Juli 2004
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Die Dichterin Li Qingzhao

Von Zhong Jian

 

 

Obschon die Song-Dynastie viele fähige Generale hervorbrachte, mussten während ihrer Herrschaft von 960 bis 1279 weitaus mehr Niederlagen eingesteckt werden, als Siege errungen werden konnten. Schließlich trieben die Liao- und Jin-Stämme, begünstigt durch den schwachen Kaiser und seine Hofclique, der wie seine Vorgänger Hauptverantwortlicher für die zahllosen verlorenen Schlachten war, die kaiserlichen Truppen bis südlich des Yangtse. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn das Elend im Land herrscht, gedeihen die Dichter.“ So wurde dieser historische Zeitabschnitt zur Wiege für viele Dichter. Eine von ihnen war die bekannte Li Qingzhao.

Die junge Qingzhao

Li Qingzhao wurde 1084 geboren. Ihr Vater war Gelehrter im Staatsdienst. Das schöne Schattenbild seiner Frau, die ihr Baby Li im Arme hielt, vor dem Hintergrund eines sich ausbreitenden Sees veranlasste den Vater, sie Qingzhao zu nennen, was soviel wie „klarer Gedanke“ bedeutet. Er war es auch, der sagte: „Wir Beamte müssen so klar wie Wasser und so leuchtend wie ein Spiegel sein und eine tiefe Einsicht in alle Dinge besitzen. Wir müssen ehrlich und aufrichtig sein.“ Der Name Qingzhao lässt ahnen, welche Hoffnungen er in den Charakter seiner Tochter setzte. Qingzhao war ein fröhliches Kind. Mit fünf Jahren fing sie an, chinesische Schriftzeichen zu lernen und konnte mit sieben lesen. Im Alter von zehn Jahren schrieb sie ihre ersten Gedichte, die bereits ein gutes rhythmisches Gefühl aufweisen. Als sie siebzehn war, schrieb ihr ein alter Freund ihres Vaters, der bekannte Gelehrte Zhang Lei zwei Gedichte, welche von der jungen Frau mit zwei Gedichten beantwortet wurden, in denen sie ihrem Zorn und ihrer Verachtung gegen den wirrköpfigen Kaiser und seine machtgierigen Höflinge Ausdruck verlieh. In ihren Versen benutzte sie natürliche, einfache Begriffe, die von tiefem Gefühl beherrscht waren. Einige, die ihre Zeilen lasen, bezeichneten diese im Ton als „männlich“, womit ausgedrückt werden sollte, dass sie bereits Stärke und Reife enthielten.

Li Qingzhao heiratet

Einige Zeit später lernte sie einen talentierten, jungen, gut aussehenden und eleganten Gelehrten namens Zhao Mingcheng kennen. Er war von ihr und ihren guten Veranlagungen stark beeindruckt und heiratete sie bald. Zhao Mingcheng war nicht wie so viele Söhne adliger Familien nur auf Zerstreuung und Vergnügen aus, sondern hielt sich zurück und widmete sich seinem Studium. Persönlicher Ruhm und Gewinnsucht bedeuteten ihm nichts, doch hatte er ein Hobby, dem er all seine Liebe und Aufmerksamkeit schenkte, er sammelte mit Leidenschaft alte Gegenstände wie Siegel, Steininschriften, Bücher und Kalligraphien, denen er ein intensives Studium widmete. Li Qingzhao teilte diese seine Interessen. Einmal entdeckten sie eine Kalligraphie des Meisters Wang Xizhi aus dem 3. Jahrhundert in einem kleinen Buchantiquariat. Der Verkäufer, der schnell merkte, welch großes Interesse das Paar an dem Stück besaß, verlangte 1500 Münzen der damaligen Währung, mehr, als die beiden bei sich führten. Li nahm aus ihrem Haar eine goldene Spange, die damals 13 000 Münzen wert war, und händigte sie dem Antiquariatsbesitzer aus. Jetzt erhöhte der clevere Verkäufer plötzlich auf 15 000, als er sah, dass die jungen Leute die Kalligraphie unter allen Umständen besitzen wollten, doch ohne zu feilschen zog Li ihr Außengewand aus und händigte es dem habgierigen Verkäufer aus.

Natürlich waren die Mittel des jungen Ehepaares nicht unbegrenzt. So bedauerten beide auf das tiefste, das Gemälde „Pfingstrosen“, das 200 000 Münzen kostete, nicht für ihre Sammlung erwerben zu können. Sie beschäftigten sich Nacht für Nacht mit dem Studium der in ihrem Besitz befindlichen Kalligraphien und ihrer Steininschriften. Die Sammlung gewann rasch an Umfang, als Zhao Beamter wurde und durch seine berufsbedingten Reisen Gelegenheit bekam, nach interessanten Stücken Ausschau zu halten. Ihr Leben hatte sich jetzt stabilisiert und verhältnismäßig glücklich entwickelt. Li Qingzhao war ihrem Mann eine große Hilfe bei der Fertigstellung seines Buches Verzeichnis der Siegel und Gravierungen.

Doch Li fuhr fort Gedichte zu schreiben. Eines, das sie in Zhao’s Abwesenheit zu Papier brachte, enthielt folgende Zeilen:

Sag nicht, ich könnte nicht überwältig sein:

Wenn der Westwind den Vorhang bewegt

Bin ich zarter als die gelbe Chrysantheme.

Beginnende Rivalität

Als Zhao zurückkam und die neuen Gedichte las, war er sowohl voll Bewunderung, als auch voll Neid. Er mischte ihre Lyrik mit 50 seiner eigenen Gedichten und fragte einen gemeinsamen, erfahrenen Freund um seine Meinung. Dieser las sie sehr sorgfältig und sein Urteil lautete, nur drei Zeilen davon seien wirklich genial. Es stellte sich heraus, dass es sich um Verse aus Li’s Feder handelte. Zhao war niedergeschlagen bei dem Gedanken, dass seine Frau die bessere Lyrikerin sei.

Kriegswirren

Nachdem die im Norden beheimatete Nüzhen-Minorität die zentral gelegenen Ebenen überflutet und Bianlang (das heutige in der Provinz Henan gelegene Kaifeng), die Hauptstadt der Nördlichen Song-Dynastie erobert hatte, musste der Kaiser seine Hauptstadt nach Jiankang (das heutige in der Provinz Jiangsu gelegene Nanjing) im Süden verlegen. Zhao Mingcheng gehörte zum Gefolge des Kaisers und ließ Li Qingzhao zurück, damit sie die kostbare Sammlung behütete. In den Wirren und dem Durcheinander des Krieges wurde Qingzhaos Heimatstadt von Soldaten geplündert und sie musste fliehen. Schließlich erreichte sie Jiankang, wo sie ihren Mann fand. Der Zusammenbruch ihres Landes und die Zerstörung ihres Hauses wirkten sich auf Li stark depressiv aus. Ihre Gedichte wurde härter und satyrischer. In einem berühmt gewordenen Gedicht sagt sie, sie wäre zu Lebzeiten ein Held gewesen und im Tode würde sie ein Held bleiben. Sie verspottete den dümmlichen Kaiser und den Adel. Doch dann wurde Zhao Mingcheng krank und starb und Li Qingzhao musste ihre großen Sorgen fern von zuhause allein tragen. Dies war ihr schlimmster Lebensabschnitt. Die ersten drei Zeilen eines ihrer späteren Gedichte werfen ein Schlaglicht auf ihre damaligen tiefen Sorgen:

Heimweh,

Kälte und Eintönigkeit,

Verlassen, verzweifelt, niedergeschlagen.

Lis Leben geriet nun vom Schlechten zu noch tieferem Elend. Das meiste der von ihrem Mann und ihr in lebenslangen Mühen zusammengetragenen Sammlung war gestohlen, oder in den Kriegswirren verloren gegangen. Einmal übernachtete Li in einem Landhaus und verstaute ihre Sachen unter dem Bett. Ein Dieb brach ein Loch in die Hauswand und entwendete fünf Kisten mit kalligraphischen Werken. Der Dieb wurde zwar später gefasst, doch die Kunstwerke waren unwiederbringlich bereits an Würdenträger des Hofes verkauft worden.

Lis später Lebensabend

Ihr Lebensabend stand ebenfalls unter einem schlechten Stern. Eine Zeit lang war sie von ihrem Bruder abhängig und später heiratete sie einen unehrlichen Menschen, der eigentlich nur hinter ihrer Sammlung her war. Die Geschichte gibt keinen Aufschluss über ihr Leben nach Vollendung des fünfzigsten Lebensjahres und es ist nicht genau bekannt, wann und wo sie starb. Sechs Gruppen ihrer Gedichte sind jedoch der Nachwelt überliefert geblieben. Aus den von ihr tief beklagten Wirren ihres Landes, sowie aus ihren persönlichen Ängsten schöpfte sie die Kraft, Verse voll Schönheit und Stärke zu schreiben, die ihren Namen unsterblich machen sollten.

Aus China im Aufbau, Nr. 4, 1986

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