März 2004
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Wirtschaft

Das Beste zweier Welten

Von Feng Jing

Liebe kennt keine Grenzen, wie durch die Romanze zwischen dem Tibeter Tsedup und seiner britischen Frau Kate bewiesen wird.

Wie auch andere junge Ehefrauen und -männer haben Kate und Tsedup ihre Wolkenschlösser gebaut und freuen sich auf ein langes und glückliches Eheleben. Aber ihre Ehe ist etwas ungewöhnlich, da sie zwei Kontinente überspannt. Kate ist Britin und Tsedup Tibeter. Um das Beste ihrer zwei Welten genießen zu können, hat sich das Paar entschieden, die Sommer im abgelegenen Grasland zu verbringen und den Rest des Jahres in London.

Ihre Heimat liegt einen Kilometer nördlich der Kreisstadt Maqu, im Autonomen Bezirk Gannan der Tibeter in Gansu. Bei einer Durchschnittshöhe von ungefähr 4000 m ist das Gebiet hauptsächlich von Tibetern besiedelt. Die weite, ruhige Landschaft des Maqu-Graslands ist Nahrung für die Seele. Tibeter haben hier jahrhundertelang Vieh gehütet.

Das Ziegelhaus des Ehepaares liegt in einem eingezäunten Gelände und verfügt über einen großen Hof. Der Baustil verbindet das Beste des Tibetischen und des Britischen, die westliche Feuerstelle, die Couch und das Kaffeetischchen koexistieren harmonisch mit dem tibetischen Teekessel aus Messing, dem Teppich und der Gebetsmühle des tibetischen Buddhismus.

Dieser Sommer ist der siebte, den das Paar in Maqu verbringt. Dieses Mal haben sie ihren fünfjährigen Sohn, Kates Vater und ihren jüngeren Bruder mitgenommen, die alle schon einmal bei ihnen auf Besuch waren.

Als ich für das Interview zu ihrem Haus kam, hieß mich lächelnder Tsedup willkommen, der ein saloppes T-Shirt und Jeans trug und sein langes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte. Kate sah mit ihrer hellen Haut und ihren blauen Augen großartig aus in ihrer traditionellen tibetischen Chupa und dem lokal angefertigten Schmuck. Ihr Sohn, ein Energiebündel, flitzte ins Haus und wieder heraus und offensichtlich fühlte er sich sehr zu Hause. Kates Vater und ihr jüngerer Bruder sahen im Wohnzimmer fern, während Tsedups Eltern mit dem Haushalt beschäftigt waren.

Wie konnten diese zwei Leute mit so verschiedenen kulturellen Hintergründen sich nur treffen und verlieben? Kate und Tsedup stimmen darin überein, dass es eines dieser Dinge war, die vorherbestimmt waren.

Tsedup ist der dritte von sechs Söhnen und zwei Töchtern. Gemäß tibetischer Tradition wird, wenn eine Familie mehr als einen Sohn hat, einer auserkoren, im Tempel als Lama zu leben. Da Tsedup besonders intelligent war, wählte sein Vater ihn aus.

Als Junge las und lernte Tsedup gerne, doch hatte er keine Neigung dazu, sein Leben einem lamaistischen Kloster zu widmen. Einer seiner Schulkameraden in der Mittelschule bemerkte einmal: „Ich kann mich daran erinnern, dass Tsedup mir einmal erzählte, dass sein Traum war, ans Ende der Erde zu reisen.“

1989 schloss der achtzehnjährige Tsedup die Mittelschule ab und sein Vater teilte ihm seine Entscheidung mit, ihn nach dem Schulabschluss Lama werden zu lassen. Der junge Mann wusste nicht, wie er sich weigern sollte und entschied sich, sein Zuhause ohne Abschied zu verlassen.

Tsedups erstes Ziel war Lhasa, Hauptstadt des Autonomen Gebiets Tibet und über 1000 km entfernt. Da er kein Geld mitgenommen hatte, musste er Gelegenheitsjobs annehmen, um seine Reise zu finanzieren. Nach einer anstrengenden, langen Reise kam er endlich in Lhasa an, gemeinsam mit der Masse anderer junger Männer, die ihr Glück versuchten. Später freundete sich Tsedup mit einem indischen Gelehrten an und folgte dessen Einladung nach Indien. Während seines Aufenthalts in Indien lernte er Englisch und dann das Produzieren von Fernsehserien.

Während seiner Jahre in der Fremde hatte Tsedup oft Heimweh. Eines Tages schrieb er einen Brief an seinen Vater und bat um Vergebung. Im Antwortbrief erwähnte sein Vater mit keinem Wort, dass er ihn in ein lamaistisches Kloster schicken wollte. Er sagte Tsedup, dass er jeden Tag für ihn gebetet hätte, seitdem er von Zuhause weggegangen war. Nachdem er diese Zeilen gelesen hatte, war Tsedup zu Tränen gerührt und entschloss sich, nach Hause zu gehen.

Im gleichen Jahr reiste Kate mit ihren Freunden nach Indien. Als sich die zwei trafen, war es Liebe auf den ersten Blick. Tsedup liebte dieses schöne, intelligente britische Mädchen voll und ganz und sie fand ihn ehrlich, belesen und charmant. Nachdem Kate nach Großbritannien zurückgekehrt war, schickten sie einander viele Briefe und nur nach einem Monat flog Kate zurück nach Indien.

Kates Eltern waren überrascht und ein wenig besorgt, als ihre Tochter ihnen mitteilte, dass sie einen tibetischen Mann heiraten wollte, den sie noch nie zuvor getroffen hatten. Anfang 1994 flogen Kates Eltern nach Indien, um ihren zukünftigen Schwiegersohn kennen zu lernen. Nach einem langen Gespräch mit Tsedup waren sie glücklich, dem Paar ihren Segen erteilen zu können.

Vor ihrer Abreise aus Indien schlug Kates Vater vor, dass Tsedup sie nach England begleiten sollte, da die beiden in Indien nichts hielt.

Bald nach ihrer Ankuft heirateten Tsedup und Kate. Kate arbeitete als Layouterin bei einem Magazin und Tsedup fand einen Job bei einer Fernsehserie und versuchte sich als Drehbuchschreiber für Fernsehkomödien. Er verwandelte seine Erinnerungen an seine Heimatstadt in eine Fernsehserie namens A Family of Herdsmen, die sehr gut ankam, als sie auf einem von Londons Lokalsendern ausgestrahlt wurde. Nach einigen Jahren harter Arbeit konnten sich Tsedup und Kate ihr eigenes Haus leisten.

1998, nachdem Tsedup beinahe zehn Jahre nicht zu Hause gewesen war, fuhr Tsedup mit Kate und seinen Schwiegereltern in seinen Heimatort zurück, um seine geliebten Eltern und Geschwister im Maqu-Grasland zu besuchen.

Tsedups Eltern waren begeistert, ihre Schwiegertochter kennen zu lernen, die sie auch gleich Namma, „Schwiegertochter“ auf Tibetisch, nannten. Kates Eltern liebten sehr bald diese warmherzige tibetische Familie und das ausladende Grasland mit seinem grasenden Vieh und den gastfreundlichen Hirten.

Tsedup und Kate blieben ein halbes Jahr in Maqu. Sie verbrachten ihre Zeit mit Reisen, Verwandtenbesuchen und tibetischen Opern. Kate passte sich dem tibetischen Leben schnell an, lernte die tibetische Sprache und wie man auf einem Pferd reitet. Sie waren sehr glücklich.

Die nomadischen Geschichten und alten Bräuche der Tibeter inspirierten Kate sehr. Sie entschloss sich, über ihre Erlebnisse und Gefühle zu schreiben, um anderen das Maqu-Grasland, die Tibeter und Westchina näher zu bringen. In diesem Herbst verließ Kate ihren Job bei dem Magazin und begann ihre Karriere als freischaffende Schriftstellerin. Viele ihrer Artikel über Maqu-Grasland wurden in britischen Zeitungen und Magazinen publiziert.

2000 schrieb und publizierte Kate NAMMA: A Tibetan Love Story in Großbritannien, ein Buch, das auf ihrer und Tsedups Liebesgeschichte und ihren Erlebnissen in Maqu beruht. Auf dem Buchumschlag befindet sich ein Bild von Kate in tibetischer Kleidung mit Schmuck. Das Buch beinhaltet Fotos von ihrem Sohn und selbst gezeichnete Illustrationen. Dieser Bericht einer transnationalen Romanze ist ein 305-seitiger gebundener Roman und eigentlich eine Biographie, die beide Stammbäume beinhaltet. Zur Zeit arbeitet Kate an einem Fantasiebuch für Kinder. Sie hofft, genauso erfolgreich wie J.K. Rowlings, die Autorin der Harry Potter-Serie, zu werden.

Für Kate sind die Geschichten und Bräuche der Tibeter ein großes Reservoir faszinierender Folklore. Jedes Mal, wenn sie zurück sind, wird sie unglaublich inspiriert und sie ist ihrem Mann und Maqu dankbar dafür, ihr eine ganz neue Welt eröffnet zu haben.

Tsedup ist währenddessen mit seinem eigenen Schaffen beschäftigt. Er hat Szenen über das Leben in seiner Heimatstadt gefilmt und hofft, dieses Material als Dokumentarfilm in Großbritannien ausstrahlen zu können. Gleichzeitig arbeitet er an einer Fernsehserie, die das Leben tibetischer Hirten in Westchina wiedergibt.

Feng Jing ist Mitarbeiterin von Beijing Rundschau.

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