Juli 2004
Ihre Position: Homepage >

90 Jahre Israel Epstein

– 90 Jahre chinesische Geschichte

Von Katharina Schneider-Roos

 

 

Ich erinnere mich nur allzu gut an mein erstes Treffen mit Israel Epstein. Wir waren gerade in unsere neue Wohnung eingezogen und hatten schon gehört, dass der Mitgründer von China heute, dem damaligen China im Aufbau im gleichen Wohnviertel wohnte. Eines Tages verbrachte ich den späten Nachmittag mit meinem damals vielleicht fünf Monate alten Sohn im Hof am Spielplatz und auch Epy, wie ihn seine Freunde nannten, war da. Er saß im Rollstuhl und ging ab und zu ein paar Schritte mit Unterstützung seiner Pflegerin. Ich war zu schüchtern, um ihn anzusprechen. Doch da kam auch schon seine Frau auf mich zu und als sie herausfand, dass ich für die Deutschabteilung von China heute arbeitete, wollte sie mir Herrn Epstein vorstellen. Sie bestand aber schelmisch darauf, dass mein Sohn ihn Epy Yeye – Großvater Epy nannte. Von da an spielte mein Sohn immer mit Epy Yeye, wenn wir ihn unten trafen. Und Epy Yeye erkundigte sich immer nach ihm, wenn ich ihn nicht dabei hatte. Sogar an seinem 90. Geburtstag, der groß gefeiert wurde, mit Betonung auf „wurde“, denn Epy Yeye war völlig übermüdet, fragte er noch: „Und wie geht es Benjamin?“

Israel Epstein und seine Frau Huang Wanbi waren mir von Anfang an symphatisch und ich hatte das Glück, sie zum Chinesischen Neujahr 2005 noch einmal zu besuchen. Zu dem Zeitpunkt war Epy Yeye aus Gesundheitsgründen schon lange Zeit nicht mehr im Hof aufgetaucht. Die Wohnung war voll von Büchern und Magazinen. Seine geistige Wachheit bis zum Lebensende beeindruckten mich sehr. Epy Yeye erzählte mir ein wenig von seiner Herkunft, die jüdisch-litauisch war, und gleichzeitig polnisch-russisch, was sich aus der damaligen politischen Lage erklären lässt, und machte sich lustig darüber, dass sein Geburtstag am 20. April bedauerlicherweise mit dem von Adolf Hitler zusammenfällt.

Die Epsteins waren 1917, nachdem sie zuerst aus Warschau fliehen mussten, über Umwege nach China geflüchtet. Schon die Eltern waren überzeugte Sozialisten und mussten sich vor dem zaristischen Russland verstecken. Israel Epstein, Journalist, Autor, Übersetzer und überzeugter Kommunist, hatte in seinem 90 Jahre langen Leben viel gesehen und erlebt. Er lernte Song Ching Ling, Dr. Sun Yat-sens Witwe kennen, die ihm auch den Weg zu Mao Zedong in Yan’an und Zhou Enlai ebnete. Die Beziehung zu Zhou Enlai sollte zu seinem Verhängnis werden. Während der Kulturrevolution (1966–1976) war Epstein fünf Jahre im Gefängnis wegen Verdacht auf einen Komplottversuch gegen Zhou Enlai. 1973 entschuldigte sich dieser persönlich und Epstein wurde rehabilitiert.

Ich hätte mich gerne noch lange mit Israel Epstein, einem lebenden Geschichtsbuch mit Humor und Geist, unterhalten, doch leider hatte ich keine Gelegenheit mehr dazu. Israel Epstein starb am 26. Mai 2005 und wurde im Heldenfriedhof in Beijing beigesetzt. China und die Welt haben wieder eine beeindruckende Persönlichkeit verloren, die noch nach Werten strebte und unverrückbar an Prinzipien und Idealen festhielt.

-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+-+--+-+-+-+--+-+-+--+-
Zurück