August 2005
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Wie es kam, dass die Prinzessin Wen Cheng den König von Tibet heiratete

Von Wei Tang

Sowohl bei den Tibetern als auch im Han-Volk wird die märchenhafte Geschichte erzählt, wie Ludongzan, ein Gesandter aus Tibet, Herz und Hand der Prinzessin Wen Cheng für seinen König gewann. Wen Cheng war die schöne und begabte Tochter des Tang-Kaisers Tai Zong.

Alle Staaten der Umgebung waren bestrebt, sich durch eine Heirat mit der Tang-Dynastie zu verbünden, so dass vier weitere Bewerber um die Hand der Prinzessin angereist waren. Der Kaiser stellte fünf Aufgaben: die Prinzessin sollte dem Herrn des klügsten Gesandten gegeben werden.

Als erstes wurde den Gesandten eine riesige Perle vorgelegt. Sie sollten einen Seidenfaden durch das Loch fädeln, das sich in neun Richtungen durch die Perle windet. Vier der Gesandten versagten. Als Ludongzan an die Reihe kam, nahm er eine Ameise, band den Seidenfaden an ihrem Körper fest und setzte sie in das eine Ende des Lochs. Dann pustete er auf die Ameise, bis sie mit dem Seidenfaden am anderen Ende herauskam.

Als zweite Aufgabe wurden ihnen hundert Stuten und hundert Fohlen gezeigt. Sie sollten sagen, welches Fohlen zu welcher Stute gehörte. Die anderen wussten sich nicht zu helfen, aber Ludongzan – vielleicht weil er aus einem Hirtenvolk stammte – wusste, was zu tun war. Er befahl den Stallknechten, den Fohlen am Abend kein Wasser zu geben. Als die Pferde am nächsten Morgen herausgelassen wurden, stürzte jedes Fohlen geradeweges zu seiner Mutter, den Durst zu stillen. Ludongzan hatte wieder gewonnen.

Auch die dritte und die vierte Aufgabe löste er ohne Schwierigkeiten. Dann kam die letzte: 2500 Palastjungfrauen, alle gleich gekleidet und mit den gleichen Juwelen geschmückt, wurden herausgeführt. Aus dieser Menge sollte die Prinzessin herausgefunden werden. Zum Glück hatte die Wirtin des Gasthauses, in dem Ludongzan wohnte, einmal bei der Prinzessin gedient, und er hatte sie ausgiebig über die Prinzessin ausgefragt. Also war er gut vorbereitet und hatte keine Schwierigkeiten, sie zu erkennen. So geschah es, dass Prinzessin Wen Cheng in Begleitung Ludongzans und einer Eskorte hoher Tang-Höflinge nach Tibet aufbrach, um die Braut des Königs Songzan Gambo zu werden.

Man zählte das Jahr 641, und Tibet, das zu jener Zeit als das Königreich Tubo bekannt war, war noch sehr rückständig. Erst König Songzan, der Begründer der Tubo-Dynastie, hatte die Adligen unter seiner Regierung vereinigt. Nun war er begierig, von der mächtigen und hochkultivierten Tang-Dynastie zu lernen, und hatte deshalb auch um die Hand einer chinesischen Prinzessin angehalten.

Prinzessin Wen Cheng erwies sich als große Stütze bei der Durchführung seiner Ideen. Energisch setzte sie die Tradition ihres Vaters, des stürmischen Generals Li Shimin, fort, der später als der Kaiser Tai Zong bekannt wurde. Die Straße von der Tang-Hauptstadt Chang’an nach Tibet war schwierig zu begehen, sie führte durch eisige Pässe über einige der höchsten Berge der Welt, reißende Flüsse mussten durchquert werden. Den ganzen Weg entlang hatte der König Palisadendörfer bauen lassen, in denen die Prinzessin mit ihrer Gesellschaft rasten konnte. Auf den Rücken der Kamele und Pferde, die ihre große Mitgift aus Gold, Silber, Seide und Juwelen trugen, brachte sie auch viele Werke konfuzianischer und buddhistischer Klassiker sowie Bücher über Gartenbau, Medizin und Ingenieurwissenschaft mit. Darüber hinaus brachte sie eine Vielzahl von Samen für Pflanzen mit, von denen man wusste, dass sie gut in einem kalten, trockenen Klima gedeihen würden, sowie Werkzeuge und Geräte, z. B. eine wassergetriebene Kornmühle. Eine Gruppe Handwerker und Ärtze begleitete die Prinzessin.

Endlich erreichten sie den Ort, der heute als Lhasa bekannt ist, ein sandiges Gebiet, in dem kaum eine Blume wuchs. Hierher hatte der König erst vor kurzem seine Hauptstadt verlegt, und hier wurde die Hochzeit mit einer Feier von mehreren Tagen vollzogen. Für die Prinzessin hatte der König den Potala-Palast gebaut (nicht den heutigen, der ein Wiederaufbau aus dem 17. Jh. ist, sondern einen, der für seine Zeit schön und großartig war).

Die Prinzessin war eine gläubige Buddhistin, und unter ihrem Einfluss wurde diese Religion in Tibet eingeführt. Ihr zum Gefallen ließ der König den Jokhang Tempel in Lhasa bauen. Es heißt, dass die Prinzessin den Ort ausgewählt habe und am Entwurf beteiligt gewesen sei und dass die Handwerker, die mit ihr gekommen waren, beim Bau geholfen hätten. Der Tempel enthält eine Skulptur von Sakyamuni, die die Prinzessin mitgebracht haben soll.

Prinzessin Wen Cheng lebte 40 Jahre in Tibet, bis sie 680 starb. Die Tibeter errichteten ihr ein Denkmal im Potala-Palast, wo sie seither immer bewundert wird, und sie feiern ihr zu Ehren zwei Feste im Jahr.

Aus China im Aufbau, Nr. 1, 1986

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