März 2004
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Wirtschaft

Ayi – guter Geist und professionelle Kinderbetreuerin

Von Katharina Schneider-Roos

Die Durchschnittseuropäerin und der Durchschnittseuropäer, die sich entschieden haben, eine gewisse Zeit in China zu verbringen, sind daran gewöhnt, sich selbst um ihre Kinder, so welche vorhanden sind, zu kümmern. Falls die Mutter arbeitet, werden die Kinder zwischen Großeltern, Tagesmutter, Kindergruppe und Kindergarten hin- und herjongliert. Ein Unternehmen, das größtmögliche Planung und gute Mitarbeit aller Beteiligten benötigt.

In China kann man sich plötzlich leisten, eine Ayi (Hausangestellte, wörtlich Tante) einzustellen, die sich um das Kind und den Haushalt kümmert. Ein Grund für so manche, so lange in China zu bleiben, bis die Kinder dem Gröbsten entwachsen sind.

Aber woher kommen diese guten Geister?

Ein großer Teil der Hausangestellten werden aus der Masse der 30 Millionen Frauen, die jährlich vom Land in die Städte strömen, rekrutiert. Laut UNESCO sind die meisten davon in der Herstellungsindustrie, im Servicebereich und als Hausangestellte tätig, deshalb konzentrieren sie sich auf die großen Städte.

Um die Rechte der Wanderarbeiterinnen zu schützen, rief die UNESCO in Zusammenarbeit mit chinesischen Organisationen wie der „All China Women’s Association“ Projekte zur Ausbildung und rechtlichen Aufklärung für weibliche Wanderarbeiterinnen ins Leben. Das Training für Hausangestellte beginnt schon in den Gebieten ihrer Abreise (Gansu, Shandong, Henan...) und geht in Beijing weiter. Die Ausbildung erfolgt in den Bereichen: Rechtsschutz, Gesundenvorsorge, Überlebensstrategien in der Stadt und Techniken für Jobsuche und Interviews.

Staatliche und private Vermittlungsfirmen

Durch den starken Bedarf an Hausangestellten in den Städten entstanden in den letzten Jahren Vermittlungsfirmen, die Ayis anstellen und weitervermieten und dafür 20% des Gehalts kassieren, und Fortbildungskurse für Hausangestellte. Laut Beijing Today gibt es an Schulen das Hauptfach Haushaltmanagement, deren Absolventinnen zwar ein Vielfaches des Durchschnittslohns einer nicht ausgebildeten Ayi verdienen, die aber nach kurzer Zeit nicht mehr in diesem Bereich tätig sein wollen und alle in andere Bereiche umstiegen, da sie ihre Rolle als erniedrigend empfanden.

Die Shenzhener Firma Atuo Jiazheng bietet für Ayis Unterkunft, Verpflegung, Ausbildung und Betreuung an. Die Gehälter für Anfängerinnen sind 500-600 Yuan, für Fortgeschritten 600-800 und für die höchste Klasse 800-1800 Yuan. Spezialisiertes Pflegepersonal erhält 1000-1800 Yuan monatlich. Weiters bietet die Firma Schutz durch Überprüfung des Arbeitgebers und eine Versicherung der Ayi.

Laut der Presseagentur Xinhua gibt es in Beijing 60 000 Ayis zu wenig, wodurch das Mindestgehalt im letzten Jahr auf 500 Yuan stieg. Das Durchschnittsgehalt von Ayis, die nicht bei der Familie wohnen, liegt bei 700-800 Yuan.

Ayis in ausländischen Haushalten

Ausländer und Ausländerinnen, die für ausländische Firmenvertretungen, Jointventures oder Botschaften arbeiten, müssen Hausangestellte und Fahrer über offizielle staatliche Firmen anstellen, was um einiges teurer ist, da diese Firmen einen großen Teil des Gehalts der Ayis einziehen. Für alle anderen Ausländer gibt es zwei Möglichkeiten, eine Ayi anzustellen. Die beliebteste, ergab eine Blitzumfrage unter 6 Müttern, ist die Mundpropaganda. Da viele ausländische Familien nach einigen Jahren China verlassen, sind Ayis, die für Ausländer arbeiten, oft nach ein paar Jahren wieder auf Jobsuche. Meistens helfen die Familien, die und vor allem deren Kinder die Ayis sehr ins Herz geschlossen haben, den Aiys dabei. Und so kommt es, dass man die Ayi im Freundeskreis weitervermittelt. Die zweite Möglichkeit ist, eine der oben genannten Privatfirmem zu kontaktieren.

Die Umfrage ergab, dass vier der sechs befragten Mütter außerordentlich zufrieden sind mit ihren Ayis und ein eher freundschaftliches Verhältnis zu ihnen pflegen, bei zweien führten kulturelle Mißverständnisse und persönliche Animositäten zur Kündigung. Den Arbeitgeberinnen zufolge war der Hauptgrund, der Drang der Ayis, den westlichen Müttern chinesische Konzepte von Haushaltsführung und Kinderbetreuung aufzudrängen, beide Ayis waren zwischen 40 und 50 und daher in ihren Vorstellungen schon sehr gefestigt. Einem kulturellen Mißverständnis unterlag Petra Schreiber, die ganztags für Volkswagen arbeitet. Sie sagt: „Als ich nach der Geburt nach Hause kam, ging unsere Ayi einkaufen, um für mich eine chinesische Spezialität für stillende Mütter zuzubereiten. Es handelte sich dabei um Hühnersuppe. Mir gefiel die Idee und nachdem sie mich einige Male aus dem Supermarkt anrief und ich all die Dinge, die man dafür brauchte, nicht zu Hause hatte, beschloss Ayi, die Suppe bei sich zu Hause zu kochen und sie am nächten Tag mitzubringen. Sie hatte sich sehr viel Mühe gemacht und am nächsten Tag saßen wir am Tisch und die Suppe wurde serviert. Zu unserem Schrecken schwammen alle Innereien in der Suppe. Beim Versuch, diese abzuseien, entdeckten wir eine schwarze Hühnerkralle, die diese uns dann vollends verleidete. Verständlicherweise war unsere Ayi sehr enttäuscht, als wir die Suppe nicht aßen. Forthin sprach sie kein Wort mehr mit uns.“ Ein weiteres Mißverständnis, das aber nicht zur Entzweiung führte, erzählt Jackie Winter, die ganztags für die österreichische Botschaft arbeitet: „Frau Zhu ist um die 50 und hatte noch kaum für Ausländer gearbeitet. Daher musste ich ihr anfangs einiges erklären. Das größte Mißverständnis wahr wohl, als sie meine mühsam abgepumpte und eingefrorene Muttermilch aus dem Gefrierfach nahm und ich sie dabei erwischte, wie sie sie abkochte. Wir haben volles Vertrauen zu Frau Zhu und wenn wir im Urlaub sind, hat sie unseren Schlüssel. Das wichtigste ist, dass sie unsere Tochter liebt. Ab und zu bringt sie ihr kleine Geschenke mit. Sie lernt von ihr einwandfreies Hochchinesisch.“ Julia Dörnen, die ganztags für Siemens arbeitet, meint über ihre Ayi, die sie über Bekannte gefunden hat: „Wir haben zu Xiao Zhang ein eher freundschaftliches Verhältnis. Das führte sogar dazu, dass Besucher dachten, dass sie eine Freundin wäre, die bei uns auf Besuch ist und nicht unser Kindermädchen.“

Ausländer zahlen wie für so vieles in China auch mehr für Ayis, laut Umfrage zwischen 1100 Yuan und 2000 Yuan. Dies tun sie nicht aus Zwang, sondern meistens aus schlechtem sozialen Gewissen oder einfach, um sicherzugehen, dass ihre Ayi glücklich ist und so auch ihr Kind glücklich macht. In manchen Fällen sollen unglückliche Ayis ja nicht mehr aus ihrem Urlaub zum Chinesischen Neujahr zurückgekehrt sein. Jackie Winter meint dazu: „If you pay peanuts, you’ll get monkeys.“ Der allgemeine Tenor der Befragung war, dass Ayis, die für Ausländer arbeiten, interkulturell sehr kompetent sind und, wie Petra Schreiber meint, „wohl Seminare für interkulturelles Management leiten könnten, wenn sie ein wenig besser ausgebildet wären.“ Denn von der internationalen Areitserfahrung, die manche Ayis, wie z. B. Xiao Yu, vorweisen können, träumt so mancher Manager.

Xiao Yus Geschichte

Vor ihrer Heirat mit 25 Jahren arbeitete Xiao Yu in Restaurants in Shanghai, sie blieb ein Jahr zu Hause, als sie ihren Sohn gebar, danach arbeitete sie seit 1997, mit damals 28 Jahren, zum ersten Mal für eine deutsche Familie in Beijing. Davor hatte sie stundenweise für eine chinesische Familie als Putzfrau gearbeitet und pro Stunde drei Yuan verdient. Nach zwei Monaten hob die zufriedene Arbeitgeberin den Lohn auf vier Yuan an. Ab 1998 arbeitete sie für eine kanadisch-deutsche Familie, bei der sie drei Jahre blieb. Die Familie hatte zusätzlich eine Putzfrau angestellt. Xiao Yu war für die Kinder zuständig und bekam monatlich 300 Yuan. Danach war sie bei einer amerikanisch-kanadischen Familie und noch einmal bei einer deutschen Familie. Die Jobs wurden ihr immer durch Freunde aus ihrem Dorf oder Verwandte vermittelt. Sie hält nicht viel von den Vermittlungsfirmen, da diese laut Xiao Yu ein Viertel des Lohns für sich behalten. Xiao Yu sagt: „Ich hatte immer Glück mit meinen Familien. Ich habe aber auch andere Geschichten gehört. Am schlimmsten sind die reichen chinesischen Familien, wo sich die Frauen nicht einmal selbst Tee einschenken, oder der Ayi vorwerfen, das Kind von Mücken zerstechen zu lassen, damit sie selbst nicht gestochen wird.“

Xiao Yu lebt in der Beijinger Vorstadt in einem 13 m2 kleinen Zimmer mit ihrem Mann zusammen und zahlt dafür inklusive Nebenkosten 300 Yuan. Letzten Winter entging sie knapp einer Gasvergiftung, da sie die Gaskochplatte anstellte, um sich aufzuwärmen. Trotz der Entbehrungen und Anstrengungen in Beijing und der Tatsache, dass sie ihren Sohn vermisst, zieht sie ihr Leben in der Stadt vor. Der relative hohe Lohn ermöglichte ihr und ihrem Mann, in ihrem Dorf ein zweistöckiges Haus zu bauen. Ihr Sohn kann die Schule besuchen. Sie erzählt: „Als mein Sohn ein Jahr alt war, ging ich in die Stadt. Ich kam erst ein Jahr später zurück. Meine damals fünfjährige Nichte rief mich Tante und mein Sohn tat es ihr gleich. Er hatte seine Mutter vergessen, was mich sehr traf.“ 

Nun warten wir sehnsüchtig darauf, dass Xiao Yu morgen von ihrem Heimaturlaub, den sie mit ihrem Sohn verbrachte, zurückkommt. Unser Sohn wird ihr jauchzend entgegenspringen und wir Eltern auch. Ihre Abwesenheit war wichtig für uns, um den Realitätssinn nicht zu verlieren und uns zu beweisen, dass wir doch noch nicht völlig unfähig sind, unseren Alltag alleine zu bewältigen. Und Xiao Yu wird höchstwahrschenlich erst in einem Jahr zum nächsten Chinesischen Neujahr ihren Sohn wieder sehen.

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