Juli 2004
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Für die Olympischen Spiele wird Beijing sich von seiner Schatzkammer trennen

Von Zhang Xiwen

Der Bau einer 18 km langen Kiesstraße, die die Insel Caofeidian mit dem Festland verbindet, ist in vollem Gang. Auf der Straße verkehren ständig LKWs und Nutzfahrzeuge und die Bauarbeiter sind voller Elan. Das Projekt mit einer Investitionssumme von 4,25 Mrd. Yuan wird vorübergehend die erste Bauphase des Erzkais Caofeidian genannt, der für die in absehbarer Zeit hierher umzuziehende Eisen- und Stahlgesellschaft Shoudu, kurz Shougang genannt, vorgesehen ist. Das Bauprojekt sieht Ende dieses Jahres die Fertigstellung vor. Sein Ziel ist, zwei Tief-Wasser-Kais für Schiffe von 250 000 Tonnen zu bauen, die auch für  ausländischen Schiffe ansteuerbar sind.

Die Insel Caofeidian lagert der Stadt Tangshan, Provinz Hebei, am Nordwestufer der Bohai-Bucht vor und liegt 220 km von Beijing und 80 km von Tangshan entfernt. Als die Zentralregierung im Februar dieses Jahres bewilligte, Shougang, das Schlüsselunternehmen der Stadt Beijing, in diesen unbekannten Ort zu verlagern und hier eine große, neue und moderne Eisen- und Stahlgesellschaft zu errichten, wurde Caofeidian fast über Nacht berühmt.

In Caofeidian wird nicht nur ein moderner Tief-Wasser-Kai, sondern auch ein dem international fortgeschrittenen Niveau entsprechendes, groß angelegtes Eisen- und Stahlunternehmen gebaut. Den Entwurf des Eisen- und Stahlunternehmens bezieht sich auf die Eisen- und Stahlgesellschaft Fukuyama in Japan und die Eisen- und Stahlgesellschaft Pohang in Südkorea. Yang Chunhua, Leiter des Vorbereitungsbüros für die Caofeidian-Basis für Qualitätsprodukte aus Eisen und Stahl, meint: „Wir wollen nicht das größte, sondern das beste Unternehmen sein.“

Im Namen der „Olympischen Spiele“

Seit langer Zeit stellt Shougang eine wichtige Stütze für die wirtschaftliche Entwicklung Beijings dar. 2004 betrug der Jahresumsatz 61,9 Mrd. Yuan. Zur gesellschaftlichen Entwicklung Beijings trug Shougang in Höhe von 9 Mrd. Yuan bei. Der Gigant, dessen Belegschaft 1/6 der Industriearbeiter ausmacht und der in der Branche hinter der Eisen- und Stahlgesellschaft Baoshan in Shanghai und der Eisen- und Stahlgesellschaft Anshan in Liaoning auf Platz drei in China steht, muss innerhalb von fünf Jahren aus Beijing ausziehen.

Der gesamte Umzug eines solchen außergewöhnlich großen Eisen- und Stahlunternehmens ist in China beispiellos. Daraus sind die Perspektiven und Herausforderungen, denen sich die wirtschaftliche Entwicklung Chinas stellt, klar zu ersehen. Mit der raschen wirtschaftlichen Entwicklung werden einige Millionen von Menschen aus der Armut befreit und das Tempo der Verstädterung und Industrialisierung beschleunigt. Aber zugleich steckt die wirtschaftliche Entwicklung vieler Städte in unterschiedlichem Grad in einem Teufelskreis.

Shougang erzeugt im gesamten Produktionsprozess Verschmutzungen. Obwohl Shougang in den vergangenen sechs Jahren riesige Investitionssummen zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung einsetzte und vor kurzem noch eine Investition in Höhe von 1,25 Mrd. Yuan für den Unweltschutz verkündete, zudem die vom Staatsrat gestellten Forderungen, dass die Emissionen von industriellen Schadstoffen den Normen entsprechen müssen, vorzeitig erfüllte, hat sich die Umweltqualität des Bezirks Shijingshan, wo sich Shougang befindet, nicht wesentlich verbessert. Im letzten Jahr hatte Beijing 229 klare Tage, die 62,5% der gesamten Jahrestage ausmachten, in Shijingshan lag das Verhältnis nur bei 50,4%, damit stand der Bezirk an der vorletzten Stelle in Beijing. Das, so meint Wu Jingyi, Vizeleiter des Amts für den Umweltschutz des Bezirks Shijingshan, sei vor allem auf die industrielle Verschmutzung zurückzuführen.

Bereits 1997 schlug Liao Congjie, ein berühmter Umweltschutzaktivist, vor, sämtliche Projekte von Shougang, die Verschmutzungen auslösen, aus Beijing zu verlegen. Vor vier Jahren stellten ein Dutzend Abgeordnete gemeinsam auf dem Volkskongress der Stadt Beijing die Forderung, die von Shougang verursachten Verschmutzungen zu regulieren, weil sie „Beijings Verstädterung und die Bewerbung um die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 beeinträchtigten.“ Eine Ende letzten Jahres durchgeführte Umfrage ergab, dass knapp 90% der Befragten auf den Auszug von Shougang aus Beijing hofften, mit der Begründung, dass „die Austragung der Olympischen Spiele nicht wegen eines Unternehmens mangelhaft sein soll.“

Ein Beamter des Organisationskomitees für die Ausrichtung der Olympiade meint, dass der Schlüssel für Beijing bei der Bekämpfung der Umweltverschmutzung für die Olympiade die Verlegung von Shougang sei. Bereits bei der Bewerbung hat China der IOA versprochen, dass die Hauptanlage von Shougang mit einer jährlichen Produktion von 8 Mio. Tonnen bei der erfolgreichen Bewerbung von Beijing ausziehen wird. Mit Blick auf 2008 wurde der Umzug auf die Tagesordnung gesetzt.

Eine Fessel für Beijings Entwicklung

In Wirklichkeit haben die begrenzten Ressourcen von Beijing die Vergrößerung von Shougang schon längst verhindert.

An erster Stelle steht der Wassermangel. Zur Produktion verbraucht Shougang eine große Menge Wasser. Jährlich verwendet Shougang über 40 Mio. Tonnen Wasser. Doch nimmt der Mangel an Grundwasser in Beijing immer mehr zu. Zweitens mangelt es Beijing an Erzvorkommen und drittens sind die Kosten für den Transport sehr hoch, denn Beijing liegt weder an einem Fluss noch am Meer.

Durch die Belastung von Kohle, Strom, Erdöl, Transport und Erz berücksichtigt die Eisen- und Stahlindustrie Chinas auf der Suche nach Gelegenheiten zur Expansion gleichzeitig auch den Faktor der industriellen Standorte. „Der Umzug von Shougang ist nicht nur auf den Umweltschutz zurückzuführen“, sagt ein Pressesprecher von Shougang, „er bezieht sich auch auf die staatliche Regulierung der Struktur und der Standorte der Eisen- und Stahlindustrie sowie die Stadtpositionierung von Beijing.“

In den 40er und 50er Jahren kennzeichnete die Produktionsmenge von Eisen und Stahl die Stellung einer Großmacht und die allgemeine Stärke eines Landes. Lü Bin, Professor an der PekingUniversität und Experte für Strategien zur Stadtentwicklung, sagt: „In unserem Land, in dem die Landwirtschaft tausend Jahre lang betrieben wurde, war die Industrialisierung immer der allerhöchste Wert. Jeder Industriezweig wurde als Glückssymbol betrachtet. Sogar Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts war es immer noch der wichtigste Faktor zur Bewertung einer Stadt, ob die Stadt eine Konsum- oder eine Produktionsstadt war. Eine Stadt ohne Industrie wurde als hoffnungslos angesehen. In den Jahren, wo man sich nicht warm anziehen und nicht sättigen konnte, konnte von der Lage einer Stadt und von Stadtplanung gar keine Rede sein.“

Mit der wirtschaftlichen Entwicklung hat man ein immer breiteres Gesichtsfeld erlangt und die funktionale Positionierung einer Großstadt wurde auch deutlicher. Shanghai will sich zum Finanzzentrum Chinas entwickeln, während sich Beijing als Hauptstadt Chinas zu einer „Weltmetropole, bekannten Kulturstadt und für das Leben geeigneten Stadt“ entwickeln will. Nach Meinungen der Fachleute ist die wirtschaftliche Entwicklung nicht mehr ein unentbehrlicher Faktor für Beijing, um sich zu einer internationalen Metropole entwickeln zu können.

Planung nach dem Umzug

Zhu Jimin, Generaldirektor von Shougang, sagt: „Der Umzug von Shougang ist nicht einfach ein Ortswechsel, nicht nur die Demontage der vorhandenen Produktionsanlagen und ihr Zusammenbau in Caofeidian. Shougang wird sich von Grund auf verändern.“

Die Erschließung und der Aufbau des Industrieparks Caofeidian werden vom Parteikomitee und der Regierung der Provinz Hebei zum „Projekt Nr. 1“ der Provinz erklärt. Nach der Vorstellung von Yang Chunhua, der für die ersten Vorbereitungen für das Eisen- und Stahlprojekt in Caofeidian zuständig ist, umfasst das riesige Projekt den Bau einer Basis zur Qualitätsstahlproduktion von 15 Mio. Tonnen und einer Raffinerie mit einer Leistung von 12 Mio.–15 Mio. Tonnen, ein Äthylenprojekt mit einer Produktion von 1 Mio. Tonnen und ein großes Kohlekraftwerk mit einer Gesamtleistung von 4,8 Mio. kW. In der Zukunft wird das Unternehmen mehr  gesellschaftliche Beiträge für den neuen Standort als für Beijing leisten, die Summe wird 20 Mrd. Yuan betragen. Besonders zu erwähnen ist, dass nach der Inbetriebnahme der neuen Stahlwerke keine einzige Tonne Festkörperabfälle ausgestoßen wird, stattdessen werden jährlich einige Dutzende Tonnen Abfälle wie Altplastik behandelt werden. Daher wird man auch von der Sorge, dass der Umzug von Shougang gleichzeitig die Verlegung von Umweltverschmutzung bedeuten könnte, befreit.

Liu Xiangyu ist ein bereits in den Ruhestand getretener Krankenhausarbeiter aus dem Kreis Tanghai, der Caofeidian benachbart ist. Er besitzt im Kreis Tanghai vier Häuser, die nun eine beträchtliche Summe wert sind. Er beschaffte sich 2003 um 330 000 Yuan eine 165 m2 große Wohnung, deren Wert nach der Berechnung des jetzigen Marktpreises auf 450 000 Yuan gestiegen ist. Lokale Einwohner sagen, dass am selben Tag, als die Nachricht vom Umzug von Shougang bekannt wurde, die Wohnungspreise im Kreis Tanghai um 200 Yuan pro m2 gestiegen waren. Was sie noch zu erwarten haben, sind zahlreiche Arbeitsplätze.

Für den Beijinger Bezirk Shijingshan wird nach dem Umzug ein riesiger leerer Raum zurückbleiben. Von dem 84 km2 großen Bezirk macht Shougang flächenmäßig 14% aus. 160 000 der 220 000 Einwohner des Bezirks haben eine Beziehung zu Shougang. Nach der Meinung eines Forschers der Planungsabteilung der Kommission für Entwicklung und Planung des Bezirks Shijingshan seien die Nachwirkungen, die der Umzug mit sich bringt, äußerst deutlich. Er würde die gesamte Wirtschaftsleistung des Bezirks verringern und die Wirtschaftsstärke schwächen. Aber langfristig sei er für die Verbesserung der Umwelt, die Regulierung der industriellen Anordnung, die Schaffung neuer Chancen und die Stadtentwicklung vorteilhaft.

Meldungen zufolge wird an der Stelle der umgezogenen Shougang ein Servicezentrum des Bezirks Shijingshan errichtet werden, um die modernen Dienstleistungen in den Bereichen Finanzwesen, Informationen, Beratung, Unterhaltung und Vergnügung sowie hochentwickeltem Handel stark zu fördern. Da die Chang’an-Straße und ihre Verlängerung als eine wichtige Achse für Beijing als politisches und kulturelles Zentrum Chinas gilt, wird der an der West-Chang’an-Straße gelegene Bezirk Shijingshan, ein Schwerpunkt zur Entwicklung des Westteils Beijings, ein Service-, Kultur- und Unterhaltungszentrum und ein wichtiges Tourismusgebiet darstellen, um die kulturelle Funktion der Chang’an-Straße zu vervollständigen. Angaben diesbezüglicher Behörden zufolge wird der detaillierte Entwicklungsplan erst bis zum Jahresende ausgearbeitet werden.

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