Die
Geschichte der Frühlingsfestbilder
Die Frühlingsfestbilder, vervielfältigt mittels
Druckstöcken aus Holz, sind volkstümliche Holzschnitte,
die seit Jahrhunderten in China verbreitet sind. Die Anfertigung
erfolgt in mehreren Stufen: Zeichnen eines Bildes, Schnitzen der
Holzplatte, Drucken und Auftragen der Farben. Diese Art von Bildern
fand insbesondere in der Qing-Dynastie (1644-1911) weite Verbreitung,
und es gehört zum Ablauf der Feier des Frühlingsfests, die
Wohnung mit solchen Drucken zu dekorieren.
Blütezeit und Verfall
der „Pfirsichblütensenke“
Die
„Pfirsichblütensenke“ liegt in der Gartenstadt Suzhou im Süden Chinas.
Schon am Ortsnamen kann man ablesen, dass es sich einen schönen
Ort handeln muß. Die Pfirsichblüte ist für Chinesen seit jeher
ein Synonym für Schönheit und Frieden. Der Dichter der Jin-Dynastie
Tao Yuanming (376-427) hat in seiner Prosa Pfirsichblütenquelle
einen mit Pfirsichbäumen bewachsenen Ort als eine utopische
Insel der Glückseligen beschrieben, gleichsam im Sinne des Elysiums
oder Paradieses.
Aus Suzhou, bekannt für seine schöne Landschaft
und hochentwickelte Kultur, stammten in der Ming-Dynastie
(1368-1644) viele Vertreter der Malschule „Wumen“. Und die Pfirsichblütensenke
brachte nicht nur künstlerische Genies wie Tang Yin (1470-1523)
hervor, der sich selbst als „Unsterblicher der Pfirsichblüte“ bezeichnete,
sondern es wurden dort auch viele Künstler herangebildet, die volkstümliche
Holzschnitte schufen.
In der Ming-Dynastie war das Druckverfahren mit
Holzplatten schon weit entwickelt. Neben Frühlingsfestbildern kannte
man bereits Holzschnitt-Illustrationen für literarische Werke. In
der Qing-Dynastie erreichte die Herstellung von Frühlingsfestbildern
dann den größten Umfang. Von der Pfirsichblütensenke
aus wurde das ganze Land mit Frühlingsfestbildern beliefert, und
sogar in Südostasien und Japan wurden sie verkauft. Das war die
Blütezeit der Pfirsichblütensenke. Viele Meisterwerke der Holzschnittkunst
wurden in dieser Zeit geschaffen.
Während
des Taiping-Aufstands (1851-1864) wurde die Stadt Suzhou von mandschurischen
Truppen umzingelt, Soldaten legten Feuer, sieben Tage dauerte der
Brand. Die Manufakturen, Geschäfte und Druckstöcke wurden
ein Opfer der Flammen. Heute existierende alte Bilder wurden meist
in der ausgehenden Qing-Dynastie gedruckt. Manche davon sind Nachdrucke
von Frühlingsfestbildern aus der Mitte der Qing-Dynastie.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
herrschte wegen ununterbrochener kriegerischer Wirren in der Frühlingsfestbilder-Branche
allgemeine Flaute. Nach der Gründung der Volksrepublik 1949 wurde
in der Stadt Suzhou eine Aktion zur Rettung dieser volkstümlichen
Kunst durchgeführt, und dabei wurden über 200 Musterstücke nachgedruckt.
In der Zeit der Kulturrevolution (1966-1976) sind viele der als
Druckstöcke dienenden Holzplatten wegen mangelhafter Aufbewahrung
verrottet. Erst in den 90er Jahren, der Zeit der Reform und Öffnung,
fand diese volkstümliche Kunst wieder eine Neubelebung. Nun wurden
wieder neue Frühlingsfestbilder geschaffen.
„Gottheiten“ feierten
mit dem Volk
Vor
1912 wurde in China der Bauernkalender verwendet. Danach war das
Frühlingsfest der Beginn eines neuen Jahres (etwa in der ersten
Hälfte des Februar). Dieses größte Fest der Chinesen
wurde damals einen ganzen Monat gefeiert. Stets war es Brauch,
Frühlingsfestbilder an die Wände der Wohnungen zu hängen.
Das steigerte nicht nur die feierliche Stimmung, sondern durch diese
Bilder wurde auch die Hoffnung auf ein gutes Leben im neuen Jahr
zum Ausdruck gebracht. Die Themen der Frühlingsfestbilder waren
vielfältig, die meisten davon handelten von Verheißung
von Glück und Reichtum, Verehrung von Gottheiten, Austreibung böser
Geister und Erlangung eines hohen Alters.
Das
Frühlingsfestbild „Die Gottheiten“, ein repräsentatives Werk
und eine Rarität unter den Holzschnitten, hat ein für Frühlingsfestbilder
ungewöhnlich großes Format (ein Meter hoch). Es zeigt
68 Figuren, durch das glückverheißende Wolkenmotiv unterteilt
in fünf Ebenen. Auf der ersten Ebene stehen die Begründer des Buddhismus,
Konfuzianismus und Taoismus: Schakjamuni, Konfuzius und Laozi; auf
der zweiten Ebene sind die Gottheit der Barmherzigkeit sowie die
legendären Kaiser Yan und Huang abgebildet; auf der dritten
Ebene sind der Jadekaiser (die höchste Gottheit des Taoismus)
und Unsterbliche zu sehen; auf der vierten Ebene stehen Gottheiten
des Krieges wie z.B. Guan Yu, und auf der fünften Ebene gibt es
die Gottheiten für die Verteilung des Glücks, die Begnadigung und
die Rettung von Menschen.
Diese
Kombination von himmlischen Göttern und Gestalten der Geschichte
ist typisch für die chinesische Volkskunst. Die Künstler waren einfache
Menschen und nicht befangen in einer bestimmten philosophischen
Schule oder in einer bestimmten Glaubensrichtung. Und sie wussten
genau, was sich die Menschen wünschten und was sie brauchten.
So kümmerten sie sich wenig um die komplizierten Beziehungen zwischen
den verschiedenen Religionen. Aus ihrer Sicht verkörperten
die Götter das Wahre, Schöne und Gute und schützten die
Interessen des Volkes. Bemerkenswert ist aber auch, dass es für
das Volk im Altertum keine unüberwindliche Grenze zwischen Menschen
und Göttern gab. Als Beispiel sei der Krieger Guan Yu in der
Periode der Drei Reiche (220-280) genannt. Er war zu Lebzeiten ein
loyaler und tapferer General, nach seinem Tod wurde er als Gott
des Krieges verehrt. Das Bild mit den vielen Göttern kann man
auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt interpretieren: Mit
diesem einzigen Bild wurden die wichtigsten Gottheiten ins Haus
geholt, und man brauchte deshalb nur einmal zu beten, um ihnen allen
Ehrerbietung zu bezeigen. Es war also sehr praktisch und ökonomisch.
Bilder dienten als Lehrmaterial
Im alten China war das Bildungswesen bei weitem
nicht so entwickelt wie heute. Viele, insbesondere Frauen, waren
Analphabeten. In Frühlingsfestbildern wurden deshalb auch geschichtliche
Erzählungen dargestellt. Sie waren inhaltlich leicht verständlich
und dienten als Lehrmaterial.
Viele in der Pfirsichblütensenke hergestellte
Frühlingsfestbilder erfüllten also durch die darin abgebildeten
geschichtlichen Erzählungen eine Bildungsfunktion. Der Inhalt
bezog sich meistens auf die Kardinaltugenden in der chinesischen
Gesellschaft wie z.B. Loyalität, Pietät, Gutmütigkeit
und Gerechtigkeit sowie Vergeltung des Guten und des Bösen.
Durch die Darstellung typischer Personen und Ereignisse wurden den
Menschen gesellschaftliche Umgangsformen und ethische Grundsätze
beigebracht.
Die Geschichte der heldenmütigen
Familie Yang war auf zwei großen
Blättern mit acht inhaltlich zusammenhängenden kleinen
Bildern dargestellt. Jedes Bild schilderte einen Teil der Geschichte.
In den 16 kleinen Bildern wurde die Geschichte der heldenmütigen
Mitglieder dreier Generationen der Familie Yang im Kampf gegen fremde
Aggressoren in der Nördlichen Song-Dynastie (960-1127) geschildert.
Ein ähnliches Thema wurde in einem anderen
Frühlingsfestbild ausgeführt. Es handelt von dem Nationalhelden
Yue Fei, einem bekannten General in der Südlichen Song-Dynastie
(1127-1279), der sein Leben seinem Land widmete, um verlorenes Territorium
zurückzuerobern. Obwohl sich Yue Fei hervorragende Verdienste im
Krieg erworben hatte, wurde er aufgrund einer Intrige zum Tode verurteilt.
Er wurde danach zu einem Nationalhelden.
Ein im Jahr 1899 hergestelltes Frühlingsfestbild
umfasst Illustrationen zu den 24 Jahreseinteilungen des Bauernkalanders.
Neben der Darstellung von Zugochsen im Frühjahr und von Symbolen
für Glück, Reichtum und Langlebigkeit zeigt es noch vier Bilder,
die jeweils eine Geschichte erzählen: Eine Witwe heiratet nicht
wieder, um durch ihre Webarbeit ihre Großtante zu ernähren.
Als Vergeltung ihrer guten Tat besteht ihr Sohn die kaiserliche
Prüfung und steigt zu einem hohen Beamten auf. Eine böse Frau
ertränkt zwei weibliche Babys, als Vergeltung ihrer bösen
Tat stirbt ihr Sohn einen plötzlichen Tod. Ein Sohn behandelt
seine Mutter schlecht, er wird von einer Schlange gebissen. Eine
Schwiegermutter behandelt ihre Schwiegertochter grausam, in ihrem
nächsten Leben wird sie bestraft, indem nun sie selbst unter
einer bösen Schwiegermutter zu leiden hat. Das Gemeinsame an
diesen Geschichten war also die Vergeltung des Guten mit Gutem und
des Bösen mit Bösem.
In der feudalen Gesellschaft konnten die armen
Leute in der Regel nicht lesen. Sie konnten aber ihren Kindern Geschichten
erzählen und Bilder zeigen, damit sie zwischen Loyalität
und Heuchelei, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden lernten.
So spielten die Frühlingsfestbilder bei der Erziehung eine wichtige
Rolle.
Wünsche, Trost,
Kritik
Im Chinesischen gibt es die ironische Redensart:
„Ein Brot malen, um satt zu werden“. Natürlich kann ein gemaltes
Brot den Hunger nicht stillen, doch der Mensch bedarf auch des Spirituellen
im Leben. Selbst ein armer Schuldner klebte so zum Jahresende ein
Frühlingsfestbild mit Schutzheiligen an die Tür, um den Gläubiger
fernzuhalten. Die meisten Menschen hängten Bilder an die Wand,
um Wünsche zum Ausdruck zu bringen oder einen Trost darin zu finden.
Wer sich ein Kind wünschte, der kaufte ein Bild mit dem Motiv „Qilin
bringt einen Sohn.“ Studierende pflegten, Bilder zu kaufen, die
die Ehrung nach dem Bestehen der kaiserlichen Prüfung zeigten. Gefragt
waren oft auch Bilder mit dem Motiv der Harmonie in der Familie.
Und Bilder vom Gott des Reichtums wollte fast jede Familie haben.
Es wurden auch Serien von Frühlingsfestbildern
mit karikaturistischen Motiven gedruckt. Als Beispiel sei die Serie
Zehn Arten von Pantoffelhelden genannt. Auf den Bildern wurden
zehn Ehemänner wegen irgendwelcher Vergehen von ihren Ehefrauen
bestraft. Wenn die Darstellungen auch etwas vulgär wirkten,
so waren sie überaus kritisch, denn dadurch wurde das patriarchalische
Vorrecht der Ehemänner angeprangert.
Schöne Frauen waren stets beliebte Motive
von Frühlingsfestbildern. Es wurden sowohl klassische als auch volkstümliche
Schönheiten gezeichnet. Die Darstellung war durchaus traditionell.
Es gab keine nackten Busen und Schultern. Die Schönheiten hatten
prachtvolle Kleider an und nahmen zurückhaltende Posen ein. Sie
hatten der ostasiatischen Vorstellung von Schönheit entsprechend
ein ovales Gesicht, schmale gebogene Brauen, Schlitzaugen, gerade
Nasen und einen kleinen Mund. Selbst die Zeichnungen von Schönheiten
von Bauern- und Fischerfamilien folgten diesem Klischee.
In manchen Frühlingsfestbildern sind auch Sitten
und Bräuche dargestellt. In dem Bild Zehn Schönheiten
spielen Ball ist eine typische Szene aus der Zeit der Qing-Dynastie
zu sehen. Dieses Werk lässt eine Besonderheit der Frühlingsfestbilder
erkennen: Auf einer begrenzten Bildfläche sollte möglichst
viel abgebildet werden, damit die Betrachter sich ein ganzes Jahr
an der Darstellung erfreuen. Denn so lange blieben die Frühlingsfestbilder
gewöhnlich an den Wänden hängen.
Von
Huo Jianying und Liao Zengbao
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