurs, nachdem Mao die Parole ausgegeben hatte: "Lasst hundert
Blumen blühen und hundert Schulen miteinander wetteifern!",
und wir bekommen Beispiele der sogenannten Narben-Literatur zu
lesen, geschrieben nach der Kulturrevolution, jenem verheerenden
Jahrzehnt von 1966 bis 1976.
Ein aufschlußreiches Buch für jeden,
der sich für die moderne chinesische Literatur interessiert.
Andreas Donath (Hrsg.): "China erzählt",
289 Seiten, Fischer Taschenbuch Verlag, DM 12,80
Atze
Schmidt