Juli 2004
Ihre Position: Homepage >

Wei Shunde: Unermüdlicher Erforscher des Tianshan-Gebirges

Von Wu Jianzhong

 

Ein ungefähr 70 Jahre alter Mann steht am Fuße des Tianshan-Gebirges in Westchina. Annähernd zwei Dekaden lang ist dieser Erkunder rund um den Berg Tomur gewandert und nahm dabei Bilder von den verschneiten Berggipfeln und der reichen Fauna und Flora des Gebiets auf. Seine Bilder von geschützten Tierarten der Kategorie I, dem schwarzen Storch und dem Schneeleoparden, werden als Schätze betrachtet.

Liebe auf den ersten Blick

Wei Shunde wurde 1939 geboren. 1985 wurde er zum Waldhüter des Naturreservats Berg Tomur ernannt. Während er seine Tage in solch idyllischer Landschaft verbrachte, hatte er sich in die Fotografie verliebt. Das 1980 gegründete Naturreservat Berg Tomur grenzt an den Kreis Wensu des Bezirks Aksu und den Kreis Zhaosu des Bezirks Ili. In seinen Grenzen, die ein Gebiet von 4500 km2 umschließen, finden die Gletscher, Wälder, Grasflächen und die Flora und Fauna Schutz.

Bald nach Antritt der Stelle kaufte Wei Shunde eine Minolta-Kamera, mit der er zahllose schöne Szenerien aufgenommen hat. Während er dort lange Jahre lebte und arbeitete, sah er oft Forscher, die den Tianshan erklommen. Wei wollte sie begleiten, und sein Traum wurde bald wahr. Der New Yorker Zoologe George Herrick führte mit Experten des Staatlichen Amtes für Forstwirtschaft und des Forstamts Xinjiang eine kurze Expedition ins Naturreservat Berg Tomur durch und Wei Shunde kam mit.

Diese Reise überzeugte Wei Shunde, dass der Berg Tomur einer der majestätischsten Berge weltweit ist. Sein höchster Gipfel erhebt sich auf 7435,29 m über dem Meeresspiegel, 20 km südöstlich des Hantengri-Bergs, der an der Grenze zu Kasachstan liegt. In der Gegend verstreut liegen noch über ein Dutzend verschneiter Gipfel über 6 000 m über dem Meeresspiegel. Das Gebiet hat 829 Gletscher und umfasst eine Fläche von 3849,5 km2, von der ein Drittel auf chinesischem Territorium liegt. Einer der acht größten Gletscher weltweit, der 60,8 km lange Hantengri-Gletscher, liegt auf der Nordseite des Bergs Tomur.

Reisen in die verschneiten Gipfel

1987 musste der damals 49-jährige Wei Shunde aus Krankheitsgründen in Rente gehen. Nichtsdestotrotz war Wei nicht gewillt, untätig zu bleiben, und plante bald eine weitere Reise zum Tianshan. Seine Frau und Kinder unterstützten die Idee nicht – sie hatten zu viele Kletterer gesehen, die während der Jahre dem stürmischen Berg unterlagen. Der trotzige Wei Shunde stand jeden Tag bei Morgendämmerung auf, um zu trainieren und Qigong zu üben. Er bildete sich auch weiter im Bereich Bergsteigen und las Bücher und Magazine darüber. Er perfektionierte sein Training, indem er Überlebenstipps von Grenzwächtern erfragte.

1990 war Wei in großartiger Form und er machte sich zu seiner ersten Reise in die Berge auf. Bis 2004 hatte er vier solche Reisen unternommen und jedes Mal kam er zurück mit Rollen von faszinierendem Filmmaterial. Aber von all seinen Wanderungen hält Wei Shunde seine Expedition ins Todestal für die riskanteste und gleichzeitig erfolgreichste.

Die Todestal-Expedition

Der Gletscher Muzart, der zwischen den steilen Hängen des Tianshan liegt, hat sich den Furcht erregenden Spitznamen Todestal eingehandelt. Der über 100 km lange Gletscher erstreckt sich vom Kreis Zhaosu des Autonomen Bezirks Ili der Kasachen-Nationalität im Norden bis zum Kreis Wensu des Bezirks Aksu im Süden. Dieser ehemalige Teil der Seidenstraße ist schon seit langem von der Landkarte verschwunden. Seit der Gründung der Volksrepublik China 1949 haben viele Touristen und unerschrockene Forscher versucht, diese alte Reiseroute wieder zu entdecken. Niemand schaffte es, sie zu lokalisieren, und viele kamen bei dem Versuch um. So wurde dem Furcht einflößenden Gletscher der Titel „Todestal“ verliehen.

Im Oktober 2004 entschloss sich Wei Shunde, gefördert durch den International Snow Leopard Trust (ISLT), sich über das Todestal zu trauen, um zu versuchen, die Gewohnheiten und den Lebensraum des Schneeleoparden zu untersuchen. Nach einer einmonatigen Vorbereitungszeit machte sich Wei Shunde gemeinsam mit zwei Amateurbergsteigern, dem 65-jährigen Dai Kaiqin und dem 32-jährigen Ruan Xiaohui,  auf den Weg.

Esel sind in solch rauer Umgebung nicht billig und so mussten die Bergsteiger ihre eigenen Lasten tragen. Das verlangsamte sie natürlich beträchtlich und sie mussten Nahrung und zwei Zelte zurücklassen, um weiterzukommen.

Nach dem ersten Tag hatten sie nur 10 km zurückgelegt, bevor sie in der Dämmerung ihr Zelt aufschlugen. Der zweite Tag bot einen schrecklichen Sturm bis zu Windstärke zehn. Lawinen und brechendes Eis waren nur zwei der vielen Gefahren, mit denen die unerschrockenen Forscher konfrontiert wurden. Der kampferprobtere Wei Shunde versuchte, seine Kameraden entlang der windärmsten Route zu führen. Als die Nacht hereinbrach, sahen sich die Forscher gezwungen, im ohne Unterlass heulenden Wind ihr Lager aufzuschlagen.

Am dritten Tag waren sie an den Rand des Gletschers gelangt und ihre Angst und ihr unheimliches Gefühl stieg mit jedem Schritt. Als sie weitergingen, kreisten Krähen wie Aasgeier bedrohlich über ihnen.

Am vierten Tag ihrer Reise erreichten sie 3300 m über dem Meeresspiegel. Dai Kaiqin und Ruan Xiaohui waren so begeistert von der Landschaft, dass sie ihre Müdigkeit vergaßen. Vor ihnen lagen schimmernde Eisfelsen, Risse und Spalten, tiefe Höhlen und riesige Eiszapfen. So eine atemberaubende Szenerie hatten sie noch nie gesehen. Wie auch immer, die Gletscher stellten sich als die größten Hindernisse auf ihrem Weg heraus. Diese Nacht ließen sie sich in einer Burgruine nieder. Es sollte die härteste Nacht ihrer Reise werden, da der orkanartige Wind mühelos die verfallenen, dachlosen Wände durchstach und ihr Zelt nach zwei Stunden in einen Iglu verwandelte.

Glücklicherweise war es am nächsten Tag sonnig und das kleine Team konnte all seinen Aufgaben nachkommen. Aber das Todestal trug seinen schicksalsschweren Namen aus gutem Grund. Im Oktober konnten Besucher jederzeit eingeschneit werden. Deshalb entschloss sich Wei Shunde, aus Sorge um seine Sicherheit und die seiner Kameraden bis auf 4000 m zu klettern. Da nahm er die letzten Fotos auf und kehrte zurück. Was er dort zu sehen bekam, verblüffte ihn. Ein altes Schloss inmitten des Moorbodens, das von großen weißen Marmorsteinen umgeben war, die voll mit alten Gravierungen waren, tauchte vor ihnen auf.

Der neugierige Wei Shunde ging ein wenig tiefer und staunte über die Höhle mit menschlichen Überresten, die er hinter einem großen Stein fand. Ähnliche Höhlen mit niedrigen Zäunen lagen über den ganzen Ort verstreut und beinhalteten alle menschliche Überreste. Wei zählte mehr als 20 Höhlen mit Überresten von 40 Toten. Er nahm an, dass dies der eigentliche alte Durchgang zum sagenumwobenen Todestal sein könnte.

Wei Shunde veränderte die Lage der Knochen nicht, sondern machte Aufnahmen von den Schädeln, die er dort sah. Ein Team von Archäologen, die davon ausgehen, dass dieser Fund ausschlaggebend für die Vervollständigung der historischen Aufzeichnungen der Geschichte Nordwestchinas ist, wird im August oder September eine Untersuchung in diesem Gebiet durchführen.

Wei Shunde ist jahrelang durch das Tianshan-Gebiet gewandert und hat tausende von Fotos aufgenommen. Seine Geschichten und Fotos wurden im National Geographic, im China Photography und im Xinjiang Pictorial veröffentlicht. Er ist Mitglied der Zoologischen Gesellschaft Chinas, des Verbands der chinesischen Folklorefotografie, der Gesellschaft der Fotografie Xinjiangs und der Zoologischen Gesellschaft Xinjiangs. Heute lebt er bescheiden mit seiner Frau. Wei Shundes Forschungsarbeiten forderten ihren Preis, und jedes Mal, wenn er in die Berge geht, muss er ausgewählte Medikamente mitnehmen. Trotz seiner körperlichen Schwäche und seines Alters läßt sich Wei Shunde aber nicht davon abbringen, seine Forschungsreisen auf den Tianshan fortzuführen.

-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+--+-+-+-+--+-+-+--+-
Zurück